Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen:
Urteil vom 12. Januar 2009
Aktenzeichen: L 19 AL 72/07

(LSG Nordrhein-Westfalen: Urteil v. 12.01.2009, Az.: L 19 AL 72/07)

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 27.09.2007 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist die Berechtigung des Klägers zur Begründung eines Versicherungsverhältnisses auf Antrag nach § 28 a Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung (SGB III).

Der am 00.00.1960 geborene Kläger stand vom 01.01.1993 bis zum 31.07.2004 in Beschäftigungsverhältnissen, aufgrund derer Pflichtbeiträge nach dem SGB VI zur gesetzlichen Rentenversicherung sowie nach dem SGB III abgeführt wurden. Am 15.07.2004 schloss der Kläger einen auf den Zeitraum vom 01.07.2004 bis 30.06.2007 befristeten Dienstvertrag der B System AG über eine Anstellung als Geschäftsführer und Vorstand der Gesellschaft gegen Zahlung eines bezifferten Bruttogehaltes zuzüglich einer fixen und einer ertragsabhängigen Tantieme.

Im Handelsregister des Amtsgerichts Wuppertal (HRB 000) ist der Kläger seit dem 21.01.2004 neben einem weiteren Vorstand bzw. seit dem 29.10.2004 als einziger Vorstand der Gesellschaft eingetragen.

Durch Vertrag vom 27.01.2006 erwarb der Kläger sämtliche Anteile an der B System AG unter Übertragung sämtlicher Aktien auf ihn.

Am 13.02.2006 beantragte der Kläger bei der Beklagten die freiwillige Weiterversicherung in der Arbeitslosenversicherung. Er gab an, er habe vom 01.01.1993 bis 31.07.2004 versicherungspflichtig gearbeitet und sei als Selbstständiger mehr als 15 Stunden wöchentlich tätig. Der Kläger fügte seinem Antrag den ab 01.07.2004 in Kraft getretenen Dienstvertrag mit der B System AG und einen Versicherungsverlauf vom 02.11.2004 der gesetzlichen Rentenversicherung bei.

Mit Bescheid vom 07.04.2004 lehnte die Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, der Kläger sei nach § 27 Abs. 1 Nr. 5 SGB III als Mitglied des Vorstandes einer Aktiengesellschaft versicherungsfrei und könne nicht auf seinen Antrag versichert werden. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Bescheid vom 09.05.2006 zurück.

Seine Klage zum Sozialgericht vom 08.06.2008 hat der Kläger mit der Verweisungsvorschrift des § 28a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB III begründet. Diese belege, dass der Gesetzgeber gerade durch die in Bezug genommene Regelung des § 27 SGB III den hiernach versicherungsfreien Personenkreis in den Schutzbereich des § 28a SGB III habe einbeziehen wollen. Die gegenteilige Auffassung der Beklagten wie auch eine in der Kommentierung vertretenen Auffassung (Verweis auf Hauck/Noftz, 28a SGB III Rn. 28), wonach die Verweisung in § 28 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB III ein Versehen des Gesetzgebers sei, finde im Gesetz keine Stütze. Ein redaktionelles Versehen könne nicht unterstellt werden, solange nicht der wirkliche Wille des Gesetzgebers feststehe. Zum weiteren Beleg seiner Selbstständigkeit hat der Kläger eine Bescheinigung seiner Krankenkasse vom 07.09.2006 vorgelegt, wonach er als Vorstand einer AG im Besitz von mehr als 50 % der Aktien als Selbstständiger eingestuft werde.

Mit Urteil vom 27.09.2007 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger sei aufgrund seiner Stellung als Vorstand einer Aktiengesellschaft nach § 27 Abs. 1 Nr. 5 SGB III und von der Antragsversicherung nach § 28a SGB III ausgenommen. Die Verweisung in § 28a Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB III habe den Sinn einer Klarstellung, dass auch Vorstandsmitglieder regelmäßig als weisungsabhängig beschäftigt und daher versicherungspflichtig anzusehen seien, während Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften allein wegen der Rechtsform der Gesellschaft, der sie vorstehen, von der Versicherungspflicht ausgenommen seien. Es könne ersichtlich nicht gesetzgeberische Intention gewesen sein, Vorstände von Aktiengesellschaften ausdrücklich aus der Versicherung nach dem SGB III auszunehmen und sodann durch Zulassung eines Antrages nach § 28a SGB III wieder einzubeziehen. Ansonsten ergebe sich auch ein Widerspruch zu § 28a Abs. 2 Satz 4 SGB III, durch den die Vorschriften des ersten Abschnitts über die Versicherungsfreiheit und damit auch § 27 SGB III für anwendbar erklärt werden. Liege ein Befreiungstatbestand nach § 27 SGB III vor, führe dies dazu, dass eine freiwillige Weiterversicherung nach § 28a SGB III als ausgeschlossen anzusehen sei. Raum für eine Einzelfallbetrachtung der Verhältnisse in der jeweiligen Aktiengesellschaft lasse die typisierende Regelung in § 27 Satz 1 Nr. 5 SGB III nicht zu. Auf die weitere Begründung des Urteils wird Bezug genommen.

Gegen das ihm am 28.10.2007 zugestellte Urteil hat der Kläger am 19.10.2007 Berufung eingelegt. Er führt ergänzend aus, mangels gegenteiliger Anhaltspunkte sei davon auszugehen, dass der Gesetzgeber mit der Formulierung in § 28a Abs. 2 Ziffer 3 SGB III den von § 27 SGB III erfassten Personenkreis, damit auch Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften, in den Anwendungsbereich von § 28a SGB III habe einbeziehen wollen. Auch lasse § 27 Abs. 1 Nr. 5 SGB III Raum für eine Einzelfallbetrachtung, ob nach den konkreten Verhältnissen Versicherungspflicht oder Versicherungsfreiheit vorliege. Dies ergebe sich aus einer Entscheidung des Bayerischen LSG (Urteil vom 11.05.2007 - L 8 AL 220/06).

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 27.09.2007 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 07.04.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.05.2006 zu verurteilen, den Kläger aufgrund seines Antrages vom 13.02.2006 in der Arbeitslosenversicherung freiwillig zu versichern.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte stützt ihre Auffassung auf das angefochtene Urteil und die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (u.a. Urteil vom 25.04.2007 - B 12 KR 30/06 R), wonach Vorstände von Aktiengesellschaften zwar in Beschäftigungsverhältnissen im Sinne der Arbeitslosenversicherung stünden, aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum Vorstand einer Gesellschaft in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft jedoch typisierend als versicherungsfrei angesehen würden. Für eine Einzelfallbetrachtung bleibe kein Raum.

Zu weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Prozessakte, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 07.04.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.05.2006 ist rechtmäßig. Der Kläger ist kraft seiner Stellung als Vorstand der B System AG nicht zur Antragsversicherung nach § 28a SGB III berechtigt.

Nach § 28a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III (eingeführt durch Gesetz vom 23.12.2003, BGBl. I 2848, mit Wirkung zum 01.02.2006, geändert durch Gesetz vom 21.03.2005 gültig vom 02.02.2006 - 30.06.2008, BGBl I 818 können Personen ein Versicherungspflichtverhältnis auf Antrag begründen, die eine selbstständige Tätigkeit mit einem Umfang von mindestens 15 Stunden wöchentlich aufnehmen und ausüben.

Voraussetzung hierfür ist erstens, dass der Antragsteller innerhalb der letzten 24 Monate vor Aufnahme der Tätigkeit oder Beschäftigung mindestens 12 Monate in einem Versicherungspflichtverhältnis nach den Vorschriften des ersten Abschnitts gestanden oder eine Entgeltersatzleistung nach diesem Buch bezogen hat (§ 28a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III), zweitens, dass der Antragsteller unmittelbar vor Aufnahme der Tätigkeit oder Beschäftigung, die zur freiwilligen Weiterversicherung berechtigt, in einem Versicherungspflichtverhältnis nach den Vorschriften des ersten Abschnitts gestanden oder eine Entgeltersatzleistung nach diesem Buch bezogen hat und drittens, dass Versicherungspflicht (§ 26, 27) anderweitig nicht besteht (§ 28a Abs. 1 Satz 2 SGB III).

Zur Überzeugung des Senats erfüllt der Kläger die Voraussetzungen des § 28a Abs. 2 Satz 2 SGB III.

Die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit i. S. von § 28a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ergibt sich nicht bereits aus der im Juli 2004 mit Eintragung in das Handelsregister beim Amtsgericht Wuppertal erworbenen rechtlichen Stellung des Klägers als Vorstand der Aktiengesellschaft. Zwar haben Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften bereits kraft Gesetzes, nämlich nach dem Aktiengesetz (AktG) eine einflussreiche Stellung, die sich aus zahlreichen Vorschriften des Gesetzes herleiten lässt (z. B. § 76 Abs. 1 AktG: Leitung der Gesellschaft unter eigener Verantwortung; § 78 AktG, § 72 Abs. 1 AktG: unbeschränkte Vertretungsbefugnis des Vorstands). Die Organstellung an sich erübrigt jedoch nicht die Prüfung, ob es sich bei der Tätigkeit für die Gesellschaft um eine selbstständige Tätigkeit oder unselbstständige Beschäftigung handelt. Vielmehr sind nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften deutschen Rechts regelmäßig abhängig beschäftigt, auch wenn sie die Gesellschaft in eigener Verantwortung leiten und gegenüber der Belegschaft Arbeitgeberfunktionen wahrnehmen (Urteil des BSG vom 27.02.2008 - B 12 KR 23/06 R - Rd. 16 = SozR 4-2600 § 1 Nr. 3 m.w.N.; Urteil des Bayerischen LSG vom 11.05.2007 - L 8 AL 220/06 - m.w.N.).

Die Prüfung, ob und wann der Kläger im Sinne von § 28a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III eine selbstständige Tätigkeit aufgenommen hat, ist daher ungeachtet seines Eintritts in den Vorstand im Juli 2004 anhand der allgemeinen Kriterien für die Abgrenzung der selbstständigen Tätigkeit von der abhängigen Beschäftigungen vorzunehmen (ausführlich Segebrecht in jurisPK-SGB IV, § 7 Rd.-Nr. 44 ff, 113).

Eine selbstständige Tätigkeit hat der Kläger bei der B System AG jedenfalls ab Erwerb der Gesellschaft durch Übernahme sämtlicher Aktien per Vertrag vom 27.01.2006 ausgeübt, da hierdurch die organschaftliche Stellung als Vorstand mit der beherrschenden Stellung als Alleineigentümer zusammengeführt wurde.

Sowohl bei Begründung der selbstständigen Tätigkeit durch Aufnahme der Vorstandstätigkeit im Juli 2004 als auch bei Ausscheiden des weiteren Vorstandsmitgliedes im Oktober 2004 und auch bei Erwerb der Gesellschaft durch den Kläger im Januar 2006 waren sowohl das Erfordernis der Vorversicherungszeit nach § 28a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 von 12 Monaten innerhalb der letzten 24 Monate vor Beginn der Selbstständigkeit als auch das der Nahtlosigkeit zwischen abhängiger Beschäftigung und selbstständiger Tätigkeit nach § 28a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB III gewahrt.

Von der Aufnahme einer mehr als 15 Wochenstunden umfassenden Tätigkeit ist der Senat nach den glaubhaften Angaben des Klägers in Verbindung mit den arbeitsvertraglich übernommenen Verpflichtungen überzeugt.

Der Antrag wurde vom Kläger am 13.02.2006 auch rechtzeitig gestellt. Der Antrag muss nach § 28a Abs. 2 Satz 2 SGB III spätestens innerhalb von einem Monat nach Aufnahme der Tätigkeit oder Beschäftigung, die zur freiwilligen Weiterversicherung berechtigt, gestellt werden. Nach § 434 j Abs. 2 Satz 1 SGB III gilt § 28 a Abs. 2 SGB III mit der Maßgabe, dass ein Antrag auf freiwillige Weiterversicherung ungeachtet der Voraussetzungen des Satzes 2 bis zum 31.12.2006 gestellt werden kann.

Gleichwohl war der Antrag abzulehnen, weil der Kläger wegen seiner Stellung als Vorstand einer Aktiengesellschaft nach § 27 Abs. 1 Nr. 5 SGB III von der Versicherungspflicht nach dem SGB III und insbesondere auch vom Recht zur Begründung eines Versicherungsverhältnisses auf Antrag nach § 28 a SGB III ausgenommen ist.

Nach § 27 Abs. 1 Nr. 5 SGB III sind Personen versicherungsfrei in einer Beschäftigung als Mitglieder des Vorstandes einer Aktiengesellschaft für das Unternehmen, dessen Vorstand sie angehören.

Die regelungstechnische Notwendigkeit der Einführung dieser Vorschrift folgt aus dem Umstand, dass sich die Frage, ob Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig sind, nicht anhand ihrer organschaftlichen Stellung beantworten lässt (vgl. BSG, Urteil vom 27.02.2008, aaO). Die Prüfung der Versicherungspflicht von Vorstandsmitgliedern von Aktiengesellschaften im SGB III wäre daher im Rahmen von § 25 SGB III nach den Kriterien der abhängigen Beschäftigung unter Beachtung der Einzelheiten des konkreten Falles vorzunehmen, wenn § 27 Abs. 1 Nr. 5 SGB III nicht eingeführt worden wäre.

Zur Einführung von § 27 Abs. 1 Nr. 5 SGB III hat sich der Gesetzgeber jedoch entschlossen und damit ein Rechtszustand herbeigeführt, der im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung bereits seit geraumer Zeit existierte und auch im unmittelbaren Vorgängerrecht des SGB III nach dem Arbeitsförderungsgesetz (AFG) bestand. (Schlegel in Eicher/Schlegel SGB III, Stand November 2008, § 27 Rd.-Ziffer 47 ff.). Eine entsprechende ausdrückliche gesetzliche Regelung zur Versicherungsfreiheit gab es zunächst nur in der Rentenversicherung (§ 3 Abs. 1 a des Angestelltenversicherungsgesetzes - AVG - eingefügt durch Gesetz vom 28. Juli 1969, BGBl I 1956). Die Vorschrift bezog sich ausdrücklich nur auf die Angestelltenrentenversicherung, galt nach der Praxis der Versicherungsträger wie auch nach der Rechtsprechung entsprechend für die Kranken- und Arbeitslosenversicherung (Fundstellen bei Schlegel aaO). § 1 Satz 4 SGB VI hat die Regelung des § 3 Abs. 1 AVG der Sache nach übernommen. Danach sind Mitglieder des Vorstandes einer Aktiengesellschaft in der Renten- und Krankenversicherung nicht versicherungspflichtig. In der Arbeitslosenversicherung wurde eine ausdrückliche Regelung erstmals mit Wirkung ab dem 01.01.1993 durch Anfügung des § 168 Abs. 6 AFG getroffen. Die Vorschrift ist mit Wirkung zum 01.01.1998 aufgehoben und durch den seither geltenden § 27 Abs. 1 Nr. 5 SGB III ersetzt worden.

Dem Ausschluss von Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft aus der Sozialversicherungspflicht lag und liegt die Erwägung zugrunde, dass bei Mitgliedern des Vorstandes einer AG wegen ihrer herausragenden und starken wirtschaftlichen Stellung Schutz und Sicherheit durch Aufnahme in Sozialversicherungssysteme entbehrlich erscheint (BSG, Urteile vom 09.08.2006 - B 12 KR 3/06 R = SozR 4-2600 § 229 Nr. 1 und vom 25.04.2007 - B 12 KR 30/06 R - zur Befreiung von der Rentenversicherungpflicht). Mit einer ausdrücklichen Regelung im AFG bzw. SGB III wollte der Gesetzgeber eine entsprechende Rechtslage im Recht der Arbeitslosenversicherung normieren, (vgl. Gesetzes- begründung zur Einführung von § 168 Abs. 6 AFG in BTDrs. 12/3211 Seite 28 zur Nr. 46) bzw. zur Entwurfsfassung von § 27 Abs. 1 SGB III in BTDrs. 13/4541, Seite 158: "Die in Absatz 1 der Vorschrift zusammengefassten Regelungen zur Versicherungsfreiheit entsprechen dem geltenden Recht (§ 168 Abs. 6, § 169 AFG)".

Der Ausschluss von Vorstandsmitgliedern von Aktiengesellschaften aus dem Schutz des SGB III entspricht einer in allen Zweigen der Sozialversicherung seit langer Zeit herrschenden typisierenden Betrachtung, wonach Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften bereits aufgrund ihrer Organstellung - ohne Beachtung der im Übrigen für oder gegen ihre sozialversicherungsrechtliche Schutzbedürftigkeit sprechenden Umstände - auch von Versicherungspflicht nach dem SGB III ausgenommen sind. Aus dieser Sicht besteht daher kein Spielraum für die vom Kläger begehrte Berücksichtigung der besonderen Umstände seines Falles.

Den Materialien zur Einführung der Antragversicherung u.a. für Selbstständige durch Schaffung des § 28a SGB III ist eine bewusste Abkehr von der langjährig bestehenden und mehrere Sozialversicherungszweige beherrschenden Grundentscheidung des Gesetzgebers, Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaft bereits aufgrund ihrer organschaftlichen Stellung aus der Sozialversicherung auszuschließen, nicht zu entnehmen.

Danach kann sich der Kläger alleine auf den Klammerzusatz in § 28a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III berufen. Angesichts des klaren Wortlauts, der beschriebenen Vorgeschichte und Bedeutung von § 27 Abs. 1 Nr. 5 SGB III spricht aber nichts für einen Paradigmenwechsel des Gesetzgebers. Nach der deutlich zu Tage getretenen Intention des Gesetzgebers bei Einführung der Antragsversicherung für Selbstständige war eine hierauf zielende Änderung nicht beabsichtigt. Zur Überzeugung des Senats ergibt sich auch aus der Formulierung von § 28 a SGB III kein zwingender Hinweis dafür.

Mit der Einführung der Antragspflichtversicherung für Selbstständige nach § 28a Abs. 1 Nr. 2 SGB III wollte der Gesetzgeber erkennbar die versicherungsrechtlichen Nachteile mildern, die sich für Selbstständige, insbesondere Existenzgründer, aus der zum 01.02.2006 wirksam werdenden Verkürzung der bislang zugunsten dieses Personenkreises erweiterten Rahmenfristen für die Erfüllung der Voraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosengeld ergaben. Nach der bis zum 31.12.2003 bestehenden Rechtslage konnte die Anwartschaft für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld in einer Rahmenfrist von 3 Jahren erfüllt werden, die durch das Gesetz vom 23.12.2003 (BGBl I 2848) mit Wirkung zum 01.01.2004 auf 2 Jahre verkürzt wurde. Diese Rahmenfrist verlängerte sich nach § 124 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 SGB III a. F. um Zeiten einer mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassenden selbstständigen Tätigkeit auf längstens 5 Jahre (§ 124 Abs. 3 S. 2 SGB III a. F.). Hierdurch wollte der Gesetzgeber Arbeitnehmer privilegieren, die den Versuch unternommen hatten, sich eine eigene selbstständige Existenz aufzubauen, indem es ihnen erlaubt wurde, nach einem fehlgeschlagenen Versuch der Existenzgründung an länger zurückliegende Anwartschaftszeiten anknüpfend einen Anspruch auf Arbeitslosengeld geltend zu machen (Niesel, SGB III, 3. Aufl., § 124 Rn. 7 mwN).

§ 124 Abs. 3 SGB III a. F. wurde durch das Gesetz vom 23.12.2003 unter Streichung dieser Privilegierung der Selbstständigen in § 124 Abs. 3 Nr. 3 SGB III a. F. zum 01.01.2004 geändert. Nach der zugleich eingefügten Übergangsvorschrift in § 434j Abs. 3 SGB III war § 124 SGB III jedoch in der bis zum 31.12.2003 geltenden Fassung für Personen anzuwenden, deren Anspruch auf Arbeitslosengeld bis zum 31.01.2006 entstanden war. Diesen sich für Selbständige, insbesondere Existenzgründer, ab dem 01.02.2006 ergebenden Nachteil wollte der Gesetzgeber mit der gleichzeitigen Einführung von § 28a SGB III durch das Gesetz vom 23.12.2003 ausgleichen. Zur Begründung von § 28a heißt es im Gesetzesentwurf (BT-Drs. 15/1515 S. 78) "Mit der Regelung zur freiwilligen Weiterversicherung eröffnet das Gesetz bestimmten Personengruppen, die nicht kraft Gesetzes der Versichertengemeinschaft angehören, die Möglichkeit, sich freiwillig weiterzuversichern und damit ihren Versicherungsschutz aufrechtzuerhalten. Versicherungsberechtigt sind ... Existenzgründer ... Die Regelung ersetzt die Sonderregelungen zur - beitragsfreien - Erweiterung der für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld maßgeblichen Rahmenfrist für Personen, die ... eine selbstständige Tätigkeit aufnehmen (vgl. Änderung zu § 124 Abs. 3). Sie trägt dem Versicherungsprinzip Rechnung und begünstigt - anders als die bisherige Rahmenfristregelung - Personen, die den Bezug von Arbeitslosengeld durch ... die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit unterbrechen".

Der Gesetzgeber wollte danach den als sozial schutzbedürftig angesehenen Kreis der noch nicht langjährig selbstständig Tätigen, denen eine bestehende Absicherung im SGB III entzogen wurde, privilegieren. Ein Hinweis auf eine beabsichtigte Veränderung der Rechtsstellung von Personengruppen, die aus anderen Gründen (bzw. wegen Ordenszugehörigkeit nach § 27 Abs. 1 Nr. 2 SGB II, vgl. hierzu Urteil des erkennenden Senats vom 03.12.2007 - L 19 AL 96/06 - Revision unter dem Aktenzeichen B 12 AL 1/08 R anhängig, oder, wie im Falle des Klägers, wegen Stellung als Vorstand einer Aktiengesellschaft nach § 27 Abs. 1 Nr. 5 SGB III) nicht versichert waren, fehlt dagegen.

Der Senat sieht keinen Anhalt dafür, dass der Gesetzgeber den seit jeher in typisierender Betrachtung und ausdrücklicher Regelung nicht sozial schutzbedürftig angesehenen Vorständen von Aktiengesellschaften den Zugang zur Arbeitslosenversicherung durch das Antragsrechts nach § 28 a SGB III hätte eröffnen wollen.

Für eine solche Absicht des Gesetzgebers bieten zur Überzeugung des Senats weder Wortlaut noch Systematik des Gesetzes einen Hinweis.

Bei der vom Kläger vertretenen Auffassung bleibt die Frage offen, warum die Verweisung in § 28a Abs. 1 Nr. 3 SGB III allein auf § 27 Abs. 1 Nr. 5 SGB III bezogen sein sollte. Sie gälte dann auch für sämtliche in § 27 SGB III aufgeführten Personengruppen und damit auch für Beamte, Richter, Soldaten auf Zeit und andere öffentlich Bedienstete. Dies würde zu einem offensichtlich nicht gewollten Ergebnis führen, weil für diese Personengruppen ein Schutzbedürfnis für die Arbeitslosenversicherung nicht ersichtlich ist. Demgegenüber stellt die Verweisung in § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III zur Überzeugung des Senats einen sinnvollen Regelungszusammenhang her:

§ 28 Abs. 1 Satz 1 SGB III beschreibt die antragsberechtigten Personengruppen. § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB III nennt die Voraussetzungen der auf Antrag begründbaren Versicherungspflicht und will Personen vom Antragsrecht ausschließen, die ohnehin kraft bestehender gesetzlicher Regelung pflichtversichert im SGB III sind. Im Klammerzusatz und damit offensichtlich zur Ausfüllung des Begriffes der Versicherungspflicht wird dann alleine auf §§ 26, 27 SGB III Bezug genommen. Dies ist irritierend, weil Versicherungspflicht im SGB III anhand des Grundtatbestandes der abhängigen Beschäftigung (§ 25 SGB III), der Feststellung von Versicherungspflicht begründenden Sondertatbeständen nach § 26 SGB III und der Prüfung, ob Ausnahmetatbestände nach § 27 SGB III vorliegen, vorzunehmen ist. Erst die Prüfung aller drei Vorschriften ermöglicht auch die bei mehreren Beschäftigungsverhältnissen erforderliche Feststellung, ob und bezüglich welcher nebeneinander ausgeübter Beschäftigungen im Sinne von § 25 SGB III Versicherungspflicht in der Arbeitslosenversicherung besteht. Insoweit wäre zu erwarten gewesen, dass der Gesetzgeber, wenn er sich schon zu einer ausdrücklichen Nennung der anzuwendenden Vorschriften entschließt, sowohl auf §§ 25 und 26 SGB III als auch auf § 27 SGB III Bezug genommen hätte.

Warum dies nicht geschehen ist, kann letztlich dahinstehen. Auf erkennbare Motive des Gesetzgebers kann der Kläger seine Auffassung, durch Nennung von § 27 SGB III in § 28a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III sollte der Kreis der Antragsberechtigten erweitert werden, jedoch nicht stützen. Sie ist auch aus systematischen Gründen nicht zwingend, insofern der Kreis der Antragsberechtigten durch § 28a Abs. 1 Satz 1 beschrieben und in § 28 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 ein Ausschlusstatbestand geregelt wird.

Die Sicht des Klägers führt vielmehr zu einem nicht auflösbaren Widerspruch zu § 28 a Abs. 2 Satz 4 SGB III, wonach die Vorschriften des ersten Abschnitts entsprechend gelten. Zum ersten Abschnitt des SGB III gehören jedoch auch die Auschlusstatbestände des § 27 SGB III. Die Auslegung der Klägerseite zwänge so zu einem Verständnis der Gesamtregelung dahin, dass Vorstandsmitglieder von Aktiengesellschaften zwar nach § 28 Abs. 1 SGB III antragsberechtigt, nach Stellung des Antrags jedoch kraft der Verweisung in § 28 a Abs. 2 Satz 4 SGB III auf § 27 SGB III und damit auch auf § 27 Abs. 1 Nr. 5 SGB III von Anfang an versicherungsfrei wären.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen.






LSG Nordrhein-Westfalen:
Urteil v. 12.01.2009
Az: L 19 AL 72/07


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/9e41571b950a/LSG-Nordrhein-Westfalen_Urteil_vom_12-Januar-2009_Az_L-19-AL-72-07




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share