Hessischer Verwaltungsgerichtshof:
Beschluss vom 17. Oktober 1990
Aktenzeichen: 4 TE 1896/90

(Hessischer VGH: Beschluss v. 17.10.1990, Az.: 4 TE 1896/90)

Gründe

I. Der Kläger wandte sich mit seiner Klage gegen eine seinen Nachbarn, den Eheleuten P. am 17.09.1981 erteilte Genehmigung zum Neubau einer Pkw-Garage mit einer massiven Grenzmauer. Das Verwaltungsgericht hat die Eheleute P. mit Beschluß vom 28.12.1987 dem Verfahren gemäß § 65 Abs. 2 VwGO beigeladen. Mit Schriftsatz vom 31.05.1988 hat der Bevollmächtigte der Beigeladenen angezeigt, daß er diese vertrete, und einen Klageabweisungsantrag gestellt; zur Begründung hat er auf die Ausführungen in einem anderen, beim Verwaltungsgericht Gießen anhängigen Verfahren verwiesen.

Das Verwaltungsgericht hat in der mündlichen Verhandlung am 27.03.1990 auf übereinstimmenden Antrag der Beteiligten das Ruhen des Verfahrens angeordnet.

Nachdem die Beteiligten im Mai 1990 übereinstimmend das Verfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, hat das Verwaltungsgericht am 05.06.1990 beschlossen, daß nach Erledigung der Hauptsache die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen dem Kläger auferlegt werden, und zugleich den Wert des Streitgegenstandes auf 10.000,-- DM festgesetzt. In der Begründung dieses Beschlusses heißt es u. a., es entspreche nicht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen auch dem Kläger aufzuerlegen, weil diese sich mangels Antragstellung im Verfahren keinem Kostenrisiko ausgesetzt hätten. Der von den Beigeladenen schriftsätzlich gestellte Klageabweisungsantrag könne insoweit nicht als ausreichend angesehen werden, da die Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung keinen Antrag gestellt hätten.

Gegen diesen Beschluß, der den Bevollmächtigten der Beigeladenen am 15.06.1980 zugegangen ist, haben die Beigeladenen mit am 27.06.1990 beim Verwaltungsgericht eingegangenem Schriftsatz Beschwerde eingelegt, der das Verwaltungsgericht nicht abgeholfen hat.

Zur Begründung ihrer Beschwerde führen die Beigeladenen im wesentlichen aus, ihr schriftsätzlich gestellter Klageabweisungsantrag sei ausreichend gewesen und hätte auch Aussicht auf Erfolg gehabt, wie sich aus der Begründung des Erledigungsbeschlusses vom 05.06.1990 ergebe.

Die Beigeladenen beantragen sinngemäß,

den Beschluß des Verwaltungsgerichts Gießen vom 5. Juni 1990 dahingehend zu ergänzen, daß der Kläger die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen hat.

Der Kläger beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er verteidigt die angefochtene Gerichtsentscheidung. Unter Berücksichtigung des Sach- und Streitstandes entspreche es billigem Ermessen, daß die Beigeladenen ihre Kosten selber trügen.

Der Beklagte nimmt zur Sache keine Stellung und stellt auch keinen Antrag.

Die Behördenakten (3 Hefter) sind beigezogen und zum Gegenstand der Beratung gemacht worden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.

Die Beschwerde ist unzulässig.

Sie ist zwar gemäß § 147 VwGO form- und fristgerecht erhoben und erfüllt auch die allgemeine Statthaftigkeitsvoraussetzung des § 146 Abs. 1 VwGO. Auch ist die Beschwerdesumme für die Kostenbeschwerde gemäß § 146 Abs. 3 VwGO erreicht.

Die Beschwerde ist gleichwohl nicht statthaft, weil ihr Art. 2 § 8 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit vom 31.03.1978 (BGBl. I S. 446), zuletzt geändert durch Gesetz vom 04.07.1985 (BGBl. I S. 1274 - EntlG -), entgegensteht.

Nach dieser Regelung ist ein Beschluß nach § 161 Abs. 2 VwGO, also der Beschluß über die Kosten des Verfahrens nach Erledigung der Hauptsache, unanfechtbar. Dieser Rechtsmittelausschluß gilt nach Auffassung des Senats auch dann, wenn das Gericht - wie hier - im Rahmen einer Entscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO zugleich über die Erstattungsfähigkeit der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen gemäß § 162 Abs. 3 VwGO befindet (a.A.: OVG Lüneburg, Beschluß vom 29.10.1979 - 6 OVG B 21/79 - VwRspr. Bd. 31 (1980), 510 = NJW 1980, 855 (nur LS); OVG Berlin, Beschluß vom 02.06.1980 - OVGZ L 9.80 - OVGE Bd. 15, 131, und vom 10.05.1983 - OVG 2 L 6.83 - DÖV 1983, 688). Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen:

Bei Erledigungsbeschlüssen gemäß § 161 Abs. 2 VwGO hat das Gericht - außer in Fällen des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO - nach billigem Ermessen über die Kosten des Verfahrens durch Beschluß zu entscheiden und dabei den bisherigen Sach- und Streitstand zu berücksichtigen. Sind am Verfahren Beigeladene beteiligt, so schließt der Beschluß nach § 161 Abs. 2 VwGO auch die Entscheidung über die Erstattungsfähigkeit der Kosten der Beigeladenen ein; es ergeht insoweit keine selbständige Entscheidung nach § 162 Abs. 3 VwGO neben der nach § 161 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung nach § 162 Abs. 3 VwGO ist unabhängig davon, wie sie ausfällt, notwendiger Bestandteil der mit jeder Endentscheidung verbundenen Entscheidung über den Kostenpunkt. Fehlte im Falle einer Beiladung eine derartige Entscheidung über die Erstattungsfähigkeit der Kosten der Beigeladenen in einem Beschluß nach § 161 Abs. 2 VwGO, so wäre insoweit die Kostenfolge bei der Entscheidung im Sinne von § 120 VwGO übergangen (vgl. Hess. VGH, Beschluß vom 09.05.1990 - 4 TH 51/90).

Aus diesem Grunde steht auch der Wortlaut des Art. 2 § 8 EntlG der hier vertretenen Auffassung nicht etwa entgegen, wie aber das OVG Berlin in seinem Beschluß vom 02.06.1980 a.a.0. meint, sondern spricht gerade für diese Auslegung. Da Art. 2 § 8 EntlG die Beschwerde für Beschlüsse nach § 161 Abs. 2 VwGO ausschließt, in derartige Beschlüsse aber, wie ausgeführt, die Entscheidung nach § 162 Abs. 3 VwGO eingeht, bedurfte es einer zusätzlichen Erwähnung dieser Vorschrift in Art. 2 § 8 EntlG für den Rechtsmittelausschluß nicht.

Auch dem gesetzgeberischem Zweck des Entlastungsgesetzes entspricht die hier vertretene Auffassung. Ziel dieses Gesetzes war und ist es, der Überbelastung der Gerichte und der sich daraus ergebenden langen Dauer gerichtlicher Verfahren zu begegnen. Die Beschwerde gegen Kostenentscheidungen gemäß § 161 Abs. 2 VwGO, die sonst nach § 146 VwGO gegeben wäre, sofern der Beschwerdewert 100,-- DM übersteigt, wurde mit dem Entlastungsgesetz ausgeschlossen, um zu verhindern, daß sich die 2. Instanz allein wegen der Kosten mit den Tat- und Rechtsfragen der Hauptsache befassen muß (vgl. Begründung der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit vom 22.08.1977, Bundestagsdrucksache 8/842, S. 1; BVerwG, Beschluß vom 03.11.1981, DÖV 1982, 161). Diesem Gesetzeszweck aber würde zuwiderlaufen, wenn einerseits die Entscheidung über die Erstattungsfähigkeit der Beigeladenenkosten mit der Beschwerde angreifbar wäre, während andererseits eine Beschwerde gegen die Entscheidung über die Kostenlast für die Hauptparteien (Kläger und Beklagter bzw. Antragsteller und Antragsgegner) nicht zulässig ist. Von beiden Entscheidungen sind die Hauptparteien und die Beigeladenen jeweils gleichermaßen betroffen. Anhaltspunkte dafür, daß der Kostenentscheidung für die Beigeladenen vom Gesetzgeber eine größere Bedeutung beigemessen wurde als der für die Hauptparteien und aus diesem Grunde eine Beschwerdemöglichkeit für die Beigeladenen bestehen müßte, sind nicht ersichtlich. Die in diesem Zusammenhang stehende Überlegung des OVG Lüneburg a.a.O. wonach eine Differenzierung hinsichtlich der Zulässigkeit von Beschwerden sich daraus rechtfertigen könnte, daß dem Gesetzgeber des Entlastungsgesetzes eine Beschwerdeentscheidung in den Fällen des § 162 Abs. 3 VwGO "weniger diffizil und deswegen einem Beschleunigungseffekt nicht entgegenstehend erschien", vermag nicht zu überzeugen. Sie findet in den Gesetzesmaterialien keine Stütze (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs für das Entlastungsgesetz <a.a.O.> S. 13, vgl. Beschlußempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses des Dt. Bundestags zum Entlastungsgesetz vom 16.02.1978, Bundestagsdrucksache 8/1530).

In der Sache wäre eine Sonderbehandlung der Entscheidung nach § 162 Abs. 3 im Rahmen einer Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO allenfalls dann verständlich und angebracht, wenn sich der Maßstab für den Inhalt der Entscheidung des Gerichts nach § 161 Abs. 2 VwGO hinsichtlich der Kostenentscheidung für Kläger und Beklagten oder Antragsteller und Antragsgegner einerseits und der Maßstab für die Entscheidung über die Erstattungsfähigkeit der Beigeladenenkosten nach § 162 Abs. 3 VwGO andererseits charakteristisch unterschiede. Dies ist jedoch häufig nicht der Fall. Gemäß beiden Vorschriften ist nach billigem Ermessen zu entscheiden. Dabei ist im Falle der Entscheidung über die Kostenlast für die Hauptparteien vor allem von Bedeutung, welche Partei im Verfahren voraussichtlich obsiegt hätte und welche Partei unterlegen wäre, aber auch z. B., ob das erledigende Ereignis auf den Willensentschluß eines Beteiligten zurückzuführen ist. Die Entscheidung über die Kosten der Beigeladenen im Rahmen einer Kostenentscheidung nach Erledigung der Hauptsache kann nicht losgelöst vom Ausfall der Kostenentscheidung im Verhältnis der Hauptparteien erfolgen. Maßstab für die Erstattungsfähigkeit der Kosten der Beigeladenen nach Billigkeit ist nicht nur, ob die Beigeladenen einen Antrag gestellt und am Kostenrisiko teilgenommen und sonst das Verfahren gefördert haben, sondern in vielen Fällen auch, auf wessen Seite die Beigeladenen im Verfahren gestanden und ob sie selbst eine rechtmäßige oder rechtswidrige Position verteidigt und etwa durch eigenes Verhalten das Verfahren mitveranlaßt haben. Diese Gesichtspunkte sind im Falle der Entscheidung nach § 161 Abs. 2 VwGO mit dem nach dem Entlastungsgesetz nicht beschwerdefähigen Teil der Kostenentscheidung verflochten.

Aus alledem folgt, daß die Beschwerde nicht statthaft ist.

Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Außergerichtliche Kosten des Beklagten im Beschwerdeverfahren sind nicht ersichtlich und wären auch nicht zu erstatten, weil der Beklagte nicht Beschwerdegegner ist.

Die Festsetzung des Beschwerdewerts ergibt sich aus §§ 13 Abs. 1 Satz 1, 25 GKG. Sie richtet sich nach der Bedeutung der Sache für die Beschwerdeführer. Unter Zugrundelegung des vom Verwaltungsgericht Gießen festgesetzten Streitwert von 10.000,-- DM sind folgende außergerichtliche Kosten der Beigeladenen entstanden, die vom Kläger hätten ersetzt werden sollen: Eine Prozeßgebühr (§§ 11, 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO) = 539,-- DM eine Verhandlungsgebühr (§§ 11, 31 Nr. 2 BRAGO) = 539,-- DM Postgebühren (§ 26 BRAGO) = 40,-- DM Umsatzsteuer (14 % <;§ 25 As. 2 BRAGO>) = 157,-- DM Dies ergibt einen Beschwerdewert von 1.275 DM.

Hinweis: Dieser Beschluß ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 25 Abs. 2 Satz 2 GKG).






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