Bundespatentgericht:
Beschluss vom 19. Juni 2008
Aktenzeichen: 11 W (pat) 20/04

(BPatG: Beschluss v. 19.06.2008, Az.: 11 W (pat) 20/04)

Tenor

Auf die Beschwerde der Einsprechenden wird der Beschluss der Patentabteilung 15 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 11. Dezember 2003 aufgehoben und das Patent widerrufen.

Gründe

I.

Das am 16. August 1996 angemeldete Patent 196 32 893, dessen Erteilung am 8. Februar 2001 veröffentlicht worden ist, betrifft ein

"Verfahren zur Herstellung von Flugkörperkomponenten aus faserverstärkter Keramik".

Gegen das Patent wurde am 7. Mai 2001 Einspruch erhoben, worauf durch Beschluss vom 11. Dezember 2003 die Patentabteilung 15 des Deutschen Patent- und Markenamtes das Patent in vollem Umfang aufrechterhalten hat.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde der Einsprechenden. Sie trägt sinngemäß vor, das Patent offenbare die Erfindung nicht so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen könne, der Gegenstand des geltenden Patentanspruchs 1 sei unzulässig erweitert und beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Hierzu verweist sie unter anderem auf folgende Druckschriften:

(2) DE 39 27 917 A1

(3) EP 0 541 917 A2

(6) Dollhopf, V. und Krenkel, W.: "Entwicklung integraler Leichtbaustrukturen aus Faserkeramik", in: VDI Berichte, Nr. 1080, 1994, Seiten 473 bis 482.

Die Einsprechende hat beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Patent in vollem Umfang zu widerrufen.

Die Patentinhaberin hat sich zum Vorbringen der der Beschwerdeführerin sachlich nicht geäußert.

Der erteilte Anspruch 1 lautet:

"Verfahren zur Herstellung von thermisch und mechanisch hochbelasteten Flugkörpern oder Flugkörperkomponenten mit folgenden Schritten:

a) Fertigen von Rohlingen aus faserverstärkter grüner Keramik, nämlich kohlenfaserverstärktem Siliciumcarbid (C/SiC) und/oder kohlenstofffaserverstärktem Kohlenstoff (C/C) und/oder siliciumcarbidfaserverstärktem Siliciumcarbid (SiC/SiC);

b) Ausformen und mechanisches Bearbeiten der Keramikrohlinge im Grünzustand entsprechend den Teilegeometrien des Flugkörpers oder der Flugkörperkomponenten;

c) Gemeinsame Infiltration oder gemeinsames Silizieren der Rohlinge mit Silicium und/oder Siliciumcarbid und/oder Kohlenstoff zum Erhalt einer monolithischen Verbundstruktur, wobei die zusammengefügten Rohlinge die Gesamtform des Flugkörpers oder der jeweiligen Flugkörperkomponente bilden."

Diesem Anspruch schließen sich die erteilten Ansprüche 2 und 3 an. Zu deren Wortlaut wird auf die Patentschrift und wegen den weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und führt auch zum Erfolg.

Das Patent betrifft ein Verfahren zur Herstellung von thermisch und mechanisch hochbelasteten Flugkörpern oder Flugkörperkomponenten.

An Flugkörpern, die sich mit sehr hoher Geschwindigkeit in der bodennahen Atmosphäre bewegen, treten an exponierten Stellen, wie Kanten, Ecken und Spitzen wegen der aerodynamischen Aufheizung Oberflächentemperaturen von über 1700¡C auf. Sehr hohe Temperaturen von über 2500¡C treten an Bauteilen von Flugkörpermotoren auf. Wegen der hohen Temperaturen, der mechanischen Belastungen und der hohen Drücke werden bei diesen Flugkörperkomponenten hitzebeständige Metalle oder Metalllegierungen mit hoher mechanischer Festigkeit und Temperaturbeständigkeit verwendet. Da diese temperaturbeständigen Metalle und Legierungen schon ab etwa 800¡C unter Festigkeitsverlust erweichen, muss zusätzlich aktiv gekühlt werden. Ein weiterer gravierender Nachteil der Flugkörperkomponenten aus Metall ist ihr hohes Gewicht, welches die Beschleunigung und Geschwindigkeit von Flugkörpern einschränkt (vgl. Sp. 1, Z. 6 bis Z. 45 der Streitpatentschrift).

In der in der Streitpatentschrift genannten Druckschrift (2), die flügelstabilisierte Geschosse betrifft, wird beschrieben, wie die Vorderkanten der Leitflügel durch hitzebeständige Faserwerkstoffe bzw. Faserverbundwerkstoffe gegen Abbrand geschützt werden können (vgl. (2), Sp. 1, Z. 67 bis Sp. 2, Z. 24). Hierzu werden Verbundwerkstoffe mit den tragenden Rumpfteilen verschraubt, vernietet und/oder verklebt (vgl. (2), Sp. 2, Z. 25 - 28).

Dem Streitpatent liegt deshalb die Aufgabe zugrunde, ein Verfahren anzugeben, mit dem keramische Bugspitzen, feste Flossen oder bewegliche Ruder [Fins], Strahlruder, Schubdüsen und Düsenhalseinsätze, Brennkammerauskleidungen, Heckkonus, Gitterflügel, Fluidikelemente und Radome oder Teilkomponenten für Flugkörper mit hoher Temperatur-, Druck- und Abriebfestigkeit, Erosionsbeständigkeit, niedriger Dichte bzw. niedrigem Gewicht, hoher Wärmeleitfähigkeit, niedriger Wärmeausdehnung bei einer nahezu unbegrenzten Geometrie- und Formenvielfalt erzeugt werden können (vgl. Sp. 1, Z. 61 bis Sp. 2, Z. 2 der Patentschrift).

Als Fachmann ist zumindest ein Fachhochschulingenieur der Fachrichtung Luft- und Raumfahrttechnik mit langjähriger werkstoffkundlicher Erfahrung anzusehen, der sich mit der Konstruktion von thermisch und mechanisch hochbelasteten Bauteilen befasst.

Der Widerrufsgrund nach § 21 Abs. 1 Nr. 2 PatG liegt nicht vor.

Die Einsprechende ist der Auffassung, es werde keine Lehre vermittelt, wie die kennzeichnenden Eigenschaften "thermisch und mechanisch hochbelastet" erfindungsgemäß realisiert werden. Dies ist jedoch kein Merkmal, das das patentgemäße Verfahren charakterisieren soll, wie die Einsprechende offenbar meint. Aus dem Anspruch und der Beschreibung wird nämlich klar, dass dieser Ausdruck lediglich die im Einsatz auf die nach dem patentgemäßen Verfahren hergestellten Gegenstände einwirkende Beanspruchung beschreibt.

Wie der von der Einsprechenden als unbestimmt angesehene Begriff "hoch" zu verstehen ist, erschließt sich dem Fachmann ohne Weiteres aus der Patentschrift in Spalte 1, Zeilen 6 bis 60. Dort ist beschrieben, dass die Bauteile auch bei hohen Temperaturen - angegeben sind Temperaturen von über 2500 ¡C - noch über hinreichende Strukturfestigkeit verfügen sollen.

Klarheit und Ausführbarkeit der patentgemäßen Lehre sind somit nicht zu beanstanden.

Die von der Beschwerdeführerin geltend gemachte unzulässige Erweiterung des Anspruchs 1 gegenüber den ursprünglichen Anmeldeunterlagen, betrifft das Merkmal Flugkörpern oder Flugkörperkomponenten.

In den ursprünglichen Unterlagen ist das Verfahren nur für Flugkörperkomponenten offenbart, wobei im Zusammenhang mit dem Verfahren immer die einzelnen Flugkörperkomponenten genannt (vgl. z. B. ursprünglicher Anspruch 1) oder als Flugkörperkomponenten 1-10 bezeichnet werden (vgl. z. B. ursprünglicher Anspruch 2). An keiner Stelle ist es offenbart, den gesamten Flugkörper nach dem beanspruchten Verfahren herzustellen. Die Flugkörperkomponenten stellen lediglich einzelne Bauteile eines Flugkörpers dar.

Ungeachtet dessen, dass deshalb bereits erhebliche Bedenken an der Zulässigkeit des erteilten Anspruchs 1 gemäß § 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG bestehen, seien diese hintangestellt, da das Verfahren nach Anspruchs 1 jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

Aus der nächstkommenden Druckschrift (3) ist bereits ein Verfahren zur Herstellung von thermisch und mechanisch hochbelasteten Flugkörperkomponenten bekannt (vgl. Sp. 1, Z. 1 - 46).

Sie offenbart das Fertigen von Rohlingen aus kohlenstofffaserverstärktem Kohlenstoff (C/C) (vgl. Sp. 7, Z. 24 - 46). In (3) ist zwar expressis verbis der Begriff grüne Keramik nicht erwähnt, jedoch entnimmt der Fachmann dies aus dem dargelegten Sachzusammenhang. Dort ist nämlich, wie im Streitpatent (Sp. 2, Z. 37 bis Sp. 3, Z. 12), beschrieben, einen CFC-Körper, also einen kohlenstofffaserverstärktem Kohlenstoff-Körper (C/C), als Rohling (vgl. Sp. 7, Z. 49) maschinell zu bearbeiten und erst dann durch Infiltration von pyrolytischem Kohlenstoff zum fertigen Keramikkörper zu verarbeiten (vgl. Sp. 7, Z. 52 - 58). Dieser CFC-Körper ist somit ein Rohling aus faserverstärkter grüner Keramik.

Hierdurch ist das Merkmal a) des streitpatentgemäßen Anspruchs 1 in einer der möglichen Ausführungsformen vorbekannt.

Auch das Ausformen und mechanische Bearbeiten der Keramikrohlinge im Grünzustand entsprechend den Teilegeometrien der Flugkörperkomponenten (Merkmal b) ist der Druckschrift (3) zu entnehmen. Nach dem Ausführungsbeispiel gemäß (3) wird nämlich ebenfalls aus dem Vollkörper durch Dreh-' Fräs- und/oder Schleifbearbeitung ein Rohling für die Brennkammer eines Triebwerks hergestellt (vgl. Sp. 7, Z. 47 - 51). Darauf folgt zuletzt die Infiltration des mechanisch bearbeiteten Rohlings und dessen oberflächliche Nachbearbeitung (vgl. Sp. 7, Z. 52 - Sp. 8, Z. 18).

Der dagegen das patentgemäße Verfahren abschließende Verfahrensschritt c) gemäß dem Anspruch 1 des angefochtenen Patents, wonach eine gemeinsame Infiltration oder ein gemeinsames Silizieren der Rohlinge mit Silicium und/oder Siliciumcarbid und/oder Kohlenstoff zum Erhalt einer monolithischen Verbundstruktur stattfindet, wobei die zusammengefügten Rohlinge die Gesamtform des Flugkörpers oder der jeweiligen Flugkörperkomponente bilden, ist der Druckschrift (3) nicht zu entnehmen. Diese Vorgehensweise ist dem Fachmann jedoch bereits aus der Druckschrift (6) bekannt, in der am Beispiel einer Triebwerks-Einlauframpe die Entwicklung integraler Leichtbaustrukturen aus C/C - SiC aufgezeigt wird (vgl. S. 473, erster und zweiter Abs. sowie S. 479, Bild 7). Die Fertigung der Rampe aus mehreren Keramikrohren und einem C/C-Klappenbauteil erfolgt durch Vormontage, komplette Silicierung und gleichzeitiges Fügen der Einzelteile (vgl. S. 480, Bilder 10 und 11 sowie den letzten Abs. dieser Seite), womit zweifelsohne eine monolithische Verbundstruktur erhalten wird.

Ein Fachmann erkennt sofort, dass auf diese Weise Flugkörperkomponenten mit nahezu unbegrenzter Geometrie- und Formenvielfalt aus mehreren Einzelteilen gefügt werden können.

Die gemäß dem angefochtenen Patent vorgesehene Lösung ist somit das Ergebnis einer einfachen Zusammenschau von aus dem Stand der Technik bekannten Verfahrensmerkmalen.

Im Rahmen der Antragsgesamtheit haben auch die auf den Anspruch 1 rückbezogenen Ansprüche 2 und 3 keinen Bestand, die überdies ebenfalls keine selbständig patentbegründenden Merkmale aufweisen.

Dr. W. Maier Schell Dr. Fritze Rothe Bb






BPatG:
Beschluss v. 19.06.2008
Az: 11 W (pat) 20/04


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