Anwaltsgerichtshof des Landes Nordrhein-Westfalen:
Beschluss vom 20. Juni 2008
Aktenzeichen: 1 ZU 91/07

(AGH des Landes Nordrhein-Westfalen: Beschluss v. 20.06.2008, Az.: 1 ZU 91/07)

Tenor

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Antragsgegnerin werden dem Antragsteller auferlegt.

Der Gegenstandswert wird auf 50.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

1.

Die jetzt 49 Jahre alte Antragstellerin wurde im Jahre 1989 beim Landgericht Bielefeld und Amtsgericht Minden, ferner am 11.07.2006 beim Oberlandesgericht Hamm als Rechtsanwältin zugelassen. Ihre Kanzlei befindet sich in Minden.

Seit dem Jahre 2005 ergaben sich gewisse Auffälligkeiten hinsichtlich der Vermögenssituation, anfangs durch Nichtzahlung der Berufshaftpflichtprämien.

Diese konnte die Antragstellerin zunächst noch ausräumen.

Aufgrund zweier ab Mitte 2006 beim Amtsgericht Minden unter 011 K 111 und 113/06 anhängigen Zwangsversteigerungsverfahren widerrief die Antragsgegnerin nach Anhörung mit Bescheid vom 02.10.2007, zugestellt am 05.10.2007, die Zulassung nach § 15 Abs. 2 Nr. 7 BRAO wegen Vermögensverfalls. Hiergegen richtet sich der Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 05.11.2007, per Fax eingegangen am 05.11.2007.

Gegenstand der Zwangsversteigerungsverfahren waren eine Forderung der M AG über 196.847,37 Euro und der Sparkasse N-N1 wegen einer Forderung von zunächst 33.233,97 Euro nebst 18 % Zinsen seit dem 07.06.2002. Die Sparkasse N-N1 erwirkte ferner den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 12.09.2007 wegen einer Teilforderung von 85.000,00 Euro nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 10.03.2006.

Nach Widerruf wurde ein weiterer Pfändungs- und Überweisungsbeschluss der Hanse Merkur Krankenversicherung über 2.103,00 Euro bekannt.

Die Antragstellerin ist der Auffassung, die Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO lägen nicht vor. Die Verbindlichkeiten der Provinzial seien im Rahmen der Zwangsversteigerung und durch Inanspruchnahme einer abgetretenen Lebensversicherung erledigt. Einzige Gläubigerin sei nunmehr noch die Sparkasse N-N1. Die Verbindlichkeiten rührten aus einer Eigenheimfinanzierung her, für die sie als Bürgin für Ihren Ehemann in Anspruch genommen werde. Mit der Sparkasse bestehe eine Vereinbarung, dass auf Geschäftskonten nicht zugegriffen werde. So habe sie auch ein Fremdgeldkonto bei der Sparkasse. In die finanziellen Schwierigkeiten seien sie geraten, weil aufgrund einer Insolvenz des Arbeitgebers ihres Ehemannes dieser arbeitslos geworden sei. Inzwischen habe sich seine Einkommenssituation wieder stabilisiert, nachdem er sich in seiner alten beruflichen Branche selbständig gemacht habe. 2006 habe er einen Gewinn von rd. 4.000,00 Euro und 2007 einen solchen von rd. 21.000,00 Euro erzielt. Daher komme eine Inanspruchnahme als Bürgin für sie nicht mehr in Betracht und sogar ihr Ausgleichsanspruch nach §§ 774, 775 BGB sei werthaltig.

Sie selbst erziele mit ihrer Anwaltskanzlei einen durchschnittlichen Jahresgewinn von rd. 15.000,00 Euro (2004 rd. 24.000,00 Euro, 2005 rd. 15.000,00 Euro, 2006 rd. 14.500,00 Euro, 2007 rd. 15.000,00 Euro).

In der Sitzung am 25.01.2008 erklärte die Antragstellerin, ihre Verbindlichkeiten bei der Sparkasse N-N1 beliefen sich auf noch 180.000,00 Euro. Sie habe der Sparkasse am 14.01.2008 den Vorschlag unterbreitet, auf diese Verbindlichkeit 84 Monatsraten von jeweils 500,00 Euro zu leisten. Damit solle die Gesamtforderung erledigt sein. Die Sparkasse habe sich zu diesem Vorschlag noch nicht abschließend erklärt, sondern wollte erst die Entscheidung des zuständigen Gremiums einholen. In der Sitzung am 25.01.2008 wurde der Antragstellerin Gelegenheit gegeben, bis zum 15.03.2008 abschließend zu den Ratenzahlungsvereinbarungen mit der Sparkasse N-N1 und im Übrigen umfassend zu ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen vorzutragen.

In der Sitzung am 20.06.2008 teilte die Antragstellerin mit, mit der Sparkasse N-N1 noch immer keine endgültige Vereinbarung getroffen zu haben. Sie zahle derzeit monatlich 500,00 Euro Raten und die Sparkasse vollstrecke nicht. Auch mit der Provinzial Versicherung sei noch keine endgültie Regelung getroffen worden. Der Restsaldo belaufe sich auf 28.500,00 Euro zuzüglich Zinsen. Sie verhandele derzeit darüber, mit einer Einmalzahlung von 7.000,00 Euro die Gesamtforderung zu erledigen. Hierüber sei noch keine Einigkeit erzielt. Die übrigen Forderungen seien erledigt. Aufgrund eines erwarteten Honorars von 100.000,00 Euro seitens ihres Ehemannes werde sie ihre Verbindlichkeiten in den Griff bekommen. Diese Honorarzahlung könne allerdings "nur längerfristig über ein paar Monate hin vereinnahmt werden".

Die Antragstellerin beantragt,

den Bescheid der Antragsgegnerin vom 02.10.2007 aufzuheben.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Sie verweist auf die Gründe des angefochtenen Bescheides und die im Verfahren weiter bekannt gewordenen Tatsachen, aus denen der Vermögensverfall zum Zeitpunkt des Widerrufs und sein Fortbestand bis heute abzuleiten seien.

2.

Der Antrag ist rechtzeitig eingegangen und damit zulässig, jedoch unbegründet.

Der Widerruf der Zulassung nach § 14 Abs. 2 Ziffer 7 BRAO erfolgte zurecht.

Nach dieser Vorschrift ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, dass dadurch die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet sind. Dieser Widerrufsgrund lag im Zeitpunkt der Widerrufsverfügung vor und ist in der Folgezeit nicht entfallen.

a)

Bei Erlass des angefochtenen Bescheides vom 02.10.2007 befand sich die Antragstellerin im Vermögensverfall.

Vermögensverfall ist gegeben, wenn der Rechtsanwalt in ungeordnete, schlechte finanzielle Verhältnisse geraten ist, diese in absehbarer Zeit nicht ordnen kann und außer Stande ist, seinen Zahlungsverpflichtungen nachzukommen. Beweisanzeichen hierfür sind nach ständiger Rechtsprechung die Erwirkung von Schuldtiteln und Vollstreckungsmaßnahmen gegen den Rechtsanwalt. Der Vermögensverfall wird vermutet, wenn ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Rechtsanwalts eröffnet oder der Rechtsanwalt in das vom Insolvenz- oder Vollstreckungsgericht zu führende Verzeichnis eingetragen ist.

Im Falle der Antragstellerin sind die Voraussetzungen für eine Vermutung des Vermögensverfalls zwar nicht gegeben. Aufgrund der bekannten und von der Antragstellerin nicht bestrittenen Verbindlichkeiten und Vollstreckungsmaßnahmen sind jedoch hinreichende Beweisanzeichen für einen Vermögensverfall gegeben. Die Provinzial Versicherung betrieb die Zwangsvollstreckung in Grundeigentum der Antragstellerin wegen einer Forderung von gut 200.000,00 Euro. Dem Verfahren angeschlossen hatte sich die Sparkasse N-N1 wegen einer Forderung von zunächst 33.233,00 Euro nebst 18 % Zinsen seit dem 07.06.2002. Dies sind hinreichende Beweisanzeichen für einen Vermögensverfall. Die Antragstellerin hat diese Anzeichen weder entkräftet noch durch Zahlung die Zwangsversteigerung abwenden können.

b)

Der Vermögensverfall ist in der Folgezeit nicht zweifelsfrei entfallen, er besteht vielmehr zum Zeitpunkt der Entscheidung noch fort.

Die Antragstellerin schuldet der Kreissparkasse N-N1 nach eigener Darstellung noch rd. 180.000,00 Euro. Der Restsaldo bei der Provinzial Versicherung beläuft sich auf 28.500,92 Euro zuzüglich 4 % Zinsen seit dem 15.02.2008. Der Antragstellerin ist es nicht gelungen, in der Zeit zwischen den Terminen im Januar und im Juni 2008 insoweit Regelungen herbeizuführen. Selbst wenn die beiden Gläubiger derzeit keine weiteren Vollstreckungsmaßnahmen durchführen und die Antragsstellerin mit ihnen über eine endgültige Regulierung verhandelt, so ist es ihr doch noch nicht gelungen, diese Verhandlungen zu einem erfolgreichen Abschluss zu führen. Damit besteht der Vermögensverfall fort.

c)

Ein Vermögensverfall des betroffenen Rechtsanwalts führt regelmäßg zu einer Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden, insbesondere im Hinblick auf den Umgang des Rechtsanwalts mit Fremdgeldern und den darauf möglichen Zugriff von Gläubigern des Rechtsanwaltes. Insoweit genügt eine nur abstrakte Gefährdung der Rechtsuchenden und nur in Ausnahmefällen kann insoweit der Widerruf der Zulassung unterbleiben.

Gründe, die hier ausnahmsweise von dem Widerruf der Zulassung hätten absehen lassen, sind nicht ersichtlich.

d)

Da der Vermögensverfall zum Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht abgestellt war, kam es auf eine Frage der umfassenden Konsolidierung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Antragstellerin nicht an, von der im Übrigen aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse nach Überzeugung des Senates auch nicht ausgegangen werden kann.

e)

Die Kostenentscheidung beruht auf dem Gesetz. Der Gegenstandswert entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senates.






AGH des Landes Nordrhein-Westfalen:
Beschluss v. 20.06.2008
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