Oberlandesgericht Bremen:
Beschluss vom 24. August 2011
Aktenzeichen: Ws 100/11

(OLG Bremen: Beschluss v. 24.08.2011, Az.: Ws 100/11)

Der in dem Vordruck eines Protokolls über die Belehrung nach § 268a Abs. 3 StPO vorformulierte Rechtsmittelverzicht gegen einen Beschluss, mit dem das Gericht Führungsaufsicht anordnet, ist unwirksam, wenn bei dem Erklärenden aufgrund der Formulierung und Gestaltung des Formulars, das ihm zur Unterschrift vorgelegt wird, der Eindruck entstehen kann, er habe keine Wahl, sich für oder gegen den Rechtsmittelverzicht zu entscheiden.

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde wird hinsichtlich der Anordnung der Führungsaufsicht (Ziff. I des Beschlusses vom 26.05.2011) auf Kosten des Verurteilten als unzulässig verworfen.

2. Die Beschwerde wird hinsichtlich der weiteren Anordnungen (Ziff. II und IV des Beschlusses vom 26.05.2011) auf Kosten des Verurteilten als unbegründet verworfen.

Gründe

I.

Der strafrechtlich bereits erheblich vorbelastete Verurteilte wurde am 14.09.2009 wegen Betruges in 59 Fällen und wegen Fälschung beweiserheblicher Daten durch das Amtsgericht Bremerhaven zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt (Az. 20 Ls 941 Js 16872/09). Die Kleine Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bremen hat durch Beschluss vom 26.05.2011 unter Ziff. I festgestellt, dass mit der Entlassung des Verurteilten aus der Strafhaft Führungsaufsicht eintritt. In Ziff. II hat sie die Dauer auf fünf Jahre festgesetzt und unter Ziff. III angeordnet, dass der Verurteilte der Führungsaufsichtsstelle beim Landgericht Bremen untersteht. Zudem hat sie ihm unter Ziff. IV folgende Weisungen erteilt:

€1. sich der Aufsicht und Leitung des für seinen Wohnsitz zuständigen Bewährungshelfers in Bremerhaven zu unterstellen;

2. nach seiner Entlassung aus der Strafhaft umgehend feste Wohnung zu nehmen, die neue Anschrift und während der Dauer der Führungsaufsicht jede Anschriftsänderung der Führungsaufsichtsstelle bei dem Landgericht in Bremen und dem Bewährungshelfer unverzüglich mitzuteilen;

3. nach seiner Entlassung aus der Strafhaft umgehend feste Arbeit anzunehmen, jeden Wechsel des Arbeitsplatzes dem Bewährungshelfer unverzüglich anzuzeigen, und sich im Fall der Erwerbslosigkeit sofort beim zuständigen Arbeitsamt zur Arbeitsvermittlung zu melden;

4. für die Dauer von zwei Jahren keine Verkaufsgeschäfte über Internetplattformen zu tätigen.€

Am 15.06.2011 übermittelte das Landgericht der JVA Bremen € Teilanstalt Bremerhaven € ein Belehrungsprotokoll mit der Bitte, das ausgefüllte Protokoll an das Gericht zurückzusenden. Der Beschluss vom 26.05.2011 wurde dem Verurteilten persönlich am 16.06.2011 und € ein weiteres Mal € am 21.06.2011 zugestellt. Bei der Strafvollstreckungskammer ging am 23.06.2011 ein von dem Verurteilten am 17.06.2011 unterschriebener Vordruck ein. Dieser Vordruck ist überschrieben mit den Worten: €Belehrungsprotokoll€. Darunter finden sich handschriftlich eingetragen der Name und das Geburtsdatum des Verurteilten. Maschinenschriftlich befinden sich darunter die folgenden vier jeweils mit einer durch einen davor gesetzten unausgefüllten Kreis als Ankreuzoption versehene und jeweils umrandeten Belehrungsformulierungen:

€§ 57 StGB Ich bin über die Aussetzung des Strafrestes gem. § 57 STGB - Beschluss der Gr./Kl. STVK I / II / III / IV Bremen vom [Feld für Eintragungen], Az.: [Feld für Eintragungen] belehrt worden.€

€§ 35 BtMG Ich bin über die Zurückstellung der Strafe gemäß § 35 BTMG - Beschluss der Staatsanwaltschaft [Feld für Eintragungen] vom [Feld für Eintragungen] Az.: [Feld für Eintragungen] belehrt worden.€

€§ 68f StGB Der Beschluss der Strafvollstreckungskammer Bremen vom [Feld für Eintragungen] Az.: [Feld für Eintragungen] hinsichtlich der Führungsaufsicht (§ 68f StGB) ist mir bekanntgegeben worden, desgleichen die Bestimmungen der §§ 145a StGB und 268 a III StPO.€

€§ 28 GNO Ich bin über die mir durch Beschluss des Herrn Oberstaatsanwaltes beim Landgericht in [Feld für Eintragungen] vom [Feld für Eintragungen] Az.: [Feld für Eintragungen] erteilten Auflagen und nach § 28 der Gnadenordnung belehrt worden.€

Der Kreis vor dem Feld über die Belehrung nach § 68f StGB ist angekreuzt. Handschriftlich sind das Datum des Beschlusses und das Aktenzeichen in die dafür vorgesehenen Felder eingetragen.

Unter diesen vier Belehrungsformulierungen findet sich € nicht umrandet und ohne Ankreuzoption € folgender Satz:

€Ich verspreche, die Auflagen des Beschlusses zu erfüllen und verzichte auf die Einlegung eines Rechtsmittels gegen ihn.€

Das Formular schließt mit der Unterschrift eines JVA Mitarbeiters, dem Datum 17.06.2011 und der Unterschrift des Verurteilten. Mit Schreiben seines Verfahrensbevollmächtigten vom 23.06.2011, das am 24.06.2011 beim Landgericht eingegangen ist, hat der Verurteilte sofortige Beschwerde eingelegt. In diesem Schreiben wendet er sich sowohl gegen die Anordnung der Führungsaufsicht als solche als auch gegen die angeordnete Dauer und die Weisung unter Ziff. IV.4.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 15.07.2011 beantragt, die Beschwerde des Verurteilten als unzulässig zu verwerfen, weil der Verurteilte am 17.06.2011 wirksam und unwiderruflich auf Rechtsmittel verzichtet habe.

II.

1. Die sofortige Beschwerde gegen die Feststellung des Eintritts der Führungsaufsicht in Ziff. I des Beschlusses vom 26.05.2011 ist statthaft (§§ 463 Abs. 3 Satz 1, 454 Abs. 3 Satz 1 StPO). Sie ist auch formgerecht (§ 306 Abs. 1 StPO), aber nicht fristgerecht gemäß § 311 Abs. 2 StPO eingelegt und daher unzulässig. Der Beschluss ist dem Verurteilten nach der bei den Akten befindlichen Zustellungsurkunde am 16.06.2011 durch Aushändigung in der JVA zugestellt worden. Auf die erneute Zustellung am 21.06.2011 kommt es nicht an, weil bei mehrfacher Zustellung an denselben Empfänger nur die erste Zustellung maßgebend ist (Meyer-Goßner, StPO, 54. Auflage, 2011, § 37, Rn. 29 m.w.N.). Die sofortige Beschwerde des Verfahrensbevollmächtigten ist erst am 24.06.2011 und damit nach Ablauf der Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO bei der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts eingegangen. Damit ist das Rechtsmittel unabhängig von der Frage der Wirksamkeit eines etwaigen Rechtsmittelverzichts durch die Erklärung vom 17.06.2011 unzulässig.

2. Die Beschwerde des Verurteilten gegen die Weisungen zu Ziff. II bis IV des Beschlusses vom 26.05.2011 sind dagegen sowohl statthaft (§§ 463 Abs. 2, 453 Abs. 2 Satz 1 StPO) als auch formgerecht (§ 306 Abs. 1 StPO) eingelegt.

a) Der Zulässigkeit der Beschwerde steht nicht der vom Verurteilten am 17.06.2011 erklärte Rechtsmittelverzicht entgegen.

Dass der Verurteilte hier bereits keinen Verzichtswillen im Hinblick auf die Weisungen hatte, ist weder ersichtlich noch vorgetragen. Seine Erklärung über den Rechtsmittelverzicht erweist sich allerdings aufgrund der Umstände ihres Zustandekommens als unwirksam. Zwar ist ein Rechtsmittelverzicht als Prozesserklärung grundsätzlich unwiderruflich und unanfechtbar (st. Rspr. des BGH; vgl. nur BGH, NStZ 2006, 464). Hiervon ist allerdings bei bestimmten Konstellationen eine Ausnahme zu machen. Der BGH erkennt dies etwa für den Fall schwerwiegender Willensmängel und vorangegangener Urteilsabsprachen ohne anschließende qualifizierte Rechtsmittelbelehrung an (BGH, aaO). Darüber hinaus kann sich die Unwirksamkeit der Verzichtserklärung unter den Gesichtspunkten der Beachtung fairer Verfahrensgestaltung und der gerichtlichen Fürsorgepflicht auch aus sonstigen Umständen ihres Zustandekommens ergeben (vgl. BGH, aaO; BGHSt 45, 51; Hanack in: Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Auflage, 2003, § 203, Rn. 50 ff.; SK-StPO-Frisch, 16. Aufbau Erg.-Lieferung, 1997, § 302, Rn. 21 ff.). Die Gesamtschau der hier festgestellten Umstände führt zu der Annahme der Unwirksamkeit der Erklärung vom 17.06.2011, weil dem Verurteilten der Rechtsmittelverzicht in einer Weise vorgegeben wurde, die mit den Grundsätzen des fairen Verfahrens und der Fürsorgepflicht des Gerichts nicht zu vereinbaren sind.

Der letzte Satz der Erklärung enthält in seinem ersten Teil ein von Gesetzes wegen nicht einmal vorgesehenes Versprechen, die Auflagen des Beschlusses, womit im Falle der Führungsaufsicht die Weisungen nach § 68b StGB gemeint sein dürften, zu erfüllen. Dem schließt sich im zweiten Halbsatz der Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsmittels an. Dem Verurteilten wird damit in einem Protokoll, mit dem das Gericht an sich alleine seinen Belehrungspflichten nach § 268a Abs. 3 StPO nachkommen will, unnötigerweise mit der vorformulierten Erklärung ein Rechtsmittelverzicht abverlangt, ohne dass der Verurteilte für ihn ersichtlich eine Wahlmöglichkeit hat. Vielmehr vermittelt die Vorformulierung den Eindruck, der Verurteilte habe € wenn er sich mit der Einhaltung der Weisungen einverstanden erkläre - keine andere Wahl, als zugleich einen Rechtsmittelverzicht zu erklären. Er müsste, wenn er diesen nicht erklären aber im Übrigen die erhaltene Belehrung bestätigen und womöglich auch noch durch seine Unterschrift die Erfüllung der Weisungen zusagen wollte, von sich aus auf die Idee kommen, den Halbsatz über den Rechtsmittelverzicht durchzustreichen. Es liegt auf der Hand, dass insoweit Hemmungen bestehen könnten, in einem gerichtlichen Formular etwas durchzustreichen. Überdies entsteht durch die semantische und syntaktische Verbindung dieser beiden gänzlich unterschiedlichen Aussagen in jenem Satz die Gefahr, dass der Erklärende die weitreichenden formalen Folgen des unwiderruflichen Rechtsmittelverzichts in ihrer Tragweite verkennt. Die vom Gericht vorgegebene Formulierung in einer derartigen Erklärung ist damit geeignet, die freie Willensentschließung des Verurteilten zu beeinflussen und zugleich einen Irrtum über die Reichweite der Erklärung hervorzurufen.

Für die Zukunft weist der Senat darauf hin, dass bei der Verwendung von durch das Gericht oder andere öffentliche Stellen, etwa der Justizvollzugsanstalt, entworfenen, für den Verurteilten formularmäßig vorformulierten Erklärungen über einen Rechtsmittelverzicht, insbesondere im Zusammenhang mit einer Belehrung nach § 268a Abs. 3 StPO, Zurückhaltung geboten ist. In jedem Fall muss der von ihm erklärte Rechtsmittelverzicht für den Erklärenden eindeutig erkennbar sein. Es darf nicht missverständlich sein, worauf er sich erstreckt. Dem Erklärenden sollte zudem verdeutlicht werden, dass er die Wahl hat, den Verzicht zu erklären oder nicht. Das kann etwa durch einen ausdrücklichen Hinweis oder durch eine gestalterische Lösung (etwa eine Ankreuzoption) sicher gestellt werden.

2. Die Beschwerde hat in der Sache allerdings keinen Erfolg. Die Kleine Strafvollstreckungskammer hat zu Recht die Anordnungen zu Ziff. II bis IV erlassen.

a) Insoweit begegnet es keinen Bedenken, dass die Strafvollstreckungskammer die Dauer der Führungsaufsicht auf das gesetzliche Höchstmaß von fünf Jahren festgesetzt hat. Dies erscheint angesichts der in den Stellungnahmen der JVA Bremen vom 05.08.2010 und vom 21.03.2011 dargelegten und nachvollziehbar mit seiner mangelnden Eigeninitiative und der jahrelangen Suchtproblematik begründeten negativen Sozialprognose erforderlich. Eine Verkürzung der Höchstfrist kann gemäß §§ 68c Abs. 1 Satz 2, 68d StGB im weiteren Verfahren ggf. immer noch erfolgen.

b) Soweit der Verurteilte sich obendrein gegen die Weisung zu Ziff. IV.4 wendet, erweist sich die Beschwerde auch in diesem Punkt als unbegründet. Nach § 453 Abs. 2 Satz 2 StPO kann die Beschwerde nur darauf gestützt werden, dass die angegriffene Weisung gesetzeswidrig ist. Das ist der Fall, wenn sie im Gesetz nicht vorgesehen, unverhältnismäßig oder unzumutbar ist oder sonst die Grenzen des dem erstinstanzlichen Gericht eingeräumten Ermessens überschreitet (OLG Dresden, NJW 2009, 3315; OLG Celle, NStZ-RR 2010, 91, 92). Dies lässt sich vorliegend nicht feststellen. Die Weisung entspricht der Regelung des § 68b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StGB. Der Verurteilte hatte bei den Taten, die Gegenstand der Verurteilung durch das Amtsgericht Bremerhaven vom 14.09.2009 waren, in erheblichem Umfang über die Internetplattform €ebay€ Mobiltelefone zum Verkauf angeboten und den Kaufpreis entgegengenommen, ohne die Ware tatsächlich versenden zu wollen. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts in dem Urteil vom 14.09.2009 beging er die Taten, weil er finanzielle Schwierigkeiten hatte. Von dem Geld bestritt er seinen Lebensunterhalt, kaufte davon u.a. Marihuana. Angesichts der nach der Entlassung aus dem Vollzug nach wie vor nicht erkennbaren beruflichen Perspektive und den dadurch absehbar begrenzten finanziellen Mitteln erscheint die Weisung sinnvoll und für den Verurteilten € auch unter Berücksichtigung der geringen berufsrechtlichen Relevanz - zumutbar, um ihn von erneuten Straftaten in diesem Bereich abzuhalten. Das gilt auch im Hinblick darauf, dass ihm vom Sozialen Dienst der JVA in der Stellungnahme vom 21.03.2011 nach wie vor eine gewisse Antriebslosigkeit und Passivität zur Bewältigung der Suchtproblematik mit Hilfe einer Therapie vorgehalten wurde, wodurch die Rückfallgefahr und eine Wiederaufnahme der früheren Verhaltensmuster evident ist.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 S. 1 StPO.






OLG Bremen:
Beschluss v. 24.08.2011
Az: Ws 100/11


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