Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg:
Urteil vom 6. Oktober 2011
Aktenzeichen: 18 C 128/11

(AG Tempelhof-Kreuzberg: Urteil v. 06.10.2011, Az.: 18 C 128/11)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

4. Eine Berufung gegen das Urteil wird zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin nimmt den Beklagten aus abgetretenem Recht auf Bezahlung von Telekommunikationsdienstleistungen in Anspruch.

Der Beklagte hat von seinem Telefonanschluss aus durch die wiederholte Anwahl bestimmter Rufnummern im Internet-by-Call-Verfahren zwischen dem 29.05.2008 und dem 16.07.2008 kostenpflichtige Internetverbindungen benutzt, wodurch ein Vergütungsanspruch der Betreiberin dieser Rufnummern in Höhe von 226,26 € geltend gemacht wird. Dieser Anspruch ist im Wege der Abtretung auf die Klägerin übergegangen.

Zur Durchsetzung der ihr vermeintlich zustehenden Ansprüche beauftragte die Klägerin nach mehrfacher Mahnung des Beklagten, für die sie Mahnkosten in Höhe von 18,50 € geltend macht, einen Rechtsanwalt mit der außergerichtlichen Geltendmachung der Forderung, wodurch ihr Kosten in Höhe von 39,00 EUR entstanden. Im Übrigen veranlasste sie eine Bonitätsprüfung des Beklagten, für die Kosten in Höhe von 0,65 € anfielen.

Die Klägerin ist der Ansicht, auch der Fall der Abtretung sei von § 97 Abs.1 8.3 TKG erfasst, so dass kein Verstoß gegen das Fernmeldegeheimnis vorliege. Des weiteren sei die Erhöhung des Tarifes von 0,27 Cent pro Minute auf 4,99 Cent pro Minute nicht zu beanstanden. Es entspreche gerade dem Wesen des Internet-by-Call-Verfahrens, dass Tarifänderungen zulässig und branchenüblich seien. Der Benutzer habe somit bei entsprechender Marktbeobachtung die Möglichkeit, das Internet extrem kostengünstig zu nutzen. Insbesondere habe der Beklagte nicht darauf vertrauen dürfen, dass ein einmal gültiger Tarif zu den Konditionen dauerhaft Bestand haben werde. Vielmehr war vom Beklagten zu erwarten, dass er sich regelmäßig über die aktuellen Tarife informiere.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 226,26 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 183,30 € und 42,96 € seit dem 10.08.08 und 11.09.08 sowie 18,50 € Mahnkosten, 39,00 € außergerichtliche Anwaltskosten und Auskunftskosten in Höhe von 0,65 € zu bezahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen

Er ist der Auffassung, der von ihm mit der Firma a... Internet GmbH abgeschlossene Vertrag sei nichtig. Die Firma biete scheinbar günstige Internettarife auf Basis von Minutenpreisen an. Das Geschäftsmodell bestehe darin, häufige, unangekündigte und in der Sache unbegründete Erhöhungen der Preise in den einzelnen Tarifen durchzuführen, während zeitgleich unter einer anderen Einwahlnummer ein neuer Tarif mit gleichem oder ähnlichem Minutenpreis angeboten werde. Da die Internetverbindungen in der Regel nur wenige Minuten genutzt würden, gelangten die Nutzer dieser Verbindungen häufig in die Falle dieser plötzlichen Preiserhöhungen. Die Preise würden dabei nicht selten um bis auf das 15 - fache erhöht, im streitgegenständlichen Fall von 0,27 Cent pro Minute auf 4,90 Cent pro Minute.

Der Beklagte bestreitet weiter, mit der Firma V... Deutschland GmbH jemals Geschäftsbeziehungen aufgenommen zu haben.

Schließlich trägt der Beklagte vor, er habe vor jeder Einwahl die Gültigkeit der Tarife per Aufruf der Tarifinformation auf der Website der V... GmbH im Internet überprüft. Somit habe er von der Gültigkeit des Angebots ausgehen dürfen und deshalb die Internetverbindung zum Preis von 0,27 Cent pro Minute genutzt. Damit schulde er der Klägerin insgesamt ein Entgelt in Höhe von 18,25 €, welches er der Klägerin am 29.8.2008 überwiesen habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze der Parteien sowie der von ihnen eingereichten Urkunden Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob die vorgenommenen Tarifänderungen zu Recht erfolgten und deshalb vom Beklagten das von der Klägerin geforderte Entgelt geschuldet ist oder ob die Forderung bereits durch die erfolgte Zahlung des Beklagten erloschen ist. Denn jedenfalls ist die Klägerin nicht Inhaberin der streitgegenständlichen Forderungen geworden, da die erfolgte Abtretung der Forderungen wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot gem. § 134 BGB nichtig ist.

Gem. § 402 BGB ist der Zedent einer Forderung dazu verpflichtet, dem Zessionar die zur Geltendmachung der Forderung nötigen Auskünfte zu erteilen. In Fällen, in denen diese Auskunftspflicht mit einer gesetzlichen Pflicht des Zedenten zur Geheimniswahrung kollidiert, ist gem. § 134 BGB die Nichtigkeit der Abtretung die Folge, sofern keine Zustimmung desjenigen vorliegt, in dessen Interesse die Geheimhaltung liegt. Dies ist höchstrichterlich anerkannt für Honorarforderungen von Rechtsanwälten (BGH NJW 1995, 2915) und Arzten (BGH NJW 1991, 737),

Ein solcher Fall ist hier bei der Abtretung von Forderungen aus Telekommunikationsverträgen gegeben. Die Anbieter von Telekommunikationsdiensten sind gem. § 85 II TKG aF (§ 88 II TKG nF) zur Wal1rung des - mit § 206 StGB für sie strafbewehrten - Fernmeldegeheimnisses verpflichtet. Dem Fernmeldegeheimnis unterliegen nicht nur der Inhalt der Telekommunikation, sondern auch dessen nähere Umstände (§ 85 I TKG aF/§ 88 I TKG nF), insbesondere die Verkehrsdaten einer Telekommunikation, also u.a. Nummer und Kennung der beteiligten Anschlüsse, Beginn und Ende der jeweiligen Verbindung nach Datum und Uhrzeit und der vom Nutzer in Anspruch genommene Telekommunikationsdienst (§ 61 Nr. 1-3 TDSV/§ 96 I Nr. 1-3 TKG nF). Dabei handelt es sich um eben jene Daten, die zur Erstellung einer detaillierten Rechnung und damit zur Geltendmachung von Forderungen aus Telekommunikationsverträgen erforderlich sind, auf die sich der - vorliegend nicht vertraglich ausgeschlossene Auskunftsanspruch aus § 402 BGB also erstreckt, Damit ist eine zu einem Verstoß gegen § 206 StGB und damit zum Eingreifen des § 134 BGB führende Kollisionslage mangels Entbindung des Diensteanbieters von seiner Geheimhaltungspflicht durch den Beklagten grundsätzlich gegeben.

Entgegen der Auffassung der K1ägerin führt auch die Regelung des § 7 I 2 TDSV aF/§97 I 3 TKG nF nicht dazu, dass der Diensteanbieter als originärer Forderungsinhaber für den konkret vorliegenden Fall von seiner Geheimhaltungspflicht entbunden wäre.

Gem. § 7 I 2 TDSV aF/§ 97 I 3 TGK nF darf der Dienstanbieter, wenn er mit einem Dritten einen Vertrag über den Einzug des Entgelts für erbrachte Telekommunikationsdienstleistungen geschlossen hat, die zur ordnungsgemäßen Ermittlung und Abrechnung der Entgelte erforderlichen Daten übermitteln.

Damit ist dem Diensteanbieter jedenfalls die Weitergabe der iSd Norm "erforderlichen" Daten an einen zur Einziehung der Forderung ermächtigten Dritten erlaubt.

Den hier streitgegenständlichen Fall einer Forderungsabtretung zur Einziehung durch den Dritten als eigene erfasst § 7 I 2 TDSV aF/§ 97 I 3 TKG nF entgegen der anderslautenden, nicht weiter begründeten Literaturmeinung (Fetzer, in: Arndt/Fetzer/Scherer, TKG-Kommentar, 1. Auflage, § 97 Rn. 5; Säcker, Berliner Kommentar zum TKG, 1. Auflage, § 97 Rn. 5; Königshofen/Ulmer, Datenschutzhandbuch Telekommunikation, S. 72 Rn. 6) dagegen nicht.

Schon der Wortlaut der Norm. die von Verträgen "über den Einzug des Entgelts" spricht, legt nahe, dass § 7 I 2 TDSV aF/§ 97 I 3 TKG nF nur Hilfstätigkeiten des Dritten für den Dienstebetreiber, also konkret die Einziehung von Forderungen des Dienstebetreibers auf dessen Rechnung durch einen einzugsermächtigten Dritten meint. Gestützt wird diese Auslegung durch die Begründung des Referentenentwurfs zum damaligen § 16 II Nr. 6 TKG (jetzt 21 II Nr. 7 TKG). Dort findet sich ein Hinweis auf den "ersten Einzug von Zahlungen". In der Begründung heißt es in Absatz 15 zu § 16 E- TKG, dies beziehe sich ausdrücklich nur auf die Fakturierung. Ob darüber hinaus auch das Inkasso eine wesentliche Leistung iSd § 16 E-TKG darstelle, solle die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post überprüfen. Hieraus ergibt sich. dass der Begriff "Einzug des Entgelts" allein Hilfstätigkeiten für den jeweiligen Diensteanbieter erfasst, nicht aber die Abtretung der Forderung zur Geltendmachung im eigenen Namen und auf eigene Rechnung (so auch AG Hamburg-Altona, MMR 2006, 834, 835).

Demgegenüber ist den einschlägigen Gesetzesmaterialien kein ausdrücklicher Ausschluss der Abtretung im Rahmen des § 7 I 2 TDSV aF/§ 97 I 3 TKG nF zu entnehmen (anders AG Hamburg-Altona a.a.O.). Der von der Klägerin in Bezug genommene Passus aus der Begründung zu § 7 I TDSV, wonach "die Regelung ( ... ) für den Diensteanbieter kein eigenständiges Recht, die Forderung an das Inkassounternehmen mit der Folge abzutreten, dass dieses die Forderung gegenüber dem Kunden unmittelbar als eigene Forderung geltend machen kann, [begründet]" (Abs. 1 S. 4 der Begründung zum Verordnungsentwurf, abgedruckt in Königshofen/Ulmer, Datenschutz-Handbuch Telekommunikation, S. 70), legt vielmehr nahe, dass der damalige Verordnungsgeber die Abtretung grundsätzlich als von § 7 I 2 TDSV erfasst sah, soweit sie nach den Vorschriften des BGB (daher die Einschränkung .kein eigenständiges Recht") möglich wäre.

Da literarische und historische Auslegung zu keinem eindeutigen Ergebnis führen, ist als ausschlaggebend der Sinn und Zweck der Norm heranzuziehen, der vorliegend einen Ausschluss der Abtretung im Rahmen des § 7 I 2 TDSV aF/97 I 3 TKG nF verlangt. Dieses Ergebnis gründet sich auf folgende Erwägungen:

Bei der in § 85 TKG aF/§ 88 TKG nF statuierten Geheimniswahrungspflicht des Dienstebetreibers handelt es sich um eine einfachgesetzliche Konkretisierung des Fernmeldegeheimnisses aus Art. 10 I GG im Verhältnis zwischen Privaten. Ausnahmen von dieser Geheimniswahrungspflicht sind mittelbare Grundrechtseingriffe, die einer Rechtfertigung bedürfen.

Die Ausnahmevorschrift des § 7 I 2 IDSV aF/§ 97 I 3 TKG nF. der die Weitergabe von Verkehrsdaten erlaubt, soweit sie zur Einziehung der Entgeltforderungen durch Dritte erforderlich ist, rechtfertigt sich mit der Überlegung, dass das Eintreiben von Telekommunikationsentgelten häufig kostenintensiv ist und das Kerngeschäft der Diensteanbieter, nämlich Telekommunikationsdienstleistungen zu erbringen, behindert (Büttgen, in: Scheurle/Mayen, TKG-Kommentar, 2. Auflage, § 97 Rn. I I). Es besteht ein schützenswertes Interesse der Telekommunikationsdienstfeister daran, das Geschäft des Forderungseinzugs einem Dritten übertragen. Soweit die Weitergabe der Daten hierfür erforderlich ist, ist sie auch gerechtfertigt.

Diesem Interesse ist aber bereits durch das - unstreitig gem. § 7 I 2 TDSV aF/§ 97 I 3 TKG nF zulässige - Einziehungsinkasso ohne eine gleichzeitige Abtretung der Forderung Genüge getan. Eine Abtretung von Kundenforderungen ist vor diesem Hintergrund grundsätzlich nicht erforderlich und wäre damit nur dann rechtfertigbar, wenn sie keinen stärkeren Eingriff in das Fernmeldegeheimnis als die bloße Einziehungsermächtigung eines Dritten darstellen würde. Dies ist jedoch nicht der Fall.

Denn bei der Abtretung wird die Forderung, anders als bei der bloßen Einziehungsermächtigung, vollständig von der Person, in der sie entstanden ist, abgelöst, und zu einem weitgehend frei zirkulierenden und unbegrenzt oft weiter zu veräußernden Wirtschaftsgut. ließe man die Abtretung im Rahmen des § 7 I 2 TDSV aF/§ 97 I 3 TKG nF zu, so könnte es zu theoretisch unendlich langen Abtretungsketten kommen, bei denen jeder einzelne Veräußerungstatbestand für sich die Auskunftspflicht nach § 402 BGB auslösen und damit einen erneuten Eingriff in das Fernmeldegeheimnis darstellen würde. Das Resultat wäre eine Perpetuierung der Grundrechtsbeeinträchtigung des Kunden, die mangels Erforderlichkeit nicht zu rechtfertigen wäre.

Auch die Regelung des § 7 I 2 TDSV aF/§ 97 I 4 TKG nF, wonach der mit der Einziehung beauftragte Dritte vom Diensteanbieter vertraglich zur Wahrung des Fernmeldegeheimnisses und des Datenschutzes zu verpflichten ist, führt zu keiner anderen Bewertung. Durch diese Regelung wird flur sichergestellt, dass der Dritte mit den erhaltenen Daten den gesetzlichen Vorgaben entsprechend umgeht; dies ändert aber nichts daran, dass die Weitergabe der Daten selbst bereits einen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff in das Fernmeldegeheimnis des Kunden darstellt.

Obwohl § 206 StGB als echtes Sonderdelikt nur den zur Wahrung des fremden Geheimnisses Verpflichteten betrifft und damit iRd § 134 BGB nur ein einseitiges Verbotsgesetz darstellt, führt auch der Verstoß gegen ein solches einseitiges Verbotsgesetz ausnahmsweise zur Unwirksamkeit eines gleichwohl abgeschlossenen Rechtsgeschäfts, wenn es mit dem Zweck des Verbotsgesetzes unvereinbar wäre, die durch das Rechtsgeschäft getroffene rechtliche Regelung hinzunehmen und bestehen zu lassen (vgl. BGH NJW 1991, 737, 739). Da die Belassung der Forderung bei der Klägerin nach dem oben Gesagten die Gefahr einer Perpetuierung der Grundrechtsbeeinträchtigung des Beklagten begründen würde, führt der Verstoß im vorliegenden Fall ausnahmsweise zur Nichtigkeit der Abtretung.

Mangels einer zugrunde liegenden Forderung bestehen damit auch keinerlei Nebenansprüche.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Absatz 1 Satz 1 ZPO; die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11,711 ZPO.

Eine Berufung war zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts sowie die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordern (§ 511 Abs. 4 Nr.1 ZPO).






AG Tempelhof-Kreuzberg:
Urteil v. 06.10.2011
Az: 18 C 128/11


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