Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 16. November 2001
Aktenzeichen: 6 U 95/01

(OLG Köln: Urteil v. 16.11.2001, Az.: 6 U 95/01)

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das am 06.04.2001 verkündete Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Köln - 81 O 136/00 - wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Unterlassungsausspruch des landgerichtlichen Urteils die nachfolgende Neufassung erhält: Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung durch das Gericht festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zur Höhe von 500.000,00 DM zu unterlassen, im Rahmen der Akquise von Pre-Selection-Kunden auf öffentlichen Straßen, Plätzen, Märkten, in Einkaufszentren, Warenhäusern oder Ge-schäftspassagen auf Passanten zuzugehen und sie individuell anzuspre-chen oder ansprechen zu lassen. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Zwangsvollstreckung des Unterlassungsausspruchs gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 375.000,00 DM abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in dieser Höhe leistet. Die Vollstreckung des Kostenausspruchs durch die Klägerin darf die Beklagte gegen Leistung einer Sicherheit in Höhe von 30.000,00 DM abwenden, falls nicht die Klägerin vorher Sicherheitsleistung in dieser Höhe erbringt. Die Klägerin darf die Zwangsvollstreckung des erstinstanzlichen Kostenaus-spruchs durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe von 5.000,00 DM abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in dieser Höhe leis-tet. Den Parteien wird nachgelassen, die von ihnen zu stellenden Sicher- heiten in Form der unbedingten, unbefristeten, unwiderruflichen, selbstschuld-nerischen Bürgschaft einer deutschen Großbank oder öffentlich-rechtlichen Sparkasse zu erbringen. Die mit diesem Urteil für die Beklagte verbundene Beschwer übersteigt 60.000,00 DM.

Tatbestand

Die Klägerin ist ein auf dem Gebiet der Telekommunikation tätiges Unternehmen. Sie nimmt die sich ebenfalls mit dem Angebot von Dienstleistungen der Telekommunikation befassende Beklagte auf Unterlassung in Anspruch, sog. Pre-Selection-Verträge dergestalt zu akquirieren oder akquirieren zu lassen, dass Werber u.a. auf öffentlichen Straßen und Plätzen sowie in Einkaufszentren und Warenhäusern auf Passanten zugehen und diese individuell auf die "Möglichkeiten" eines solchen Vertrages bei O. ansprechen. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist u.a. ein Vorfall am 03.03.2000 in L., bei dem ein sich in der dortigen Marktfrisch-Kaufhalle aufhaltender Telefonkunde der Klägerin durch Werber angesprochen wurde und für den Abschluss eines O. Pre-Selection-Vertrages gewonnen werden sollte. Hinsichtlich der näheren Einzelheiten des dargestellten Geschehensablaufs wird auf den Vortrag der Klägerin in der Klageschrift (dort S. 3 f = Bl. 3 f d.A.) verwiesen. Die Beklagte lässt diese Werbung nicht durch eigene Mitarbeiter durchführen, sondern beauftragt damit dritte Unternehmen, darunter die Fa. R. Marketing GmbH, denen die Promotion und Vermittlung der vorstehenden Pre-Selection Verträge obliegt.

Die dargestellte Werbeform der gezielten und individuellen Ansprache von Passanten u.a. auf öffentlichen Straßen und Plätzen sowie in Einkaufszentren und Warenhäusern war bereits Gegenstand eines von der Klägerin gegen die Fa. R. Marketing GmbH bei dem Landgericht Köln unter dem Aktenzeichen 84 O 65/00 betriebenen einstweiligen Verfügungsverfahrens. In diesem erwirkte die Klägerin gegen die Fa. R. Marketing GmbH - sinngemäß - das Verbot, wie vorstehend beschrieben die Akquise von Pre-Selection-Verträgen zu betreiben. In der zu diesem einstweiligen Verfügungsverfahren sodann betriebenen Hauptsache (84 O 81/00 LG Köln ) hat das Landgericht die Beklagte entsprechend diesem Verbot verurteilt. Die hiergegen gerichtete Berufung wurde mit Urteil des erkennenden Senats vom 27.09.2001 (6 U 20/01 OLG Köln) im wesentlichen zurückgewiesen; der erstinstanzliche Unterlassungsausspruch wurde dahingehend abgeändert, dass das Verbot der beanstandeten Direktwerbemethode zwar die Akquise von Pre-Selection-Kunden auf öffentlichen Straßen, Plätzen, Märkten, in Einkaufszentren, Warenhäusern und Geschäftspassagen erfasse, jedoch mangels insoweit bestehender Begehungsgefahr nicht - wie von der Klägerin ebenfalls beantragt gewesen - auch auf öffentliche Verkehrsmittel und Bahnhöhe zu erstrecken sei.

Die Klägerin hat auch gegen die Beklagte beim Landgericht Köln - 81 O 105/00 - eine im Beschlusswege erlassene einstweilige Verfügung erwirkt, mit der es letzterer untersagt wurde, im Rahmen der Akquisition von Pre-Selection-Verträgen Passanten u.a. auf öffentlichen Straßen und Plätzen sowie in Warenhäusern gezielt und individuell anzusprechen und/oder ansprechen zu lassen. Die gegen das diese einstweilige Verfügung bestätigende landgerichtliche Urteil gerichtete Berufung der Beklagten wurde durch Urteil des erkennenden Senats vom 02.02.2001 (6 U 112/00 OLG Köln) - ebenfalls mit der vorstehend beschriebenen Beschränkung des erstinstanzlichen Verbotstenors - im wesentlichen zurückgewiesen. Der vorliegende Rechtsstreit stellt die Hauptsache zu dem letztgenannten einstweiligen Verfügungsverfahren dar.

Die in Rede stehende Form der Direktwerbung, so hat die Klägerin unter Behauptung weiterer Vorfälle einer gezielten und individuellen Ansprache von Passanten im öffentlichen Straßenraum sowie unter Hinweis auf im einzelnen angeführte höchstrichterliche Rechtsprechung und Fachkommentierungen vertreten, sei grundsätzlich als ein unter dem Gesichtspunkt des Anreißens von Kunden durch Belästigung nach Maßgabe von § 1 UWG unlauteres Wettbewerbshandeln zu erachten. Die solcherart Angesprochenen würden hierdurch ohne ihren Willen einer intensiven persönlichem Einwirkung ausgesetzt und in die Zwangslage gebracht, sich unvorhergesehen mit einem bestimmten Angebot befassen zu müssen. Da sie jedoch meist Hemmungen hätten, einen unbequemem Werber einfach abzuweisen, fänden sie sich häufig nur deshalb zum Vertragsschluss bereits, um weiteren Belästigungen zu entgehen. Diese seit jeher geltenden Grundsätze beanspruchten nach wie vor Geltung. Nicht nur auf öffentlichen Straßen und Plätzen werde die streitbefangene Werbemethode als in hohem Maße belästigend empfunden, sondern das gelte auch für ein gezieltes Ansprechen von Einzelpersonen in Warenhäusern, Geschäftspassagen oder Einkaufszentren. Denn es sei nicht anzunehmen, dass die Kundschaft hier eher als auf "offener Straße" mit einer gezielten Ansprache rechne und deshalb nicht belästigt oder überrumpelt werde.

Die Klägerin hat beantragt,

im Rahmen der Akquise von Pre-Selection-Kunden Passanten auf

öffentlichen Straßen, Plätzen, Märkten, Bahnhöfen, in öffentlichen

Verkehrsmitteln, Einkaufszentren, Warenhäusern oder Geschäfts-

passagen gezielt und individuell anzusprechen und/oder ansprechen

zu lassen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat den Antrag mangels ihrer Ansicht nach fehlender fallbezogener Widerspiegelung der konkreten Verletzungshandlung bereits für unzulässig, darüber hinaus aber auch in der Sache für viel zu weitgehend gehalten. Im übrigen sei er jedenfalls unbegründet. Die von der Klägerin herangezogene Rechtsprechung, wonach das direkte Ansprechen von Passanten u.a. auf öffentlichen Straßen und Plätzen unter dem Aspekt der Belästigung als wettbewerbswidrig einzuordnen sei, werde den heutigen Lebensverhältnissen nicht mehr gerecht. Der Verbraucher trete Werbung heute viel selbstbewusster entgegen und wisse sich direkter werblicher Ansprache problemloser zu erwehren, als dies noch vor dreissig oder vierzig Jahren gegolten habe. Die wettbewerbsrechtliche Beurteilung der streitbefangenen Werbeform bedürfe überdies einer "Harmonisierung" mit der gesetzgeberischen Wertung, wie sie mit dem "Gesetz über den Widerruf von Hautürgeschäften und ähnlichen Geschäften" (im folgenden: Haustürwiderrufsgesetz oder HaustürWG) zum Ausdruck gebracht worden sei. Denn die hier zu beurteilende Werbeform stelle eine typischerweise vom Haustürwiderrufsgesetz erfasste Fallgruppe dar. Jedenfalls aber bei der gezielten und individuellen Ansprache von Passanten in Warenhäusern, Einkaufszentren und Geschäftspassagen sei zu berücksichtigen, dass sich die Verhältnisse dort zwischenzeitlich derart geändert hätten, dass Kunden sehr wohl und deutlich stärker damit rechneten, nicht selten sogar erwarteten, in individueller und direkter Ansprache Waren und Dienstleistungen angeboten zu bekommen, als dies auf "allgemein öffentlichen Straßen und Plätzen" der Fall sei. Namentlich in großen Kauf- und Warenhäusern sei das Publikum daran gewöhnt, von individuellen Anbietern direkt angesprochen und aufgefordert zu werden, deren Produkte auszuprobieren.

Mit Urteil vom 06.04.2001, auf welches zur näheren Sachdarstellung Bezug genommen wird, hat das Landgericht der Klage im wesentlichen stattgegeben, weil das angegriffene Werbeverhalten der Beklagten als eine mit den Kriterien des Leistungswettbewerbs unvereinbare, nach § 1 UWG als wettbewerbswidrig einzuordnende belästigende Form des Anreißens von Kunden zu beurteilen sei. Allerdings fehle hinsichtlich der Kundenansprache in öffentlichen Verkehrsmitteln und in Bahnhöfen die Begehungsgefahr, weshalb die Klage insoweit abzuweisen sei.

Gegen dieses ihr am 12.04.2001 zugestellt Urteil hat die Beklagte am 11.05.2001 Berufung eingelegt, die sie - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 11.07.2001 - mittels eines am 13.06.2001 eingegangenen Schriftsatzes begründet hat.

Unter Wiederholung und Vertiefung ihrer erstinstanzlichen Standpunkte sowie unter Hinweis auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 08.02.2001 (WRP 2001,554 ff) führt die Beklagte näher aus, dass das Landgericht bei seiner Entscheidung eine u.a. auch in der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nach Auffassung der Beklagten tendenziell zum Ausdruck gebrachte Wertung außer Acht gelassen habe, wonach das gezielte und individuelle Ansprechen von Kunden auf öffentlichen Straßen und Plätzen nunmehr nicht mehr für grundsätzlich wettbewerbswidrig zu halten sei. Aber auch der mit der Einführung des Haustürwiderrufsgesetzes geschaffenen besonderen Situation trage das angefochtene Urteil nicht hinreichend Rechnung. Der Gesetzgeber habe mit den Regelungen des Haustürwiderrufsgesetzes zu erkennen gegeben, dass er Geschäfte, die dadurch zustande kommen, dass ein Verkäufer einen Kunden unaufgefordert "an der Haustür" stelle und zu einem Vertragsabschluss überrede, als grundsätzlich billigenswert ansehe. Es sei schlechterdings nicht vorstellbar, dass der Gesetzgeber Verträge, die aufgrund eines wettbewerbsrechtlichen Verhaltens grundsätzlich und ausnahmslos wettbewerbswidrig seien, weil sie gegen die guten Sitten verstießen, zum Gegenstand einer Regelung mache, die ersichtlich von der Zulässigkeit derartiger Vertragsabschlüsse ausgehe. Wenn der Gesetzgeber jedoch dadurch erkennen lasse, dass er die gezielte individuelle Ansprache potentieller Kunden auf die vorbeschriebene Art und Weise "an der Haustür" grundsätzlich für zulässig halte, dann müsse dies erst recht für ein gezieltes und individuelles Ansprechen im täglichen Straßenbild und in der Öffentlichkeit gelten. Insbesondere aber habe dies im vorliegenden Fall der Ansprache eines sich in einem Kaufhaus aufhaltenden Passanten Berücksichtigung zu finden, wo der Besucher darauf eingestellt sei, u.a. von Personen, die im Einverständnis mit dem Kaufhausbetreiber dort einen Werbestand aufgebaut haben, werbend angesprochen zu werden. Dieses Werbeverhalten bringe keinen Kaufhausbesucher in Bedrängnis, der er sich nicht zu jedem beliebigen Zeitpunkt ohne Schwierigkeiten entziehen könne, wenn ein Werber von einem solchen Stand aus auf ihn zugehe, und ihn anspreche.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter teilweiser Abänderung des angefochtenen Urteils der

Kammer für Handelssachen des Landgerichts Köln vom 06.04.2001

- 81 O 136/00 - abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil, dessen Wertungen sie aus näher ausgeführten, sich mit dem Berufungsvorbringen der Beklagten im einzelnen auseinandersetzenden rechtlichen Erwägungen für überzeugend und zutreffend hält.

Hinsichtlich der Einzelheiten im Vorbringen der Parteien wird auf ihre in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze samt Anlagen Bezug genommen.

Gründe

Die in formeller Hinsicht einwandfreie und insgesamt zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg.

Zu Recht hat das Landgericht die Beklagte - wie in dem angefochtenen Urteil geschehen - zur Unterlassung der streitbefangenen Form der Direktwerbung durch "gezieltes und individuelles Ansprechen" verurteilt. Der Klägerin steht ein solcher Anspruch auch unter Berücksichtigung der mit der Berufung vorgebrachten Einwände der Beklagten aus § 1 UWG unter dem Gesichtspunkt der Belästigung bzw. des unlauteren Anreißens von Kunden zu.

I.

Die von der Beklagten gegenüber der für die Zulässigkeit der Klage vorauszusetzenden Bestimmtheit des Unterlassungsantrags vorgebrachten Bedenken (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) vermögen nicht zu überzeugen. Soweit sich in bezug auf die das verbotene Werbeverhalten selbst umschreibenden Begriffe "gezielt und individuell" Unsicherheiten betreffend die Reichweite des Verbots und dessen Vollstreckungsmöglichkeiten ergeben haben konnten, weil etwa auch eine Form der werblichen Kundenansprache, bei der ein Propagandist von einem Podest aus einen sich in der Menge bewegenden Passanten über eine große Distanz - z.B. über Mikrophon - anspricht ("...junge Frau"/"junger Mann..."), noch als "gezielt und individuell" erachtet werden könnte, hat der Senat dem mit der Formulierung "...auf Passanten zuzugehen und sie anzusprechen..."Rechnung getragen. Hierin liegt indessen keine sachliche Beschränkung des Unterlassungsbegehrens, sondern eine mit Blick auf die Interpretationsbedürftigkeit des Begriffs "gezielt" auch von Amts wegen zulässige bloße redaktionelle Umformulierung des Klagebegehrens, welches dadurch keine mit § 308 ZPO unvereinbare qualitative Modifizierung erfährt. Denn das Gericht ist bei der Fassung auch eines die Klage zusprechenden Urteils nicht an den exakten Wortlaut des Klagantrags gebunden. Zu fordern ist lediglich, dass die Urteilsformel sachlich mit dem übereinstimmt, was die Klagepartei fordert (vgl. Zöller-Vollkommer, ZPO, 22. Auflage, § 308 Rdn. 2 und 4 m.w.N.). So liegt der Fall hier, soweit die in den Antrag aufgenommene Formulierung "...gezielt und individuell..." durch die Begriffe "...auf Passanten zuzugehen und sie anzusprechen..." ersetzt worden ist. Denn eben diese Beschreibung eines Werbeverhaltens entspricht der in der Marktfrisch-Kaufhalle in L. gegenüber dem Passanten P. tatsächlich gezeigten Vorgehensweise der O.-Propagandisten, welches den Verbotsausspruch - wie nachfolgend näher aufgezeigt werden wird - in dem zuerkannten Umfang trägt. Die Klägerin hat sich von Anfang an auch gegen eben dieses konkrete Werbeverhalten gewandt und dieses mit ihrem Antrag zur Unterlassung begehrt, so dass ihr in der Sache nichts anderes zugesprochen wurde, als sie beantragt hat. Zugleich ist damit die konkrete Form der von dem Verbot erfassten werblichen Ansprache und damit auch das Charakteristische der zu beurteilenden Verletzungshandlung in einer dem Bestimmtheitsgebot genügenden Weise hinreichend konturiert, so dass die Reichweite des mit dem Antrag begehrten Verbots mit der erforderlichen Klarheit feststeht.

II.

Die Klägerin kann von der Beklagten gemäß § 1 UWG unter dem Gesichtspunkt des Kundenanreißens durch Belästigung Unterlassung der streitbefangenen Form der Kundenwerbung auf öffentlichen Straßen, Plätzen, Märkten sowie in Einkaufszentren, Warenhäusern oder Geschäftspassagen verlangen.

1.

Dabei kann es offen bleiben, ob die Beklagte bzw. die von ihren Auftragnehmern vor Ort eingeschalteten Werber, für deren wettbewerbswidriges Verhalten sie gemäß § 13 Abs. 4 UWG, jedenfalls aber als Mitstörerin haftet, auch in den weiteren, sich angeblich im öffentlichen Straßenraum ereignenden Fällen die beanstandete Form der Akquise von Pre-Selection-Verträgen betrieben hat. Das bedarf hier deshalb nicht der Entscheidung, weil sich der - unstreitige - Fall der "gezielten und individuellen" Ansprache des Passanten in der Marktfrisch-Kaufhalle in L. als wettbewerbswidrig darstellt und im übrigen die Gefahr erstmaliger Begehung besteht, soweit die nämliche Vorgehensweise außerhalb eines Warenhauses im öffentlichen Raum in Frage steht. Die Beklagte verteidigt nachhaltig die Rechtmäßigkeit der streitbefangenen Form der Direktwerbung auch auf öffentlichen Straßen, Plätzen, Märkten, in Einkaufszentren oder Geschäftspassagen, die sie generell für - nunmehr - wettbewerbskonform hält. Hinsichtlich der situativen Bedingungen ist die Vornahme der zu beurteilenden Werbemethode in Kaufhäusern qualitativ eng mit deren Praktizierung außerhalb dieser Räumlichkeiten, beispielsweise im angrenzenden öffentlichen Umgebungsbereich oder sonst auf Straßen, Plätzen, Märkten sowie in Geschäftspassagen und Einkaufszentren verwandt, so dass vor dem dargestellten Hintergrund die konkrete Gefahr droht, dass die Beklagte die streitbefangene Methode der Direktwerbung durch gezielte individuelle Kundenansprache auch außerhalb von Kaufhäusern an den genannten öffentlichen Orten ausüben bzw. ausüben lassen wird.

2.

Dass und aus welchen Gründen sich die hier zu beurteilende Form der gezielten und individuellen Ansprache potentieller Kunden als mit den Maßstäben des § 1 UWG unvereinbare und daher als wettbewerbswidrig einzuordnende Werbung darstellt, hat der Senats bereits in seinem zu dem vorangegangenen einstweiligen Verfügungsverfahren 6 U 112/00 (81 O 105/00 LG Köln) am 02.02.2001 verkündeten Urteil wie folgt ausgeführt:

"Anreißen bedeutet die Belästigung von Kunden durch aufdringliche Werbung. Zwar ist jede Werbung darauf ausgerichtet, auf Kunden einzuwirken, sie anzulocken und zugunsten des Werbenden zu beeinflussen, womit unvermeidbar ein gewisses Maß an Belästigung verbunden ist. Die Grenze zur nicht mehr hinnehmbaren und als wettbewerbswidrig zu qualifizierenden Werbung ist jedoch dort überschritten, wo ein Grad an Aufdringlichkeit erreicht ist, der dem Umworbenen eine ruhige sachliche Prüfung unmöglich macht. Denn dann droht die Gefahr, dass der Umworbene sich nur dadurch aus der für ihn als lästig und unangenehm empfundenen Situation glaubt befreien zu können, dass er dem Druck nachgibt, um so den Werber loszuwerden. Eine solches Anreißen von Kunden widerspricht den Grundsätzen des Leistungswettbewerbs und ist als wettbewerbsfremd zu erachten, wobei es unerheblich ist, ob die Kunden durch die unangemessen aufdringliche Werbemethode überrumpelt werden. Das Unlauterkeitsmoment liegt hier nicht in der Überrumpelung und ihren Folgen, sondern in der Belästigung an sich. Denn es geht hier letztlich um die Wahrung der Individualsphäre der Umworbenen und ihre Freiheit, einem gewerblichen Angebot ihre Aufmerksamkeit zu schenken oder sich mit anderen Dingen zu befassen, die unter Abwägung des Interesses des Werbenden an freier gewerblicher Entfaltung vor unzumutbaren Beeinträchtigungen zu schützen ist. Bei dieser Abwägung ist auch zu berücksichtigen, wie sich eine Werbemethode, selbst wenn die mit ihr verbundene Belästigung im Einzelfall gerade noch hinnehmbar erscheint, im Fall ihrer Erlaubnis auswirken würde. Muss damit gerechnet werde, dass andere Gewerbetreibende in größerer Zahl die gleiche Methode anwenden und es durch die Nachahmung zu einer die Allgemeinheit unerträglich beeinträchtigenden Verwilderung der Wettbewerbssitten kommt, so kann auch diese Auswirkung die Wettbewerbswidrigkeit unter dem Aspekt der Belästigung begründen (vgl. BGH GRUR 1980, 790/791 -"Werbung am Unfallort III; ders. GRUR 1975, 266/267 -"Werbung am Unfallort II"- und a.a.O, 264/265 -"Werbung am Unfallort I"-; Baumbach/Hefermehl, a.a.O., Rdn. 57 zu § 1 UWG; Gloy, a.a.O., § 50 Rdn. 34/35; Köhler/Piper, a.a.O., Rdn. 17 zu § 1 UWG - jeweils m.w.N.).

Dies vorangestellt ist das gezielte, individuelle Ansprechen von Personen auf öffentlichen Orten ( öffentliche Plätze, Wege, Straßen, Gebäude, Verkehrsmittel u.ä.) grundsätzlich als wettbewerbswidrig zu erachten. Die Unlauterkeit liegt darin, dass der Passant plötzlich und unvorbereitet in ein von ihm unerwünschtes Verkaufsgespräch verwickelt und gezwungen wird, sich ad hoc mit einem Angebot zu befassen und eine Entscheidung zu treffen, ohne das Angebot in Ruhe sachlich prüfen zu können. Viele Betroffene werden durch die persönliche Ansprache in eine mit einem Gefühl erheblicher Unbehaglichkeit verbundene subjektive Zwangslage versetzt, der sie sich häufig nur dadurch zu entziehen können glauben, dass sie auf das Angebot eingehen. Sie werden so ganz erheblich in ihrer Möglichkeit der freien Entschließung beeinträchtigt, ob überhaupt und welches Angebot sie näher prüfen und ggf. annehmen wollen. Dem steht es nicht entgegen, dass sich möglicherweise ein Teil der Passanten durch das Ansprechen auf öffentlichen Plätzen und Straßen nicht belästigt fühlt. Für die Einordnung als wettbewerbswidrig genügt es, dass nicht ganz unerhebliche Teile der maßgeblichen Verkehrskreise in dem Ansprechen eine Belästigung sehen (Baumbach/Hefermehl, a.a.O., Rdn. 60 zu § 1 UWG). Unter Zugrundelegen dieser Kriterien ist das vorliegend zu beurteilende Verhalten der Antragsgegnerin als sittenwidrige und nach Maßgabe von § 1 UWG zu unterbindende Werbung anzusehen:

Denn die von den Werbern der Antragsgegnerin angesprochenen Personen werden gezielt und individuell in eine als lästig empfundene Situation hineingezogen, die die Gefahr mit sich bringt, dass ein mehr als nur unbeachtlicher Teil der Angesprochenen Hemmungen hat, sich ihr anders als durch Eingehen auf das Angebot der Antragsgegnerin zu entziehen. Durch die mit der Ansprache verbundene persönliche Interaktion wird für viele Passanten eine Lage geschaffen, die sie schon aus Gründen der Höflichkeit und um weiteren Nachfragen zu entgehen, veranlassen wird, sich mit dem beworbenen Angebot zu befassen. Selbst unter Berücksichtigung des Umstandes, dass ein zunehmender Teil des Verkehrs Werbemaßnahmen gegenüber distanziert ist und über ein ausreichendes Selbstbewußtsein verfügt, um die individuelle Ansprache ohne weiteres Eingehen auf das beworbene Angebot sogleich abzuschütteln, wird doch jedenfalls ein anderer, als erheblich zu erachtender Teil des Verkehrs über ein solches Selbstbewußtsein oder eine solche Reaktionsschnelligkeit nicht verfügen, um sich der Kontaktaufnahme und der damit verbundenen Belästigung zu entziehen. Hinsichtlich dieses - erheblichen - Teils des Verkehrs ist daher der aufgezeigte Belästigungstatbestand zu bejahen. Dabei spielt es auch keine Rolle, ob die Person, welche die Passanten anspricht, mit derjenigen identisch ist, die sodann das eigentliche Verkaufsgespräch übernimmt. Die durch die persönliche Ansprache des ersten Werbers, der die Kunden aus der Anonymität herausholt und letztlich "anreißt" geschaffene Verstrickung wirkt vielmehr bis zu dem zweiten Werber fort. Zwar sind Fallgestaltungen denkbar, wo es dem durch den ersten Weber angesprochenen bzw. "eingefangenen" Passanten ohne weiteres möglich ist, sich der durch die persönlichen Ansprache geschaffenen Verstrickung bis zu dem zweiten Werber zu entziehen (beispielsweise wenn eine große oder unübersichtliche Strecke vom ersten Werber zum zweiten Werber zu überbrücken ist, die es dem Angesprochenen zwanglos ermöglicht, der "Sichtkontrolle" bzw. dem Einfluss des ersten Werbers, der lediglich an den zweiten, vom Angesprochenen eigens aufzusuchenden Werber verweist, zu entgehen). Unabhängig davon, ob dadurch der durch die persönliche Ansprache des ersten Werbers geschaffenen Belästigung abgeholfen ist, ist jedoch nicht ersichtlich, dass im vorliegenden Fall eine solche Situation bestand.

An der dargestellten Beurteilung des Werbeverhaltens der Antragsgegnerin ändert weiter auch der Umstand nichts, dass die persönliche Ansprache der Passanten im Fall des Herrn P. nicht auf einer öffentlichen Straße, sondern in den Räumlichkeiten eines Warenhauses/Einkaufsmarktes geschah. Allerdings ist es anerkannt, dass auch ein individuelles Ansprechen von Passanten im Einzelfall ausnahmsweise zulässig sein kann, wenn der Passant eine besonderes Interesse an dem Angebot des Gewerbetreibenden und die Bereitschaft, mit ihm in Verbindung zu treten deutlich erkennen lässt (vgl. Baumbach/Hefermehl, a.a.O., Rdn. 61 zu § 1 UWG). Dieses Interesse muss sich jedoch auf das Angebot des konkreten Gewerbetreibenden beziehen, von dessen Seite aus die Ansprache erfolgt (vgl. Jacobs/Hasselblatt, a.a.O., § 50 Rdn. 38 m.w.N.). Schon danach kann das streitbefangene Verhalten nicht als zulässig erachtet werden. Denn selbst wenn der die Marktfrisch-Kaufhalle in L. aufsuchende Herr P. das konkrete Interesse am Erwerb dort angebotener Waren hatte, so lässt sich doch dem Vortrag der insoweit darlegungspflichtigen Antragsgegnerin nicht entnehmen, dass er ein Interesse gerade für das beworbene Pre-Selection-Angebot der Antragsgegnerin und eine Bereitschaft für die persönliche Kontaktaufnahme mit den Werbern signalisierte. Allein der Umstand, dass ein Kunde sich in den Räumlichkeiten eines Warenhauses/Einkaufsmarktes aufhält, um dort ggf. Waren zu erwerben, signalisiert aber nicht das Interesse an einer solchen persönlichen Kontaktaufnahme. Denn der Charakter derartiger Einkaufsstätten, die darauf ausgerichtet sind, dass der Kunde die Wahl des Kaufgegenstandes in erster Linie im Selbstbedienungsverfahren vornimmt, wird gerade dadurch geprägt, dass er seine Kaufentscheidung in aller Regel ohne die Hilfe des Verkaufspersonals trifft, so dass das Betreten eines Warenhauses für sich genommen noch nicht als Zeichen dafür gedeutet werden kann, dass der Kunde mit dort tätigem Werbepersonal in Kontakt treten will (vgl. Baumbach/Hefermehl. a.a.O., Rdn. 65 zu § 1; Jacobs/Hasselblatt a.a.O).

An der Wertung, dass der Kunde die individuelle Ansprache innerhalb eines Warenhauses durch dort tätiges Werbepersonal als Belästigung empfindet, ändert auch der Umstand nichts, dass - wie dies den Mitgliedern des erkennenden Senats aus eigener Lebenserfahrung bekannt ist - im Bereich von Lebensmittelmärkten des öfteren Stände aufgebaut sind, an denen Passanten zu Werbezwecken Lebensmittel zum Verkosten angeboten werden. Es stellt eine sachlich unterschiedliche Situation dar, ob der Kunde in der dargestellten Weise mit einem Angebot konfrontiert wird, aus dem klassischen Sortiment des aufgesuchten Einkaufsmarktes eine kleine Probe zu verkosten, oder ob er auf den Abschluss eines Vertrages angesprochen wird, der mit diesem Angebot in keiner Beziehung steht.

Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch die vorstehend erwähnte "Summenwirkung" des hier zu beurteilenden Werbeverhaltens der Antragsgegnerin, das auf eine ganz erhebliche Belästigung hinausliefe. Denn es kann nicht von der Hand gewiesen werden, dass gerade im hier betroffenen Marktsegment der Telekommunikationsdienstleistungen, der durch eine starke Konkurrenzsituation geprägt ist, andere Mitbewerber zu entsprechenden Werbemaßnahmen griffen, um im Wettbewerb mit der Antragsgegnerin zu bestehen. Dies liefe - wie dies das Landgericht in der angefochtenen Entscheidung treffend formuliert hat - auf ein "Spießrutenlaufen" der Kunden und Passanten hinaus, die sich dann an den verschiedenen, sie ansprechenden Werbern der Telekommunikationsdienstleister vorbei durch Kaufhäuser und Straßen fortbewegen müssten.

An der Wertung, dass das Verhalten der Antragsgegnerin nach alledem unter dem Gesichtspunkt der Belästigung als wettbewerbswidrig zu erachten ist, hat sich auch durch das am 01.05.1986 in Kraft getretene HaustürWG nichts geändert. Denn die im HaustürWG vorgesehene Widerrufsmöglichkeit der Vertragserklärung beseitigt nur die zivilrechtlichen Folgen, nicht aber die wettbewerbsrechtliche Unlauterkeit der Maßnahmen, welche die Vertragserklärung, deren Widerruf im Ermessen des Kunden steht, erst herbeiführen und für die andere Kriterien maßgebend sind, als dies für die zivilrechtliche Beurteilung nach dem HaustürWG der Fall ist (vgl BGH WRP 2000, 168/169; Baumbach/Hefermehl, a.a.O., Rdn. 82 zu § 1 UWG; Jacobs/Hasselblatt, a.a.O., 50. Kap. Rdn. 37; Ulmer WRP 1986, 445/452 f)."

Es besteht auch unter Berücksichtigung der von der Beklagten in Auseinandersetzung mit diesem, in dem vorausgegangenen einstweiligen Verfügungsverfahren ergangenen Senatsurteil vorgebrachten Einwänden kein Anlass zu einer abweichenden Würdigung.

In seinem zu dem Verfahren 6 U 20/01 (84 O 81/00 LG Köln) verkündeten Urteil betreffend die Fa. R. Marketing GmbH hat der Senat sich bereits mit den, auch von der Beklagten des vorliegenden Verfahrens eingewandten Argumenten im einzelnen auseinandergesetzt und dazu folgendes ausgeführt:

"Die Beklagte stützt den gegen das erstinstanzliche Urteil vorgebrachten Angriff hauptsächlich darauf, dass die sowohl darin als auch in der vorbezeichneten Senatsentscheidung zum Ausdruck gebrachte Wertung, wonach das gezielte individuelle Ansprechen von Personen an öffentlichen Orten grundsätzlich unter dem Gesichtspunkt des Anreißens durch Belästigung als wettbewerbswidrig zu erachten ist, von einem unzutreffenden, weil nicht mehr zeitgemäßen Maßstab ausgehe. Denn die Maßstäbe, anhand deren zu beurteilen sei, ob eine mit wettbewerbsimmanenten Beeinflussungsmöglichkeiten nicht mehr zu vereinbarende Belästigung potentieller Kunden gegeben sei, unterlägen dem sozialen Wandel. Was vor dreissig oder vierzig

Jahren noch als Belästigung oder als eine Einwirkung empfunden worden sei, der man sich nur schwer oder nur unter Verletzung der Gebote des Anstands und Takts entziehen könne, werde nach heutigen Maßstäben anders beurteilt. So hätten - und insoweit steht die Beklagte auf einer Seite mit dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main (= Anlage BB 1, Bl. 169 ff d.A. = WRP 2001, 554) - die Verbraucher gegenüber Werbemaßnahmen mittlerweile eine derartige Distanz und im übrigen auch ein solches Maß an Selbstbewusstsein entwickelt, dass sie sich ohne weiteres der hier zu beurteilenden gezielten und individuellen Ansprache zu entziehen vermochten. Eine "Verstrickungssituation", der die Angesprochenen veranlasse, sich nur deshalb dem beworbenen Angebot zuzuwenden, um einer andernfalls als peinlich empfundenen Lage zu entgehen oder um sich nicht den Vorwurf der Unhöflichkeit machen zu müssen, werde durch die in Frage stehende gezielte und individuelle Ansprache nicht begründet. Vor diesem Hintergrund verbiete es sich aber, das gezielte und individuelle Ansprechen von Kunden auf/in öffentlichen Plätzen/Räumlichkeiten als grundsätzlich unter dem Gesichtspunkt der Belästigung wettbewerbswidriges Anreißen von Kunden zu erachten, sondern bedürfe es hierfür des Vorliegens zusätzlicher Unlauterkeitsmomente. Die dargestellte Argumentation ist indessen nicht geeignet, eine von der Würdigung des Senats, wie sie in dem vorstehenden Urteil zum Ausdruck gebracht ist, abweichende Beurteilung herbeizuführen. Denn die Wertung, wonach es sich bei der dargestellten Form der Kundenansprache um eine als wettbewerbswidrig zu erachtende Form des Werbeverhaltens handelt, findet ihre Rechtfertigung nicht nur und in erster Linie in der Überrumpelung und/oder Verstrickung der Kunden, die sie für ein andernfalls unbeachtet gebliebenes Angebot einfängt. Das Unlauterkeitsmoment liegt hier vielmehr in der Belästigung an sich. Es geht letztlich um die Wahrung der Individualsphäre der Umworbenen und um ihre Freiheit, einem gewerblichen Angebot ihre Aufmerksamkeit zu schenken oder sich mit anderen Dingen zu befassen, die unter Abwägung des Interesses des Werbenden an freier gewerblicher Entfaltung vor unzumutbaren Beeinträchtigungen zu schützen ist. Eine Werbemaßnahme, die durch Überschreiten der Grenze der Individualsphäre der Angesprochenen in diesen vor allen Dingen Gefühle der Unlust und des Unbehagens hervorruft und mit der sich das Streben des Werbenden nach Gewinn in diesem Sinne belästigend auf Kosten der Angesprochenen durchzusetzen sucht, kann nicht als eine mit den Grundsätzen des Leistungswettbewerbs zu vereinbarende Wettbewerbshandlung hingenommen werden, sondern ist missbilligenswert und untragbar. So liegt der Fall aber bei der hier zu beurteilenden Fallkonstellation. Dabei trifft es zwar zu, dass die Verbraucher der um sich greifenden und nahezu alle Lebensbereiche durchsetzenden Werbung einerseits distanzierter gegenüberstehen. Andererseits hat aber gerade die Häufung und Intensivierung der Werbung zu einer Sensibilisierung eines nicht unerheblichen Teils der Verbraucher gegenüber Werbemaßnahmen geführt. In diesem Teil des Verkehrs steigt der Wunsch nach "werbefreien Zonen" und er wird Versuchen der Wirtschaftswerbung, in weitere Bereiche einzudringen oder eine bisher noch gezeigte Zurückhaltung aufzugeben, abwehrend gegenüberstehen und sie daher als besonders belästigend empfinden. Ein nicht unerheblicher Teil der im öffentlichen Raum Angesprochenen wird daher die gezielte und individuelle Ansprache zu Werbezwecken selbst dann als belästigend empfinden, wenn er über ein ausreichendes Selbstbewusstsein verfügt, um sich dieser Ansprache sogleich zu entziehen bzw. sie "abzuschütteln". Denn nicht zuletzt aufgrund der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung sowie der dieser beitretenden Fachkommentierungen (vgl. Fundstellennachweise S. 11, erster Absatz), wonach die gezielte und individuelle Ansprache von Personen an öffentlichen Orten grundsätzlich als wettbewerbswidrig zu erachten sei, waren diese Örtlichkeiten bis in die jüngere Zeit von der hier zu beurteilenden Form der Direktwerbung frei, jedenfalls handelte es sich um eine vereinzelt auftretende, redundante Erscheinung. Soweit ersichtlich ist die gezielte individuelle Ansprache von Passanten u.a. auf öffentlichen Straßen als systematische und bundesweit vertriebene Werbeform erstmals im Zusammenhang mit den hier betroffenen Verträgen der Telekommunikationsbranche aufgetreten, wofür nicht zuletzt die von den Parteien zu den Akten gereichten, zur gezielten und individuellen Ansprache von Passanten im öffentlichen Raum ergangenen Entscheidungen anderer Gerichte sprechen, die sich sämtlich mit der Akquise von Verträgen im Bereich der Telekommunikation befassen. Es ist daher gerechtfertigt, insoweit vom Eindringen dieser Werbeform in einen bisher davon noch unberührten Bereich bzw. von der Aufgabe einer bisher gezeigten werblichen Zurückhaltung zu sprechen, die daher von einem als erheblich anzusehenden Teil des sich von Werbung übersättigt fühlenden Verkehrs als in hohem Maße belästigend empfunden wird. Das gilt namentlich im Hinblick auf den in dem o.g. Senatsurteil bereits erwähnten "Summeneffekt", der sich daraus ergibt, dass eine Vielzahl von Mitbewerbern des Anbieters der von der Beklagten propagierten Pre-Selection-Verträge zur nämlichen Werbeform greifen werden, um andernfalls befürchteten Wettbewerbsnachteilen zu entgehen.

Soweit die Beklagte zum anderen - insoweit ebenfalls in Übereinstimmung mit dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main - den Standpunkt vertritt, dass das Haustürwiderrufsgesetz die Ansicht stütze, wonach die dort erfassten Formen des Direktvertriebs nicht wettbewerbswidrig sein könnten, kann das ebenfalls keine abweichende Würdigung ergeben. Der Senat hat sich in seinem oben erwähnten Urteil auch mit diesem Argument bereits auseinandergesetzt und sieht keinen Anlass, von seiner darin zum Ausdruck gebrachten Würdigung abzuweichen, wonach einerseits das Haustürwiderrufsgesetz und andererseits das UWG unterschiedliche Wertungsansätze haben, so dass der Umstand der Widerrufbarkeit eines Rechtsgeschäftes nach den Vorschriften des Haustürwiderrufsgesetz nichts über die wettbewerbsrechtliche Beurteilung der dieses Rechtsgeschäft zustande bringenden Werbemethode besagt (vgl. Senatsurteil S. 16 nebst Fundstellennachweisen, zusätzlich auch: Köhler/Piper, UWG, 2. Aufl., § 1 UWG Rdn. 122). Ebensowenig, wie man dem Umstand, dass dem Verbraucher mit dem Haustürwiderrufsgesetz eine Möglichkeit zum Widerruf der durch diese Art der Direktwerbung zustande gebrachten Rechtsgeschäfte an die Hand gegeben wird, eine generelle Wertung für die wettbewerbliche Unlauterkeit der Haustürgeschäfte bzw. der hier betroffenen Direktwerbeform entnehmen kann, spricht die Widerrufsmöglichkeit für eine generelle Billigung dieser Werbeform, die daher nur in Ausnahmefällen - bei Vorliegen zusätzlicher, ihre Unlauterkeit erst ergebender Umstände - als wettbewerbswidrig verboten werden könnte. Die Widerrufsmöglichkeit mag danach allenfalls bei der im Rahmen einer umfassenden wettbewerbsrechtlichen Würdigung der Direktwerbung als einer von mehreren Faktoren, nämlich bei der Frage eine Rolle spielen, inwiefern die Werbemaßnahme (wettbewerbsrelevante) schutzwürdige Interessen der Verbraucher beeinträchtigt. Indessen führt auch dies nicht dazu, die im Streitfall zu beurteilende Werbeform der individuellen und gezielten Ansprache von Passanten als wettbewerbskonform einzuordnen. Denn diese ist - wie aufgezeigt - mit einer Belästigung verbunden, die das mit jeder Form der Werbung verbundene Maß ganz erheblich übersteigt und die vor allen Dingen mit Blick auf die oben erwähnte "Summenwirkung" unzumutbar ist. Diesen Aspekt fängt die individuelle Widerrufsmöglichkeit nach dem Haustürwiderrufsgesetz jedoch nicht auf, so dass - selbst wenn der einzelne Verbraucher sich von dem durch die Werbung zustande gebrachten Geschäft lösen könnte und insoweit nicht schutzbedürftig erscheint - die in Frage stehende Werbung als Erscheinungsform des Wettbewerbs zu missbilligen ist. Die mit § 1 Abs. 1 HaustürWG installierte Widerrufsmöglichmöglichkeit macht vielmehr auch und gerade vor dem Hintergrund einer Wertung Sinn, die das hier zu beurteilende Werbeverhalten als i. S. von § 1 UWG sittenwidrig erachtet. Denn die nach § 1 UWG gegebene Wettbewerbswidrigkeit von Werbemaßnahmen führt für sich allein nicht zur Sittenwidrigkeit der auf diese Weise geworbenen Verträge bzw. zu deren Nichtigkeit und Unverbindlichkeit nach Maßgabe von § 138 Abs. 1 BGB. Der unbestimmte Rechtsbegriff der guten Sitten, den das BGB in § 138 Abs. 1 BGB verwendet, hat nicht denselben Inhalt wie der in § 1 UWG verwendete Begriff der guten Sitten. Während der Sittenwidrigkeitsmaßstab des § 1 UWG an die Art und Weise anknüpft, wie ein Vertrag vorbereitet wird, ergibt sich die Sittenwidrigkeit i.S. des § 138 BGB grundsätzlich aus dem Inhalt des Vertrages. § 138 BGB setzt der autonomen Rechtsgestaltung beim Abschluss von Verträgen Grenzen und wirkt Missbräuchen der Privatautonomie entgegen, wohingegen § 1 UWG die guten Sitten des Wettbewerbs schützt und mit einen Verstoß - anders als § 138 BGB - gerade nicht mit die Rechtsfolge der Nichtigkeit verbindet, sondern die Verpflichtung zur Unterlassung, ggf. - bei Verschulden - zum Schadensersatz (BGH NJW 1998, 2531/2532; Palandt/Heinrichs, BGB, 60. Auflage, § 138 Rdn. 7 f, 18 - jeweils m.w.N.). Der mit § 1 HaustürWG geschaffenen Widerrufsmöglichkeit lässt sich danach zwar eine Wertung des Gesetzgebers entnehmen, dass Haustürgeschäfte nicht nach Maßgabe von § 138 Abs. 1 BGB als nichtig und daher aus diesem Grund unverbindlich anzusehen sind, dass der Verbraucher sich aber gleichwohl nachträglich davon lösen können soll. Dass diesem, den Verbrauchern mit der Widerrufsmöglichkeit zur Verfügung gestellten Instrumentarium, sich von derartigen Haustürgeschäften zu lösen, damit zugleich die wettbewerbliche Billigung der diese Geschäfte herbeiführenden Werbemethoden bzw. eine Wertung dahingehend entnommen werden soll, welche die Wettbewerbswidrigkeit der hier in Frage stehende Form der Direktwerbung entfallen lässt, erschließt sich dem Senat vor dem dargestellten Hintergrund indessen nicht.

Soweit die Beklagte schließlich den Standpunkt vertritt, auch der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (-"Werbung am Unfallort IV" - = WRP 2000, 168 sowie -"Pinguin-Apotheke"- = GRUR 1994,639) lasse sich entnehmen, dass das gezielte individuelle Ansprechen von Passanten an öffentlichen Orten tendenziell nicht mehr als grundsätzlich wettbewerbswidrig eingeordnet werde, sondern dass der BGH sich von seiner eigenen, in den sechziger-Jahren entwickelten Rechtsprechung distanzieren wolle, überzeugt das ebenfalls nicht. In der Entscheidung - "Werbung am Unfallort IV"- hatte er sich mit der Ansprache eines Unfallbeteiligten am Unfallort mit dem Ziel des Abschlusses eines Reparaturauftrags, Abschleppauftrags u.ä. zu befassen. Dem Umstand, dass der BGH diese Form der werblichen Ansprache - in Bestätigung seiner zu dieser Fallgruppe seit langem vertretenen Rechtsprechung (vgl. "Werbung am Unfallort I" = GRUR 1974, 264 ff) - nach wie vor für grundsätzlich wettbewerbswidrig erachtet hat, lässt sich nicht entnehmen, dass er in den sonstigen Formen der gezielten und individuellen werblichen Ansprache von Passanten, die zwar im öffentlichen Raum, nicht jedoch am Ort eines Unfalls gegenüber einem Unfallbeteiligten vorgenommen wird, keine als grundsätzlich ebenfalls wettbewerbswidrig anzusehende Werbeform mehr erkennt. Gleiches gilt hinsichtlich des vorstehend erwähnten "Pinguin-Apotheke" -Urteils, in dem er ausgeführt hat, dass das bloße Überreichen von Reklamegegenständen auf Straßen an eine zur Entgegennahme bereite Person nicht als wettbewerbswidrig anzusehen ist, wobei in diesem Zusammenhang betont worden ist, dass nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Berufungsgerichts die Passanten nicht angesprochen wurden.

Soweit die Beklagte schließlich noch einwendet, es ergebe einen Wertungswiderspruch, wenn einerseits "unbestellte" Hausbesuche durch Vertreter, mit denen viel stärker als mit der fraglichen Werbeform in die Individualsphäre eingedrungen werde, als wettbewerbskonform erachtet würden (vgl. BGH GRUR 1994, 380/382 -"Lexikothek" - m.w.N.), andererseits jedoch die gezielte und individuelle werbliche Ansprache im öffentlichen Straßenraum (ebenso wie die ohne Einverständnis des Betroffenen vorgenommene Telefonwerbung, vgl. BGH WRP 722/723 -"Telefonwerbung VI"-) als wettbewerbswidrig erachtet werde, lässt auch dies keine abweichende Wertung zu. Es trifft zwar zu, dass der BGH im Rahmen seiner - allerdings umstrittenen (vgl. Köhler/Piper, a.a.O., § 1 UWG Rdn. 116 ff/119 ff m.w.N.) - wettbewerbsrechtlichen Würdigung unerbetener Hausbesuche durch Vertreter, bei denen Personen ohne vorherige Kontaktaufnahme im häuslichen Bereich angesprochen werden, ausgeführt hat, dass diese grundsätzlich als wettbewerbsrechtlich zulässig zu erachten seien, sofern nicht aufgrund besonderer Umstände die Gefahr einer untragbaren oder sonst wettbewerbswidrigen Belästigung oder Beunruhigung des privaten Lebensbereichs gegeben ist (vgl. BGH GRUR 1994, 380/382 -"Lexikothek"-). Den Grund hierfür sieht der BGH in dem Umstand begründet, dass Vertreterbesuche seit jeher im Rahmen einer traditionell zulässigen gewerblichen Betätigung liegen. Eben diese Situation ist im Streitfall jedoch gerade nicht gegeben, weil es sich hier um ein Werbeform handelt, die seit je her gerade für grundsätzlich unzulässig erachtet wurde, so dass auch nach dieser Meinung nichts dafür spricht, die gezielte und individuelle Ansprache von Passanten im öffentlichen Raum für eine grundsätzlich zulässige Werbeform zu erachten."

Die Beklagte hat über die in den vorstehenden Senatsurteilen bereits erörterten Standpunkte hinaus keine weiteren Argumente oder Umstände vorgebracht, so dass insgesamt kein Anlass besteht, im vorliegenden Verfahren von der dargestellten wettbewerbsrechtlichen Würdigung des streitbefangenen Werbeverhaltens abzuweichen.

III.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 108, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die gemäß § 546 Abs. 2 ZPO festzusetzende Beschwer orientiert sich am Wert des Unterliegens der Beklagten im vorliegenden Rechtsstreit.

Streitwert der Berufung: 375.000,00 DM.






OLG Köln:
Urteil v. 16.11.2001
Az: 6 U 95/01


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/ade1538f790b/OLG-Koeln_Urteil_vom_16-November-2001_Az_6-U---95-01




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