Landgericht Köln:
Urteil vom 17. Dezember 2009
Aktenzeichen: 15 O 369/07

(LG Köln: Urteil v. 17.12.2009, Az.: 15 O 369/07)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 33.099,05 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.03.2008 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird weiterhin verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von EUR 10.000,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.03.2008 zu zahlen.

3. Es wird festgestellt, daß die Beklagte dem Kläger die künftigen Kosten für Physiotherapiemaßnahmen zu ersetzen hat, soweit die vorbezeichneten Behandlungen aufgrund des Unfalls vom 06.08.2005 zu seiner Rehabilitation erforderlich sind.

4. Es wird festgestellt, daß die Beklagte dem Kläger einen etwaigen Verlust von Rentenansprüchen aufgrund des verzögerten Berufseintritts zu ersetzen hat.

5. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

6. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages.

Tatbestand

Die Beklagte ist ein Unternehmen der Tabakindustrie, zu dem u.a. die Zigarettenmarke M gehört.

Der Kläger nahm gemeinsam mit den Zeugen H und K in der Zeit vom 31.07. bis 11.08.2005 als Gewinner eines von der Beklagten zum Zwecke der Öffentlichkeitsarbeit veranstalteten Gewinnspiels an einer 10 tägigen Reise unter der Bezeichnung "M Life Experience 2005" in Kenia teil. Nach dem Reiseprogramm (Anlage K 1 zur Klageschrift, Bl. 107f d.A.) stand die Reise unter dem Motto "Discover Music". Reiseziel war P; dort sollte den Teilnehmern die afrikanische Musikszene u.a. durch Konzertbesuche sowie ein Treffen und einer gemeinsamen Studioaufnahme mit dem lokalen Künstler "DJ Y" nähergebracht werden.

Der Reise lag die seitens des Klägers unterzeichnete Teilnahmevereinbarung vom 13.07.2005 (Anlage K 17 zur Klageschrift, Bl. 154ff d.A.) zugrunde, auf die wegen der Einzelheiten verwiesen wird. Gemäß der Anlage 1 zu dieser Teilnahmevereinbarung waren als Reiseziel P vereinbart und zum Verlauf der Reise u.a. die folgenden Tagesprogrammpunkte vorgesehen:

02.08.05 - Abendessen mit Y in P City; 03./04.08 - mit Y im Studio + Dinner mit Y; 06.08. - Massai Market + Local Konzert; 06.08.- Snake Park u.a.; Tage zur freien Verfügung.

Die Reise war von der Beklagten als Teil der Öffentlichkeitsarbeit konzipiert worden. Entsprechend wurden die Teilnehmer durch die Teilnahmevereinbarung verpflichtet, die Reise an dem Reiseplan auszurichten, sowie ihre Erfahrungen, Eindrücke, Erlebnisse und Begegnungen in Texten, Fotos und Filmen zum Zwecke der Veröffentlichung durch die Beklagte festzuhalten und der Beklagten auch nach Abschluß der Reise für Foto- und Filmaufnahmen sowie Interviews unentgeltlich zur Verfügung zu stehen. Die Beklagte verpflichtete sich gemäß Ziffer 2 der Vereinbarung zur Gestellung von Flugtickets, Versicherung und Unterkunft sowie eines Taschengeldes für die drei Teilnehmer zusammen in Höhe von EUR 1.000,00. In Ziffer 2.6 der Teilnahmevereinbarung ist weiterhin geregelt:

"Damit sind sämtliche Ansprüche der Teilnehmer gegen JTI abgegolten einschließlich etwaiger Ansprüche auf Nutzungsvergütung und Auslagenerstattung. Die übrigen Kosten, die den Teilnehmern im Rahmen der Aktion entstehen, sind von diesen selbst zu zahlen. Schadensersatzansprüche gegen JTI bestehen nur im Falle von Vorsatz und grober Fahrlässigkeit."

Die Beklagte beauftragte mit der Organisation der Reiseprogrammpunkte die Streitverkündete N GmbH, bei der die Zeugin T3 zuständig war. Mit der Organisation von Unterkunft und Transport beauftragte die Beklagte die U GmbH, bei der die Zeugin G beschäftigt war. Als Ansprechpartner für den Kläger und seine Gefährten wurden vor Ort in P Herr O und als sogenannter "Guardian Angel" Herr E tätig. Weiterhin wurde den Teilnehmern bereits mit dem Reiseprogramm (Anlage K 1 zur Klageschrift, Bl. 107f d.A.) unter der Rubrik "Für Euch da - die Kontakte" Herr Z von der X Entertainment Group als Insider und Ansprechpartner benannt. Die X Entertainment Group - eine Musik- und Veranstaltungsagentur, die u.a. als Management für DJ Y fungierte - stellte vor Ort das Programm zusammen und betreute die Teilnehmer, wobei die Beklagte erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 26.11.2009 bestritten hat, daß dies im Auftrag der N GmbH geschah.

Nach Reiseantritt zeigte sich sodann, daß das für den 06.08. vorgesehene Konzert in P ausfallen würde. Dem Kläger und seinen Begleitern wurde jedoch durch Z vorgeschlagen, stattdessen ein Konzert in C zu besuchen, bei dem auch DJ Y auftreten werde und welches tagsüber am Strand stattfinde und das Konzerthighlight in Kenia darstelle. In diesem Zusammenhang erfolgten auch Gespräche mit Lewella und O. Letzterer kontaktierte mit der Bitte um Stellungnahme noch am Mittag des 05.08.2005 vor der für denselben Abend geplanten Abfahrt nach C die Zeugin G von der U GmbH per E-Mail und teilte dieser mit, daß Z für die Reiseteilnehmer, DJ Y und 3 weitere Künstler einen Kleinbus für eine Reise nach C am selben Abend organisiert habe, was voraussichtlich 55 USD p.P. kosten werde. Weiterhin habe Kevin ein Hotelzimmer für die Teilnehmer für 140 USD gebucht, womit die Gäste einverstanden gewesen seien. Diese beabsichtigten zudem mit dem Zug zurückzufahren, wovon er aber aus Sicherheitsgründen abgeraten habe. Wegen der Einzelheiten der E-Mail wird auf die Anlage B3 zur Klageerwiderung, Bl. 197 d.A. verwiesen.

Auf der Übernachtfahrt nach C, die am 05.08.2005 gegen 21 Uhr begann und von nur einem Fahrer durchgeführt wurde, kam es sodann gegen 6 Uhr am nächsten Morgen zu einem Verkehrsunfall, bei welchem der Kläger ein Schädel-Hirn-Trauma, eine Schlüsselbeinfraktur, Rippenbrüche, eine Schwellung des Sprunggelenkes, Schnittwunden im Gesicht und an den Beinen sowie eine Absplitterung an einem Schneidezahn erlitt. Im weiteren Verlauf kam es dann zu persistierenden Schmerzen am linken Schlüsselbein aufgrund einer verzögerten Knochenheilung und der Bildung einer Pseudoarthtrose; dem Kläger mußte schließlich eine künstliche Platte in der Schulter eingesetzt werden. Seither leidet er unter erheblichen Bewegungseinschränkungen und einer mangelnden Belastbarkeit der Schulter, sowie unter Schmerzen in der Hand, im Knöchelbereich, in der Schulter und im Rücken.

Der Kläger war bis zum 08.02.2006 aufgrund der Verletzungen krank geschrieben. Vor dem Unfall arbeitete er bei einer T GmbH und verdiente dort durchschnittlich monatlich EUR 804,61. Die T GmbH stellte ihre Geschäftstätigkeit zum 31.12.205 ein. In Hinblick darauf war dem Kläger bereits zum 30.09.2005 gekündigt worden.

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger Heilbehandlungskosten in Höhe von 666,17 gemäß der Aufstellung und den Quittungen Bl. 128ff d.A., Anlage K 11 zur Klageschrift, auf die hiermit verwiesen wird sowie im Klageantrag zu 2) die Feststellung, daß ihm auch weitere zukünftige Behandlungskosten zu ersetzen seien. Desweiteren macht er Verdienstausfall in Höhe von EUR 4.023,05 für den Zeitraum 07.08.2005 bis 08.02.2006 ausgehend von dem durchschnittlichen Monatsverdienst bei der T GmbH geltend und behauptet hierzu, daß er ohne den Unfall von dem Nachfolgeunternehmen zu gleichen Konditionen weiter beschäftigt worden wäre, wie sich auch daraus ergebe, daß er ab März 06 dort gearbeitet habe. Darüber hinaus begehrt er Schadensersatz wegen eines verzögerten Eintritts in das Berufsleben. Hierzu erklärt er - von der Beklagten unbestritten - daß sich der Abschluß seines Studiums als Sportökonom infolge des Unfalls um mindestens 1 Jahr verzögert habe und ihm aufgrund dessen ein durchschnittlicher Jahresverdienst von EUR 30.500,00 entgangen sei. Aufgrund dessen seien auch zukünftige Rentenansprüche vermindert, wofür die Beklagte ebenfalls zu haften habe (Klageantrag zu 3). Schließlich verlangt er ein Schmerzensgeld in Höhe von mindestens EUR 10.000,00 sowie Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von EUR 2.513,28 gemäß Kostennote vom 19.06.2007, Anlage K 15 zur Klageschrift, Bl. 150 d.A..

Zur Begründung seiner Forderungen stützt sich der Kläger darauf, die Beklagte habe bei der Durchführung des Transfers nach C ihre reisevertraglichen Verpflichtungen verletzt. Die Fahrt hätte aufgrund der schlechten nationalen Straßenverhältnisse schon nicht nachts und im Übrigen nicht mit lediglich einem Fahrer durchgeführt werden dürfen. Der Unfall stelle einen Reisemangel dar, so daß die Beklagte den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen habe. Die Fahrt nach C sei auch Teil der reisevertraglichen Verpflichtungen der Beklagten gewesen. Es habe sich um eine mit der Beklagten abgestimmte Reiseplanänderung gehandelt. Zumindest habe er, der Kläger, hiervon ausgehen dürfen, nachdem der Transfer durch die Ansprechpartner vor Ort organisiert wurde und das Konzert in C als Ersatzkonzert bezeichnet worden sei.

Der Kläger beantragt,

(1) die Beklagte zu verurteilen, an ihn EUR 37.702,50 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.03.2008 zu zahlen;

(2) festzustellen, daß die Beklagte ihm die künftigen Kosten für notwendige Physiotherapiemaßnahmen zu ersetzen hat, soweit die vorbezeichneten Behandlungen aufgrund des Unfalls vom 06.08.2005 zu seiner Rehabilitation erforderlich sind;

(3) festzustellen, daß die Beklagte ihm einen etwaigen Verlust von Rentenansprüchen aufgrund des verzögerten Berufseintritts zu ersetzen hat.

(4) die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens aber EUR 10.000,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.03.2008 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bestreitet, daß es sich bei der Tour nach C um eine mit ihr abgesprochene Reiseplanänderung gehandelt habe und behauptet im Gegenteil, der Kläger und seine Begleiter hätten sich auf eigene Faust auf den Weg dorthin gemacht. Dafür spreche auch, daß diese die Kosten hierfür selbst aufgebracht hätten. Sie vertritt des weiteren die Auffassung, daß Reisevertragsrecht schon deshalb nicht anwendbar sei, weil es an einer Entgeltvereinbarung fehle; daher sei auch unerheblich, ob der Kläger nach dem äußeren Anschein davon ausgehen konnte, daß die Fahrt nach C mit ihr abgestimmt gewesen sei. Jedenfalls treffe sie an dem Unfall kein Verschulden, zumal ihre Haftung insoweit nach der Teilnahmevereinbarung ohnehin auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt sei. Jedenfalls sei der Schmerzensgeldanspruch übersetzt und aufgrund der Kündigung zum 30.06.2005 durch die Firma T GmbH könne der Kläger auch keinen über diesen Zeitpunkt hinausgehenden Verdienstausfall geltend machen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen H, K, T3 und G, bezüglich letzterer über Rechtshilfeersuchen in den Niederlanden. Wegen Inhalt und Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 31.07.2008, Bl. 249ff d.A., und vom 06.11.2008, Bl. 281ff d.A. sowie das Protokoll der Rechtshilfevernehmung vom 04.06.2009, Bl. 360ff d.A. Bezug genommen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Gründe

Die Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Der Verkehrsunfall auf der Fahrt nach C stellt einen Reisemangel dar, für den die Beklagte aufgrund der gesetzlichen Verschuldensvermutung einzustehen hat und der diese gemäß § 651f BGB zum Ersatz des entstandenen Schadens sowie zur Leistung von Schmerzensgeld (§ 253 Abs. 2 BGB) verpflichtet. Die Klage war lediglich der Höhe nach hinsichtlich eines Teils des geltend gemachten Verdienstausfalls und der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten abzuweisen.

1. Der Verkehrsunfall stellt einen von der Beklagten zu vertretenden Reisemangel dar, der diese zum Ersatz des hierdurch entstandenen Schadens verpflichtet, § 651f BGB.

a) Nach Auffassung des Gerichts ist die aufgrund der Teilnahmevereinbarung vom 13.07.2005 zustande gekommene vertragliche Beziehung der Parteien rechtlich als Reisevertrag im Sinne der §§ 651a ff BGB zu qualifizieren.

Die Beklagte hat eine Reiseleistung erbracht. Die Teilnahmevereinbarung einschließlich des dieser als Anlage 1 beigefügten Reiseplans sowie das Reiseprogramm (Anlage K 1 zur Klageschrift, Bl. 107f d.A.) definieren den Pflichtenkreis der Beklagten. Diese ist danach zum einen verpflichtet, Flugtickets, Versicherung und Unterkunft für die Teilnehmer bereitzustellen und diesen ein Taschengeld zu zahlen. Zum anderen zählte zu ihren Aufgaben auch die inhaltliche Gestaltung der Reise nach Maßgabe des Reiseplans gemäß Anlage 1 zur Teilnahmevereinbarung bzw. des Reiseprogramms Bl. 107f d.A., mit deren Organisation sie die Streitverkündete N GmbH beauftragt hatte. Schließlich waren für die Beklagte vor Ort auch noch verschiedene Personen tätig, die sich um die Teilnehmer der Veranstaltung kümmerten. Diese Verpflichtungen erfüllte die Beklagte auch und erbrachte mithin innerhalb eines definierten Zeitraumes eine Vielzahl von Einzelleistungen (Flug, Unterkunft, Verpflegung, Versicherung, Reiseleitung, Reiseprogramm, Reiseorganisation), die sich in ihrer Gesamtheit als eine organisierte Reise darstellen.

Der Anwendung von Reisevertragsrecht steht nach Auffassung des Gerichts auch nicht entgegen, daß der Kläger keinen Reisepreis in Geld entrichten mußte. Zwar ist die Zahlung des Reisepreises die vertragliche Hauptpflicht des Reisenden (§ 651a Abs. 1 S. 2 BGB). Erbringung der Reiseleistung und Zahlung der Vergütung stehen mithin in einem Gegenseitigkeitsverhältnis. Dabei wird die Vergütung üblicherweise auch in Geld erbracht. Gleichwohl ist die Zahlung einer Vergütung in Geld nach Auffassung des Gerichts nicht zwingend für die Anwendung der §§ 651a ff BGB. Das Entgelt für die Reise kann auch in anderer Art und Weise erbracht werden. Vorliegend liegt das von den Teilnehmern zu zahlende Entgelt in ihrer Verpflichtung, die Reise an dem Reiseplan auszurichten, sowie ihre Erfahrungen, Eindrücke, Erlebnisse und Begegnungen in Texten, Fotos und Filmen zum Zwecke der Veröffentlichung durch die Beklagte festzuhalten und der Beklagten auch nach Abschluß der Reise für Foto- und Filmaufnahmen sowie Interviews unentgeltlich zur Verfügung zu stehen. Als Gegenleistung für die Inanspruchnahme der Reiseleistungen waren die Teilnehmer also verpflichtet, der Beklagten zur medialen Auswertung der Reise in dem von dieser verfolgten Zweck der Öffentlichkeitsarbeit zur Verfügung zu stehen. Daß dieser Verpflichtung ein wirtschaftlicher Wert zukommt, folgt bereits aus § 32 UrhG. Dies entspricht im Übrigen auch dem Verständnis der Beklagten selbst, wenn sie in Ziffer 2.6 der Teilnahmevereinbarung ausdrücklich erklärt, daß damit "sämtliche Ansprüche der Teilnehmer gegen JTI abgegolten" seien "einschließlich etwaiger Ansprüche auf Nutzungsvergütung und Auslagenerstattung".

Folglich handelt es sich nicht um eine unentgeltliche Reise, auf die das Recht der Schenkung anzuwenden wäre. Soweit die Beklagte sich in diesem Zusammenhang darauf beruft, § 651a BGB meine schon aufgrund der Formulierung "Reisepreis" allein eine Leistung in Geld, verfängt dies nach Meinung des Gerichtes nicht. Die Formulierung "Reisepreis" meint alleine die Erbringung einer Vergütung, die zwar üblicherweise, nicht jedoch zwangsläufig in Geld zu erbringen ist. Entscheidend für die Anwendung von Reisevertragsrecht ist nach der wechselseitigen Interessenlage allein, daß die Reise nicht unentgeltlich erbracht wird. Ist ein Entgelt - gleich welcher Form - vereinbart, entspricht die reisevertragliche Haftung dem Schutzzweck des Gesetzes und der Interessenlage der Parteien.

b) Aus der Sicht eines verständigen Dritten in der Position des Klägers handelte es sich bei der Fahrt nach C auch um eine seitens der Beklagten angebotene und geschuldete Reiseleistung. Dabei kann nach Auffassung des Gerichts dahinstehen, ob es tatsächlich zu einer vertraglichen Abänderung des ursprünglichen Reiseplanes mit Zustimmung der Beklagten gekommen ist. Jedenfalls ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon auszugehen, daß der Kläger und seine Begleiter die Tour nach C nicht eigenmächtig vorgenommen haben, sondern vielmehr nach den für sie erkennbaren Umständen davon ausgehen durften, daß diese Fahrt mit der Beklagten abgestimmt sei. Diesen durch ihre Mittelsmänner vor Ort begründeten Anschein einer Reiseleistung muß die Beklagte gegen sich gelten lassen. Der Kläger konnte danach davon ausgehen, daß die Fahrt nach C als Teil der Reise im Organisations- und Verantwortungsbereich der Beklagten stattfindet. Dieser von der Beklagten bzw. über deren Mittelsmänner veranlaßte Rechtsschein begründet die vertragliche Haftung der Beklagten.

Der objektive Anschein einer mit der Beklagten abgestimmten Reiseplanänderung steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts fest. Das Gericht vermochte nicht zu erkennen, daß sich die Teilnehmer gegen den erklärten Willen der Beklagten auf eigene Initiative auf den Weg nach C gemacht haben; vielmehr durften die Teilnehmer im Gegenteil aufgrund der Bemühungen der vor Ort eingeschalteten Personen davon ausgehen, daß es sich bei dem Konzert in C um ein Ersatzkonzert für das in P ausgefallene Konzert vom 06.08.2005 handelt und der Reiseplan in Abstimmung mit der Beklagten dahingehend abgeändert wurde, nunmehr dieses Konzert zu besuchen. Dies ergibt sich aus Folgendem:

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, daß der Besuch eines Konzertes in C anstelle des ausgefallenen Konzertes in P nicht auf eigenen Wunsch der Teilnehmer erfolgte, sondern von Z als Mitarbeiter des lokalen Konzertveranstalters vorgeschlagen wurde und dieser auch Hinfahrt und Unterkunft für die Teilnehmer organisierte. Soweit sich die Beklagte darauf beruft, Herrn Z bzw. die X Entertainment Group nicht selbst bzw. über die N GmbH beauftragt zu haben, ist dies unerheblich. Die Beklagte hat Herrn Z selbst bereits auf dem Reiseprogramm Bl. 107f d.A. als Insider und Kontaktperson für die Teilnehmer benannt, der sich auch vor Ort neben dem Guardian E1 um die Abstimmung des Kontaktes mit den Musikern und die sonstigen Belange der Teilnehmer kümmerte. Die Beklagte hat damit selbst den Rechtsschein gesetzt, Z handele auch für sie. Daran muß sie sich festhalten lassen.

Schon aufgrund dessen durfte der Kläger von einer abgestimmten Reiseplanänderung ausgehen. Hinzu kommt, daß in diesem Zusammenhang auch der Mitarbeiter der U GmbH, Herr O den Kontakt mit der U GmbH und der N GmbH suchte, wie sich aus der E-Mail vom 05.08.2005, Bl. 197 d.A., ergibt. Der Beklagten war also zumindest über ihre Erfüllungsgehilfin U GmbH die Reise der Teilnehmer bekannt, so daß von ihr ein deutlicher Widerspruch hätte erwartet werden können. Ein solcher ist jedoch nicht erfolgt. Einwände gab es lediglich hinsichtlich der von den Teilnehmern beabsichtigten Rückreise per Zug, nicht jedoch gegen den Trip als solchen.

Der Annahme einer abgestimmten Reiseplanänderung steht auch nicht entgegen, daß die Teilnehmer jedenfalls für Hotel und Rückreise die Kosten selbst übernehmen sollten. Ob dies auch für die Hinreise galt ist streitig. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme - insbesondere der Aussagen der Zeugen H und K - ist jedoch davon auszugehen, daß die Teilnehmer für die Hinreise keine Kosten getragen haben. Im Ergebnis kann dies jedoch dahinstehen, da eine separate Kostentragung für Änderungen der Reise oder Inanspruchnahme von Zusatzleistungen nicht unüblich ist. Entscheidend ist allein, ob aus Sicht der Reisenden die gegebenenfalls zusätzlich vergütete Leistung als Leistung des Reiseveranstalters und damit unter dessen Verantwortung anzusehen ist. Das aber ist nach den obigen Ausführungen der Fall.

Hinzu kommt, daß die Teilnehmer schon nach dem Motto der Reise aber auch vor dem Hintergrund der Interessenlage der auf Öffentlichkeitsarbeit bedachten Beklagten davon ausgehen durften, daß der Besuch des Konzertes in C anstelle des ausgefallenen Konzertes in P Teil der Reiseleistung sein solle. Die Reise war zwar in ihrer ursprünglichen Ausgestaltung auf den (Groß-) Raum P beschränkt. Sie stand jedoch unter dem Motto "Discover Music" und sollte den Teilnehmern die afrikanische Musik näherbringen. Die Teilnehmer sollten dabei die Musiker persönlich treffen, mit diesen ins Tonstudio gehen sowie sie auf Konzerte begleiten. Ein wesentlicher Punkt sollte dabei das Konzert vom 06.08.2005 sein. Dieses Motto konnte aufgrund des Konzertausfalls nicht mehr (vollständig) verwirklicht werden. Wenn den Teilnehmern dann durch eine von der Beklagten benannte Ansprechperson der Vorschlag gemacht wird, stattdessen ein Konzert in C zu besuchen und diese Person die Organisation übernimmt, können die Teilnehmer dies nach Auffassung des Gerichts nur als Ersatzleistung der Beklagten verstehen. Hinzu kommt, daß die Beklagte aus Sicht der Teilnehmer, aber auch aus objektiver Sicht durchaus ein eigenes Interesse daran haben konnte, daß die Teilnehmer das Konzert in C besuchen. Die Beklagte wollte die Reise zum Zwecke der Öffentlichkeitsarbeit nutzen. Aufgrund dessen verpflichtete sie die Teilnehmer, ihre Erfahrungen, Eindrücke, Erlebnisse und Begegnungen in Texten, Fotos und Filmen zum Zwecke der Veröffentlichung durch die Beklagte festzuhalten. Aus Sicht der Teilnehmer als Vertragspartner mußte es sich vor diesem Hintergrund so darstellen, daß der Konzertbesuch für die mediale Auswertung wesentlicher Bestandteil war. Auch aufgrund dessen hatten die Teilnehmer nach Auffassung des Gerichts keinen Grund daran zu zweifeln, daß die Reise nach C als Ersatz für das ausgefallene Konzert in P mit der Beklagten abgestimmt war.

c) Der Verkehrsunfall stellt offenkundig auch einen Mangel der Reiseleistung dar. Diesen Reisemangel hat die Beklagte zu vertreten. Gegen die Beklagte streitet insoweit eine gesetzliche Vermutung, § 651f BGB. Zur Widerlegung dieser Vermutung hat die Beklagte nicht vorgetragen. Der bloße - zumal bestrittene und nicht unter Beweis gestellte - Hinweis darauf, daß der Unfall von dem Unfallgegner aufgrund eines unsachgemäßen Überholmanövers verursacht worden sei, genügt insofern nicht. Die Beklagte kann sich auch nicht auf die Haftungsbeschränkung gemäß Ziffer 2.6 der Teilnahmevereinbarung auf Vorsatz und grobe berufen. Diese ist gemäß § 309 Nr. 7a BGB unwirksam. Bei der Regelung handelt es sich um eine allgemeine Geschäftsbedingung, da die Teilnahmevereinbarung erkennbar für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert ist; in AGB sind indes solche Klauseln unwirksam, die bei einer Körperverletzung eine Haftung für fahrlässige Pflichtverletzungen ausschließen.

2. Nach den vorstehenden Ausführungen ist die Beklagte mithin zum Schadensersatz verpflichtet. Zu ersetzen ist das positive Interesse. Der Kläger ist also so zu stellen, wie er stünde, wenn die Reiseleistung mangelfrei erbracht worden wäre. Ihm sind folglich sämtliche unfallbedingte Schäden zu ersetzen.

a) Hierzu gehören zunächst die unstreitigen Heilbehandlungskosten in Höhe von EUR 666,17.

Da die Heilbehandlung derzeit noch nicht abgeschlossen ist und der Kläger sich insbesondere zur Rehabilitation weiterer Physiotherapiemaßnahmen unterziehen muß, kann er in Hinblick auf diesen derzeit noch nicht abgeschlossenen Schadensverlauf auch wie mit dem Antrag zu 2) verfolgt Feststellung der Schadensersatzpflicht dem Grunde nach verlangen.

b) Soweit der Kläger Verdienstausfall in Höhe von EUR 4.023,05 für den Zeitraum 07.08.2005 bis 08.02.2006 mit der Behauptung geltend macht, er habe unfallbedingt seine studentische Beschäftigung bei der T GmbH mit einem monatlichen Durchschnittsverdienst von rund EUR 804,61 nicht ausüben könne, hat die Klage nur in Höhe von EUR 402,30 Erfolg. Der Kläger ist bereits vor dem Unfall zum 30.09.2005 in Hinblick auf die Betriebseinstellung zum Jahresende gekündigt worden und kann damit unter Berücksichtigung seines Anspruchs auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall für sechs Wochen allenfalls Verdienstausfall für einen halben Monat geltend machen.

Der Kläger kann sich insoweit nicht mit Erfolg darauf berufen, daß er ohne den Unfall von dem Unternehmen, das die Geschäftstätigkeit der T GmbH übernommen hat, zu gleichen Konditionen weiter beschäftigt worden wäre. Die entsprechenden Behauptungen sind nach Auffassung des Gerichts widersprüchlich. So hat der Kläger selbst in seiner persönlichen Anhörung erklärt, daß das Unternehmen der T GmbH zum Jahresende stillgelegt worden sei. In einem späteren Schriftsatz hat er dann erklärt, daß das Nachfolgeunternehmen die Geschäftstätigkeit zum 01.10.2005 übernommen hätte und er mithin ohne den Unfall schon ab Oktober 05 dort beschäftigt worden wäre. Dieser Widerspruch geht zu seinen Lasten.

c) Der Kläger hat allerdings Anspruch auf Schadensersatz wegen eines unfallbedingt verzögerten Berufseintritts in Höhe von EUR 30.500,00, § 252 BGB. Der Kläger hat seitens der Beklagten unwidersprochen vorgetragen, daß sich der angestrebte Universitätsabschluß und damit der Berufseinstieg aufgrund des Unfalls mindestens um 1 Jahr verzögern werde. Hierdurch entgehe ihm ein durchschnittliches Jahresgehalt von EUR 30.500,00. Diese Behauptungen sind von der Beklagten nicht bestritten worden und mithin als unstreitig zu behandeln.

Da der unfallbedingt verzögerte Berufseintritt auch aufgrund geringerer Beitragszahlungen zu einer Beeinträchtigung von Rentenansprüchen führen kann, kann der Kläger mit dem Antrag zu 3) die Feststellung einer entsprechenden Ausgleichspflicht verlangen. Ob es tatsächlich zu unfallbedingten Rentenausfällen kommen wird, bleibt einer Entscheidung in einem etwaigen Folgeprozeß vorbehalten.

d) Als Teil des Schadens kann der Kläger auch die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten verlangen, allerdings nur ausgehend von einem Streitwert in Höhe von EUR 41.568,47 da die Klage nur in diesem Umfang begründet ist. Desweiteren kann die Geschäftsgebühr nach Auffassung des Gerichts nur nach einem 1,3 fachen Gebührenfaktor erhoben werden. Die Rechtssache ist nicht von überdurchschnittlichem Umfang, noch weist sie besondere Schwierigkeiten auf, die den Ansatz einer 2,0 fachen Gebühr rechtfertigen würden. Damit sind erstattungsfähig EUR 1.530,58 (1,3 Geschäftsgebühr EUR 1.266,20 + Auslagenpauschale + 19% USt).

e) Der Kläger kann schließlich ein Schmerzensgeld beanspruchen (§ 253 Abs. 2 BGB); das Gericht hält insoweit einen Betrag in Höhe von EUR 10.000,00 für angemessen aber ausreichend zum Ausgleich der erlittenen Schmerzen und Leiden. Dabei war zu berücksichtigen, daß der Kläger multiple Verletzungen erlitten hat, die ihn bis zum heutigen Tage nicht unerheblich beeinträchtigen. Insbesondere ist die Beweglichkeit und Belastbarkeit der Schulter beeinträchtigt, was unmittelbare Auswirkungen auch auf das sonstige Leben des Klägers hat. Vor dem Hintergrund dieser multiplen Beschwerden, der verletzungsbedingten Arbeitsunfähigkeit von einem Jahr sowie der Zahlungsweigerung der Beklagten und des inzwischen eingetretenen Zeitablaufs erscheint das Schmerzensgeld in der ausgeurteilten Höhe als angemessen.

3. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 288 BGB.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit findet ihre Rechtsgrundlage in § 709 ZPO.

5. Streitwert: Antrag zu 1): EUR 35.189,22

Antrag zu 2): EUR 1.000,00

Antrag zu 3): EUR 1.000,00

Antrag zu 4): EUR 10.000,00

EUR 47.189,22






LG Köln:
Urteil v. 17.12.2009
Az: 15 O 369/07


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