Bundespatentgericht:
Urteil vom 4. November 2004
Aktenzeichen: 2 Ni 35/03

(BPatG: Urteil v. 04.11.2004, Az.: 2 Ni 35/03)

Tenor

1. Das europäische Patent 0 789 635 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland im Umfang der Patentansprüche 1 bis 7 für nichtig erklärt.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist für die Kläger hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 6. September 1995 unter der internationalen Anmeldenummer PCT/CH95/00196 unter Inanspruchnahme der Prioritäten der Schweizer Patentanmeldungen CH 271994 vom 6. September 1994 und CH 130295 vom 5. Mai 1995 angemeldeten europäischen Patents 0 789 635 (Streitpatent), dessen Erteilung auch mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland am 11. August 1999 veröffentlicht worden ist.

Das in der Verfahrenssprache deutsch veröffentlichte Patent, das beim Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer DE 59 506 604 geführt wird, betrifft ein "Verfahren und Vorrichtung zum Entfernen von Staubpartikeln von einer relativ bewegten Materialbahn". Es umfasst 13 Ansprüche, wovon die nebengeordneten Ansprüche 1 (Verfahrensanspruch) und 4 (Vorrichtungsanspruch) entsprechend der europäischen Patentschrift EP 0 789 635 B1 folgenden Wortlaut besitzen:

1. Verfahren zum Entfernen von Staubpartikeln (S) von einer relativ bewegten, insbesondere stabilen Materialoberfläche (1; 71) mit einer berührungsfrei arbeitenden Entstaubungsvorrichtung, dadurch gekennzeichnet, dass ein geerdeter, der Materialbahnoberfläche (1; 71) zugewandter Potentialflächenbereich (6, 33; 54a, 54b) einer Einblaseinheit (3a, 3b; 53) der Entstaubungseinrichtung in einem Abstand (d; d/53) zur Materialbahnoberfläche (1; 71) angeordnet wird, die Geschwindigkeit und der Druck (p) zwischen einem jeweils zu entstaubenden Materialbahnoberflächenbereich und der Potentialfläche (6, 33; 54a, 54b) des aus der Einblaseinheit (3a, 3b; 53) austretenden Gasstroms (G) derart eingestellt werden, dass die dem Produkt aus Druck, (p) und Abstand (d; d/53) gemäss dem Gesetz von Paschen zugeordnete kritische Spannung (U/krit) unter der elektrostatischen Spannung (E) der Staubpartikel (S) auf der Materialbahnoberfläche (1; 71) liegt, damit deren Neutralisation erfolgt und somit eine Ueberwindung der Haltekräfte (E/W) der Staubpartikel auf der Materialbahnoberfläche gegeben ist und diese (S) ohne eine elektrische Energie benötigende Ionisationseinheit, lediglich durch den Gasstrom (G) aufgenommen und von wenigstens einer Absaugeinheit (7a, 7b; 65) abgesaugt werden.

4. Entstaubungsvorrichtung zur Durchführung des Verfahrens nach einem der Ansprüche 1 bis 3 mit einer mit einer Versorgungseinheit (13; 57) verbundenen Einblaseinheit (3a, 3b; 53) sowie einer Absaugeinheit (7a, 7b; 65), dadurch gekennzeichnet, dass die Einblaseinheit (3a, 3b; 53) ausgehend von der Versorgungseinheit (13; 57) einen stetig sich verjüngenden Düsenquerschnitt (15; 59) aufweist, der nach einer Verengung (17; 55) in einen sich erweiternden Querschnitt (19; 61) übergeht, die Einblaseinheit (3a, 3b; 53) einen dem Staubpartikel (S) tragenden Materialoberflächenbereich (1; 71) zugewandten, geerdeten, elektrisch leitenden Oberflächenbereich (6, 33; 54a, 54b) hat, wobei der Gasdruck in der Versorgungseinheit (13; 57) sowie der Abstand (d; d/53) des geerdeten Oberflächenbereichs (6, 33; 54a, 54b) von dem jeweils kontinuierlich zu entstaubenden Materialbahnoberflächenbereich (1; 71) derart einstellbar sind, dass die Staubpartikel (S) hier ohne jeglichen Einsatz einer an eine elektrische Energiequelle anzuschliessenden Ionisationseinheit zur Ionisation des Gasstroms ablösbar und durch die Absaugeinheit (7a, 7b; 65) absaugbar sind.

Bezüglich der weiteren Ansprüche wird auf die Patentschrift verwiesen.

Mit ihrer Teilnichtigkeitsklage machen die Kläger geltend, der Gegenstand des Streitpatents sei, soweit angegriffen, gegenüber dem Stand der Technik nicht patentfähig. Er sei nicht neu, beruhe aber jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Weiter machen sie geltend, dass das Patent die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbare, dass ein Fachmann sie ausführen könne.

Um ihre Ausführungen zu stützen, verweisen die Kläger auf folgende Dokumente:

M1 DE 20 06 716 A M2 US 3 776 806 M3 Vorläufiger Prüfungsbericht zu PCT/CH95/00196 M4 Walter, Phillip: Analyse des Paschen-Gesetzes in Bezug auf die Lehre von DE 595 06 C1, Februar/März 2003 nebst Anlagen:

Anlage 1 Pietsch G.: Grundlagen der Gasentladungstechnik 1997, S. 52-57 Anlage 2 Schulz, Paul: Elektronische Vorgänge in Gasen und Festkörpern, 1974, Verlag G. Brunn Karlsruhe, S. 150-153 Anlage 3 Gänger, Berthold: Der elektrische Durchlag von Gasen, 1953, Springer Verlag, S. 174-179 u. S. 220-221 Anlage 4 Cobine, James D.: Gaseous Conductors, Theory and engineering Applications, 1958, Dover Publications Inc., S. 160-183 M5 Schneider, Robert: Neue Wege der Entstaubung in der Druckindustrie, (nachveröffentlicht), S. 1-6 M6 VDE 0100/11.58 M7 CH 458 680 M8 DD 135 857 M9 DE 1 229 105 B M10 DE 42 15 602 A1 M11 Schneider, Robert: Neue Wege der Entstaubung in der Druckindustrie, undatiert M12 Internetausdruck: www.schneiderxt400.ch/eins.html

"Schneider XT 400 Einsatzgebiete" vom 14. Januar 2004 M13 Lexikon der Energietechnik und Kraftmaschinen, 1965 M14 Dubbels Taschenbuch für den Maschinenbau, 1961, S. 302 M15 LG Düsseldorf 4 0 248/02 vom 11. November 2003 Die Kläger beantragen, das europäische Patent 0 789 635 im Umfang der Ansprüche 1 bis 7 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie tritt den Ausführungen der Kläger in allen Punkten entgegen und hält das Streitpatent für patentfähig. Die richtige Einstellung der Verfahrensparameter zur Erzielung der Selbstentladung der Staubpartikel entsprechend dem Paschen-Gesetz lasse sich für den Fachmann unmittelbar anhand des dann verbesserten Entstaubungsergebnisses erkennen, eine Messung und gezielte Einstellung einzelner Parameter sei weder erforderlich noch könne sie als Voraussetzung für die Patentfähigkeit herangezogen werden (unter Bezugnahme auf BPatG Mitt 2004, 304 - "Rahmensynchronisation"). Die Patenansprüche 2, 3, 5 und 6 seien eigenständig erfinderisch.

Zur Stützung ihres Vorbringens verweist sie auf:

B1 Urteil des LG Düsseldorf vom 11. November 2003 (Az 4 0 248/02)

B2 "Höhere Technische Mechanik" nach Vorlesungen von Prof. Dr. Szabo, Ist van, 3. Auflage 1960, Springer-Verlag, S. 425-427

Gründe

Die erhobene Teilnichtigkeitsklage ist zulässig und begründet.

Rechtsgrundlage für die gegen ein europäisches Patent gerichtete Nichtigkeitsklage ist Artikel 138 EPÜ in Verbindung mit Artikel II § 6 IntPatÜG. Danach kann ein europäisches Patent mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland gem. Artikel 138 Abs. 1 lit a EPÜ, Artikel II § 6 Nr. 1 IntPatÜG dann für nichtig erklärt werden, wenn sein Gegenstand nach den Artikeln 52 bis 57 EPÜ nicht patentfähig ist oder nach Artikel 138 Abs. 1 lit b EPÜ, Artikel II § 6 Nr. 2 IntPatÜG, wenn es die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann. Der letztgenannte Nichtigkeitsgrund liegt vor.

I Das Patent betrifft ein Verfahren sowie eine Vorrichtung zum Entfernen von Staubpartikeln von einer relativ bewegten Materialbahn. Bei bisher bekannten Entstaubungsvorrichtungen solcher Art waren die Materialbahnen in Vibration zu versetzen oder Entladungselektroden im Einsatz.

Der Erfindung ist demnach das technische Problem (die Aufgabe) zugrunde gelegt, eine Entstaubung einer bewegten, stabilen, für die Entstaubung nicht in Vibration zu setzenden Materialbahn vorzunehmen, bei der auf Entladungselektroden verzichtet werden kann.

Die erfindungsgemäße Lösung dieses Problems wird in einem Verfahren nach Anspruch 1 sowie einer Vorrichtung nach Anspruch 4 des Patents gesehen.

Der für den Streitgegenstand zuständige Fachmann ist Diplom-Ingenieur mit wenigstens Fachhochschulabschluss der Fachrichtung Maschinenbau mit den im Studium erworbenen physikalischen Kenntnissen und einschlägiger Berufserfahrung auf dem Gebiet der Behandlung von Materialbahnen einschließlich deren Reinigung.

II Das Streitpatent offenbart die Erfindung nicht so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen kann; denn er findet weder in den Patentansprüchen noch ergänzt durch die Beschreibung eine nacharbeitbare Lehre.

Die Lehre des Anspruchs 1 ist nicht ausführbar. Es ist dort zwar vorgegeben, dass ein geerdeter, der Materialbahnoberfläche zugewandter Potentialflächenbereich einer Einblaseinheit der Entstaubungseinrichtung in einem Abstand zur Materialbahnoberfläche anzuordnen ist. Der Abstand ist aber von bestimmten Größen abhängig, die der Fachmann zu ermitteln hat. Mit der zur Materialbahnoberfläche beabstandeten Anordnung des Potentialflächenbereichs sollen Geschwindigkeit und Druck des aus der Einblaseinheit austretenden Gasstroms zwischen dem Materialbahnoberflächenbereich und der Potentialfläche eingestellt werden. Ziel der Einstellung soll sein, dass die dem Produkt aus Druck und Abstand gemäß dem Gesetz von Paschen zugeordnete kritische Spannung unter der elektrostatischen Spannung der Staubpartikel auf der Materialbahnoberfläche liegt. Zwar findet er in der Figur 2 der Patentschrift Diagramme, aus welchen für unterschiedliche Medien, z.B. Luft, in Abhängigkeit von einem Wertebereich von kritischen Spannungen (100 bis 400V) nach Paschen ein Produkt (p x d in Torr x cm) aus Druck und Abstand entnommen werden. Wie der Fachmann weiß, bezieht sich das Diagramm auf definierte Bedingungen, damit das Paschen-Gesetz so, wie im Diagramm nach Figur 2 dargestellt, gilt, nämlich ein homogenes elektrisches Feld in einem ruhenden (stationären) Gasraum, welches durch Potentialflächen (Platten- oder sphärische Elektroden) begrenzt ist. Wenn noch angenommen werden kann, dass beim Streitpatent als gegeneinander gerichtete Potentialflächen einmal die Staubpartikel selbst (die Materialbahn soll ja nicht entladen werden) und zum anderen eine den Staubpartikeln zugewandte Fläche der geerdeten Einblaseinheit anzusehen sind, so ist doch schon die erforderliche Homogenität des dazwischen wirksamen elektrostatischen Feldes wegen der baulichen und kinematischen Verhältnisse in der Absaugvorrichtung nicht realisiert. Zudem ist das Ermitteln der für die Anwendung des Paschen-Gesetzes erforderlichen Parameter U und p nicht im erforderlichen Maß möglich.

Schon das Feststellen der elektrostatischen Spannung der Staubpartikel bereitet, worauf die Kläger in der mündlichen Verhandlung hingewiesen haben, kaum überwindbare Schwierigkeiten. Staubpartikel können - wie der Fachmann weiß - sowohl positiv (Mangel an Elektronen) wie auch negativ (Elektronenüberschuss) geladen sein, sie können Träger einer höchst unterschiedlichen Anzahl von Elementarladungen sein, wobei die kleinste Ladung sich von der größten durchaus um den Faktor 1000 unterscheiden kann. Die kritische Spannung Ukrit für das Anwenden des Gesetzes von Paschen unterscheidet sich demnach von Staubpartikel zu Staubpartikel. Mit dem in der Beschreibung (Sp 5, Z 4) angeführten Feldmeter vermag der Fachmann zwar eine Feldstärke und damit mittelbar (U = E x d mit U für Spannung, E für Feldstärke und d für den Abstand) auch eine Spannung zu messen. Dies kann aber allenfalls eine mittlere Spannung des über dem Messbereich vorhandenen Feldes sein, die elektrostatische Spannung jedes einzelnen zu neutralisierenden Staubpartikels ist damit nicht repräsentiert. Es ist für den Fachmann nicht zu erwarten, dass eine solchermaßen ermittelte Spannung für das Paschen-Gesetz und damit für das in Figur 2 des Streitpatents wiedergegebene Diagramm gilt. Der Hinweis in der Patentschrift, eine Messung mit dem Feldmeter vorzunehmen, kann dem Fachmann keine brauchbare Anleitung zum Ermitteln der elektrostatischen Spannung der Staubpartikel geben.

Gänzlich unlösbar ist für den Fachmann das Ermitteln des für das Anwenden des Diagramms der Figur 2 des Patents noch erforderlichen Druckwertes, welchen er braucht, um die Geschwindigkeit in der im Anspruch 1 des Streitpatents geforderten Weise einstellen zu können. In dem mit vergleichsweise hoher Geschwindigkeit, auch über Schallgeschwindigkeit strömenden Gas, wie es der beim Streitpatent aus der Einblaseinheit austretende Gasstrom darstellt, ist ein im Paschen-Gesetz verwertbarer Druckwert nicht ermittelbar. In einem solchermaßen strömenden Medium sind nämlich nicht nur dynamische und statische Druckanteile vorhanden und messbar, dort sind auch je nach Geschwindigkeit Kompressibilitätseinflüsse zu berücksichtigen, es existieren laminare und turbulente Bereiche sowie Bereiche höchst unterschiedlicher Druckverhältnisse und Strömungsgeschwindigkeiten, es sind Grenzschichten und sich über den Strömungsquerschnitt ausbildende Druckprofile sowie die unterschiedlichen Verhältnisse bei Überschall- und Unterschallströmung zu beachten und zu berücksichtigen. Für den Fachmann hat ein solcher erfindungsgemäßer Druckraum mit dem von Paschen untersuchten Raum keine Gemeinsamkeiten.

Weder im Anspruch 1 noch in der Beschreibung ist in der Patentschrift angegeben, welcher existierende Druck als der für Handhabung des Diagramms der Figur 2 verwertbare Druck heranzuziehen und auf welche Art und an welcher Stelle er im System zu messen ist. Hinderlich ist für den Fachmann diesbezüglich auch, dass nach dem Patentanspruch 1 als Multiplikator des Produkts aus p x d der Druck des aus der Einblaseinheit austretenden Gasstromes eingestellt werden soll, obgleich nach den Ausführungsbeispielen der Ort, an dem der Abstand d gilt, außerhalb dieses Gasstromes an einer anderen Stelle des Systems liegt. Der Fachmann wird damit im Unklaren darüber belassen, ob der Druck- und der Abstandswert an unterschiedlichen Orten überhaupt als Produkt in ein das Paschen-Gesetz darstellendes Diagramm eingehen kann, um die Neutralisation von Staubteilchen zu bewerkstelligen, wo doch nach dem Paschen-Gesetz die (von Ukrit abhängigen) Druck- und Abstandwerte (als Produkt) am Ort der Selbstentladung gelten.

Das Paschen-Gesetz ist patentgemäß unabdingbarer Inhalt des Anspruchs 1 und somit relevanter Bestandteil des dem Fachmann mit dem Patent an die Hand gegebenen Lehre (Patentschrift ua Sp 4, Z 40: "Erfindungsgemäß wird nun das Gesetz von Paschen bei der Entstaubung einer Materialbahn 1 verwendet."). Einen Hinweis darauf, dass die von Paschen festgehaltenen Gesetzmäßigkeiten für die Lehre des Patents nur richtungsweisenden Charakter haben oder nur einen groben Anhalt liefern sollen, finden sich im Patent nicht.

Vielmehr soll nach der Lehre des Anspruchs 1 wie auch des gesamten Patents gerade das Einhalten dieser Gesetzmäßigkeit die Neutralisation der Staubpartikel ohne zusätzliche Ionisationseinheit und damit eine Überwindung deren Haltekräfte auf der Materialbahnoberfläche bewirken, so dass die Staubpartikel lediglich durch den Gasstrom ohne sonstige Maßnahmen aufgenommen werden können.

Der Vortrag der Patentinhaberin, der Erfolg und der Eintritt der patentgemäßen Lehre werde am Reinigungsergebnis festgestellt, ist nicht stichhaltig, denn das Reinigungsergebnis kann ebenso auch durch andere Faktoren, wie die Luftführung, die Blas- und/oder Sauggeschwindigkeit u. dgl. begünstigt werden.

Ob der Erfolg in einem konkreten Fall tatsächlich durch die beanspruchten und beschriebenen Maßnahmen der patentgemäßen Ausführungsform (also auch bei einer eventuellen Verletzungsform) eintritt, wäre allein daran festzustellen, ob die beabsichtigte und im Patentanspruch 1 ausdrücklich geforderte Neutralisation der Staubpartikel tatsächlich erfolgt und genau diese Neutralisation das Ablösen bewirkt. Die Patentinhaberin konnte aber nicht darlegen, wie die Neutralisation der Staubpartikel direkt und unmittelbar als solche festgestellt werden kann und nicht nur indirekt durch den Rückschluss aus einem mehr oder weniger guten Reinigungsergebnis. Abgesehen davon, dass eine geerdete Potentialfläche allenfalls dazu in der Lage ist, negativ geladene Staubpartikel zu neutralisieren, könnte die Neutralisation der Staubpartikel direkt nur festgestellt werden, wenn jedes zu entfernende Staubteilchen eingangsseitig auf elektrostatische Ladung hin untersucht (und markiert), ausgangsseitig auf fehlende elektrostatische Ladung geprüft würde. Ein solches Verfahren ist in der Praxis wohl kaum zu realisieren und überschreitet bei weitem die Anforderungen einfacher, dem Fachmann regelmäßig zumutbarer Versuche.

Somit erweist sich die Lehre des Anspruchs 1 des Patents mangels ausreichender Offenbarung hinsichtlich der Erfüllung der Paschen-Bedingungen und der tatsächlichen Staub-Neutralisation als für den Fachmann nicht ausführbar.

Weil die Ansprüche 2 und 3 als vom Anspruch 1 abhängige Ansprüche von dessen vollständiger Lehre Gebrauch machen müssen, kann der Fachmann diese weiteren Ausgestaltungen der patentierten Lehre nach den Unteransprüchen 2 und 3 ebenfalls nicht ausführen.

Aber auch hinsichtlich des Vorrichtungsanspruches 4 offenbart das Patent die Erfindung nicht in dem für die Ausführbarkeit erforderlichen Maße. Zwar ist der Fachmann ohne Weiteres in der Lage, eine Entstaubungsvorrichtung nach den gegenständlichen Merkmalen des Anspruchs 4 zu fertigen. Doch hat eine solche Entstaubungsvorrichtung dem Wortlaut des Anspruchs 4 entsprechend die Durchführung des Verfahrens nach einem der Ansprüche 1 bis 3 zu ermöglichen, also die Neutralisation der Staubpartikel zu gewährleisten. Da der Fachmann zur Sicherstellung dieser Eigenschaften der Vorrichtung wiederum die in das Diagramm des Paschen-Gesetzes einbringbaren Parameter braucht, muss er auch bei der Vorrichtung aus den zum Verfahren nach Anspruch 1 genannten Gründen scheitern. Denn die Einstellbarkeit des Gasdruckes in der Vorsorgungseinheit sowie des Abstandes des geerdeten Oberflächenbereichs soll auch bei der Vorrichtung des Anspruchs 4 wegen der durch den Rückbezug (ua) auf den Anspruch 1 implementierten Verfahrensmerkmale die Neutralisation der Staubpartikel sicherstellen. Denn auch die Lehre des Anspruchs 4 verlangt verbindlich die Anwendung des Paschen-Gesetzes entsprechend dem Diagramm der Figur 2. Dafür ist die Ermittlung der notwendigen Parameter (Spannung und Druck im Feld) für den Fachmann unabdingbar. Dies vermag er aus den oben genannten Gründen nicht.

Demnach erweist sich auch die Lehre des Anspruchs 4 mangels hinreichender Offenbarung für den Fachmann als nicht ausführbar.

Der Anspruch 5 des Streitpatents ist auf den Anspruch 4 zurückbezogen. Der Anspruch 4 enthält jedoch wegen seines Rückbezugs (ua) auf den Anspruch 1 bereits alle Verfahrensmerkmale des Anspruchs 1. Somit erschöpft sich der Anspruch 5 größtenteils in bloßen Wiederholungen. Ein Unterschied zu der Vorrichtung nach Anspruch 4 ist nur darin zu sehen, dass bei der Vorrichtung nach Anspruch 5 die Einstellbarkeit der Ausgestaltung und die Lage des Düsenquerschnitts gefordert ist, mit der Absicht, die Bedingungen zu schaffen, die für die Gültigkeit des Paschen-Gesetzes erforderlich sind. Dass sich diese Einstellbarkeit auf die Strömungsgeschwindigkeit und den Druck des Gasstromes auswirkt, liegt für den Fachmann zwar auf der Hand, um aber auch hierauf das Paschen-Gesetz im Sinne einer ausführbaren Lehre anwenden zu können, bedarf er wiederum der möglichst genauen Kenntnis der Parameter U und p. Dabei stößt er auch bei der Vorrichtung nach Anspruch 5 auf die gleichen Probleme, wie bei der Vorrichtung nach Anspruch 4 und dem Verfahren nach Anspruch 1, welche ihn an der Ausführung hindern.

Somit zeigt sich auch die Lehre des Anspruchs 5 mangels hinreichender Offenbarung als für den Fachmann nicht ausführbar.

Weil die Ansprüche 6 und 7 durch mittelbaren oder unmittelbaren Bezug auf den Anspruch 4 von dessen vollständiger Lehre Gebrauch machen müssen, kann der Fachmann diese weiteren Ausgestaltungen der Entstaubungsvorrichtung zum Durchführen des Verfahrens zum Entfernen von Staubpartikeln nach den Unteransprüchen 6 und 7 ebenfalls nicht ausführen.

Aus den genannten Gründen kann das Patent in dem mit der Teilnichtigkeitsklage angegriffenen Umfang keinen Bestand haben.

Die Erläuterung der Patentinhaberin in der mündlichen Verhandlung, dass der in das Paschen-Gesetz einzubringende Druck sich außerhalb des Gasstromes, nämlich in einem durch Ansaugen von Luft aus der Atmosphäre gebildeten Strömungsbereich in jenem Abschnitt der Vorrichtung einstelle, in welchem entsprechend den Ausführungsbeispielen der Abstand d gilt, und erst dort die Selbstentladung stattfände, war ebenfalls nicht zu berücksichtigen, da diese neu vorgestellte Wirkungsweise weder durch die Ansprüche noch durch die Beschreibung des Patents gedeckt ist.

Die Entscheidung des Bundespatentgerichts "Rahmensynchronisation" (BPatGE 20 W (pat) 43/02), auf welche die Patentinhaberin noch verweist, stellt klar, dass ein bestimmtes Merkmal, welches auf das Prinzip einer dem Fachmann bekannten Theorie verweist, nicht im Sinne von § 34 Abs. 4 PatG nicht ausführbar ist, sondern ein allgemein und breit gefasstes Merkmal bildet, was für sich gesehen keinen patentrechtlichen Mangel darstellt. Beim Streitpatent wird vom Senat auch nicht das Einbeziehen des Paschen-Gesetzes in die Patentansprüche als unzulässig erachtet, sondern dessen nicht ausführbare Umsetzung im Rahmen des patentgemäßen Verfahrens und der patentgemäßen Vorrichtung als Mangel erkannt. Insofern führt der Sachverhalt auch unter Berücksichtigung der genannten Entscheidung zu keiner anderen Beurteilung.

Da der Nichtigkeitsgrund der nicht ausreichenden Offenbarung durchgreift, kann der darüber hinaus geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der mangelnden Patentfähigkeit dahingestellt bleiben.

III Als Unterlegene hat die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits gemäß §§ 84 Abs 2 PatG iVm § 91 Abs 1 Satz 1 ZPO zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 99 Abs. 1 PatG, 709 ZPO.

Meinhardt Dr. Henkel Gutermuth Skribanowitz Richter Schmitz ist an das DPMA versetzt und deshalb an der Unterschrift gehindert Meinhardt Be






BPatG:
Urteil v. 04.11.2004
Az: 2 Ni 35/03


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