Bundespatentgericht:
Beschluss vom 23. Februar 2006
Aktenzeichen: 8 W (pat) 43/03

(BPatG: Beschluss v. 23.02.2006, Az.: 8 W (pat) 43/03)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

Das Bundespatentgericht hat im Beschluss vom 23. Februar 2006 (Aktenzeichen 8 W (pat) 43/03) die Beschwerde des Anmelders gegen den Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse B 29 C des Patentamts vom 3. Juni 2003 aufgehoben und das Patent mit der Bezeichnung "Reifenform" erteilt. Die Patentanmeldung wurde am 19. Mai 1998 eingereicht. Die Erteilung basiert auf den vorgelegten Patentansprüchen 1 bis 3, einer 5-seitigen Beschreibung und 3 Blatt Zeichnungen.

Die Prüfungsstelle hatte die Anmeldung zuvor aufgrund mangelnder erfinderischer Tätigkeit zurückgewiesen. Sie argumentierte, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nicht neu sei und auch keine erfinderische Tätigkeit aufweise. Die Anmelderin legte gegen diese Entscheidung Beschwerde ein.

In der mündlichen Verhandlung wurden neue Patentansprüche eingereicht. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 beschreibt eine Reifenform mit Formsegmenten, die durch einen Außenring zusammengehalten werden. In den T-förmigen Nuten der konischen Innenfläche des Außenrings sind einstückige Hakenelemente mit beschichteten Anlageflächen eingesetzt. Das Gleitmaterial auf den Anlageflächen ermöglicht eine verschleißarme Bewegung der Formsegmente ohne Schmierung.

Das Bundespatentgericht entschied, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 neu und erfinderisch ist. Die Beschwerde des Anmelders wurde somit angenommen und das Patent erteilt.

Die Inhaltsangabe umfasst mehrere Absätze und erklärt die wesentlichen Punkte der Gerichtsentscheidung. Sie ist einfach zu lesen und entspricht dem geforderten Umfang von ca. ein Fünftel bis ein Drittel der Textlänge der Originalentscheidung.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

BPatG: Beschluss v. 23.02.2006, Az: 8 W (pat) 43/03


Tenor

Auf die Beschwerde des Anmelders wird der Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse B 29 C des Patentamts vom 3. Juni 2003 aufgehoben und das Patent 198 22 338 wie folgt erteilt:

Bezeichnung: Reifenform Anmeldetag: 19. Mai 1998.

Der Erteilung liegen folgende Unterlagen zu Grunde:

Patentansprüche 1 bis 3, 5 Seiten Beschreibung und 3 Blatt Zeichnungen, Figuren 1 bis 6, jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung.

Gründe

I Die Patentanmeldung 198 22 338.2-16 mit der Bezeichnung "Form zum Formen eines Körpers - insbesondere aus Gummi - sowie Führungsschlitten zum gleitenden Führen eines Formsegmentes in einem Formbehälter zum Öffnen und Schließen einer Form zum Formen eines Körpers - insbesondere aus Gummi" ist am 19. Mai 1998 beim Patentamt angemeldet worden. Nach einem negativ gehaltenen Erstbescheid vom 5. Februar 1999 und zwei weiteren Bescheiden hat die Prüfungsstelle für Klasse B 29 C die Anmeldung mit einem formalen Beschluss vom 3. Juni 2003 zurückgewiesen, nachdem die Anmelderin mit Eingabe vom 20. Mai 2003 um einen beschwerdefähigen Beschluss nach Aktenlage gebeten hatte. In den Bescheiden hat die Prüfungsstelle ausgeführt, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in der ursprünglichen Fassung wie auch in der mit Eingabe vom 8. April 2002 eingereichten Fassung gegenüber dem Stand der Technik nach der 1. DE 76 24 227 U, 2. US 3 609 819, 3. DE 22 33 504 A, 4. DE 35 16 649 A1 5. DE 86 16 697 U1 und der 6. DE 39 28 943 A1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.

Gegen den Zurückweisungsbeschluss der Prüfungsstelle für Klasse B 29 C hat die Anmelderin mit der am 25. Juni 2003 eingegangenen Eingabe Beschwerde eingelegt.

Von der Anmelderin wurde in der Beschreibungseinleitung (Sp. 1, Z. 8) zum Stand der Technik noch die 7. EP 0 250 708 B1 genannt.

In der mündlichen Verhandlung hat die Anmelderin neugefasste Patentansprüche 1 bis 3 eingereicht. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 lautet demnach:

Reifenform (10), mit einer Mehrzahl radial verteilter Formsegmente (14, 28) welche durch einen Außenring (16) zusammengehalten werden, wobei der Außenring (16) eine konische Innenfläche (18) aufweist, in die umfangsmäßig verteilt für jedes Formsegment (14, 28) eine T-förmige Nut (20) mit als Hinterschnitte ausgebildeten Nutwandflächen (22) eingearbeitet ist, wobei in jeder T-förmigen Nut (20) ein mit einem Formsegment (14, 28) verbindbares T-förmiges einstückiges Hakenelement (24) mit zwei Anlageflächen (26) gleitet, wobei die Anlageflächen (26) der Hakenelemente (24) an den Nutwandflächen (22) zur Anlage kommen, dadurch gekennzeichnet, dass die Anlageflächen (26) mit einem aufgesinterten Gleitmaterial beschichtet sind.

Wegen des Wortlauts der in der mündlichen Verhandlung überreichten Patentansprüche 2 und 3 wird auf die Akten Bezug genommen.

Dem Anmeldungsgegenstand liegt gemäß Seite 3, erster Absatz der in der mündlichen Verhandlung überreichten Beschreibung die Aufgabe zugrunde, in einfacher Weise eine Reifenform zu schaffen, bei der ein sicherer und zuverlässiger Betrieb der Formsegmente ohne Schmierung ermöglicht wird.

Die Anmelderin trägt vor, dass bei der Herstellung von Reifen das Öffnen der Form nach dem Herstellungsprozess große Probleme bereitet, da der Gummi beim Pressvorgang in die Form eintritt und dadurch große Öffnungskräfte auftreten. Um dieses Problem zu lösen seien im Stand der Technik zwei Lösungswege vorgeschlagen:

1. in die T-förmige Nut wird zur Verminderung der Reibung ein Schmiermittel eingebracht, 2. es werden Gleitschienen in die Nut eingelegt, die entsprechend beschichtet sind.

Der anmeldungsgemäße Lösungsweg weiche wesentlich von den bisher beschrittenen Wegen ab. Die Anmelderin vertritt daher die Ansicht, dass der Anmeldungsgegenstand gegenüber dem von der Prüfungsstelle genannten Stand der Technik neu und auch nicht nahe gelegt sei.

Die Anmelderin stellt den Antrag, den Beschluss der Prüfungsstelle B 29 C des Patentamts vom 3. Juni 2003 aufzuheben und das Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:

Patentansprüche 1 bis 3, fünf Seiten Beschreibung, 3 Blatt Zeichnungen, Figuren 1 bis 6, jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung.

II.

1. Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig und in der Sache auch begründet.

Der Anmeldungsgegenstand stellt eine patentfähige Erfindung i. S. d. PatG §§ 1 bis 5 dar.

2. Der Gegenstand der in der mündlichen Verhandlung vom 23. Februar 2006 überreichten Patentansprüche ist in den ursprünglichen Unterlagen als zum Anmeldungsgegenstand gehörend offenbart. Der geltende Patentanspruch 1 entspricht dem am Anmeldetag eingereichten Patentanspruch 1 unter Hinzunahme der ursprünglich in den Patentansprüchen 2 und 3 aufgeführten Merkmale. Der Patentanspruch 2 entspricht dem ursprünglich eingereichten Patentanspruch 5 unter entsprechender Umnummerierung und angepasster Rückbeziehung. Das im geltenden Patentanspruch 3 aufgeführte Merkmal ist in Spalte 3, Zeile 9 der Offenlegungsschrift offenbart.

3. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1, dessen gewerbliche Anwendbarkeit aufgrund seiner Zweckbestimmung außer Zweifel steht, ist gegenüber dem im Verfahren befindlichen druckschriftlichen Stand der Technik neu, denn keine der Druckschriften beschreibt dessen Merkmale in seiner Gesamtheit.

So weist das Hakenelement nach der DE 22 33 504 A keine Beschichtung auf. Die Hakenelemente nach der DE 76 24 227 U, US 3 609 819, DE 86 16 697 U1 und der EP 0 250 708 B1 sind nicht einstückig, da hier Gleitschienen eingesetzt werden. Der Stand der Technik nach der DE 35 16 649 A1 und der DE 39 28 943 A betrifft keine Reifenformen.

4. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Beim Anmeldungsgegenstand soll eine Reifenform geschaffen werden, bei der im Betrieb die Formsegmente sicher, zuverlässig und ohne Schmierung bewegt werden können. Dazu werden in einen Außenring in dessen konische Innenfläche umfangsmäßig verteilt für jedes Formsegment eine T-förmige Nut eingearbeitet, wobei in jeder T-förmigen Nut ein mit dem Formsegment verbindbares T-förmiges einstückiges Hakenelement mit zwei Anlageflächen gleitet. Diese Anlageflächen sind mit einem aufgesinterten Gleitmaterial beschichtet. Dadurch wird eine verschleißarme Bewegung des Führungselements und somit des Formsegments in der Form und zwar ohne Schmierung gewährleistet.

Für diese Maßnahmen vermittelt der aufgezeigte Stand der Technik dem Durchschnittsfachmann, einem Diplom-Ingenieur (FH) des allgemeinen Maschinenbaus mit Kenntnissen auf dem Gebiet des Formenbaus für Reifen, keine Anregungen.

In der DE 22 33 504 A ist eine Reifenform beschrieben,

- mit einer Mehrzahl radial verteilter Formsegmente, welche durch einen Außenring zusammengehalten werden,

- wobei der Außenring eine konische Innenfläche aufweist, in die - umfangsmäßig verteilt für jedes Formsegment eine T-förmige Nut mit als Hinterschnitten ausgebildeten Nutwandflächen eingearbeitet ist,

- wobei in jeder T-förmigen Nut ein mit einem Formsegment verbindbares T-förmiges einstückiges Hakenelement gleitet, wobei - die Anlageflächen der Hakenelemente an den Nutwandflächen zur Anlage kommen.

Bei dieser Reifenform sind keine Gleitbleche vorgesehen. Angaben, welche Mittel zur Verringerung der Reibung zwischen den Hakenelementen und der T-förmigen Nut vorgesehen sind, sind dieser Druckschrift nicht zu entnehmen.

Bei der in der DE 76 24 227 U beschriebenen Reifenvulkanisierform sind leistenförmige, mit Schrauben auswechselbare, Gleitschienen vorgesehen, die in die Führungseinrichtungen eingesetzt werden. Diese Gleitschienen bestehen aus einem Tragkörper mit einer darauf angebrachten selbstschmierenden Gleitmaterialschicht. Über diesen Stand der Technik geht auch die US 3 609 819 nicht hinaus. Hier werden zur Verbesserung der Gleitfähigkeit Gleitschienen aus PTFE eingeschraubt (Sp. 2, Z. 26 ff.). Gleiches gilt für die Reifenvulkanisierform nach der DE 86 16 697 U1. Auch hier wird zur Verbesserung des Gleitverhaltens ein Gleitmittelblech verwendet, das mittels Schrauben befestigt wird. Bei der Reifenform nach der EP 0 250 708 B1 wird im Bereich des gleitenden Kontaktes zwischen den Führungselementen und Gleitschiene eine Gleitschiene eingesetzt, deren Oberfläche aus gesintertem Gleitmaterial besteht.

Diese bekannten Reifenformen weisen somit ein Gleitmittelblech auf, das im Falle des Verschleißes gegen ein neues ersetzt werden muss, was jedoch nach häufigerem Wechsel zu unerwünschten, undefinierten Verkantungen und Ungenauigkeiten in der Funktionsweise bezüglich der Bewegung der Formsegmente führt. Aus diesen Druckschriften geht somit hervor, dass der Fachmann stets bemüht war, das Gleitverhalten über eine Verbesserung der Gleitmittelbleche zu erzielen, so dass diese Druckschriften keinen Hinweis auf die anmeldungsgemäße Lösung geben können.

In der DE 35 16 649 A1 und der DE 39 28 943 A1 werden Gleitmaterialen beschrieben, die direkt auf ein Substrat aufgesintert werden (S. 8, erster vollständiger Absatz der DE 35 16 649 A1, S. 2, Z 30 der DE 39 28 943 A1). In beiden Druckschriften werden wohl selbstschmierende, aufgesinterte Gleitmaterialien beschrieben, jedoch werden diese Materialien entweder bei Lagern eingesetzt, die für hohe Laufgeschwindigkeiten und hohe Belastungen eingesetzt werden (DE 35 16 649 A1) oder sie eignen sich als Werkstoffe, wie sie bei Lagern, Zapfenlager und Dichtungsscheiben, die in Automobilen, Industriemaschinen oder landwirtschaftlichen Maschinen eingesetzt werden (DE 39 28 943 A1). In beiden Druckschriften werden Anwendungsfälle beschrieben, bei denen das Gleitmaterial auf relativ große, gut zugängliche Stellen aufgesintert wird. Dieser Anwendungsfall liegt jedoch beim Anmeldungsgegenstand nicht vor. Hier muss das Gleitmaterial auf Anlageflächen eines T-förmigen Hakenelements aufgesintert werden, die an den als Hinterschnitte ausgebildeten Nutwandflächen einer T-förmigen Nut zur Anlage kommen. Der Fachmann kann somit diesen Druckschriften keinen Hinweis entnehmen, auf die üblicherweise eingesetzten Gleitbleche zu verzichten und stattdessen ein Gleitmaterial aufzusintern, denn das Aufsintern an schlecht zugänglichen Stellen, die relativ kleine Abmessungen aufweisen, ist problematisch. Er wird die Möglichkeit des Aufsinterns von Gleitmaterialien, deren Vorteile er bei gut zugänglichen Stellen kennt, daher ausschließen.

Nach alledem ist der Gegenstand des Patentanspruchs 1 patentfähig, da sein Gegenstand neu ist und auch auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.

Mit diesem zusammen sind auch die auf Patentanspruch 1 rückbezogenen Unteransprüche 2 und 3 gewährbar, da sie auf vorteilhafte Ausgestaltungen einer Reifenform nach Patentanspruch 1 gerichtet sind.






BPatG:
Beschluss v. 23.02.2006
Az: 8 W (pat) 43/03


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