Bundespatentgericht:
Beschluss vom 15. März 2010
Aktenzeichen: 2 Ni 32/08

(BPatG: Beschluss v. 15.03.2010, Az.: 2 Ni 32/08)

Tenor

1.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

2.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 150.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Beklagte ist Inhaberin des deutschen Patents ... (Streitpatent) mit der Bezeichnung "...", das am 3. Dezember 1988 angemeldet und dessen Erteilung am 10. September 1998 veröffentlicht worden ist. Die Klägerin hat am 26. August 2008 dagegen Nichtigkeitsklage erhoben und den Streitwert vorläufig auf 250.000,00 Euro geschätzt. Die Beklagte hat der Klage rechtzeitig widersprochen.

Die Klägerin hat den Hauptanspruch mit allen fünf Unteransprüchen angegriffen. Patentanspruch 1 lautet in einer gegliederten Fassung wie folgt:

"1. Flüssigkristallanzeige-Anordnung mit einem flachen, plattenförmigen Flüssigkristallanzeigeelement mit mehreren Flüssigkristallzellen, die in einer X-Y-Matrix angeordnet sind, wobei sich die Anschlussstellen für die Matrix zur Kante der Anzeigeelemente hin erstrecken, 2. einem mehrschichtigen, flexiblen Verbindungsteil mit 2.a mindestens einer Schicht mit mehreren leitfähigen Bahnen und 2.bmindestens zwei flexiblen Isolationsschichten auf jeder der Bahnenschichten, 3.

mindestens einem Chipträger, der einen elektronischen Chip, der auf dem flexiblen Verbindungsteil montiert ist, zur Lieferung von Signalen an das Anzeigeelement trägt, 4.

einer Einrichtung zum Verbinden der genannten Chips in dem Chipträger mit den leitenden Bahnen, 5.

einer Einrichtung zum Verbinden des flexiblen Verbindungsteils mit mindestens einer Kante des Anzeigeelements, wobei die leitenden Bahnen des Verbindungsteils einzeln mit den Verbindungsstellen der Matrix an der Kante der Anzeige verbunden sind, 6.

das flexible Verbindungsteil ist aus der Ebene der Anzeige über den Verbindungspunkt mit den Verbindungsstellen hinaus gebogen, wodurch der durch das Anzeigeelement und das Verbindungsteil eingenommene Raum minimiert wird.

Hinsichtlich der angegriffenen Unteransprüche 2 bis 6 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.

Die Klägerin macht mangelnde Neuheit und fehlende erfinderische Tätigkeit geltend und stützt sich zur Begründung in erster Linie auf die europäische Patentschrift EP 0 247 893 A2 (K1).

Die Beklagte tritt diesem Vorbringen entgegen.

Sie hatte vor dem Landgericht Düsseldorf gegen die Klägerin Klage wegen Verletzung des Streitpatents erhoben. Die Klage ist mit inzwischen rechtskräftigem Urteil vom 3. März 2009 mit der Begründung zurückgewiesen worden, daß keine Patentverletzung festgestellt werden konnte (LG Düsseldorf Aktenzeichen 4a O 118/08). In dem Urteil wurde der Streitwert für die Zeit bis zum 3. März 2009 auf 400.000,00 Euro festgesetzt und für die Zeit danach auf 200.000,00 Euro. Diese gestaffelte Festsetzung ergibt sich daraus, daß die hiesigen Parteien in dem Verletzungsstreit vor dem Landgericht Düsseldorf in der dortigen mündlichen Verhandlung vom 3. März 2009 mit Rücksicht auf die mittlerweile abgelaufene Schutzdauer des Streitpatents die Unterlassungsansprüche, die die Patentinhaberin ursprünglich auch eingeklagt hatte, übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben.

Im Hinblick auf den Ablauf der Schutzdauer des Streitpatents und die Rechtskraft des vorgenannten Urteils des Landgerichts Düsseldorf haben die Parteien daraufhin das hiesige Nichtigkeitsverfahren übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt und beantragen eine Entscheidung über die Kosten des Verfahrens.

II.

1. Nachdem die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, hat das Gericht über die Kosten nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sachund Streitstandes zu entscheiden. Danach sind die Kosten der Beklagten aufzuerlegen (§§ 99 Abs. 1 Pat i. V. m. § 91a Abs. 1 ZPO).

Für die Kostenverteilung kommt es darauf an, ob bzw. inwieweit die Klage voraussichtlich begründet gewesen wäre. Der bisherige Sachund Streitstandes begründet eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, daß der Gegenstand des Streitpatents nicht i. S. v. §§ 3, 4 PatG patentfähig ist, so daß die Beklagte im Rechtsstreit voraussichtlich unterlegen wäre.

Nach der Einleitung in der Patentschrift betrifft das Streitpatent in erster Linie eine Flüssigkristallanzeige-Anordnung mit einer X-Y-Matrix, bei der mehrschichtige flexible Verbindungsleitungen die Treiberelektronik bzw. Chips für die Anzeige tragen. Bei der Anzeige mit X-Y-Matrix greifen die Reihenund Spalten-Adreßleitungen ineinander (eine Hälfte erstreckt sich bis zu einer Kante der Anzeige und die andere Hälfte bis zur gegenüberliegenden Kante), so daß die Reihenund Spalten-Adreßleitungen von allen vier Kanten der Anzeige aus angetrieben werden können. Bisher ist es beim Verpacken von matrixadressierten Flüssigkristallanzeigen üblich gewesen, die Zeilenund Spalten-Treiberelektronik auf starren gedruckten Schaltungsplatten zu montieren und die Treiberelektronik mittels flexibler Verbindungselemente mit den Verbindungsstellen auf dem Flüssigkristallanzeigeglas zu verbinden. Der Nachteil dieser Lösung ist eine ineffiziente Raumnutzung. Im Unterschied dazu soll mit dem Streitpatent eine raumsparende Flüssigkristall-Anordnung geschaffen werden. Diese Aufgabe soll erfindungsgemäß durch den Patentanspruch 1 gelöst werden.

Patentanspruch 1 ist jedoch gegenüber dem von der Klägerin vorgelegten Stand der Technik, insbesondere gemäß der Druckschrift K1 (EP 0 247 893 A2), nicht schutzfähig i. S. v. §§ 3, 4 PatG. Dabei kann dahinstehen, ob der Fachmann der Druckschrift K1 eine Flüssigkristallanzeige-Anordnung mit allen Merkmalen der Flüssigkristallanzeige-Anordnung nach dem erteilten Anspruch 1 entnimmt, denn diese Anordnung beruht jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit des Fachmanns, so dass der erteilte Anspruch 1 schon deswegen keinen Bestand hätte. Eine Überprüfung der von der Beklagten geltend gemachten Unterschiede der Flüssigkristallanzeige-Anordnung nach Anspruch 1 des Streitpatents zu der in der Druckschrift K1 offenbarten Flüssigkristallanzeige-Anordnung hat folgendes ergeben:

Wie sich für den Fachmann -dieser ist hier als ein mit der Montage und Verdrahtung von Flüssigkristallelementen betrauter berufserfahrener Fachhochschulingenieur der Elektrotechnik mit vertieften Kenntnissen der Aufbauund Verbindungstechnik zu definieren -bei der Lektüre der Druckschrift K1 aus den Fig. 4 und 5 und den Angaben auf S. 9, Zeilen 1 bis 11 ergibt, erstrecken sich die Anschlussstellen für die Matrix von Flüssigkristallzellen bei der in der Druckschrift K1 offenbarten Flüssigkristallanzeige-Anordnung in Übereinstimmung mit der im Merkmal (1) des Anspruchs 1 des Patents gegebenen Lehre zur Kante der Anzeigeelemente hin.

Als flexibles Verbindungsteil wird bei der Anordnung nach der Druckschrift K1 bspw. ein "wide tape carrier" (vgl. S. 10, Zeile 14) verwendet. Darunter versteht der Fachmann flexible, flache und bandförmige Verbindungsteile, die aus einer isolierenden Trägerschicht mit einer darauf angeordneten, zu Leiterbahnen strukturierten Schicht bestehen. Um diese Anordnung vor Beschädigung von außen zu schützen und gleichzeitig nach außen hin elektrisch zu isolieren, wird die Leiterbahnschicht bei derartigen Verbindungsteilen üblicherweise mit einer oberen isolierenden Schicht abgedeckt. Insofern liest der Fachmann bei der Lektüre der Druckschrift K1 die Ausbildung des Verbindungsteils gemäß den Merkmalen (2),(2.a) und (2.b) des Anspruchs 1 mit.

In diesem Zusammenhang sei auch darauf hingewiesen, dass derartige Verbindungsteile vor dem Prioritätstag des Patents (und dem der Druckschrift K1) in vielfältigen Konfigurationen im Handel angeboten wurden (vgl. das Patent Sp. 3, vorletzter Absatz) und dem Fachmann somit geläufig waren.

Weiterhin beruht es nicht auf erfinderischer Tätigkeit des Fachmanns, bei der Anordnung nach der Druckschrift K1 einen Chipträger vorzusehen, der den auf dem flexiblen Verbindungsteil montierten elektronischen Chip trägt, wie es das Merkmal

(3) des Anspruchs 1 lehrt. Es ist in der Aufbauund Verbindungstechnik fachüblich, elektronische Chips auf einem Träger anzuordnen, bspw. um eine sichere und zerstörungsfreie Handhabung des sehr dünnen und daher empfindlichen elektronischen Chips zu gewährleisten und eine Kontaktierung zu ermöglichen.

Dass das Verbindungsteil aus der Ebene der Anzeige über den Verbindungspunkt mit den Verbindungsstellen hinaus gebogen ist, so dass der durch das Anzeigeelement und das Verbindungsteil eingenommene Raum minimiert wird, wie es das Merkmal (6) lehrt, entnimmt der Fachmann in der Druckschrift K1 der Fig. 5 im Zusammenhang mit den Erläuterungen auf S. 9, Zeilen 12 bis 17 und S. 10, le. Abs. bis S. 11, 2. Abs., wobei hier insbesondere die Raumausdehnung in der Tiefe der Anordnung minimiert ist.

Die übrigen Merkmale der Anzeige-Anordnung nach Anspruch 1 des Streitpatents sind -wie zwischen den Parteien unstrittig -bei der Anordnung nach der Druckschrift K1 vorhanden, so dass sich Ausführungen hierzu erübrigen.

Die in den Unteransprüchen angegebenen Ausbildungen sind entweder ebenfalls explizit aus der Druckschrift K1 bekannt oder ergeben sich für den Fachmann aus den Hinweisen in der Druckschrift K1 im Zusammenhang mit seinem Fachwissen.

2. Der Streitwert für das Nichtigkeitsverfahren ist gem. § 2 Abs. 2 Satz 4 Pat-KostG i. V. m. § 51 Abs. 1 GKG nach billigem Ermessen zu bestimmen. Danach hält der Senat einen Streitwert von 150.000,00 Euro für angemessen.

Maßgebend für die Bestimmung des Streitwerts ist das wirtschaftliche Interesse der Allgemeinheit an der erstrebten Nichtigerklärung des Patents für die ab Klageerhebung verbleibende restliche Laufzeit des Patents (std. Rspr., BGH GRUR 1957, 79; BGH GRUR 1985, 511 -Stückgutverladeanlage). Einen Anhaltspunkt für die Bemessung des gemeinen Wertes des Streitpatents für die Restlaufzeit können die Erträge bilden, die es -sei es aufgrund Eigennutzung durch den Patentinhaber oder durch Lizenzvergabe -bis zum Ablauf der Schutzdauer unter gewöhnlichen Verhältnissen erwarten lässt. Zu berücksichtigen ist ferner das Interesse der Allgemeinheit an der Vernichtung des Streitpatents für die vor der Klageerhebung liegende Zeit. Dieses entspricht der Summe der bis dahin entstandenen Schadensersatzansprüche des Patentinhabers wegen Patentverletzung (BGH GRUR 1957, 79; BGH a. a. O. -Stückgutverladeanlage).

Im Hinblick auf diese Umstände, die bei den Billigkeitserwägungen vor der Festsetzung des Streitgegenstandes generell zu berücksichtigen sind, mußte sich deutlich streitwertmindernd auswirken, daß sich die restliche Schutzdauer des Streitpatents im Zeitpunkt der Klageerhebung nur noch auf etwa drei Monate belief.

Dass und wie die Beklagte aus dem Streitpatent in der kurzen restlichen Schutzdauer noch Erträge hätte erwirtschaften können, ist nicht vorgetragen worden und auch sonst nicht ersichtlich. Daß die Beklagte erfolgreich aus dem Streitpatent Verletzungsansprüche geltend gemacht hätte, ist dem Senat nicht bekannt geworden. Feststeht lediglich, daß das Landgericht Düsseldorf den Streitwert des Auskunftsund Feststellungsantrages, den die Klägerin zuletzt in dem dort anhängigen Verletzungsprozeß gestellt hat und der sich auf einen behaupteten Verletzungszeitraum von zweieinhalb Jahren (1. Juli 2006 bis 3. Dezember 2008) bezog, auf 200.000,00 Euro geschätzt hat, und daß diese Anträge rechtskräftig als unbegründet zurückgewiesen worden sind. Auch diese beiden Umstände sprachen für eine deutliche Minderung des von der Klägerin bei Klageerhebung vorläufig angenommenen Streitwertes.

Sredl Werner Brandtprö






BPatG:
Beschluss v. 15.03.2010
Az: 2 Ni 32/08


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