Oberlandesgericht Hamm:
Urteil vom 26. Oktober 2000
Aktenzeichen: 4 U 112/00

(OLG Hamm: Urteil v. 26.10.2000, Az.: 4 U 112/00)

Tenor

Die Berufung der Antragstellerin gegen das am 18. Juli 2000 verkündete Urteil der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Detmold wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten der Berufung.

Tatbestand

Der Antragsgegner ist Arzt für Allgemeinmedizin. Er betreibt in L eine Arztpraxis. Im Rahmen seines Praxisbetriebes nimmt er von seinen Patienten nicht benötigte Arzneimittel, wenn sie ungeöffnet sind, wieder zurück und gibt sie kostenlos an andere Patienten weiter.

Die Antragstellerin sieht in dieser Verfahrensweise einen Verstoß gegen § 43 AMG, weil Arzneimittel für den Endverbrauch nach dieser Vorschrift nur in Apotheken abgegeben werden dürften. Da es sich bei § 43 AMG um eine wertbezogene Norm zur Gewährleistung der Arzneimittelsicherheit handele, die damit dem Schutz der Volksgesundheit diene, handele der Antragsgegner auch wettbewerbswidrig.

Das Landgericht hat durch Urteil vom 18. Juli 2000 das Begehren der Antragstellerin, dem Antragsgegner die Arzneimittelrücknahme und €weitergabe zu verbieten, als unbegründet zurückgewiesen. Das beanstandete Verhalten könne nicht mit wettbewerbsrechtlichen Maßstäben gemessen werden.

Gegen dieses Urteil hat die Antragstellerin form- und fristgerecht Berufung eingelegt, mit der sie ihr Verbotsbegehren aus erster Instanz weiter verfolgt.

Unter Ergänzung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrages ist die Antragstellerin der Ansicht, daß der Antagsgegner sehr wohl zu Wettbewerbszwecken handele, wenn er die nicht benötigten Arzneimittel an seine Patienten weitergebe. Denn diese Verfahrensweise sei geeignet, dem Antragsgegner Patienten zuzuführen, die hofften, auf diese Weise ihre Selbstbeteiligung bei den benötigten Arzneimitteln zu sparen. Darüber hinaus verschaffe sich der Antragsgegner Vorteile im Zusammenhang mit der Budgetierung der Arzneimittel für die ärztliche Verschreibungspraxis.

Auch das Wettbewerbsverhältnis zu den Apotheken sei betroffen, weil heutzutage etwa bei Blutdruck- und Blutzuckermessungen auch insoweit Überschneidungen im Leistungsangebot bestünden. Dann bestehe aber die Vermutung, daß der Antragsgegner mit der Abgabe der Medikamente auch bezwecke, sich dadurch in der Gunst der Patienten einen Vorteil zu verschaffen.

Die Antragstellerin beantragt,

in Abänderung des angefochtenen Urteils dem Antragsgegner bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 500.000,00 DM, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft von bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfalle von bis zu 2 Jahren, zu untersagen, im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken nicht benötigte Arzneimittel zurückzunehmen und diese an andere Patienten kostenlos weiterzugeben.

Der Antragsgegner beantragt,

die gegnerische Berufung zurückzuweisen.

Unter Ergänzung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrages ist der Antragsgegner der Ansicht, daß es schon am Verfügungsgrund fehle. Denn über die beanstandete Verfahrensweise werde schon seit Ende 1999 in den Zeitungen ausführlich berichtet. Es erscheine unglaubhaft, wenn die Antragstellerin gleichwohl erst Ende Mai 2000 von der beanstandeten Verfahrensweise erfahren haben wolle.

Darüber hinaus fehle der Antragstellerin auch die Klagebefugnis. Denn sie habe nicht dargetan, daß ihr im Raum L eine repräsentative Anzahl von Ärzten und Apothekern als Mitglieder angehöre.

Er verstoße auch nicht gegen § 43 AMG. Denn die von ihm praktizierte kostenlose Weitergabe nicht gebrauchter Arzneimittel stelle keine Abgabe im Einzelhandel dar, die § 43 AMG allein unterbinden wolle. Schließlich handele er auch nicht zu Zwecken des Wettbewerbs, was nach § 1 UWG Voraussetzung für ein Verbot sei. Denn er verbessere durch die kostenlose Arzneimittelabgabe seine Stellung im Wettbewerb nicht. Eine solche Arzneimittelabgabe sei ebenso üblich wie die Abgabe von Ärztemustern.

Vor allem stelle er sich nur in den Dienst der Allgemeinheit, um gegen die Vernichtung volkswirtschaftlich wertvoller Güter anzugehen. Es liege im allgemeinen Interesse, daß nicht benötigte Arzneimittel, statt sie kostenaufwendig zu entsorgen, an Patienten weitergegeben würden, die solche Arzneimittel angesichts der Budgetierung und des Eigenanteils sonst unter Umständen nicht bekommen könnten.

Gründe

Die Berufung der Antragstellerin ist unbegründet.

Die Klagebefugnis der Antragstellerin ist allerdings nach § 13 Abs. 2 Ziff. 2 UWG gegeben. Die Antragstellerin hat glaubhaft gemacht, daß ihr die Ärztekammer N und verschiedene Apothekerkammern als Mitglieder angehören, die der Antragstellerin wiederum ihre Mitglieder vermitteln. Eine solche mittelbare Mitgliedschaft einer repräsentativen Anzahl von Ärzten und Apothekern reicht zur Begründung der Klagebefugnis nach § 13 Abs. 2 Ziff. 2 UWG aus (Speckmann, Wettbewerbsrecht, 3. Aufl., Rdz. 156 m. w. N.).

Von einem Verfügungsgrund zugunsten der Antragstellerin ist ebenfalls auszugehen. Die Dringlichkeitsvermutung des § 25 UWG kann nicht als widerlegt angesehen werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist diese Vermutung zwar dann widerlegt, wenn der Gläubiger mehr als einen Monat seit Kenntnis vom Verstoß mit der Beantragung einstweiligen Rechtsschutzes zugewartet hat. Davon kann hier aber nicht ausgegangen werden. Denn die Antragstellerin hat sich unwiderlegt dahin eingelassen, erst Ende Mai von der beanstandeten Verfahrensweise des Antragsgegners erfahren zu haben. Innerhalb eines Monats, nämlich am 27. Juni 2000, hat die Antragstellerin die einstweilige Verfügung dann beantragt.

Soweit der Antragsgegner darauf hinweist, daß in der Presse schon seit Ende 1999 über seine beanstandete Arzneimittelabgabe berichtet worden sei, kann allein daraus noch nicht zwingend geschlossen werden, daß diese Abgabepraxis auch der Antragstellerin zur Kenntnis gelangt sein muß.

Das Verbotsbegehren scheitert aber, wie es das Landgericht bereits ausgesprochen hat, am Verfügungsanspruch.

Als Anspruchsgrundlage für das begehrte Verbot kommt nur § 1 UWG i. V. m. § 43 AMG in Betracht. Nach dieser Vorschrift ist Voraussetzung für ein Verbot € unabhängig davon, ob ein Verstoß gegen § 43 AMG vorliegt oder nicht -, daß überhaupt ein Handeln im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs vorliegt. Fehlt es bereits an einem wettbewerbsrelevanten Verhalten, braucht der Senat bei der Prüfung des § 1 UWG nicht mehr der Frage nachzugehen, ob das beanstandete Verhalten gegen außerwettbewerbsrechtliche Normen wie hier das AMG verstößt und damit auch mit den guten Sitten im Wettbewerb nicht mehr vereinbar ist.

So liegt der Fall hier. Denn die beanstandete Arzneimittelabgabe durch den Antragsgegner liegt außerhalb des wettbewerbsmäßigen Verhaltens im Sinne des § 1 UWG und kann damit auch nicht an den Regeln des lauteren Wettbewerbs gemessen werden.

Ein solches wettbewerbsmäßiges Verhalten im Sinne des § 1 UWG liegt nur dann vor, wenn der in Anspruch genommene Störer damit objektiv seinen Wettbewerb fördert und er dies in subjektiver Hinsicht auch beabsichtigt (Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 21. Aufl., Einleitung UWG Rdz. 215, 232 jeweils m. w. N.). Dabei gilt auch für Ärzte, daß sie sich bei der Art und Weise, wie sie ihre Praxis führen, an den Regeln des lauteren Wettbewerbs messen lassen müssen, auch wenn sie einen freien Beruf ausüben. Denn das Wettbewerbsrecht will jede Art wirtschaftlicher Betätigung erfassen, auch wenn die Gewinnerzielung dabei nicht im Vordergrund steht (Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche, 7. Aufl., Kap. 13 Rdz. 7 m. w. N.).

Es kann vorliegend noch davon ausgegangen werden, daß die beanstandete Arzneimittelabgabe objektiv geeignet ist, die Stellung des Antragsgegners in wettbewerbsmäßiger Hinsicht zu fördern. Insoweit besteht hier nicht nur ein Wettbewerbsverhältnis zu den übrigen Ärzten, sondern auch zu den Apothekern. Denn durch die kostenlose Abgabe der Medikamente tritt der Antragsgegner gleichfalls zu den Apothekern in Wettbewerb, indem er dadurch deren Absatz behindert. Daß er mit der Medikamentenabgabe nicht selbst Geld verdienen will, ist unerheblich. Es reicht insoweit aus, daß er dadurch seinen Absatz an ärztlichen Dienstleistungen fördern kann (sogenanntes adhoc-Wettbewerbsverhältnis, vgl. dazu Speckman a.a.O., Rdz. 75 ff.; Baumbach/Hefermehl, a.a.O., Einleitung UWG Rdz. 228 ff.). Denn bei den Patienten kann eine Behandlung gerade durch den Antragsgegner dadurch an Attraktivität gewinnen, daß sie unter Umständen mit einer kostenlosen Arzneimittelabgabe durch den Antragsgegner rechnen können, was für sie vorteilhaft sein kann, etwa wegen des ersparten Eigenanteils oder der fehlenden Bindung des Antragsgegners an die Budgetierung. Objektiv gesehen kann damit dem beanstandeten Verhalten des Antragsgegners eine wettbewerbliche Bedeutung nicht von vornherein abgesprochen werden.

Es fehlt aber, um das Verhalten des Antragsgegners an § 1 UWG messen zu können, in subjektiver Hinsicht an der glaubhaft gemachten Absicht eines Handelns zu Zwecken des Wettbewerbs. Die Antragstellerin hat nicht glaubhaft gemacht, daß es dem Antragsgegner bei der Arzneimittelabgabe zumindest auch darauf ankommt, dadurch seine Patienten enger an sich zu binden. Die Antragstellerin stellt insoweit nur auf die Tatsache als solche ab, daß der Antragsgegner nicht mehr benötigte Arzneimittel an seine Patienten weitergibt. Weitere Indizien, die auf eine Wettbewerbsabsicht schließen lassen könnten, hat die Antragstellerin nicht vorgetragen.

Aus der Arzneimittelabgabe allein läßt sich noch nicht auf eine entsprechende Wettbewerbsabsicht schließen. Bei typischem Wettbewerbsverhalten spricht zwar regelmäßig eine Vermutung dafür, daß dieses Verhalten dann auch in Wettbewerbsabsicht geschieht, etwa wenn ein Apotheker beim Arzneimittelkauf kostenlose Zugaben gibt (Baumbach/Hefermehl, a.a.O., Einleitung UWG Rdz. 235).

Hier besteht aber eine besondere Situation, die eine solche Vermutung nicht eingreifen läßt. Bei dem beanstandeten Verhalten handelt es sich nicht um ein typisches Wettbewerbsverhalten eines Arztes. Wie sich auch aus den überreichten Zeitungsartikeln ergibt, will der Antragsgegner mit seinem Verhalten gegen die Arzneimittelverschwendung protestieren, so daß hier die Meinungsfreiheit nach Art. 5 GG berührt ist und deshalb die Wettbewerbsabsicht des Antragsgegners besonders festgestellt werden muß (BGH GRUR 1981, 658 € Preisvergleich; GRUR 1997, 761 € Politikerschelte; Speckmann a.a.O., Rdz. 83; Baumbach/Hefermehl a.a.O., Einführung UWG Rdz. 236 a; Köhler/Piper, UWG, Einführung Rdz. 168 ff.). Die Gesamtumstände lassen es hier auch nicht zu, diesen Beweggrund des Antragsgegners für seine Arzneimittelweitergabe als bloße Schutzbehauptung abtun zu können. Vielmehr erscheint es durchaus plausibel, daß der Antragsgegner damit lediglich einen besonders wirksamen Weg hat wählen wollen, um auch seinen Patienten das Problem der Arzneimittelverschwendung nahe zu bringen. Die Entscheidung darüber, ob der Antragsgegner damit einen zulässigen Weg des Protestes gewählt hat, liegt außerhalb des Wettbewerbsrechts und damit der Kompetenz des Senats.

Kann hier mithin nicht von einer Vermutung einer Wettbewerbsabsicht des Antragsgegners ausgegangen werden, bleibt es bei der allgemeinen Beweislastverteilung, daß die Antragstellerin als Gläubigerin auch das Vorliegen einer Wettbewerbsabsicht des Antragsgegners als Tatbestandsvoraussetzung für das begehrte Verbot glaubhaft machen muß. Da ihr diese Glaubhaftmachung nicht gelungen ist, muß das Verbotsbegehren wegen fehlender Wettbewerbsabsicht des Antragsgegners als unbegründet zurückgewiesen werden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 710 ZPO.






OLG Hamm:
Urteil v. 26.10.2000
Az: 4 U 112/00


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