Oberlandesgericht Hamm:
Beschluss vom 14. Januar 2013
Aktenzeichen: 5 RVGs 108/12

(OLG Hamm: Beschluss v. 14.01.2013, Az.: 5 RVGs 108/12)

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt mit näherer Begründung, auf die Bezug genommen wird, für seine Tätigkeit sowohl im vorbereitenden Verfahren als auch im Zwischen- und Hauptverfahren anstelle der gesetzlichen Gebühren eine angemessene Pauschgebühr. Abweichend von seinem mit Schriftsatz vom 24. April 2012 einheitlich für das gesamte Verfahren gestellten Antrag beantragt er nunmehr mit Schriftsatz vom 6. September 2012, jeweils eine angemessene Pauschgebühr für seine Tätigkeit im vorbereitenden Verfahren und eine angemessene Pauschgebühr für seine Tätigkeit im Zwischen- und Hauptverfahren zu bewilligen.

Der Vertreter der Staatskasse hat unter dem 16. August 2012 zu dem ursprünglichen Antrag vom 24. April 2012 ausführlich Stellung genommen und den Tätigkeitsumfang sowie die dem Antragsteller zustehenden gesetzlichen Gebühren zutreffend dargelegt. Insgesamt hält er die erstinstanzlich vom Antragsteller erbrachten Tätigkeiten schon für besonders umfangreich i.S.d. § 51 RVG und mit den gesetzlichen Gebühren auch für unzumutbar vergütet. Er regt jedoch an, den Antrag auf Bewilligung einer Pauschgebühr zurückzuweisen, da im Rahmen der abschließenden Wertung auch zu berücksichtigen sei, dass dem Antragsteller von seinem Mandanten bzw. dessen Familie (Vater) bereits ein Betrag in Höhe von 13.697,00 Euro netto zugeflossen sei, der nach § 58 Abs. 3 RVG im Zuge der Gewährung der gesetzlichen Gebühren anrechnungsfrei bleibe. Dieses dem Antragsteller gezahlte Honorar ergebe zusammen mit der gesetzlichen Vergütung in Höhe von 20.050,00 Euro einen Betrag, der die fiktiven Wahlanwaltshöchstgebühren annähernd erreiche. Von daher seien die Tätigkeiten des Antragstellers bereits ausreichend vergütet, ein auszugleichendes Sonderopfer liege nicht vor.

Nachdem dem Antragsteller diese Stellungnahme des Vertreters der Staatskasse bekannt gegeben worden war, hat er diese mit Schriftsatz vom 06. September 2012 dahingehend beantwortet, dass "der bisher für das gesamte Verfahren gestellte Antrag in zwei Verfahrensabschnitte zu unterteilen" sei, "nämlich zum einen in den Verfahrensabschnitt des Ermittlungsverfahrens, in dem er als Wahlverteidiger tätig war, zum andern in den Verfahrensabschnitt des Hauptverfahrens einschließlich Zwischenverfahren, in dem er als Pflichtverteidiger seit seiner gerichtlichen Bestellung (07.09.2010) tätig war."

Zu diesem neuerlichen Antrag vom 06. September 2012 hat der Vertreter der Staatskasse sodann unter dem 29. Oktober 2012 Stellung genommen und gemutmaßt, der Antragsteller könne mit diesem Antrag nunmehr auch einen Pauschgebührenantrag gemäß § 42 RVG verfolgen, da er als Anlass für die aufgesplittete Antragstellung die Kostenentscheidung der 13. großen Strafkammer des Landgerichts Bochum zum Einstellungsbeschluss vom 26. Januar 2012 angebe. Hierzu hat der Antragsteller mit Schriftsatz vom 10. Dezember 2012 klargestellt, dass die von ihm mit Schriftsatz vom 6. September 2012 gestellten Anträge ausschließlich auf die abschnittsweise Bewilligung von Pauschgebühren nach § 51 RVG gerichtet seien. Die gestellten Anträge seien - entgegen der Auffassung der Staatskasse - auch keiner anderen Auslegung zugänglich.

II.

Der Antrag auf Bewilligung einer Pauschgebühr war abzulehnen.

1.

Soweit der Antragsteller in seinem neuerlichen Antrag vom 6. September 2012 beantragt, das Verfahren für die Bewertung einer zu bewilligenden Pauschgebühr in zwei Verfahrensabschnitte "aufzusplitten", nämlich in den Verfahrensabschnitt des Ermittlungsverfahrens und den des Zwischen- und Hauptverfahrens, ist eine solche Unterteilung im Hinblick auf § 58 Abs. 3 RVG nicht zulässig.

Das Ermittlungsverfahren und das Verfahren des ersten Rechtszuges gelten als Einheit und bilden damit einen einheitlichen Verfahrensabschnitt.

Dies folgt in erster Linie aus der historischen Auslegung: § 58 Abs. 3 RVG ist an die Stelle von § 101 Abs. 1 u. 2 BRAGO getreten, wonach die Anrechnung von Zahlungen für die "Tätigkeit in der Strafsache" erfolgte. Diese nach dem Wortlaut sehr weit gehende Anrechnung wurde nach allgemeiner Auffassung dahingehend ausgelegt, dass Zahlungen auf in der selben Instanz entstandene Gebühren angerechnet wurden, wobei das Ermittlungsverfahren als Teil des erstinstanzlichen Rechtszuges angesehen wurde (vgl. Gerold/Schmidt-Madert, BRAGO, 15. Aufl., Rdnr. 3 zu § 101 m.w.N.). Eine inhaltliche Änderung - etwa im Sinne einer Einschränkung der Anrechnungsmöglichkeit von Zahlungen - war mit dem Erlass des § 58 Abs. 3 RVG nicht beabsichtigt. Auch aus den Materialien des Gesetzes (vgl. BT-Drucks. 15/1971, 203) ergibt sich, dass "die Regelungen des § 101 Abs. 1 und Abs. 2 BRAGO in redaktionell angepasster Form übernommen werden". Es soll danach (lediglich) darauf verzichtet werden, den Beschuldigten oder Dritten ausdrücklich als denjenigen zu nennen, von dem der Rechtsanwalt eine Zahlung erhalten hat, weil es keine andere Variante geben kann. Satz 3 ist inhaltsgleich mit § 101 Abs. 2 BRAGO und drückt den Sachverhalt lediglich positiv aus. Der Wille des Gesetzgebers ist insoweit deutlich; eine Änderung der bisherigen Rechtslage war danach nicht beabsichtigt (vgl. hierzu ausführlich den Beschluss des hiesigen 3. Strafsenats vom 20. November 2007 in 3 Ws 320/07 mit zahlreichen weiteren Nachweisen; vgl. auch Beschluss des OLG Köln vom 30. Juni 2008 in 2 Ws 207/08, beide zitiert nach juris.de).

Diese historische Auslegung entspricht auch der Systematik des RVG und dem Sinn und Zweck der Anrechnungsregelung. Denn auch nach der Neuregelung durch § 48 Abs. 5 RVG erhält - wie zuvor nach der inhaltsgleichen Regelung in § 97 Abs. 3 BRAGO - der erstinstanzlich bestellte Verteidiger unabhängig vom Zeitpunkt seiner Bestellung Gebühren auch für seine Tätigkeit im Ermittlungsverfahren vor Erhebung der öffentlichen Klage. Hieraus ist ersichtlich, dass das RVG die anwaltliche Arbeit im Ermittlungsverfahren und in der ersten Instanz zusammenhängend beurteilt. Mit dem rückwirkenden Gebührenanspruch korrespondiert die ebenfalls auf das Ermittlungsverfahren rückwirkende Anrechnung gemäß § 58 Abs. 3 RVG (vgl. Beschluss des hiesigen 3. Strafsenats, a.a.O.).Die - auch vom Antragsteller geteilte - gegenteilige Auffassung (vgl. Burhoff, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, 3. Aufl., § 58 Abs. 3 Rdnrn. 14ff.; OLG Frankfurt NStZ-RR 2007, 328) vermag nicht zu überzeugen, weil sie nicht mit dem gesetzgeberischen Willen in Einklang steht.

2.

a.

Voraussetzung für die Bewilligung einer Pauschgebühr ist, dass die gesetzlichen Gebühren wegen des besonderen Umfangs oder der besonderen Schwierigkeit der Strafsache nicht zumutbar sind.

Mit dem Vorsitzenden der Strafkammer ist auch der Senat der Auffassung, dass die Strafsache für den Antragsteller keine besonderen Schwierigkeiten geboten hat.

Hinsichtlich des Tätigkeitsumfangs des Antragstellers und die ihm zustehenden gesetzlichen Gebühren schließt sich der Senat den zutreffenden Ausführungen des Vertreters der Staatskasse in dessen ausführlichen Stellungnahmen an, in der insbesondere auch die Senatsrechtsprechung berücksichtigt wird.

Soweit der Vertreter der Staatskasse ausführt, die dargelegten erstinstanzlichen Tätigkeiten des Antragstellers seien vorliegend schon besonders umfangreich i.S.d. § 51 RVG und allein mit den gesetzlichen Gebühren auch unzumutbar vergütet, vermag sich der Senat dem nicht anzuschließen.

Der Prozessstoff war zwar umfangreich im Sinne von § 51 RVG, die durchschnittliche Verhandlungsdauer mit 4 Stunden 29 Minuten lag für ein Verfahren vor einer Wirtschaftsstrafkammer aber im durchschnittlichen Bereich und die Terminierung war eher locker. Auch hat der Gesetzgeber dem in der Regel höheren Schwierigkeitsgrad und größeren Umfang von Strafsachen, die vor einer Wirtschaftsstrafkammer nach § 74 c GVG verhandelt werden - wie bisher nur bei Schwurgerichtssachen - bereits durch erheblich erhöhte Gebühren gegenüber sonstigen Strafsachen, die vor einer großen Strafkammer verhandelt werden, Rechnung getragen (vgl. auch Beschluss des hiesigen 2. Strafsenats vom 23. August 2005 - 2 (s) Sbd. 168/05).

Ferner kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass der ehemalige Angeklagte von zwei Pflichtverteidigern verteidigt worden ist, so dass diese arbeitsteilig vorgehen konnten und dadurch für den Antragsteller eine Arbeitsersparnis eingetreten sein dürfte.

Hinzu kommt, dass hinsichtlich des Ausmaßes der entfalteten Tätigkeit und der dazu korrespondierenden Frage einer etwaigen Unzumutbarkeit der gesetzlichen Gebühren zusätzlich zu beachten ist, dass es zwar einerseits dem bestellten Rechtsanwalt grundsätzlich selbst obliegt, in eigener Verantwortung über die Art der Verteidigungsstrategie und den daraus resultierenden Umfang der eigenen Tätigkeit zu entscheiden. Andererseits darf jedoch gleichzeitig nicht außer Acht gelassen werden, dass es sich bei der Bestellung zum Pflichtverteidiger um eine besondere Form der Indienstnahme Privater zu öffentlichen Zwecken handelt, deren Sinn nicht darin besteht, dem Anwalt zu seinem eigenen Nutzen und Vorteil eine zusätzliche Gelegenheit beruflicher Betätigung zu verschaffen. Zweck ist vielmehr allein, im öffentlichen Interesse dafür zu sorgen, dass der Angeklagte in schwerwiegenden Fällen rechtskundigen Beistand erhält und ein ordnungsgemäßer Verfahrensablauf gewährleistet wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. März 2007, 2 BvR 51/07, NStZ-RR 2007, 359 f.).

Demensprechend kann auch im Rahmen der Entscheidung über die Zubilligung einer Pauschgebühr nicht außer Betracht bleiben, ob die jeweils entfaltete anwaltliche Tätigkeit bei objektiver Betrachtung zur ordnungsgemäßen Verteidigung des Angeklagten tatsächlich geboten bzw. bei Zubilligung eines entsprechenden Ermessensspielraums zumindest noch als objektiv sinnvoll anzusehende Handlung zur Wahrung der Interessen des Angeklagten anzusehen war.

Demzufolge hat die anwaltliche Tätigkeit, die nicht zu einer sachgerechten Verteidigung, sondern im Rahmen sogenannter "Konfliktverteidigung" entfaltet wird, bei der Entscheidung über die Bewilligung einer Pauschgebühr unberücksichtigt zu bleiben (vgl. Senatsbeschluss vom 23. Juli 2012 in III-5 RVGs 65/12; OLG Köln, Beschluss vom 02. Dezember 2005, 2 ARs 223/05, zitiert nach juris).

Ebenso verhält es sich bei Tätigkeiten des Verteidigers, deren Umfang in keinem vernünftigen Verhältnis zum denkbaren Erfolg steht. Eine anwaltliche Tätigkeit, welche von einem verständig denkenden Angeklagten angesichts eines ersichtlichen Missverhältnisses des möglichen Erfolges zum wirtschaftlichen Aufwand im Rahmen eines Wahlmandates nicht in Auftrag gegeben würde, kann dementsprechend auch im Rahmen der Zubilligung einer Pauschgebühr keine Berücksichtigung finden. Eine andere Betrachtung würde dazu führen, Angeklagte zu benachteiligen, die sich durch einen Wahlverteidiger vertreten lassen. Denn dem von einem Pflichtverteidiger vertretenen Angeklagten stünde es frei, zumindest zunächst ohne eigenes finanzielles Risiko auch objektiv sachfremden und aussichtslos erscheinenden Verteidigungsaufwand zu betreiben (vgl. den o.g. Senatsbeschluss vom 23. Juli 2012).

So hat der Antragsteller zahlreiche Befangenheitsanträge gegen die erkennenden Richter und Verfahrensanträge gestellt - u.a. ist die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Bochum gerügt worden und es sind Terminsverfügungen des Vorsitzenden angegriffen worden, um nur einige Beispiele zu nennen -, die zu einer erheblichen Verzögerung der Hauptverhandlung geführt haben. Der Senat weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass es jedem Angeklagten und dessen Verteidiger natürlich unbenommen ist, derartige Anträge zu stellen, wenn sie Teil seiner Verteidigungsstrategie sind und er sie für notwendig erachtet. Die "Verteidigungshoheit" soll auch in keiner Weise angegriffen werden. Andererseits kann ein solches Verteidigungsagieren aber nicht dazu geeignet sein, nur deswegen eine Strafsache als "besonders umfangreich" im Sinne des § 51 RVG einzustufen mit der Folge, dass eine Pauschgebühr zu bewilligen wäre.

b.

Der Vertreter der Staatskasse hat zudem zu Recht darauf hingewiesen, dass das dem Antragsteller von seinem Mandanten bzw. dessen Familie zugeflossene Honorar bei der Bewilligung einer Pauschgebühr zu berücksichtigen ist.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist bei der Entscheidung über die Bewilligung einer Pauschgebühr zu beachten, ob der Antragsteller bereits Zahlungen für seine Tätigkeit erhalten hat. Solche anderweitigen Zahlungen haben Einfluss auf den Grad der Unzumutbarkeit i.S.d. § 51 RVG sowie die Höhe einer ggf. zu bewilligenden Pauschgebühr und sind von daher zu berücksichtigen (vgl. Senat, Be-

schlüsse vom 16. Oktober 2012 in III-5 RVGs 101/12, 1. Oktober 2012 in III-5 RVGs 93/12, 19. Januar 2012 in III-5 RVGs 54/11, 17. Januar 2012 in III-5 RVGs 38/11, 11. Januar 2012 in III-5 RVGs 73/11 und 2. August 2011 in III-5 RVGs 41/11; a.A. Burhoff in Gerold/Schmitt, RVG, 20. Aufl., § 51 RVG Rdnr. 63 und OLG Karlsruhe, Beschluss vom 22. Juni 2012 in 3 AR 16/12, zitiert nach www.burhoff.de, die ihre Auffassung ohne nähere Begründung auf eine Entscheidung des OLG Hamm aus dem Jahre 1959 sowie des OLG Stuttgart aus dem Jahre 1983 stützen. Das Merkmal der "Unzumutbarkeit" war jedoch zu jener Zeit noch nicht zu prüfen, da das RVG [und damit § 51 RVG] erst am 1. Juli 2004 in Kraft getreten ist.).

Den dem Antragsteller als bestelltem Verteidiger für die Vertretung des ehema- ligen Angeklagten zustehenden gesetzlichen Gebühren in Höhe von insgesamt 20.050,00 Euro sind dementsprechend die ihm anderweitig zugeflossenen Zahlungen in Höhe von 13.697,00 Euro netto, die nach § 58 Abs. 3 RVG anrechnungsfrei bleiben, hinzuzurechnen. Angesichts des sich ergebenden Gesamtbetrags in Höhe von 33.747,00 Euro teilt der Senat die Auffassung des Vertreters der Staatskasse, die Tätigkeiten des Antragstellers seien hiermit bereits hinreichend vergütet. Dieser dem Antragsteller zustehende Gesamtbetrag erreicht fast die sich für das vorliegende Verfahren errechnenden Höchstgebühren eines Wahlverteidigers von insgesamt 36.435,00 Euro.

Daher wäre es für den Antragsteller ungeachtet der obigen Ausführungen unter Punkt 2.a. ohnehin zumutbar und im Übrigen auch sachgerecht, die von ihm erbrachten Tätigkeiten allein nach den gesetzlichen Gebühren abzurechnen. Ein durch die Bewilligung einer Pauschgebühr auszugleichendes Sonderopfer des Antragstellers läge damit nicht vor.






OLG Hamm:
Beschluss v. 14.01.2013
Az: 5 RVGs 108/12


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