Bundespatentgericht:
Beschluss vom 22. September 2004
Aktenzeichen: 19 W (pat) 323/02

(BPatG: Beschluss v. 22.09.2004, Az.: 19 W (pat) 323/02)

Tenor

Das Patent 100 41 140 wird widerrufen.

Gründe

I.

Für die am 21. August 2000 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingegangene Anmeldung ist die Erteilung des nachgesuchten Patents am 29. Mai 2002 veröffentlicht worden.

Das Patent betrifft eine Elektrische Anlage, insbesondere für den Mittelspannungsbereich, mit direkt an Abgangsträgern verbundenen Sammelschienenelementen.

Gegen das Patent hat die S... AG am 29. August 2002 Einspruch erhoben. Sie verweist im Einspruchsschriftsatz auf die Gründe des § 21 PatG und behauptet, die elektrische Anlage gemäß der erteilten Patentansprüche 1 bzw. 5 sei gegenüber einem im einzelnen genannten Stand der Technik jeweils nicht neu und beruhe gegenüber diesem auch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit des Fachmanns. Auch die Unteransprüche enthielten nichts Patentfähiges.

Mit ihrer Eingabe vom 27. August 2004 hat die Patentinhaberin neue Patentansprüche 1 bis 5 nach Hauptantrag bzw. 1 und 2 nach Hilfsantrag eingereicht, jeweils mit beigefügten Änderungen der Beschreibung, und dazu ausgeführt, warum sie die Gegenstände dieser Patentansprüche durch den Stand der Technik weder als vorbekannt noch als nahegelegt ansieht.

Die Patentinhaberin ist entsprechend ihrer Ankündigung vom 15. September 2004 zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen.

Die Patentinhaberin stellte mit Schriftsatz vom 27. August den Antrag, das Streitpatent mit den neuen Patentansprüchen 1 bis 5 und der beigefügten Änderung der Beschreibung, ansonsten wie erteilt, aufrechtzuerhalten, hilfsweise mit den geänderten Patentansprüchen 1 und 2 gemäß Hilfsantrag nebst beigefügten Änderungen der Beschreibung, ansonsten wie erteilt.

Die Einsprechende stellt den Antragdas Patent zu widerrufen Sie hat dazu ausgeführt, daß auch der Gegenstand gemäß Patentanspruch 1 nach Hauptantrag durch die DE-AS 1 167 421 vorbekannt ist. Denn aus dieser Druckschrift sei nicht ersichtlich, daß außer an den Abgangsträgern weitere Verbindungsstellen der Sammelschienenelemente vorgesehen sind.

Der Gegenstand gemäß Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag sei durch die Kombination der vorgenannten Druckschrift mit der EP 0 999 624 A1 nahegelegt. Denn letztere Druckschrift offenbare im Zusammenhang mit druckfest gekapselten Anlagen auch verschließbare Montageöffnungen, welche selbstverständlich jeweils dort vorzusehen seien, wo sie für Montagezwecke benötigt würden.

Der Patentanspruch 1 nach Hauptantrag lautet:

"Elektrische Anlage (1) für den Mittelspannungsbereich mit mehreren Funktionsmodulen (2) und einem in Querrichtung der Funktionsmodule verlaufenden Sammelschienenraum (7), wobei Abgangsträger (18) für Mittespannung verschiedener elektrischer Funktionsmodule (2) über zumindest eine Sammelschiene (8) miteinander verbunden sind, wobei jede Sammelschiene eine Mehrzahl von einstückigen Sammelschienenelementen (19) aufweistdadurch gekennzeichnet, daß aus den Sammelschienenelementen (19) eine den Sammelschienenraum (7) durchspannende Sammelschiene (8) ausschließlich durch Verbinden von Sammelschienenlaschen (20) der Sammelschienenelemente (19) direkt an den Abgangsträgern (18) elektrischer Funktionsmodule (2) gebildet ist."

Der Patentanspruch 5 nach Hauptantrag lautet:

"Sammelschienenelementesatz mit Sammelschienenelementen (19) zur Verwendung in einer Anlage nach einem der Ansprüche 1 bis 4, wobei endständig jedes Sammelschienenelementes (19) eine Sammelschienenlasche (20) eingerichtet ist, und wobei der Abstand der Abstand der Sammelschienenlaschen (20) das nfache des Abstandes 1 der Abgangsträger (19) zweier benachbarter und miteinander verbundenen elektrischer Funktionsmodule (2) beträgt, wobei n = 1, 2, 3, und/oder 4."

Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag lautet:

"Elektrische Anlage (1) für den Mittelspannungsbereich mit mehreren Funktionsmodulen (2) und einem in Querrichtung der Funktionsmodule verlaufenden Sammelschienenraum (7), wobei Abgangsträger (18) für Mittelspannung verschiedener elektrischer Funktionsmodule (2) über zumindest eine Sammelschiene (8) miteinander verbunden sind, wobei jede Sammelschiene eine Mehrzahl von einstückigen Sammelschienenelementen (19) aufweist, wobei aus den Sammelschienenelementen (19) eine den Sammelschienenraum (7) durchspannende Sammelschiene (8) ausschließlich durch Verbinden von Sammelschienenlaschen (20) der Sammelschienenelemente (19) direkt an den Abgangsträgern (18) elektrischer Funktionsmodule (2) gebildet ist, wobei der Sammelschienenraum (7) in die Funktionsmodule (2) integriert ist, wobei jedes Funktionsmodul (2) einen sich quer von einer Seite zur anderen Seite des Funktionsmoduls (2) erstreckenden und endständig offenen Sammelschienenkanal (7') aufweist, undwobei der Sammelschienenkanal (7') jedes Funktionsmoduls (2) im Bereich der Abgangsträger (18) eine druckfest verschließbare Montageöffnung zur Verbindung der Sammelschienenlaschen (20) mit den Abgangsträgern (18) aufweist."

Der Erfindung liegt das technische Problem zugrunde, eine aus Funktionsmodulen zusammensetzbare elektrische Anlage zu schaffen, deren Sammelschiene weniger störanfällig ist und eine geringere Verlustleistung bei ansonsten gleicher elektrischer Auslegung aufweist (vgl Abschnitt [0005] der jeweils geltenden Beschreibung).

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

1. Einspruchsverfahren Die Entscheidungsbefugnis über den unstreitig zulässigen Einspruch liegt gemäß § 147 Abs 3 PatG bei dem hierfür zuständigen 19. Senat (Technischer Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts.

Dieser hatte - wie in der Entscheidung 19 W (pat) 701/02 (BPatGE 46, 134 mwN) ausführlich dargelegt ist - aufgrund öffentlicher mündlicher Verhandlung zu entscheiden.

Gegenstand des Verfahrens ist das erteilte Patent.

2. Patentfähigkeit Das Patent war zu widerrufen, da der Gegenstand gemäß dem geltenden Patentansprüche 1 bzw. 5 nach Hauptantrag jeweils nicht neu ist und der Gegenstand gemäß Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag auf keiner erfinderischen Tätigkeit des Fachmanns beruht.

Als zuständiger Fachmann ist hier ein Diplom-Ingenieur (FH) der elektrischen Starkstromtechnik anzusehen mit Berufserfahrungen bei der Entwicklung und dem Betrieb elektrischer Mittelspannungsanlagen.

2.1 Hauptantrag 2.1.1 Patentanspruch 1 Die DE-AS 1 167 421 betrifft ein gekapseltes Hochspannungsschaltfeld mit der "Feldteilung" entsprechenden Sammelschienenteilstücken (Sp 1 Z 1 bis 4). Da derartige Schaltfelder zu Schaltanlagen kombiniert werden und darüberhinaus unter den genormten Begriff "Hochspannung" (= Spannungen oberhalb 1kV) auch der im allgemeinen Sprachgebrauch verwendete "Mittelspannungsbereich" (1kV bis etwa 40kV) fällt, entnimmt der Fachmann dieser Druckschrift demnach eine elektrische Anlage für den Mittelspannungsbereich mit mehreren Funktionsmodulen in Gestalt des dort beschriebenen Schaltfeldes und einem in Querrichtung der Funktionsmodule verlaufenden Sammelschienenraum. Letzterer ist in Figur 2 am Beispiel eines einzigen Schaltfeldes durch einen mittels Haube oder Klappe 15 begrenzten Bereich (PA 8) erkennbar und erstreckt sich selbstverständlich bei einer Nebeneinanderanordnung mehrerer Schaltfelder zu beiden Seiten des dargestellten Schaltfeldes fort, wie es auch in Figur 1 durch die über die seitliche Feldbegrenzung hinausragenden abgebrochen dargestellten Enden der Sammelschienen 1,1a, 2, 3 dargestellt ist.

Die Isolierstoffblöcke 4,5,6 (Fig 1) bilden Abgangsträger 10,11,12,13,14 für Mittelspannung, denn sie tragen und befestigen zwei Teilstücke 1,1a der Sammelschienen (Fig 1 iVm Sp 2 Z 16 bis 19) und weisen auch eine elektrische Verbindung 13 ins Innere des jeweiligen Funktionsmoduls auf (Fig 2 iVm Sp 2 Z 28 bis 39).

Die Abgangsträger verschiedener elektrischer Funktionsmodule sind über zumindest eine Sammelschiene 1,1a miteinander verbunden (Fig 1 iVm Sp 1 Z 1 bis 5), wobei jede Sammelschiene eine Mehrzahl von einstückigen Sammelschienenelementen 1,1a aufweist - dort als "Teilstücke" bezeichnet (Fig 1 iVm Sp 1 Z 1 bis 10).

Auch dort ist aus den Sammelschienenelementen 1,1a eine den Sammelschienenraum durchspannende Sammelschiene gebildet. Denn die Sammelschienenelemente erstrecken sich - wie bereits dargelegt - in die rechts und links benachbarten Schaltfelder hinein.

Die bekannte Sammelschiene ist auch ausschließlich durch Verbinden von Sammelschienenlaschen der Sammelschienenelemente direkt an den Abgangsträgern elektrischer Funktionsmodule gebildet.

Denn direkt an dem Abgangsträger 4 sind als Laschen die abisolierten Enden der Sammelschienen 1,1a durch eine zweiteilige Klemmvorrichtung miteinander verbunden (Fig 1 und 2 iVm Sp 2 Z 28 bis 32), die zum Tragen und Befestigen der einzelnen Teilstücke dient (Sp 2 Z 16 bis 19). Dem Hinweis, daß auf jede weitere Befestigung innerhalb der Zelle verzichtet werden kann (Sp 2 Z 19 bis 21), und der Angabe (Sp 1 Z 1 bis 5), daß die Teilstücke der Sammelschiene "der Feldteilung entsprechen", entnimmt der Fachmann, daß alle Sammelschienenelemente die gleiche Länge haben und mit ihren abisolierten Ende ausschließlich an den Abgangsträgern zweier nebeneinander angeordneter Schaltfelder verbunden sind.

Die elektrische Anlage gemäß dem Patentanspruch 1 nach Hauptantrag ist demnach nicht neu.

2.1.2 Patentanspruch 5 Auch der Gegenstand gemäß Patentanspruch 5 nach Hauptantrag ist nicht neu. Denn schon aus den Ausführungen zum Patentanspruch 1 ist ersichtlich, daß die als "Teilstücke" bezeichneten Sammelschienenelemente 1, 1a, 2, 3 gemäß DE-AS 1 167 421 auch einen Sammelschienenelementesatz mit Sammelschienenelementen zur Verwendung in einer Anlage nach Anspruch 1 bilden mit abisolierten Enden als endständig jedes Sammelschienenelementes eingerichteter Sammelschienenlasche, wobei aufgrund der gleichen Länge aller Teilstücke der Abstand der Sammelschienenlaschen das 1-fache des Abstandes der Abgangsträger zweier benachbarter elektrischer Funktionsmodule beträgt.

2.2 HilfsantragÜber die mit dem Anspruch 1 nach Hauptantrag übereinstimmenden Merkmale hinaus zeigt die DE-AS 1 167 421 auch einen in die Funktionsmodule integrierten Sammelschienenraum. Denn die den Sammelschienenraum nach außen begrenzende Haube oder Klappe 15 (Fig 2) ist Bestandteil des Funktionsmoduls und begrenzt auch dessen Außenkontur.

Da die Sammelschiene durch alle einander benachbarten Funktionsmodule hindurchgeführt ist, muß selbstverständlich der Sammelschienenkanal jedes Funktionsmoduls sich auch quer von einer Seite zur anderen Seite des Funktionsmoduls erstrecken und endständig offen sein, damit die Sammelschiene durchgeführt werden kann.

Der Gegenstand gemäß Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag unterscheidet sich demnach von dem aus der DE-AS 1 167 421 bekannten dadurch, daß der Sammelschienenkanal jedes Funktionsmoduls im Bereich der Abgangsträger eine druckfest verschließbare Montageöffnung zur Verbindung der Sammelschienenlaschen mit den Abgangsträgern aufweist.

Es kann dahingestellt bleiben, ob nicht bereits die als "Klappe" (Anspr 8) bezeichnete Abdeckung für die Isolierstoffblöcke 4,5,6 als Montageöffnung angesehen werden kann, die beim Öffnen einen Zugriff ins Innere - dort also zu den Abgangsträgern - erlaubt, sodaß Montagevorgänge vorgenommen werden können. Denn elektrische Anlagen für Mittelspannung mit gasdicht verschließbaren Montageöffnungen 8 im Bereich der Verbindungsstellen von Sammelschienen-Teilstücken sind dem Fachmann zum Beispiel aus der EP 0 999 624 A1 bekannt (Fig 3 und 4 iVm Abschn [0023]). "Gasdicht" ist hier gleichbedeutend mit "druckfest", denn das Isoliergas wird regelmäßig unter einem gewissen Überdruck gehalten, um ein Eindringen und Vermischen mit Luft zu verhindern.

Für eine - wie im Mittel- und Hochspannungsbereich zur Begrenzung der Auswirkungen von Störlichtbögen üblich - druckfest gekapselte Anlage mit den genannten Merkmalen der DE-AS 1 167 421 liegt es für den Fachmann auf der Hand, anstelle der Klappe 15 im Bereich der Abgangsträger eine druckfest verschließbare Montageöffnung vorzusehen zur Verbindung der Sammelschienenlaschen mit den Abgangsträgern.

Denn erst nachdem zwei druckfest gekapselte Schaltfelder nebeneinander aufgestellt sind, können die zugehörigen Sammelschienenteilstücke montiert werden, sodaß eine entsprechende Montageöffnung vorzusehen ist: Diese muß selbstverständlich auch druckfest verschließbar sein, um die druckfeste Kapselung auch im Bereich der Sammelschienen sicherzustellen.

Solches liegt aber im Bereich fachmännischen Handelns und kann deshalb eine erfinderische Tätigkeit nicht begründen.

Die auf den Patentanspruch 1 nach Hauptantrag rückbezogenen Unteransprüche 2 bis 4 fallen mit dem Hauptanspruch, ebenso der auf den Patentanspruch 1 nach Hauptantrag rückbezogene Patentanspruch 2.

Dr. Kellerer Harrer Dr. Kaminski Dr. Scholz Pr






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