Landgericht Rostock:
Beschluss vom 7. August 2013
Aktenzeichen: 18 Qs 170/13

(LG Rostock: Beschluss v. 07.08.2013, Az.: 18 Qs 170/13)

Tenor

I. In Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts Rostock vom 20.02.2013 wird der dem Rechtsanwalt R. auf Antrag vom 15.06.2012 zu gewährende Vorschuss auf

1.442,39 Euro

festgesetzt.

II. Im übrigen wird die Beschwerde des Rechtsanwalt ... als unbegründet zurückgewiesen.

III. Die weitere Beschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.

1.

a) Der Beschwerdeführer war dem Beschuldigten als Pflichtverteidiger beigeordnet worden.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Rostock wurde durch das Amtsgericht Rostock mit Haftbefehl vom 03.04.2012 die Untersuchungshaft angeordnet. Auf der Grundlage dieses Haftbefehls wurde der Beschuldigte am 04.04.2012 festgenommen. Am 04.04.2012 wurde der Haftbefehl verkündet und der weitere Vollzug des Haftbefehls angeordnet.

Mit Schriftsatz vom 11.04.2012 erhob der Beschuldigte über seinen Verteidiger Beschwerde gegen den Haftbefehl (Bd. 2018, Bl. 2 ff.). Mit Beschluss vom 21.05.2012 wurde die Haftbeschwerde als unbegründet verworfen.

Dem Verteidiger wurden zwischenzeitlich durch die Staatsanwaltschaft eingescannte Aktenkopien der Bände 01-2021 und der Sonderhefte 01-68 zur Verfügung gestellt.

Mit Schriftsatz vom 30.05.2012 legte der Beschuldigte über seinen Verteidiger weitere Beschwerde ein. Der Verteidiger führt u.a. aus, dass die JVA Waldeck bisher kein elektronisches Lesegerät zur Verfügung gestellt habe, um dem Beschuldigten eine vollständige Akteneinsicht zu gewähren. Sollte dies nicht bald geschehen, werde es notwendig werden, dem Beschuldigten die Akten auszudrucken und die Ausdrucke in die JVA zu verbringen.

Die Staatsanwaltschaft nahm mit Verfügung vom 06.06.2012 Stellung, worauf der Verteidiger mit Schriftsatz vom 07.06.2012 replizierte.

Mit Schriftsatz vom 08.06.2012 (Bd. 2025, Bl. 114) teilte der Verteidiger der Staatsanwaltschaft mit, dass es bisher nicht gelungen sei, dem Beschuldigten Akteneinsicht durch ein elektronisches Lesegerät zu ermöglichen, so dass mit dem Ausdruck von für den Mandanten wesentlichen Aktenteilen begonnen worden sei. Ferner sei mit der JVA abgesprochen worden, dass möglicherweise ein Anstaltscomputer zur Verfügung gestellt werde, ein USB-Stick mit den Akten werde daher der JVA übergeben.

Mit Beschluss vom 11.06.2012 wurde der weiteren Beschwerde nicht abgeholfen.

Mit Schriftsatz vom 21.06.2012 (Bd. 2028, Bl. 4) erwiderte der Verteidiger auf den Nichtabhilfebeschluss der Kammer. Nachdem die Generalstaatsanwaltschaft mit Datum vom 28.06.2012 zur weiteren Beschwerde Stellung genommen hatte (Bd. 2028, Bl. 10), beantragte der Verteidiger zunächst wegen Urlaubs Fristverlängerung bis zum 20.07.2012 und nahm mit Schriftsatz vom 19.07.2012 Stellung.

Die weitere Beschwerde wurde durch das Oberlandesgericht verworfen.

Mit Beschluss des Amtsgerichts Rostock vom 14.09.2012 wurde der Haftbefehl gegen Zahlung einer Kaution außer Vollzug gesetzt. Der Beschuldigte wurde am 17.09.2012 aus der Untersuchungshaft entlassen.

b) Mit Datum vom 15.06.2012 beantragte der Verteidiger die Festsetzung eines Vorschusses für die bisher angefallenen Pflichtverteidigergebühren (Bd. 2027, Bl. 30 f.). Beantragt wurden u.a. die Kosten für die Überlassung von elektronisch gespeicherten Dateien in Höhe von 4.527,50 € und für 24.985 Ablichtungen in Höhe von 3.765,25 €.

Mit Beschluss des Amtsgerichts Rostock vom 18.07.2012 wurde der Vorschuss in Höhe von 10.613,79 € festgesetzt. In Abweichung vom Antrag wurde allein die Verfahrensgebühr in Höhe von 137,00 € abgesetzt, da noch keine Anklage erhoben wurde. Der festgesetzte Betrag wurde am 26.07.2012 angewiesen.

Auf die Erinnerung der Bezirksrevisorin wurde der Beschluss vom 18.07.2012 mit Beschluss vom 11.09.2012 abgeändert und die zu zahlenden Gebühren und Auslagen auf 5.226,06 € festgesetzt. Abgesetzt wurden die Kosten für die Kopie der Dateien. Gegen diesen Beschluss legte die Bezirksrevisorin mit Datum vom 05.11.2012 ergänzend Erinnerung ein und wandte sich gegen die Festsetzung der Kosten für die Überlassung von Ablichtungen. Sie machte u.a. geltend, dass nicht erkennbar sei, warum die Überlassung an den Beschuldigten notwendig gewesen sei.

Der Verteidiger nahm mit Schriftsatz vom 25.01.2013 Stellung und machte geltend, dass es notwendig gewesen sei, das gesamte Aktenmaterial dem Beschuldigten zur Verfügung zu stellen. Nur so habe dieser die notwendige Zuarbeit leisten können, welche den Verteidiger in die Lage versetzt habe, umfangreiche Schriftsätze zu fertigen, welche schließlich zur Außervollzugsetzung des Haftbefehls geführt hätten.

Mit Beschluss des Amtsgerichts Rostock vom 20.02.2013 wurde der Erinnerung abgeholfen und die zu zahlenden Gebühren und Auslagen wurden auf 745,41 € festgesetzt.

Gegen den Beschluss vom 20.02.2013 legte der Verteidiger mit Datum vom 04.03.2013 Erinnerung ein. Er trug vor, dass die Ausdrucke erstellt, auf Heftstreifen aufgezogen und in Umzugskartons verpackt worden seien. Er selbst habe an drei Tagen per Sackkarre die Umzugskartons in die JVA verbracht. Nach Durchsicht der Akten durch den Beschuldigten sei der gesamte Akteninhalt besprochen worden.

Mit Beschluss vom 10.04.2013 wurde der Erinnerung nicht abgeholfen. Gegen den Beschluss legte der Verteidiger mit Schriftsatz vom 19.04.2013 Beschwerde ein.

Die Kammer hat die JVA Waldeck schriftlich dahingehend befragt, in welchem Umfang der Verteidiger dem Beschuldigten Unterlagen zukommen ließ. Die Mitarbeiterin der JVA Waldeck, Fr. S., teilte mit, dass die Mitarbeiter der JVA sich nicht daran erinnern könnten, dass der Beschuldigte H. in seiner Zelle eine große Anzahl von Verteidigungsunterlagen gelagert habe. Es seien in der Zelle ca. 10-15 Ordner vorhanden gewesen. Genauere Feststellungen könnten aber nicht getroffen werden, da über Art und Umfang der vom Verteidiger überlassenen Unterlagen kein Nachweis geführt werde.

Laut Besuchernachweis der JVA Waldeck besuchte der Verteidiger den Beschuldigten H. am 07.06. und 14.06.2012 für jeweils ca. 45 Minuten. Weitere Besuche von jeweils knapp einer Stunde fanden dann wieder am 10.07. und 18.07.2012 statt. Am 27.08.2012 fand noch ein Besuch mit einer Dauer von knapp 30 Minuten statt.

2.

Die nach § 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 RVG statthafte Beschwerde des Verteidigers hat nur zu einem Teil Erfolg.

Nach § 47 Abs. 1 Satz 1 RVG kann der beigeordnete Rechtsanwalt für die entstandenen Gebühren und die entstandenen und voraussichtlich entstehenden Auslagen aus der Staatskasse einen angemessenen Vorschuss fordern.

Da der Verteidiger hier geltend macht, die abgerechneten Kopien zur Unterrichtung des Beschuldigten angefertigt zu haben, sind die hierfür entstandenen Kosten nach VV 7000 Nr. 1 c) RVG zu erstatten, soweit mehr als 100 Ablichtungen betroffen sind und die Überlassung notwendig im Sinn der Regelung war.

Grundsätzlich sind alle Auslagen des beigeordneten Anwaltes, mithin auch die Kosten für das Anfertigen von Aktenauszügen, als für eine sachgerechte Wahrnehmung der Interessen eines Beschuldigten bzw. Angeklagten notwendig und erforderlich anzusehen und es obliegt der Staatskasse nachzuweisen, welche Auslagen im konkreten Einzelfall für die sachgerechte Interessenwahrnehmung nicht geboten waren. Dies gilt indes nicht, wenn gewichtige Anhaltspunkte ersichtlich sind, nach denen einzelne Auslagen unnötig verursacht wurden. In diesen Fällen obliegt es dem Rechtsanwalt, die Erforderlichkeit der Auslagen zu belegen, wobei ihm allerdings ein gewisser Ermessensspielraum einzuräumen ist (vgl. KG, Beschl. v. 20.06.2005, 3 Ws 20/05, BeckRS 2005, 32936). Im Regelfall wird die Beurteilung des Verteidigers ohne tiefgehende Prüfung hinzunehmen sein, soweit kein Missbrauchsfall vorliegt und erkennbar ist, dass nicht kritiklos die gesamten Akten kopiert wurden (vgl. AG Bochum, Beschluss vom 10. 1. 2008 - 74 Ls 2 Js 556-05, 38/06, NStZ-RR 2008, 296).

Im vorliegenden Fall spricht jedoch eine Reihe von Umständen gegen die Notwendigkeit der Erstellung von Ablichtungen der gesamten Akten für den Beschuldigten.

Die Akten bestanden zum Zeitpunkt der angeblich erstellten Ausdrucke aus 2000 Fallakten, 21 Bänden Sachakten und 68 Sonderheften. Die Fallakten, aber auch die Sachakten enthalten eine Vielzahl von gleichartigen Einzelanzeigen von Personen, welche sich durch das Geschäftsmodell des Beschuldigten betrogen fühlten. In den Sachakten werden ferner die Straftaten wegen Urheberrechtsverletzung behandelt. Daneben beinhalten die Sachakten die weiteren Ermittlungen, insbesondere die Vernehmungen, Durchsuchungen, Korrespondenz mit den Sachverständigen etc. Die Sonderhefte 01-68 enthalten Bankunterlagen zu verschiedenen Konten nebst Anforderungsschreiben der Ermittlungsbehörden.

Es ist in keiner Weise ersichtlich, warum der Beschuldigte in der Untersuchungshaft zum Zwecke der Verteidigung die Fallakten und Sonderhefte benötigte. Gegenstand des Haftbefehls waren ja auch nicht bestimmte Einzelfälle, sondern Betrugstaten und Delikte nach §§ 106 Abs. 1, 108a Abs. 1 UrhG sowie § 143 Abs. 1 Nr. 2 Abs. 2 MarkG in Form von Organisationsdelikten. Aus der hier maßgeblichen Sicht eines vernünftigen sachkundigen Rechtsanwalts wäre es jedenfalls ausreichend gewesen, dem Beschuldigten den Inhalt von Fallakten exemplarisch darzustellen. Da aber auch die Sachakten bereits Einzelanzeigen in ausreichender Anzahl enthielten und die Sachakten zudem alle zur Information des Beschuldigten notwendigen Inhalte hatten, wäre es selbst unter sehr weiter Anerkennung eines Ermessensspielraumes des Verteidigers allenfalls notwendig gewesen, die Sachakten dem Beschuldigten zur Verfügung zu stellen.

Der Verteidiger konnte auch in keiner Weise nachvollziehbar darstellen, warum der gesamte Inhalt der Akten übergeben werden musste.

Die beiden Besprechungstermine vor Stellung der Vorschussrechnung dauerten nur 45 Minuten. Da nach eigener Darstellung des Verteidigers mit der Anfertigung von Kopien am 08.06.2012 erst begonnen worden ist, kann frühestens am 14.06.2012 über den gesamten Akteninhalt gesprochen worden sein. Auch in den weiteren dann noch am 10.07.2012, 18.07.2012 und 27.08.2012 erfolgten Terminen wird aufgrund der Kürze der jeweiligen Besuche kaum über den gesamten Akteninhalt gesprochen worden sein. Sämtliche Schriftsätze des Verteidigers im Rahmen der Haftbeschwerden enthalten zudem keine Anzeichen für eine Zuarbeit des Beschuldigten im Hinblick auf Einzelheiten der Fallakten oder Sonderhefte.

Unter Anerkennung eines sehr weitgehenden Ermessensspielraums des Verteidigers geht die Kammer daher davon aus, dass die Überlassung von Kopien der Sachakten noch als notwendig anzuerkennen ist. Dabei war der Verteidiger nicht gehalten, jede Seite einzeln darauf zu überprüfen, ob diese nun auszudrucken ist oder nicht. Gerade in einem Umfangsverfahren ist von einem Verteidiger zwar grundsätzlich zu erwarten, dass er die Akteninhalte sachgerecht filtert und dem Beschuldigten nur die wesentlichen Aktenteile zur Verfügung stellt. Außerdem stellt das ungeprüfte, vorsorgliche Ablichten der gesamten Akte € die regelmäßig für die Verteidigung in jedem Fall irrelevante Dokumente wie Verfügungen und Empfangsbekenntnisse enthält € regelmäßig keine ordnungsgemäße Ermessensausübung des Verteidigers mehr dar (vgl. OLG Köln, Beschl. v. 16.7.2012 - 2 Ws 499/12, NStZ-RR 2012, 392). Im vorliegenden Fall wäre diese Aufarbeitung wegen der unübersichtlichen Aktenführung jedoch mit einem erheblichen Zeitaufwand verbunden gewesen, so dass der Verteidiger im Interesse einer zügigen Information des Beschuldigten die gesamten Sachakten ausdrucken und dem Beschuldigten überlassen durfte.

Auch wenn aufgrund der Auskunft der Mitarbeiter der JVA erhebliche Zweifel bestehen, ob der Verteidiger dem Beschuldigten überhaupt die gesamten Akten im Ausdruck zur Verfügung gestellt hatte, ist im Hinblick auf den Umfang der dem Beschuldigten übergebenen Unterlagen keine weitere Beweisaufnahme notwendig. Auch die Mitarbeiter der JVA konnten jedenfalls bestätigen, dass 10 bis 15 Ordner an Verteidigungsunterlagen sich in der Zelle des Beschuldigten befunden hatten. Dies entspricht dem hier zuerkannten Umfang.

Als notwendig anzuerkennen sind daher alle Ausdrucke der Bände 2001-2021. Einschließlich Deckblätter und Schlussblatt ergibt dies 3.888 Seiten. Die ersten 100 Seiten sind nach VV 7000 Nr. 1 c) RVG nicht zu berücksichtigen. Für die ersten 50 Seiten erhält der Verteidiger 0,50 € und für die übrigen 3.738 Seiten je 0,15 €, also insgesamt 585,70 € zzgl. 19 % MWSt und damit insgesamt 696,98 €.

Dieser Betrag war dem Betrag der im übrigen zutreffend bereits berücksichtigten Gebühren und Auslagen nebst Umsatzsteuer in Höhe von 745,41 € hinzuzurechnen, so dass insgesamt ein Betrag in Höhe von 1.442,39 € festzusetzen war.

Klarstellend wird darauf hingewiesen, dass mit der vorliegenden Entscheidung die Auslagen für die Erstellung und Überlassung von Ablichtungen an den Beschuldigten bis zum Ende der Untersuchungshaft festgesetzt werden und nicht etwa nur bis zum Zeitpunkt der Stellung der Vorschussrechnung. In der Rechnung selbst wurde nicht deutlich, ob für bereits entstandene oder noch entstehende Auslagen ein Vorschuss verlangt wird. Durch den weiteren Vortrag des Verteidigers im Rahmen der Erinnerungs- und Beschwerdeverfahren wurde aber klargestellt, dass abschließend die Kosten für die Überlassung von Ablichtungen während der Haftzeit geltend gemacht werden.

III.

Das Verfahren über den Antrag ist gebührenfrei, Kosten werden nicht erstattet, § 56 Abs. 2, § 33 Abs. 9 RVG.

Die weitere Beschwerde war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Fragen gem. § 56 Abs. 2, § 33 Abs. 6 RVG zuzulassen. Die hier maßgeblichen Rechtsfragen wurden durch das Oberlandesgericht Rostock noch nicht entschieden und werden durch die Instanz- und Oberlandesgerichte anderer Bundesländer unterschiedlich gehandhabt.






LG Rostock:
Beschluss v. 07.08.2013
Az: 18 Qs 170/13


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