Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen:
Beschluss vom 3. Mai 2001
Aktenzeichen: 13 B 69/01

(OVG Nordrhein-Westfalen: Beschluss v. 03.05.2001, Az.: 13 B 69/01)

Tenor

I. Die Beschwerden werden zugelassen.

II. Die Beschwerden werden zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Antragsgegnerin und die Beigeladene je zur Hälfte.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 12 Mio. DM festgesetzt.

Gründe

I. Die Beschwerden sind wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen (§§ 146 Abs. 3, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

II. Die Beschwerden, über die der Senat wegen der Eilbedürftigkeit zugleich mit der Zulassung entscheidet, sind unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage 1 K 8253/00 im Ergebnis zu Recht stattgegeben.

Die im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Interessenabwägung fällt auch aus Sicht des Senats zu Gunsten der Antragstellerin aus, weil die Klage gegen die Beschlusskammerentscheidung vom 8. September 2000 bei der in der vorliegenden Verfahrensart lediglich möglichen eingeschränkten Prüfungsdichte mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Erfolg haben wird.

Die Nr. 2 der angefochtenen Beschlusskammerentscheidung erweist sich schon deshalb als rechtswidrig, weil die in ihr festgesetzten Entgelte nicht in dem verbindlich vorgeschriebenen Verfahren ermittelt worden sind (1). Überdies unterliegen die Entgelte hinsichtlich der angewandten Methodik ihrer Entwicklung und zumindest ihrer Struktur ernstlichen Bedenken (2). Die übrigen angefochtenen Punkte 1 sowie 3 bis 8 der Beschlusskammerentscheidung stehen in unlösbarem inneren Zusammenhang mit der Entgeltfestsetzung und der ihr zugrundeliegenden Ermittlungsmethode, so dass auch sie ernstlichen Bedenken unterliegen (3).

(1) Die festgesetzten Entgelte für die angeordnete Zusammenschaltung sind nicht in dem vorgeschriebenen Verfahren ergangen.

Gemäß § 37 Abs. 1 Satz 1 TKG ordnet die Regulierungsbehörde auf Anrufung durch einen der an der Zusammenschaltung Beteiligten die Zusammenschaltung an, wenn zwischen den Betreibern öffentlicher Telekommunikationsnetze eine Vereinbarung über Zusammenschaltung nicht zustande kommt. Gemäß § 39 TKG gelten für die Regulierung der Entgelte für die Gewährung eines Netzzugangs nach § 35 und für die Durchführung einer angeordneten Zusammenschaltung nach § 37 die §§ 24, 25 Abs. 1 und 3, die §§ 27, 28, 29, 30 Abs. 1 und 3 bis 6 und § 31 entsprechend. Die zweite Alternative in § 39 TKG ("für die Durchführung...") ordnet damit auch für die Entgeltfestsetzung im Rahmen einer Zusammenschaltungsanordnung die entsprechende Durchführung eines Exante-Regulierungsverfahrens an.

Ausgehend von Wortlaut und Konzeption des § 37 TKG beinhaltet Abs. 1 die generelle Befugnis der Regulierungsbehörde zur Ersetzung der gescheiterten Zusammenschaltungsvereinbarung oder Teilen davon durch entsprechende Anordnung, wobei - im Umkehrschluss aus Abs. 2 folgend - die Befugnis alle nicht von einer Vereinbarung erfassten Punkte, also auch die Entgelte erfasst. Demgegenüber folgt aus der gesonderten Regelung in § 39 TKG betreffend die Entgelte für die Gewährung von Netzzugang und für die Durchführung einer Zusammenschaltungsanordnung, dass letztere Vorschrift gegenüber § 37 TKG eine Spezialregelung beinhaltet, der einer Entgeltfestsetzung - auch - im Falle der von der Regulierungsbehörde angeordneten Zusammenschaltung allein ausgerichtet an § 37 TKG, mithin uno actu mit der Anordnung der eigentlichen Zusammenschaltung und ohne Gelegenheit für den Zusammenschaltungspflichtigen zur Geltendmachung der beanspruchten Entgelte in einem Verfahren nach der Telekommunikations-Entgeltregulierungsverordnung entgegen steht.

Eine angeordnete Zusammenschaltung kann, wie einleuchtend ist, sinnvollerweise mit der für beide IC-Partner notwendigen Planungssicherheit nur dann realisiert werden, wenn die Entgelte ebenso wie im Falle der Zusammenschaltungsvereinbarung in einem die Beteiligteninteressen ausgewogen berücksichtigenden Regulierungsverfahren ermittelt worden sind. Die Durchführung einer angeordneten Zusammenschaltung setzt mithin neben der physischen Verbindung der Netze die Festsetzung der Entgelte für die Zusammenschaltungsleistungen voraus. Soweit die Richtlinie 97/33/EG, Abl. EG Nr. L 199/32, Art. 7 Abs. 3 iVm. Anhang IV Gedankenstrich 4, zu den Zusammenschaltungsentgelten auch die Verbindungsentgelte zählt, ist das ein Hinweis darauf, dass erst die Möglichkeit der Erbringung der Verbindungsleistung über den hergestellten Anschluss die Zusammenschaltung realisiert. Mithin dient - auch - die Festlegung der Verbindungsleistungsentgelte - in Nr. 2 der angefochtenen Beschlusskammerentscheidung - der Durchführung der Zusammenschaltung, so dass sie nach der eindeutigen und klaren Anordnung der zweiten Alternative des § 39 TKG entsprechend den Regelungen der Exante-Regulierung, u.a. der §§ 27, 28 TKG zu erfolgen hat. Insoweit kommt es auf das Verständnis des Verwaltungsgerichts von der Gesetzesformulierung "Für die Regulierung...für die Durchführung..." nicht einmal an. Die lediglich angeordnete entsprechende Anwendung der im Einzelnen genannten Vorschriften gibt keinen Anlass, auf die Durchführung eines Exante- Regulierunsverfahrens zu verzichten. Sie enthält keine bloße Rechtsgrundverweisung, weil ansonsten die Einbeziehung auch des § 28 keinen Sinn ergäbe. Zum anderen kam die unmittelbare Anwendung der Vorschriften wegen der gewollten Anwendung der Entgeltregulierung auf das nicht marktbeherrschende Unternehmen und auf behördlich festzusetzende Entgelte nicht in Betracht. Dass der zuständige Fachausschuss als Grund für den Hinweis auf § 36 des Gesetzentwurfs (= § 37 TKG) eine Ausweitung des Geltungsbereichs der Entgeltregulierung für den Netzzugang auch auf nicht marktbeherrschende Unternehmen angeggeben hat, vgl. BT-Drucks. 13/4864, S. 79 zu § 39,

steht dem dargestellten Zusammenhang von § 37 und § 39 TKG nicht entgegen. Der Hintergrund der Regelung des § 39 Alt. 2 TKG leuchtet unmittelbar ein: Im Falle der Zusammenschaltungsvereinbarung unterliegen die vereinbarten Entgelte - von niemandem angezweifelt - der Exante-Regulierung, was aus § 39 Alt. 1 TKG folgt und bereits in der Begründung zu § 39 des Gesetzentwurfs zum Ausdruck gebracht ist (vgl. BT-Drucks. 13/309, S. 47). Die Anordnung der Zusammenschaltung und Festsetzung der Entgelte durch die Regulierungsbehörde hat lediglich ersetzende Funktion im Falle einer nicht zustande gekommenen Vereinbarung. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb in letzterem Falle die Entgelte in einem vereinfachten, für den - marktbeherrschenden oder nicht marktbeherrschenden - Zusammenschaltungspflichtigen rechtsverkürzenden Verfahren festgesetzt werden sollten. Die gelegentlich in der Literatur vertretene Auffassung, nach nicht wahrgenommener Möglichkeit infolge gescheiterter Vereinbarung bestehe kein Grund mehr für eine Entgeltfestsetzung entsprechend den Regelungen der Exante-Regulierung, greift schon deshalb zu kurz, weil der Grund des Scheiterns einer Vereinbarung nicht immer in den Entgeltdifferenzen liegen muss und selbst berechtigte Entgeltforderungen des einen Partners an Fehlvorstellungen des anderen scheitern können.

Auch die europarechtlichen Regelungen führen zu keinem anderen Ergebnis. Die Richtlinien gehen zwar von einer Befugnis der Regulierungsbehörde zur Ersetzung der Entgelte bei gescheiterter Vereinbarung aus, setzen aber keine Vorgaben für das Verfahren der Ermittlung der ersatzweisen Entgelte. Dem entspricht die nationale grundsätzliche Regelung aus § 37 Abs. 1 und 2 TKG, nach der die Regulierungsbehörde auch berechtigt ist, im Rahmen der angeordneten Zusammenschaltung die Entgelte festzusetzen. Soweit die Richtlinie 90/388 EWG in geänderter Fassung durch Richtlinie 96/19/EG der Kommission vom 13. März 1996, ABl. Nr. L 74/13, in Art. 4 a Abs. 3 Unterabs. 2 für den Fall gescheiterter kommerzieller Verhandlungen vorsieht, dass der betreffende Mitgliedsstaat auf Ersuchen einer Partei eine mit Gründen versehene Entscheidung erlässt, die die notwendigen betrieblichen "und finanziellen" Bedingungen und Anforderungen für eine solche Zusammenschaltung festlegt, zwingt dies nicht zu einer einzigen, die Anordnung der Zusammenschaltung und die Festsetzung der Entgelte beinhaltenden Entscheidung, die zur Folge hätte, dass letzteres dem förmlichen Verfahren der Ex- ante-Regulierung entzogen wäre. Eine im Sinne der Richtlinie die betrieblichen und finanziellen Bedingungen umfassende Entscheidung kann durch das nationale Recht auch in zwei jeweils durch selbständige Regelungen abgeschlossenen Stufen erfolgen. Dass die Richtlinie - nur beiläufig, ohne rechtfertigende Erwähnung in den Einleitungserwägungen - generell formuliert, dürfte mit einer gewollten Rücksichtnahme darauf zu erklären sein, dass das Recht insoweit noch nicht harmonisiert ist und den Mitgliedstaaten bei der Unmsetzung von Richtlinien überdies ein Spielraum zukommt. Hätte der Richtliniengeber eine Entscheidung uno actu sicher stellen wollen, hätte er dies angesichts der aufgezeigten Umstände durch eine zwingende Formulierung durchsetzen können und müssen.

Die mithin nach § 39 Alt. 2 TKG entsprechend den Regelungen der Exante-Regulierung vorzunehmende Entgeltfestsetzung führt zwangsläufig dazu, dass die Regulierungsbehörde zunächst die Zusammenschaltung und deren technische Modalitäten anzuordnen hat und in einem nachgeordneten Verfahren unter Beachtung u. a. der §§ 27, 28 TKG die Entgelte für die angeordnete Zusammenschaltung festsetzen kann.

Der hiergegen von der Antragsgegnerin und der Beigeladenen erhobene Einwand, der Zusammenschaltungspflichtige könne durch unterlassenen oder verzögerten Antrag auf Entgeltgenehmigung die Ziele des Telekommunikationsgesetzes kontakarieren und den Wettbewerbern die notwendige Planungssicherheit für die Wahrnehmung des Zusammenschaltungsangebots nehmen, ist unbegründet. Die Regulierungsbehörde kann nämlich mit der Zusammenschaltungsanordnung dem Zusammenschaltungspflichtigen unter Fristsetzung - etwa vier Wochen ab Bekanntgabe - die Möglichkeit einräumen, die - bis dahin ermittelbaren - Entgelte für die von ihm nach Maßgabe der Zusammenschaltungsanordnung zu erbringenden Leistungen der Regulierungsbehörde anzugeben, einen entsprechenden Genehmigungsantrag einzubringen und die nach § 2 TEntgV geforderte Nachweise vorzulegen. Auf diese Weise bleibt dem Zusammenschaltungspflichtigen das aus der Unternehmerfreiheit abgeleitete und im Normgebungsverfahren der Telekommunikations-Entgeltregulierungsverordnung besonders betonte Initiativrecht gewahrt, das aufgrund der Verweisung des § 39 Alt. 2 TKG auf den § 27 TKG und damit auch auf seinen Abs. 4 sowie die Telekommunikations-Entgeltregulierungsverordnung auch bei der zwangsweisen Zusammenschaltung Beachtung beansprucht. Kommt der Zusammenschaltungspflichtige dem nicht nach, kann und muss die Regulierungsbehörde mit den ihr nach der Telekommunikations-Entgeltregulierungsverordnung verbleibenden Möglichkeiten die Entgelte dem Maßstab des § 24 TKG entsprechend festsetzen. Hierzu ist sie in entsprechender Anwendung des § 28 TKG befugt. Diese Verfahrensregelung setzt einen Antrag des die Entgelte beanspruchenden Unternehmens nicht - jedenfalls nicht ausdrücklich - voraus.

Vgl. hierzu auch Beschluss des Senats vom 5. Juli 2000 - 13 B 2018/99 -.

Deshalb kann bei der durch § 39 Alt. 2 TKG angeordneten nur entsprechenden Anwendung des § 28 TKG im Falle der Zusammenschaltungsanordnung der zu bescheidende Antrag auf Entgeltfestsetzung nach Abs. 2 auch von dem die Zusammenschaltung begehrenden Unternehmen gestellt werden. Das folgt aus der besonderen Interessenlage für die Beteiligten einer - vereinbarten oder angeordneten - Zusammenschaltung und der dem Zusammenschaltungsberechtigten insoweit einzuräumenden Ranggleichheit mit dem Zusammenschaltungspflichtigen sowie aus der Tatsache, dass das Telekommunikationsgesetz - im Umkehrschluss aus § 37 Abs. 2 und 1 TKG iVm Buchst. j) Anlage zu § 5 Abs. 2 NZV - dem die Zusammenschaltung begehrenden Unternehmen auch das Recht einräumt, die Regulierungsbehörde um Ersetzung der Entgelte anzurufen. Mit einer Festsetzung der Entgelte durch die Regulierungsbehörde spätestens zehn Wochen nach der dem Zusammenschaltungspflichtigen gesetzten Frist, die die dreimonatige Umsetzungsfrist des § 9 Abs. 5 NZV allenfalls geringfügig überschreitet, ist der Rahmen des Zumutbaren für den Zusammenschaltungsberechtigten gewahrt und ihm ausreichende Planungssicherheit gegeben, andererseits auch dem Interesse des Zusammenschaltungspflichtigen Rechnung getragen, der sich dann nicht auf ein Initiativrecht zur eigenen Entwicklung der Entgelte und zum Nachweis von deren Berechtigung berufen kann, wenn er seiner Mitwirkungspflicht nicht nachkommt und die gegebenen Möglichkeiten nicht wahrnimmt.

Ist die Regulierungsbehörde zur Entgeltfestsetzung aufgerufen und fehlt es an Kostennachweisen nach § 2 TEntgV oder sind diese nicht hinreichend, wird sie zur Ermittlung der Entgelte auf das Vergleichsmarktverfahren zurückgreifen können. Zwar sieht § 3 Abs. 3 TEntgV das Vergleichsmarktverfahren nur als ein zusätzliches, quasi ergänzendes Instrumentarium vor, es kann aber für den Fall, dass für eine sichere Überprüfung der Entgelte an den Maßstäben des § 24 TKG nicht ausreichende Kostennachweise vorgelegt werden, ergänzend herangezogen werden und wird konsequenterweise auch im Extremfall nicht ausreichender Kostennachweise, nämlich gänzlich fehlender Nachweise, wenn auch mit Nachteilen für den Zusammenschaltungspflichtigen aus der Nichtberücksichtigung seiner individuellen Kostensituation Anwendung finden können. Der Senat hält das Vergleichsmarktverfahren für geeignet, Entgelte orientiert an den Kosten der effektiven Leistungsbereitstellung zu ermitteln. Dieses Verfahren hält der Verordnungsgeber der Telekommunikations- Entgeltregulierungsverordnung erkennbar für geeignet, die auf den individuellen Kostengegebenheiten beruhenden Entgeltvorstellungen des die Leistung - hier im Rahmen der Zusammenschaltung - erbringenden Unternehmens zu relativieren und zu objektivieren. Es beruht auf der berechtigten Annahme, dass in einem gleichartigen Markt mit funktionierendem Wettbewerb die Entgelte für vergleichbare Leistungen den Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung entsprechen oder angenähert sind. Eine Vergleichsmarktbetrachtung als Grundlage der Entgeltfestsetzung durch die Regulierungsbehörde ist um so berechtigter, wenn sie die Empfehlungen der Kommission zur Orientierung an "der besten gegenwärtigen Praxis" (hierzu zuletzt vom 20. März 2000, ABl. L 83/30) berücksichtigt. Weder ist, wie vom Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt, hinsichtlich der von der Antragstellerin zu erbringenden, angeordneten Zusammenschaltungsleistungen ein Exante- Entgeltregulierungsverfahren durchgeführt worden noch war ihr die Möglichkeit gegeben, ein solches einzuleiten.

(2) Soweit die Antragsgegnerin die festgesetzten Entgelte ihrer Struktur und Höhe nach an Hand eines theoretischen Kostenmodells auf der Grundlage eines weitgehend hypothetischen, kostenidealen Telekommunikationsnetzes mit zwei vermittelnden Ebenen entwickelt hat - lediglich die Standorte der Hauptverteiler wurden übernommen und die Zahl der lokalen Einzugsbereiche an die früheren Vorstellungen der Antragstellerin angknüpft -, unterliegt das aus Sicht des Senats bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nur möglichen Prüfungsdichte ernstlichen Bedenken.

Eine solche Methode sehen das Telekommunikationsgesetz und die Telekommunikations-Entgeltregulierungsverordnung nicht vor. Allerdings ist nach der amtlichen Begründung zu § 3 Abs. 3 TEntgV die Heranziehung von theoretischen Kostenmodellen nicht ausgeschlossen. Dennoch stellt die Begründung der Verordnung klar, dass bei der Überprüfung und damit bei der im Rahmen der angeordneten Zusammenschaltung zwangsweisen Festsetzung der Entgelte der Blick auf real existierende Unternehmen zu richten ist. Das hat zur Konsequenz, dass bei der Ermittlung der Zusammenschaltungsentgelte das zusammenschaltungspflichtige Unternehmen und seine realen Produktionsgegebenheiten (Gegebenheiten der Leistungsbereitstellung) im Vordergrund zu stehen haben. Das verdeutlicht auch das in §§ 2, 3 Abs. 1 TEntgV zum Ausdruck kommende Initiativrecht des Unternehmens, das die zu bepreisende Leistung erbringt, und die Priorität des Kostennachweisverfahrens. Wären nicht das Unternehmen und dessen kostenrelevante Produktionsgegebenheiten Ausgangspunkt der Entgeltüberprüfung, sondern ein hypothetisches Modell von Kosten, könnte weitgehend auf die Kostennachweispflicht verzichtet werden.

Hieraus folgt indes nicht, dass die Zusammenschaltungsentgelte ausschließlich auf der Grundlage der tatsächlichen Kosten der Leistungsbereitstellung des zusammenschaltungspflichtigen Unternehmens zu ermitteln sind. Vielmehr können Kostenmodelle im zumutbaren Rahmen zum Vergleich und zur Korrektur der in Ansatz gebrachten Kosten hinsichtlich einzelner Positionen herangezogen werden - was möglicherweise bis zu einer zwischen den Vorstellungen der Zusammenschaltungspartner vermittelnden Netzkonfiguration führen kann -. Dass die Entgelte der Höhe und Struktur nach nicht ausschließlich oder weitgehend an Hand eines hypothetischen Modells der Kosten eines Unternehmens, das die jeweilige Leistungsbereitstellung zukünftig kostenminimiert mit modernsten, dem Stand der Erkenntnisse und Technik entsprechenden Mitteln aufnimmt, anzusetzen sind, ergibt sich auch aus der Formulierung des Entgeltmaßstabes, wonach die Entgelte an den Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung lediglich zu "orientieren" sind. D. h. letztere sollen zwar im Blick bleiben, die realen Gegebenheiten des betroffenen Unternehmens bleiben indes Ausgangspunkt der Kostenbetrachtung und können ggf. unter Effizienzgesichtspunkten angmessen modifiziert eingestellt werden. Nach Art. 3 Abs. 2 der Zusammenschaltungsrichtlinie 97/33/EG vom 30. Juni 1997, Abl. Nr. L 199/32, soll eine "angemessene", effiziente Zusammenschaltung sicher gestellt werden; nach § 9 Abs. 4 NZV ist auch die unternehmerische Freiheit jedes Netzbetreibers zur Gestaltung seines Telekommunikationsnetzes zu berücksichtigen. Bei den im vorliegenden Verfahren eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten des Senats spricht vieles dafür, dass bei der angefochtenen Beschlusskammerentscheidung das im eingeholten Gutachen vertretene Kostenmodell bzw. die dort vertretene Netzstruktur im Vordergrund stand. Die kostenrelevanten Gegebenheiten der Antragstellerin in Hinblick auf die angeordneten Zusammenschaltungsleistungen waren schon deshalb nicht Gegenstand der Betrachtung, weil diesbezüglich ein Kostennachweisverfahren nicht durchgeführt worden war; soweit der Antragsgegnerin aus vorangegangenen Diskussionen und dem Entgeltgenehmigungsverfahren für den Standardvertrag der Antragstellerin deren Netzvorstellungen bekannt waren, hat sie diese verworfen.

Dass die Kosten der effizienten Leistungsbereitstellung sich u. a. aus den "langfristigen" zusätzlichen Kosten ergeben (§ 3 Abs. 2 TEntgV), zwingt nicht dazu, die Entgelte anhand eines hypothetischen Kostenmodells zu entwickeln. Die Norm definiert nicht den Begriff der effizienten Leistungsbereitstellung oder gar der Effizienz, sondern benennt nur die zu dem Gesamtpaket der Kosten führenden Elemente oder Faktoren. Ihr lässt sich auch nicht entnehmen, wann die langfristigen zusätzlichen Kosten Effizienzanforderungen genügen und dass wegen der Langfristigkeit der Betrachtung auf ein zwar denkbares, ingenieurtechnisch optimiertes, aber auf Grund unvorhersehbarer wettbewerblicher oder technischer Zwänge hinsichtlich seiner Realisierbarkeit in der Zukunft (jetzt + € Jahre) ungewisses und deshalb wirklichkeitsfernes Netzmodell als Grundlage von Entgelten bei real funktionierendem Wettbewerb abzustellen sei.

Die ausschließliche oder weitgehende Heranziehung eines in wesentlichen Teilen hypothetischen Kostenmodells bzw. Hauptkostenfaktors Telekommunikationsnetz als Grundlage der Entgeltkontrolle oder Entgeltfestsetzung greift überdies unverhältnismäßig schwer in grundrechtlich geschützte Positionen des betroffenen Unternehmens ein. Bei der zu beobachtenden rasanten Entwicklung im Bereich der Telekommunikationsdienstleistungen und der hierfür eingesetzten Technik ist nicht auszuschließen, dass sich die der Modellannahme zugrunde liegenden Erkenntnisse hinsichtlich der logischtechnischen Voraussetzungen für ein kostenideales Telekommunikationsnetz als das wesentliche Element der Leistungsbereitstellung in kurzer Zeit ändern werden, wovon die Antragsgegnerin in ihrem angefochtenen Beschluss (S. 32 Abs. 4) selbst ausgeht. Die hier zu betrachtenden Entgelte werden von der Regulierungsbehörde, wie Nr. 3 der angefochtenen Entscheidung belegt, nur für kurze Zeitspannen festgelegt. Das betroffene Unternehmen wird bei realistischer Betrachtung, wenn es zu den festgesetzten, auf einer hypothetischen Modellrechnung beruhenden Entgelten nicht unrentabel wirtschaften will, gezwungen sein, seine Produktionsgegebenheiten, hier das Telekommunikationsnetz, den der Entgeltfestsetzung zugrunde liegenden Modellbedingungen anzupassen - was erklärtermaßen von der Antragsgegnerin auch beabsichtigt ist -. Dies dürfte dem betroffenen Unternehmen angesichts der kurzen Laufzeiten bis zur nächsten Entgeltfestsetzung, die möglicherweise aufgrund neuer, modernerer Modellannahmen noch niedrigere Entgelte bringen könnte und noch weitergehende Produktionsanpassungen verlangen würde, kaum gelingen. Eine Amortisation der zwischenzeitlichen Investitionen zur Produktionsanpassung dürfte dem betroffenen Unternehmen so nicht möglich und eine gewisse schleichende Vermögensauszehrung des Unternehmens nicht auszuschließen sein.

Es kann die Frage offen bleiben, ob der Begriff der effizienten Leistungsbereitstellung der Behörde einen richterlich nur eingeschränkt überprüfbaren Beurteilungsspielraum eröffnet. Selbst wenn die Annahme oder Verneinung einer Effizienz von Wertvorstellungen geprägt sein sollte und daher der wertenden Behörde einen Freiraum - Beurteilungsspielraum - eröffnete, wäre eine solche Bewertung richterlich dahin überprüfbar, ob die Behörde von einem zutreffenden und vollständigen Sachverhalt ausgegangen ist, die Grenzen des Beurteilungsspielraums eingehalten und die richtigen Wertmaßstäbe angelegt hat. Zu den im Rahmen eines Beurteilungsspielraums zu beachtenden Wertmaßstäben zählt die Akzeptanz von fachlich begründeten oder begründbaren Meinungen, Leitentscheidungen, Ableitungen und Ergebnissen, soweit sie nicht evident falsch oder abwegig sind. So wird es auch im Bereich der Unternehmensführung und der Auslegung der Produktionsmittel, hier des Telekommunikationsnetzes der Antragstellerin als die sachliche Voraussetzung für die Bereitstellung der Leistungen Telekom-B. 1 und Telekom-B. 2, mehrere unterschiedliche, jede für sich fachlich gut vertretbare "Philosophien" geben. Ist ein Telekommunikationsnetz unter Verzicht auf größtmögliche Kostengünstigkeit - auch zu Lasten des Unternehmers gehend - etwa auf Sicherheitsmargen für Spitzenbelastungen oder zur Aufnahme erwarteter, nicht quantifizierbarer Verkehre ausgelegt oder aus sonstigen vertretbaren Geschäftsgründen kurzfristig nicht rationeller zu gestalten, dürfte ein solches Netzkonzept nicht zu verwerfen und im Rahmen eines Beurteilungsspielraums grundsätzlich zu akzeptieren sein. Eine vertretbare Netzkonfiguration ist auch vereinbar mit dem Diskriminierungsverbot und dem Gebot "hinreichender" Entbündelung (vgl. Nr. 13 Abs. 2 der Gründe der RL 96/19/EG der Kommission vom 13. März 1996, aaO). Die Empfehlungen der Kommission schließen sachlich vertretbare Netzkonfigurationen nicht aus. Die Zusammenschaltungsentgelte sollen dem tatsächlichen Anfall der Kosten bei der Zusammenschaltung Rechnung tragen (vgl. Empfehlung vom 8. Januar 1998, Abl. Nr. l 73/42). Dieser Wertmaßstab erscheint dem Senat, soweit bei der gegebenen Prüfungsdichte erkennbar, in der angefochtenen Beschlusskammerentscheidung nicht hinreichend beachtet.

Die von der Antragstellerin - nach zuvor ins Auge gefassten, aber auf Grund der Verkehrsentwicklung der letzten Jahre revidierten Vorstellungen von einem ebenfalls zwei Vermittlungsebenen enthaltenden Netz - angeführten Gesichtspunkte für die Beibehaltung der gegenwärtigen Gestaltung ihres Telekommunikationsnetzes erscheinen dem Senat bei überschlägiger Betrachtung nicht abwegig, vorgeschoben oder unvertretbar. Soweit die Antragsgegnerin sie im vorliegenden Verfahren als unbewiesene bloße Einschätzungen künftiger Entwicklungen hinstellt, sei darauf hingewiesen, dass auch wesentliche Erwägungen des den festgesetzten Tarifen zugrundeliegenden hypothetischen Kostenmodells bzw. des angefochtenen Beschlusses auf nicht gesicherten Annahmen beruhen und selbst Wettbewerber der Antragstellerin im Beschlusskammerverfahren auf Kapazitätsengpässe zumindest für die Umstellungsphase und mögliche planerische Fehleinschätzungen der künftigen Netzauslastung hingewiesen haben. Die Ungewissheit nur einschätzbarer künftiger Entwicklungen verlangt gerade nach Respektierung auch der anderen vertretbaren Meinung. Immerhin wird die Netzkonzeption der Antragstellerin wissenschaftlich gestützt und haben andere Unternehmen das auf dem Netzkonzept der Antragstellerin beruhende Zusammenschaltungsangebot einschließlich der Entgelte angenommen, was sie vermutlich nicht akzeptiert hätten, wenn sie oder ihr Fachverband die für die Entgeltstruktur und -höhe des Angebotes der Antragstellerin wesentliche Netzausgestaltung für ineffizient hielten. Ob die von der Antragstellerin angeführten Gesichtspunkte für die Beibehaltung ihrer gegenwärtigen Netzstruktur nicht - mehr - vertretbar sind, wird gegebenfalls erst im Haupsacheverfahren festgestellt werden können.

(3) Sämtliche übrigen angefochtenen Regelungen der Beschlusskammerentscheidung sind ebenfalls getragen von der Erwägung, dass eine effiziente Leistungsbereitstellung allein bei Anwendung eines hypothetischen idealen zweistufigen Netzes mit Verbindungsübergabe lediglich an Zusammenschaltungsorten in 475 bestimmten lokalen Einzugsbereichen anzunehmen sei. Sie alle unterliegen daher den gleichen oben geschilderten Bedenken oder ergeben isoliert betrachtet für die Zusammenschaltungsparteien zumindest keinen Sinn, weshalb ihre Umsetzung ohne wirksame Entgelte unzumutbar wäre und eine Rechtfertigung für den Fortbestand ihrer isolierten Vollziehbarkeit entfallen ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 13 Abs. 1, 20 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.






OVG Nordrhein-Westfalen:
Beschluss v. 03.05.2001
Az: 13 B 69/01


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