ArbG Hamm:
Urteil vom 22. Juni 2011
Aktenzeichen: 2 Ca 2007/10

(ArbG Hamm: Urteil v. 22.06.2011, Az.: 2 Ca 2007/10)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

3. Der Streitwert wird auf 18.969,57 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Entgeltansprüche des Klägers aus beendetem Arbeitsverhältnis für den Zeitraum Mai 2009 bis September 2010.

Der seit Anfang 2002 als Anwalt zugelassene Kläger war auf der Grundlage des schriftlichen Arbeitsvertrages vom 17.04.2009 seit dem 20.04.2009 als angestellter Rechtsanwalt bei der Beklagten zu 1 beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete durch fristlose Eigenkündigung des Klägers zum 15.09.2010.

Die Beklagte zu 1 ist eine in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts betriebene Rechtsanwaltssozietät, die sich derzeit in Liquidation befindet. Bei den Beklagten zu 2 bis 7 handelt es sich um ihre Gesellschafter und Rechtsanwälte. Die Beklagte zu 1 betrieb mit den beklagten Anwälten zu 2, 4 und 5 ein Büro in I, sowie mit dem Beklagten zu 3 und 7 ein Büro in X und mit dem Beklagten zu 6 und dem Kläger ein Büro in N.

Nach dem in Bezug genommenen Arbeitsvertrag vereinbarten die Parteien eine wöchentliche Arbeitszeit von 20 Stunden, wobei etwaige Überstunden durch entsprechende Freizeitnahme auszugleichen waren. Das monatliche Bruttoentgelt betrug 1.200,-- €. Zusätzlich übernahmen die Beklagten die Zahlung der Haftpflicht- und Kammerbeiträge für den Kläger.

Sein Studium der Rechtswissenschaften schloss der Kläger mit Bestehen des ersten Staatsexamens 1999 und der Note "befriedigend" ab. Während des sich anschließenden Referendariats und darüber hinaus bis September 2002 war er als wissenschaftliche Hilfskraft und Korrekturassistent für den Klausurenkurs an der Universität N tätig. Zudem leitete er Arbeitsgemeinschaften im Verwaltung- und Schuldrecht. Im Jahr 2001 bestand der Kläger sodann die zweite juristische Staatsprüfung mit der Note "ausreichend". Im Zeitraum September 2002 bis September 2003 war er für das juristische Repetitorium "K J" als Repetitor tätig. Parallel dazu absolvierte er ein 4monatiges Berufspraktikum beim Bundesumweltministerium in Berlin, betraut mit der Bearbeitung von Rechtsfragen im Zusammenhang mit der Konvention und der organisatorischen und verwaltungstechnischen Unterstützung des deutschen Vorsitzes der Konferenz.

Ab Frühjahr 2004 schloss sich dann eine anwaltliche Tätigkeit in der Anwaltssozietät S und Kollegen in C an, die 2005 endete.

Im Zeitraum Sommer 2006 bis Frühjahr 2008 nahm der Kläger ein Masterstudium im Internationalen Recht an Universitäten in Südafrika auf, welches er im Juni 2008 mit Erwerb des "Master of Laws" (LL.M.) abschloss. Während dieser Zeit absolvierte er zudem bei einer südafrikanischen Menschenrechtsorganisation ein 4monatiges Berufspraktikum.

Nach Erwerb der theoretischen Voraussetzungen zum Fachanwalt für Arbeitsrecht im Sommer 2008, übte der Kläger für kurze Dauer bis Anfang 2009 eine selbständige Tätigkeit als Rechtsanwalt in eigener Kanzlei aus. Danach war er bis Frühjahr 2009 als angestellter Rechtsanwalt in der Kanzlei C1 und Kollegen in X1 tätig, bevor er beginnend mit dem 20.04.2009 die Tätigkeit bei den Beklagten aufnahm.

Seit Ende 2006 promoviert der Kläger im Völkerrecht zum Thema "X Y". Die Promotion war zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung noch nicht abgeschlossen. Der Kläger verfügt über sichere EDV-Kenntnisse im Umgang mit Microsoft Office 2007, Juris und LexisNexis. Er spricht Englisch, Französisch und Spanisch und hat Grundkenntnisse der Sprache Afrikaans.

Mit vorliegender Klage verlangt der Kläger Zahlung einer angemessenen Vergütung.

Er meint, die arbeitsvertragliche Entgeltabrede sei sowohl gem. § 134 BGB i. V. m. § 26 BORA als auch gem. § 138 BGB sittenwidrig und daher nichtig, wobei § 134 BGB lex spezialis sei. Denn zum Einen verstoße sie gegen § 26 BORA, wonach Rechtsanwälte nur zu angemessenen Bedingungen, d. h. einer der Qualifikation, den Leistungen und dem Umfang der Tätigkeit entsprechenden Vergütung beschäftigt werden dürften, zum Anderen liege ein auffälliges Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung vor.

Zur Beurteilung der Angemessenheit könne die Entlohnung eines Volljuristen im öffentlichen Dienst herangezogen werden. Das Einstiegsgehalt eines Richters in der niedrigsten Besoldungsgruppe liege derzeit bei monatlich 4.397,45 €, das Einstiegsgehalt eines Oberregierungsrates oder Oberstudienrates bei derzeit monatlich 4.680,50 € ohne zusätzliche Qualifikationen. Nach einer Erhebung des Karrieremagazins "Azur" aus Februar 2008 habe das Einstiegsgehalt von Berufseinsteigern in mittelgroßen Kanzleien bei bis zu 66.200,-- € jährlich gelegen. Nach einer aktuellen Erhebung des "IFB/STAR" (2010) habe ein in Vollzeit angestellter Rechtsanwalt bei 4- bis 10jähriger Zulassung in einer westdeutschen Sozietät im Jahre 2006 durchschnittlich 55.000,-- € brutto verdient. Der BGH sei in seiner Entscheidung vom 30.11.2009 zu dem Ergebnis gekommen, dass das durchschnittliche Einstiegsgehalt eines angestellten Rechtsanwalts ohne besondere Zusatzqualifizierung und ohne Prädikatsexamen im Jahr 2006 bei 2.300,-- € für eine Vollzeitstelle mit - in der Regel - 40 Wochenstunden zu liegen habe. Jede diesen Betrag um 30 % bzw. 1/3 unterschreitende Vergütung sei unangemessen i. S. d. § 26 BORA.

Insbesondere vor dem Hintergrund seines beruflichen Werdeganges und der von ihm erworbenen Qualifikationen sei das seitens der Beklagten gezahlte Gehalt nicht angemessen gewesen.

So sei der Erwerb des "LL.M" bei seiner Einstellung mit mindestens 200,-- € monatlich zu berücksichtigen gewesen. Honorierenswert sei überdies seine laufende Promotion und der Abschluss des 1. Staatsexamens mit der Note "befriedigend", womit er bundesweit zu den besten 37,63 % gezählt habe. Unerheblich sei dabei die erreichte Punktezahl. So liege zwischen 6,5 Punkten und 8,9 Punkten faktisch kein Unterscheid. Überdies habe der Beklagte zu 6 wiederholt erwähnt, dass er ihn (den Kläger) für mindestens eine Note besser halte und Noten im Staatsexamen nur bedingt aussagekräftig seien.

Außerdem habe er bei seiner Einstellung bei den Beklagten über eine knapp siebenjährige Berufserfahrung verfügt, sich zuvor nämlich in den unterschiedlichsten juristischen Berufen im In- und Ausland verdingt. Insoweit erfasse § 26 BORA nicht nur die anwaltliche Tätigkeit, sondern jede mit juristischem Bezug ausgeübte Tätigkeit. Das sei bei ihm der Fall gewesen. Wegen der Einzelheiten dazu wird auf die klägerischen Ausführungen in seinem Schriftsatz vom 14.04.2011, Seiten 29 bis 36 (Bl. 146 bis 153 d. Akte) verwiesen. Die jeweiligen Tätigkeiten seien ausweislich der vorgelegten Zeugnisse und Zertifikate insoweit ausnahmslos überdurchschnittlich gut beurteilt worden. Auch die Beklagte sei im gesamten Bundesgebiet tätig geworden und habe auch Mandate mit ausländischem Bezug übernommen. So habe er ausländer- und asylrechtliche Mandate betreut, die per se grenzüberschreitenden Charakter hätten. Wegen der weiteren Einzelheiten zu den vom Kläger betreuten Mandaten und seinen Rechtsansichten wird auf die Seiten 16 bis 23 seines Schriftsatzes vom 15.04.2011 (Bl. 133 bis 140 d. Akte) verwiesen.

Hervorragende anwaltliche Arbeit sei ihm auch durch die Beklagten mit Zwischenzeugnis vom 27.04.2010 attestiert worden. Seine gesamte Tätigkeit bei den Beklagten sei fehler- und beanstandungsfrei gewesen.

Nicht zuletzt verfüge er über die theoretischen Voraussetzungen des Fachanwaltes für Arbeitsrecht zu 100 % und über die des Fachanwalts für Handels- und Gesellschaftsrecht zu 80 %. Diese Kenntnisse habe er bei seiner täglichen Arbeit für die Beklagten fruchtbar umgesetzt. Ebenso seien ihm dabei seine Fremdsprachenkenntnisse und seine Kenntnisse im Umgang mit gängiger Office-Software, sowie mit juristischen Fachprogrammen zu Gute gekommen. Letzteres insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Beklagten diesbezüglich über keinerlei ausreichende Kenntnisse verfügt hätten und immer wieder seinerseits Hilfe und Anleitung nötig gewesen sei.

Zu berücksichtigen sei auch soziale Kompetenz. Er sei kritik- und kompromissfähig, aber auch in der Lage, seine Meinung durchzusetzen. Er könne analytisch Denken, habe Organisationsgeschick und sei teamfähig.

Letztlich sei auch die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit von seiner tatsächlich erbrachten Arbeitszeit erheblich abgewichen. So habe er von Beginn an in der 5-Tage-Woche täglich von 8.30 Uhr bis 13.30 Uhr wöchentlich 25 Arbeitsstunden und nach weiterer Einarbeitung mit zunehmendem Aktenaufkommen und Vervielfältigung der Mandate 35 Wochenstunden gearbeitet. Viele Gerichts- und Besprechungstermine seien in die Nachmittagszeit gefallen. Nach Erledigung dieser habe er sodann noch sein Aktenfach bearbeiten und auf Geheiß des Beklagten zu 6 täglich leeren müssen, was dazu geführt habe, dass er häufig auch abends noch im Büro gesessen habe. Auch die Tageszeitung sei auf Anweisung täglich Pflichtlektüre gewesen.

Bereits beim des ersten Vorstellungsgespräches sei ihm eine Erhöhung des Gehalts in Aussicht gestellt worden. Im Rahmen eines zweiten Gesprächs mit dem Beklagten zu 6 sei eine Vergütung von 1.200,-- € ausgehandelt worden. Dabei habe der Beklagte zu 6 erklärt, dass diese Vergütung nur für die Probezeit gezahlt werde und er danach automatisch mehr Geld bekomme und der Arbeitsvertrag ohnehin eine jährliche Gehaltserhöhung festlege.

Vor diesem Hintergrund sei ausgehend von einer Grundvergütung von 2.300,-- € monatlich für eine Vollzeitstelle in seinem Fall für die Teilzeitstelle der Beklagten mindestens 1.150,-- € zugrunde zu legen. Hinzukomme ein Betrag von 1.100,-- € für den LL.M., den Promotionsstatus, den Fachanwaltskurs, die Sprachkenntnisse, die Berufserfahrung, die EDV-Kenntnisse und die "Schlüsselqualifikationen". Dementsprechend halte er eine Vergütung von 2.250,-- € monatlich für angemessen. Selbst unter Berücksichtigung des seitens der Beklagten übernommenen Zahlungen der Berufshaftpflicht (888,93 € jährlich) und des Kammerbeitrages (160,-- € jährlich) ergebe sich ein unangemessenes Monatsbrutto von 1.287,41 €. Rechtlich geboten wäre unter Berücksichtigung der Teuerungsrate ein Betrag von 2.409,-- € monatlich. Unter Abzug von Versicherungs- und Kammerbeträgen in Höhe von 1.430,43 € belaufe sich die Differenz zur tatsächlichen Vergütung im Zeitraum Mai 2009 bis September 2010 auf 18.969,57 €.

Der Kläger beantragt zuletzt,

die Beklagten zu verurteilen, an den Kläger als Gesamtschuldner 18.969,57 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Sie meinen, die gezahlte Vergütung sei weder sittenwidrig noch unangemessen i. S. v. § 26 BORA. § 26 BORA enthalte keine Verdienstuntergrenze, sondern nur verschiedene, bei der Bemessung des Gehalts zu berücksichtigende Kriterien.

Insoweit schlage der "LL.M." bei der mittelständischen Kanzlei der Beklagten nicht zu Buche. Sie sei eben keine international tätige Großkanzlei. Der Tätigkeitsbereich habe sich lediglich auf den OLG-Bezirk Hamm ohne internationalen oder wirtschaftsrechtlichen Bezug bezogen und sich gelegentlich über das Münsterland und Ostwestfalen hinaus erstreckt. Fremdsprachige Mandatsbearbeitung sei nur in sehr geringem Umfang erforderlich gewesen. Kenntnisse der Sprache Afrikaans seien überhaupt nicht benötigt worden.

Die Aufnahme eines Promotionsvorhabens stelle keine besondere Leistung dar. Auch das Thema habe für die Beklagten in der Praxis keinerlei Nutzen gehabt. Von nicht nennenswertem Aussagegehalt sei auch der Erwerb der theoretischen Voraussetzungen für die Fachanwaltsbezeichnungen. Auch die erreichten Examensergebnisse der Klägers mit knapp befriedigend im ersten und mit schwach ausreichend im zweiten Examen führten nicht zu einer Erhöhung des Gehalts.

Als angestellter Anwalt habe er zum Zeitpunkt seiner Einstellung bei den Beklagten über eine lediglich 1,5 jährige Berufserfahrung verfügt. Bei sämtlichen weiteren Tätigkeiten habe es sich nur um kurz Aushilfstätigkeiten, Praktika oder unbezahlte Tätigkeiten gehandelt, die inhaltlich für die Beklagten ohne Nutzen gewesen seien und nicht mit der Tätigkeit eines Rechtsanwalts in Zusammenhang gestanden hätten.

Eine Selbstverständlichkeit sei der Umgang mit den üblichen Standardprogrammen gängiger Office-Software. Ebenso stelle die Beherrschung von juristischen Suchmaschinen wie Juris, Beck online oder LexisNexis keine Zusatzqualifikation dar.

Die Arbeitsleistungen des Klägers hätten erhebliche Defizite aufgewiesen. Wegen der Einzelheiten hierzu wird auf die Ausführungen der Beklagten in ihrem Schriftsatz vom 25.01.2011, Seiten 11 und 12 (Bl. 101 u. 102 d. Akte) verwiesen.

Zur Vergütungshöhe sei zu berücksichtigen, dass zusätzlich die Haftpflichtversicherung des Klägers im Wert von 1.810,78 € sowie der Kammerbeitrag im Wert von 160,-- € pro Jahr übernommen worden sei.

Gearbeitet habe der Kläger tatsächlich nur 20 Wochenstunden. Er sei morgens zwischen 8.30 Uhr und 9.00 Uhr erschienen und mittags zwischen 13.30 Uhr und 14.00 Uhr gegangen. Dazwischen habe er regelmäßig auch die Tageszeitung gelesen.

Soweit der Kläger das volle Entgelt für September 2010 einklage, sei er darauf verwiesen, dass er das Arbeitsverhältnis bereits zum 15.09.2010 beendet habe.

Wegen des übrigen Vortrages der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

I.

Der Kläger hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung von 18.969,57 € brutto als Vergütungsdifferenz für den Zeitraum Mai 2009 bis September 2010 gem. § 611 BGB i. V. m. dem Arbeitsvertrag i. V. m. §§ 138, 134 BGB, 26 BORA.

Das dem Kläger für seine Teilzeittätigkeit bei den Beklagten gezahlte monatliche Entgelt in Höhe von 1.200,-- € ist weder sittenwidrig i. S. v. § 138 I BGB noch unangemessen i. S. v. § 26 BORA.

Nach der Entscheidung des BGH - Senat für Anwaltssachen - vom 30.11.2009 (AnwZ (B) 11/08, juris, Rdnrn. 12, 13) setze die Abgrenzung angemessener von nicht angemessenen Beschäftigungsbedingungen eine umfassende Würdigung aller für die Beurteilung maßgeblichen Umstände voraus. Ob die arbeitsvertraglichen Bedingungen für die Beschäftigung angestellter Rechtsanwälte angemessen seien, hänge nicht allein von der absoluten Höhe der dem angestellten Rechtsanwalt gezahlten Vergütung ab; § 26 Abs. 1 Satz 2 Buchst. b BORA schreibe keinen bestimmten "Mindestlohn" für angestellte Rechtsanwälte vor (Koch in Henssler/Prütting, BRAO, 3. Aufl., § 26 BORA Rdn. 7). Maßgebend sei, ob die Vergütung der Qualifikation, den Leistungen und dem Umfang der Tätigkeit des Beschäftigten und den Vorteilen des beschäftigenden Rechtsanwalts aus dieser Tätigkeit entspreche. Daraus ergebe sich, dass sich die Angemessenheit einer Vergütung nicht abstrakt aufgrund der Höhe ihres Geldbetrages, sondern nur auf der Grundlage des Gesamtgefüges von Leistung und Gegenleistung beurteilen lasse.

Unangemessene Beschäftigungsbedingungen i. S. des § 26 BORA seien jedenfalls dann anzunehmen, wenn Leistung und Gegenleistung in einem auffälligen Missverhältnis zueinander stehen, welches einen objektiven Verstoß gegen die guten Sitten nach § 138 BGB begründe (Nerlich in Hartung/Römermann, Berufs- und Fachanwaltsordnung, 4. Aufl., § 26 BORA Rdn. 96). Dabei komme es aber auf eine - für das Unwerturteil im Rahmen des § 138 Abs. 1 BGB unerlässliche - verwerfliche Gesinnung des Begünstigten im Rahmen des § 26 BORA nicht an, weil diese Vorschrift mit dem Begriff der "Unangemessenheit" einen rein objektiv zu bestimmenden Maßstab an die Beurteilung der Beschäftigungsbedingungen anlege.

Vor dem Hintergrund dieser Grundsätze erweist sich im Streitfall die gezahlte Vergütung als angemessen. Die arbeitsvertragliche Abrede der Parteien ist weder gem. § 138 BGB noch gem. § 134 BGB nichtig. Denn sie steht nicht in einem auffälligen Missverhältnis zu der geforderten Gegenleistung.

Maßstab für die Beurteilung ist die verkehrsübliche Vergütung, die sich nach dem allgemeinen Lohnniveau in dem betreffenden Wirtschaftsgebiet bestimmt (BGH a. a. O., Rdnr. 17). Der Gesamtwert der vom angestellten Anwalt erbringbaren Leistungen ist zu der verkehrsüblichen Vergütung von Rechtsanwälten in vergleichbaren Anstellungsverhältnissen in Beziehung zu setzen. Dabei ist ein auffälliges Missverhältnis dann anzunehmen, wenn die vereinbarte Vergütung nicht einmal zwei Drittel eines in der betreffenden Branche und Wirtschaftsregion üblicherweise gezahlten Tariflohns oder - wenn ein Tariflohn nicht existiert oder nicht der verkehrsüblichen Vergütung entspricht - des allgemeinen Lohnniveaus in dem betreffenden Wirtschaftsgebiet erreicht (BGH a. a. O., Rdnr. 19).

Im Streitfall beruft sich der Kläger zunächst auf die zitierte Entscheidung des BGH, in der von einem durchschnittlichen Einstiegsgehalt eines angestellten Rechtsanwalts ohne besondere Zusatzqualifikation und ohne Prädikatsexamen in Höhe von 2.300,-- € brutto für eine Vollzeitstelle auszugehen sei (vgl. BGH a. a. O., Rdnr. 18). Insoweit sei bei halber Stelle ein Entgelt von 1.150,-- € brutto monatlich zu zahlen. Davon ist vorliegend auch die erkennende Kammer ausgegangen.

Soweit der Kläger allerdings meint, unter Berücksichtigung seiner Kenntnisse, Qualifikation und Berufserfahrung, sowie Inhalt und Umfang der Tätigkeit bei den Beklagten sei nach der in den BRAK-Mitteilungen 1/2010 dokumentierten Erhebung des Statistischen Berichtssystems für Rechtsanwälte (STAR) für 2006 in seinem Fall für seine Tätigkeit bei den Beklagten in Teilzeit eine monatliche Bruttovergütung von 2.400,-- € angemessen, so vermochte die Kammer dem nicht zu folgen. Die dem Kläger im Streitfall gezahlte Vergütung von 1.200,-- € ist nicht zu beanstanden und bedurfte auch im Hinblick auf die Umstände des Einzelfalles keiner abweichenden Bewertung.

Zunächst streitet nämlich für den Kläger - entgegen seiner Auffassung - keine 7jährige Berufserfahrung, die den Beklagten zugute gekommen wäre und zu einer Erhöhung des monatlichen Entgelts hätte führen müssen. Denn Erfahrungen im Beruf des Rechtsanwalts und damit Erfahrung in genau dem Bereich, für den der Kläger bei den Beklagten eingestellt wurde, hat er lediglich in der Zeit von März 2004 bis November 2005 in der Anwaltssozietät S und Kollegen und in der Zeit von Februar 2009 bis Mitte April 2009 bei den Rechtsanwälten C1 und Kollegen als angestellter Rechtsanwalt sowie in der Zeit von September 2008 bis Januar 2009 aus selbständiger Tätigkeit als Rechtsanwalt erworben. Damit konnte er zum Einstellungszeitpunkt bei den Beklagten auf eine Berufserfahrung von lediglich rd. 29 Monaten und damit nicht einmal 2,5 Jahren zurückblicken. Die zahlreichen Tätigkeiten in anderen juristischen Bereichen mögen zwar von Flexibilität und raschem Einarbeitungsvermögen zeugen, waren aber für die Tätigkeit als Rechtsanwalt bei den Beklagten, im Rahmen derer es auf die Bearbeitung von Mandaten, d. h. dem Umgang mit Mandanten, die schnelle Bearbeitung und Erledigung zahlreicher Fälle verschiedener Rechtsgebiete sowohl gerichtlich als auch außergerichtlich ankommt, eher von untergeordneter Bedeutung. Berufserfahrung heißt: Erfahrung im Beruf und Erfahrung im Beruf des Rechtsanwalts hat der Kläger nun mal lediglich über einen Zeitraum von knapp 2,5 Jahren im Rahmen anwaltlicher Tätigkeit sammeln können. Dass er letztlich nicht über eine 7jährige Berufserfahrung als Anwalt verfügte, zeigte sich umso mehr in den vom Kläger bei den Beklagten erzielten Umsätzen, die im Jahre 2009 bei 10.931,26 € und im Jahre 2010 bei 10.787,20 € lagen, mithin im Gesamtzeitraum ein monatlicher Umsatzdurchschnitt von rd. 1.280,-- € von ihm erzielt wurde. Demgegenüber erzielten nach den STAR-Erhebungen frei mitarbeitende bzw. selbständige Anwälte mit einer Zulassung von 4 bis 10 Jahren (nicht nur Umsätze, sondern) Einkünfte von 48.000,-- € bzw. 51.000,-- € jährlich.

Auch die im Jahre 2006 begonnene Promotion musste sich nicht in der Höhe des Entgelts niederschlagen. Bei Einstellung hatte der Kläger gerade mit seiner Promotion begonnen. Zu diesem Zeitpunkt stand überhaupt noch nicht fest, ob der Kläger diese erfolgreich zum Abschluss bringen wird. Damit kann auf die verkehrsübliche Vergütung eines promovierten Rechtsanwalts nicht zurück gegriffen werden. Diese brauchte von der Kammer nicht bewertet zu werden. Eine laufende, noch nicht abgeschlossene Promotion ist - solange sie noch nicht erfolgreich zum Abschluss gebracht ist - zunächst wertlos und erhöht die verkehrsübliche Vergütung eines Rechtsanwalts nicht. Das gilt auch im Fall des Klägers. Weder die Thematik der laufenden Doktorarbeit brachte bei der täglichen Arbeit in der Kanzlei der Beklagten Vorteile noch konnten die Beklagten den noch nicht vorhandenen Titel "Dr. jur." mandantenwirksam einsetzen.

Zuzugeben ist dem Kläger aber, dass er sein Masterstudium erfolgreich mit Erwerb des "LL.M." abgeschlossen hatte, als er seine Tätigkeit bei den Beklagten aufnahm. Diese Zusatzqualifikation führte die Beklagte auch auf ihren Briefbögen an. Insoweit hebt der Kläger sich mit dieser Qualifikation von anderen Juristen/Anwälten ohne diese Zusatzqualifikation ab.

Nicht wertlos ist nach Auffassung der Kammer auch der Erwerb der theoretischen Voraussetzungen einer Fachanwaltschaft. Zumindest im Arbeitsrecht lagen diese beim Kläger zum Einstellungszeitpunkt vor. D. h. der Kläger hätte lediglich noch die nötige Anzahl der Bearbeitung von arbeitsrechtlichen Fällen nachweisen müssen, um den Fachanwalt zu erwerben. Ein finanzieller Aufwand der Beklagten war dafür nicht notwendig. Damit profitierten die Beklagten bereits zum Einstellungszeitpunkt vom theoretischen Erwerb der Fachanwaltschaft, der ohne weiteren finanziellen Aufwand allein durch die praktische Bearbeitung von arbeitsrechtlichen Fällen und dem Nachweis dieser zum Abschluss hätte gebracht werden können.

Außer Ansatz mussten indes die Fremdsprachenkenntnisse des Klägers bleiben. Diese waren für die mittelständische Kanzlei der Beklagten ohne Belang. Der Kläger hat nicht dargelegt, dass er überobligatorisch ausländische Mandate bearbeitet hat, im Rahmen derer ihm und den Beklagten diese Kenntnisse zugute gekommen wären. Die wenigen Mandate, auf die er in diesem Zusammenhang Bezug nimmt, wären von jedem anderen Anwalt mit ausreichenden Fremdsprachenkenntnissen zu bewältigen gewesen. Der Kläger hatte weder Mandate noch Gerichtstermine im Ausland wahrzunehmen oder zu bearbeiten. Dass die Fremdsprachenkenntnisse den Beklagten potentiell nützlich werden könnten, reicht nicht aus. Zumal es sich um eine mittelständische Kanzlei ohne Auslandsbezug gehandelt hat, Mandate in diesem Zusammenhang weder zu erwarten waren, noch tatsächlich vom Kläger bearbeitet wurden.

Der sichere Umgang mit gängiger Software und juristischen Suchmaschinen stellt für einen Juristen eine Selbstverständlichkeit dar und gehört zum normalen Handwerkszeug, ist aber keinesfalls eine besondere Qualifikation, die sich vergütungserhöhend niederzuschlagen hat.

Damit erweist sich die dem Kläger gezahlte Vergütung als angemessen. Vor dem Hintergrund obiger Ausführungen ist nämlich mit dem Kläger und dem BGH von einer monatlichen Vergütung von 2.300,-- € mithin 1.150,-- € für eine Teilzeitstelle auszugehen. Diese übliche Vergütung für einen angestellten Rechtsanwalt ohne besondere Spezialisierung und Qualifikation war nach Auffassung der Kammer allenfalls für den Erwerb des "LL.M." und den theoretischen Abschluss der Fachanwaltschaft im Arbeitsrecht zu erhöhen. Der Kläger selbst legt für den "LL.M." einen Betrag von mtl. 200,-- € zugrunde, die - im Praxisteil noch nicht abgeschlossene - Fachanwaltschaft kann sich allenfalls gering, nach Meinung der Kammer mit 100,-- € mtl. auswirken. Angemessen wär danach eine monatliche Vergütung von 1.450,-- €. Gezahlt haben die Beklagten zwar lediglich eine Vergütung von 1.200,-- €, diese steht nach der oben dargestellten Rechtssprechung aber nicht in einem krassen Missverhältnis, denn sie liegt nicht unter zwei Drittel der angemessenen Vergütung.

Das gilt selbst, wenn zugunsten des Klägers davon auszugehen ist, dass er tatsächlich 25 Wochenstunden für die Beklagten tätig war. Wären nach Bewertung der Kammer für 20 Wochenstunden 1.450,-- € zu vergüten gewesen, so hätte sich für 25 Wochenstunden eine Vergütung von rd. 1.800,-- € errechnet. Damit liegen die Beklagten mit den gezahlten 1.200,-- € zwar an der Grenze, jedoch nicht im Bereich der Sittenwidrigkeit. Überdies ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte sowohl die Beiträge zur Haftpflichtversicherung als auch die Kammerbeiträge übernommen haben.

Dass der Kläger darüber hinaus tatsächlich bis zu 35 Wochenstunden gearbeitet hat, hat er zwar behauptet, aber nicht substantiiert dargelegt. Insoweit hätte er im Einzelfall konkret die Tätigkeiten und Aufgaben beschreiben müssen, die (zwangsläufig) zu einer Arbeitszeit von 35 Wochenstunden führen mussten.

Nach alledem erweist sich die dem Kläger gezahlte Vergütung als angemessen i. S. d. § 26 BORA. Ein Verstoß gegen § 134 BGB oder § 138 BGB liegt damit nicht vor. Die Klage war deshalb abzuweisen.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 II ArbGG, 91 ZPO.

Der Streitwertfestsetzung liegen §§ 61 I ArbGG, 3 ZPO zugrunde.






ArbG Hamm:
Urteil v. 22.06.2011
Az: 2 Ca 2007/10


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