Bundespatentgericht:
Urteil vom 21. April 2005
Aktenzeichen: 2 Ni 47/03

(BPatG: Urteil v. 21.04.2005, Az.: 2 Ni 47/03)

Tenor

I. Das deutsche Patent 43 19 965 wird für nichtig erklärt.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

III. Das Urteil ist für die Kläger im Kostenpunkt gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des deutschen Patents 43 19 965 (Streitpatent), das am 14. Juni 1993 angemeldet worden ist und ein "Verfahren zur Herstellung eines Gehäuses mit elektromagnetischer Abschirmung" betrifft. Nach Prüfung von insgesamt 14 Einsprüchen hat die Patentabteilung 34 des Deutschen Patent- und Markenamts das Patent mit Beschluss vom 12. Februar 1998 widerrufen. Auf die Beschwerde der Patentinhaberin hat der 23. Senat des Bundespatentgerichts das Patent mit Beschluss vom 29. Juli 1999 beschränkt aufrecht erhalten. Danach umfaßt das Streitpatent 12 Patentansprüche, die folgenden Wortlaut haben:

"1. Verfahren zur Herstellung eines Gehäuses mit elektromagnetischer Abschirmung (1, 4; 1', 4'), insbesondere zur Aufnahme elektronischer Funktionselemente (2), mit einer einen Spalt zwischen zwei benachbarten Gehäuseteilen ausfüllenden Abschirmdichtung (8;8'), bestehend aus elastischem und elektrisch leitfähigem Kunststoffmaterial, dadurch gekennzeichnet, daß als elastisches sowie leitfähiges Kunststoffmaterial ein schnell luft- und raumtemperaturtrocknendes Silikonpolymer eingesetzt wird, das in einem pastösen Ausgangszustand mittels Druck aus einer Nadel (6) bzw. Düse, die über dem zu dichtenden geometrischen Verlauf eines Gehäuseabschnitts geführt wird, direkt auf diesen Abschnitt (3a) eines Gehäuseteils (1; 3) ohne Formwerkzeug ein Abschirmprofil (8;8') bildend aufgebracht wird und sich dort unter Anhaften an dessen Oberfläche elastisch verfestigt, derart, daß das Abschirmprofil auch nach wiederholtem Öffnen des Gehäuses eine gute Beständigkeit aufweist.

2. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß zur Herstellung eines mehrschichtigen Abschirmprofils die Nadel (6) bzw. Düse mehrfach mindestens über vorbestimmte Bereiche des Abschnitts, an dem das Abschirmprofil angeordnet sein soll, derart geführt wird, daß sich aus mehreren Strängen ein vorgegebener Querschnitt aufbaut, welches insgesamt ein Dichtungsprofil bildet.

3. Verfahren nach Anspruch 2, dadurch gekennzeichnet, daß beim mehrfachen Führen der Nadel bzw. Düse über die vorbestimmten Bereiche unterschiedliche elastische Materialien aufgebracht werden, wobei bei mindestens einem Auftrag leitfähiges Material aufgebracht wird.

4. Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 3, dadurch gekennzeichnet, daß das Aufbringen des elastischen leitfähigen Materials bei Raumtemperatur erfolgt.

5. Verfahren nach einem der Ansprüche 2 bis 4, dadurch gekennzeichnet, daß das Abschirmprofil mindestens bereichsweise mehrschichtig aufgebaut wird, wobei jede Schicht auf der darunterliegenden an Ort und Stelle und mit dieser festhaftend verbunden gebildet wird.

6. Verfahren nach Anspruch 5, dadurch gekennzeichnet, daß das Abschirmprofil aus einer Schicht stark elastischen, aber nicht oder wenig leitfähigen Materials und einer Schicht weniger elastischen, aber stark leitfähigen Materials aufgebaut wird.

7. Verfahren nach einem der Ansprüche 2 bis 6, dadurch gekennzeichnet, daß der Querschnitt der durch mehrere Materialstränge erzeugten Dichtung lippenförmig ist.

8. Verfahren nach einem der Ansprüche 2 bis 7, dadurch gekennzeichnet, daß der Querschnitt der durch mehrere Materialstränge erzeugten Dichtung als Hohlprofile gebildet wird.

9. Verfahren nach einem der Ansprüche 2 bis 8, dadurch gekennzeichnet, daß zwischen benachbarten Materialsträngen, welche leitende Einschlüsse enthalten, mindestens ein Materialstrang angeordnet wird, welcher solche Einschlüsse nicht enthält.

10. Verfahren nach einem der Ansprüche 2 bis 9, dadurch gekennzeichnet, daß mindestens eine Leiterplatte in die abschirmende Außenform einbezogen wird.

11. Verfahren nach einem der Ansprüche 2 bis 10, dadurch gekennzeichnet, daß benachbarte und/oder in Längsrichtung aneinander anschließende Materialstränge unterschiedliche Eigenschaften, insbesondere hinsichtlich Kompressibilität, Elastizität, Biegsamkeit und/oder Härte aufweisen.

12. Verfahren nach einem der vorangehenden Ansprüche, dadurch gekennzeichnet, daß das Abschirmprofil im wesentlichen parallel - und insbesondere innenseitig parallel - zu Gehäusebereichen gebildet wird, welche nut- und federartig ineinander greifen."

Mit ihren Nichtigkeitsklagen machen die Klageparteien geltend, das Streitpatent offenbare die Erfindung nicht so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen könne und das letzte Merkmal in Anspruch 1 (".., derart, dass das Abschirmprofil...") stelle eine unzulässige Erweiterung dar. Der Gegenstand des Streitpatents sei gegenüber dem Stand der Technik nicht patentfähig. Er sei nicht neu, beruhe aber jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Die Klägerin 1) hat zur Stützung ihres Vorbringens folgende Unterlagen vorgelegt:

-K1/1 Patentschrift DE 43 19 965 C3

-K1/2 Offenlegungsschrift DE 43 19 965 A1

-K1/3 Merkmalsanalyse des Anspruchs 1 des Patents DE 43 19 965 C3

-K2/1 JP 5-7177 A

-K2/2 beglaubigte Übersetzung der JP 5-7177 A ins Deutsche -K3 Paul Ivanfi: "Verarbeitung von Ein- und Mehrkomponenten- Kleb- und Dichtstoffen" in "Adhäsion" 1988 Heft 3, Verlag Heinrich Vogel Fachzeitschriften GmbH, Seiten 10 bis 19 (Reklameseiten 11, 12, 16, 17 entfernt)

-K4 Haus der Technik Fachbuchreihe: "Zukunftsorientierte Klebstoffe für Metall- und Nichtmetallverbindungen", Vulkan-Verlag, Essen, 1991, Seiten 102 bis 105

-K5/1 Produktbroschüre der Firma Chomerics, Inc., aus dem Jahre 1988

-K5/2 Technical Bulletin 46 der Firma Chomerics, Inc., aus dem Jahre 1987

-K6 US 4,011,360

-K7/1 Gebrauchsinformation und DIN Sicherheitsdatenblatt über CC-Seal 001, CC-Seal 830

-K7/2 Angebot der Fa. E... GmbH an die Firma Siemens vom 23. März 1993

-K8 Ullmann«s encyclopedia of industrial chemistry, 5. Aufl. 1993, Bd. A24, Seiten 68 bis 80

-K9 Geoffrey D.King: "Improved Foam in Place Gasketing Material". SAE Technical Paper Series 900201, 1990

-K10/1 JP 61-149399 U

-K10/2 beglaubigte Übersetzung der JP 61-149399 U ins Deutsche -K11/1 JP 1-171092 U

-K11/2 beglaubigte Übersetzung der JP 1-171092 U ins Deutsche Die Klägerin 2) beruft sich auf folgende Unterlagen:

-K1A: Urteil 2 Ni 19/02 vom 5. Juni 2003

-K1B: DE 43 19 965 C3

-K1C: Merkmalsanalyse des Anspruchs 1 des Streitpatents -K1D: Offenlegungsschrift DE 43 19 965 A1

-K2A: japanische Offenlegungsschrift JP 5 - 7177 A

-K2B: beglaubigte Übersetzung der japanischen Offenlegungsschrift JP 5 - 7177 A ins Deutsche -K3: Ullmanns's encyclopedia of industrial chemistry, Band A24, 5. Auflage, 1993, Seite 68 bis 80

-K4: Paul Ivanfi: "Verarbeitung von Ein- und Mehrkomponenten-Kleb- und Dichtstoffen" in: "Adhäsion" 1988, Heft 3, Verlag Heinrich Vogel Fachzeitschriften GmbH, Seiten 10 bis 19 (ohne Reklameseiten 11, 12, 16 und 17)

-K5A: Haus der Technik Fachbuchreihe: "Zukunftsorientierte Klebstoffe für Metall- und Nichtmetallverbindungen", Vulkan-Verlag, Essen 1991, Seiten 102 bis 105

-K5B: US 4,950,521

-K6A: Produktbroschüre der Firma Chomerics, Inc. aus dem Jahre 1988

-K6B: "Technical Bulletin 46" der Firma Chomerics, Inc. aus dem Jahre 1987

-K7: US-Patentschrift 4,011,360

-K8A: Gebrauchsinformation der Firma E... GmbH über ihre Produkte CC-Seal 001 und CC-Seal 830 mit zugehörigen DIN-Sicherheitsblättern vom 18. März 1993

-K8B: Angebot der Firma E... GmbH vom 23. März 1993 an die Firma Siemens AG, München -K9: "Freiprogrammierbare Auftrags- und Vergußsysteme" Firmenprospekt der Firma Hilger u. Kern GmbH, Mannheim, aus dem Jahre 1986

-K10: Tabelle "Viscosity Chart" der Resin Technology Group, LLC, Ausdruck der Webseite www. resintechgroup. com / tables / viscosity. html -K11A: japanische Gebrauchsmusterschrift JP 1-171092 U

-K11B: beglaubigte Übersetzung der japanischen Gebrauchsmusterschrift JP 1-171092 U ins Deutsche -K12: Beschluss 23 W (pat) 13/98 vom 29. Juli 1999 betr. das Patent 43 19 965

-K13 "Improved Foam in Place Gasketing Material" von Geoffrey D. King, in SAE Technical Paper Series 900201, 1990

-K14 DE 39 34 845 A1

-K15A JP 61-149399 U

-K15B deutsche Übersetzung von K15A

-K16 Gutachten Prof. Dr.-Ing. W. Brockmann vom 16. Mai 2003 Der Kläger 3) beruft sich zur Stützung seines Vorbringens auf folgende Unterlagen:

-K1A Römpp CHEMIE LEXIKON, 1989, Stichwort: Silicone, Seiten 4168 bis 4172

-K1B Römpp CHEMIE LEXIKON, 1989, Stichwort: Elektrisch leitfähige Polymere, Seiten 1110 bis 1112

-K1C Römpp CHEMIE LEXIKON, 1989, Stichwort: Kunststoffe, Seiten 2398 bis 2403

-K1D Römpp CHEMIE LEXIKON, 1989, Stichwort: Polymere, 3545 bis 3548

-K2 Dr. Eckart Louis: "Dichtungstechniken mit Siliconkautschuken" in "Die Chemische Produktion" Januar/Februar 1979, Seiten 24 bis 26

-K3A H.J.Mair und S.Roth: "Vorwort" in "Elektrische leitende Kunststoffe", 1989, Carl Hanser Verlag München Wien, Seiten XXI und XXII

-K3B D.Wolfer: "Elektrisch leitfähiger Siliconkautschuk" in "Elektrisch leitende Kunststoffe" 1989, Carl Hanser Verlag München Wien, Seiten 215 bis 236

-K3C S. Roth: "Selbstleitende Kunststoffe - 1 Einleitung" in "Elektrisch leitende Kunststoffe" 1989, Carl Hanser Verlag München Wien,

-K4 W.Hechtel: "Chemie und Technologie des kalthärtenden Siliconkautschuks" in "Silicone Chemie und Technologie" 1989, Symposium am 28. April 1989 veranstaltet von den Firmen Bayer AG, Leverkusen, Th. Goldschmidt AG, Essen, Wacker-Chemie GmbH, Burghausen in Zusammenarbeit mit dem Haus der Technik e.V., Essen, Vulkan-Verlag, Essen, Seiten 49 bis 51

-K5 H.Lucke: "Dichtungsmassen - Dichtungsprobleme" 1973, Bertelsmann Fachzeitschriften GmbH, Berlin, Seiten 10 bis 13

-K6 Technische Richtlinie des Glaserhandwerks Nr. 1, 4. erweiterte Ausgabe 1986, "Glaserarbeiten Dichtstoffe für Verglasungen und Anschlussfugen - Arten, Eigenschaften, Anwendung, Verarbeitung", Verlag Karl Hofmann, Schorndorf, Seite 26, Punkt 8.5.3

-K7 Wilhelm Endlich: "Optoelektronische Sensoren" in "kleben & dichten ADHÄSION" Jahrgang 36, 12/92, Seiten 24 bis 25

-K8 "Rationelles Dosieren" in der Rubrik "Problemlösungen" in "Adhäsion", 1989, Heft 12, Seite 38

-K9 Paul Ivanfi: "Kleb- und Dichtstoffverarbeitung: Geräte und Anlagen für punkt- und linienförmige Auftragung" in "Adhäsion" 1985, Heft 1-2, Verlag Heinrich Vogel Fachzeitschriften GmbH, Seiten 17 bis 20

-K10 Produktbroschüre der Firma Chomerics, Inc., aus dem Jahre 1988

-K10A Merkmalsanalyse von K10

-K11 "Technical Bulletin 46" der Firma Chomerics, Inc, aus dem Jahre 1987

-K12 DE 39 34 845 A1

-K13 US 5,121,329

-K14 Übersetzung der japanischen Gebrauchsmusterschrift JP 1-171092 U ins Deutsche -K15 Manfred Keck: "Dosieren von Flüssigkeiten und Pasten" in "ADHÄSION" 6/92.

Mit Beschluß vom 7. Dezember 2004 wurden die Verfahren 2 Ni 47/03, 2 Ni 10/04 und 2 Ni 25/04 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden (führend das Aktenzeichen 2 Ni 47/03).

Das zum Streitpatent ergangene frühere Urteil des Senats vom 5. Juni 2003, mit dem es für nichtig erklärt worden war (2 Ni 19/02), wurde durch Klagerücknahme vor Rechtskraft wirkungslos.

Die Klägerinnen 1) und 2) sowie der Kläger 3) beantragen übereinstimmend, das deutsche Patent 43 19 965 vollständig für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt, die Klagen abzuweisen.

Sie tritt den Ausführungen der Klägerinnen 1) und 2) sowie des Klägers 3) in allen Punkten entgegen und hält das Streitpatent für patentfähig. Die Ansprüche 2, 5, 7, 8 und 10 wiesen eine eigenständige erfinderische Qualität auf.

Zur Stützung ihres Vorbringens beruft sie sich auf folgende Druckschriften:

-G1 Bulletin der Northrop Aircraft Division aus dem Jahre 1977

-G2 US 4,832,349

-G3 US 5,092,845

-G3A Dr. Eckart Louis "Dichtungstechniken mit Siliconkautschuken" in "Die Chemische Produktion" Januar/Februar 1979, Seiten 24 bis 26

-G4 US 6,132,664

-G5 Internetauftritt der Firma Liquid Control Corp.

-G6 Römpp Chemie Lexikon, 9. Auflage, Band 5, Seiten 4168 bis 4172

-G7 Internet-Glossary zum Begriff "filletseal" (im Schriftsatz vom 20. Dezember 2004 als G6 bezeichnet)

-G7A EP 0 416 653 A2

-G8 Internetauszug "Ask Dr. Dave" v. 18. März 2005 (www.adhesivesmag.com)

-G9 Untersuchung "EMC Shielding Markets, A global view of shielding components" der Beratungsfirma Frost & Sullivan, March 2000

-G10 Richtlinie 89/336/EWG des Rates vom 3. Mai 1989 zur Angleichung der Rechtsvorschriften über die elektromagnetische Verträglichkeit -G11 US 5,070,216

-G12 US 5,115,104

-G13 PCT WO 92/15189 A1

-G14 US 5,045,635

-G15 US 5,124,889

-G16 Protokoll einer Geschäftsbesprechung E1.../ E... und UNITECH vom 28. Mai 1993

-G17 Geheimhaltungsvereinbarung E1.../E... vom 14. Juni 1993

-G18 Lastenheft und Konstruktionszeichnung Abschirmdichtung 19. Mai 1993

-G19 Lastenheft Abschirmdichtung 7. Juni 1993

Gründe

Die Klagen, mit der die in § 22 Abs. 2 iVm § 21 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 PatG vorgesehenen Nichtigkeitsgründe der mangelnden Offenbarung, der unzulässigen Änderung sowie der fehlenden Patentfähigkeit geltend gemacht werden, sind zulässig und in vollem Umfang begründet.

I Nach den Angaben in der Streitpatentschrift betrifft das angegriffene Patent ein Verfahren zur Herstellung eines eine Abschirmung gegenüber elektromagnetischer Abstrahlung aufweisenden Gehäuses (Spalte 1, 1. Absatz). Derartige Gehäuse werden, wie in der Streitpatentschrift dargelegt ist, zur Unterbringung elektronischer Bauelemente verwendet, welche zu ihrem störungsfreien Betrieb eine Abschirmung gegenüber den am Betriebsort vorhandenen elektromagnetischen Feldern benötigen oder die ihrerseits elektromagnetische Strahlung emittieren, die es von der Umgebung fernzuhalten gilt, um beispielsweise die Abstrahlung geheimzuhaltender Information oder eine Funktionsbeeinträchtigung externer Geräte zu verhindern. Die Gehäuse verfügen über Wandungen aus leitfähigem Material und wirken demnach im Sinne eines Faradayschen Käfigs (Spalte 1, 2. bis 4. Absatz). Zumeist handelt es sich bei diesen Abschirmgehäusen um mehrteilige Konstruktionen, die etwa zur Erneuerung der Energiequelle oder für Wartungszwecke gelegentlich geöffnet werden müssen. Um gleichwohl eine wirkungsvolle Abschirmung zu gewährleisten, ist beim Stand der Technik vorgesehen, die beim Öffnen voneinander zu lösenden und beim Verschließen wieder miteinander in Kontakt zu bringenden Gehäuseteile mit elastischen, leitfähigen Dichtungen zu versehen (Spalte 1, 6. Absatz). Derartige Dichtungen können beispielsweise durch flexible, vorgefertigte Dichtprofile aus leitfähigem oder leitend gemachtem Elastomermaterial bestehen, welches formgepresst oder als Endlosprofil extrudiert und anschließend in das abzuschirmende Gehäuse eingelegt wird. Als Alternativen sind beim Stand der Technik auch federartige, metallische Abdichtungen sowie Abschirmprofile vorgesehen, die in heißem Zustand mittels Pressformen auf die entsprechenden Gehäuseabschnitte aufgeformt und anschließend unter relativ hoher Temperatur und / oder hohem Druck ausgehärtet werden (Spalte 1, 7. Absatz bis Spalte 2, 1. Absatz).

Die Beklagte sieht es demgegenüber als nachteilig an, daß die Verwendung der oben erwähnten, vorgefertigten Dichtprofile arbeitsaufwendig ist und bei sehr kleinen Gehäusen auch insofern auf Schwierigkeiten stößt, als Dichtungen mit entsprechend kleinen Abmessungen schwer zu handhaben sind. Kompliziert geformte Dichtungen, wie man sie für spezielle Gehäuse benötigt, würden besondere Vorrichtungen erfordern, welche die Fertigung der Gehäuse insgesamt verteuerten; darüber hinaus sei das Einlegen der Dichtungen in die hierfür vorgesehenen Nuten zeitaufwendig und erfordere zusätzliche Nachkontrollen (Spalte 1, 10. und 11. Absatz). Die Verwendung federartiger, metallischer Abdichtungen hingegen sei konstruktiv vergleichsweise aufwendig; ihre Funktionstüchtigkeit könne durch Oxidation und Verschmutzung stark beeinträchtigt werden (Spalte 1, 7. Absatz). Schließlich sei die zuletzt erwähnte Aufbringung von Dichtprofilen mittels Pressformen bei druck- und/oder temperaturempfindlichen Teilen wie z.B. Leiterplatten oder metallisierten Kunststoffgehäusen nicht oder allenfalls mit einer sehr hohen Ausschussquote anwendbar (Spalte 2, 3. Absatz). Bei einer Reihe weiterer bekannter Verfahren wird, wie in der Streitpatentschrift ausgeführt ist, eine leitende und elastische Dichtungsmasse zwischen zwei Gehäuseteile unmittelbar vor oder nach deren Verbinden eingebracht, wobei die Gehäuseteile durch das aushärtende Dichtungsmaterial miteinander verkleben und sich deshalb nur noch schwer und in der Regel unter Zerstörung der Dichtung und damit auch der Abschirmwirkung voneinander trennen lassen (Spalte 2, 4. Absatz).

Angesichts dieser Nachteile des Standes der Technik soll mit dem angegriffenen Patent entsprechend der in der Streitpatentschrift genannten Aufgabe ein Verfahren der eingangs geschilderten Art zur Erzeugung von Abschirmungen - insbesondere im Bereich von Trennfugen von voneinander lösbaren Gehäuseteilen - angegeben werden, welches sich unterschiedlichsten Anforderungen auf einfache Weise - auch bei miniaturisierter Bauweise - anpassen läßt. Das beanspruchte Verfahren soll darüber hinaus auch bei einfach und preiswert in größeren Stückzahlen herzustellenden Gehäusen einsetzbar sein (Spalte 2, Zeile 32 bis 40).

Der Lösungsvorschlag besteht nach Patentanspruch 1 - gemäß der von den Klägerinnen 1 und 2 in ihren Klageschriftsätzen vorgenommenen Merkmalsanalyse (vgl. Anlagen K1/3 bzw. K1C) - im einzelnen in einem 1) Verfahren zur Herstellung eines Gehäuses (1,4;1',4') mit elektromagnetischer Abschirmung, 2) das Gehäuse dient insbesondere zur Aufnahme elektronischer Funktionselemente (2), 3) das Gehäuse weist eine Abschirmdichtung (8, 8') auf, die aus elastischem und elektrisch leitfähigem Kunststoffmaterial besteht, 4) die Abschirmdichtung füllt einen Spalt zwischen zwei benachbarten Gehäuseteilen aus.

- Oberbegriff -

5) als elastisches sowie leitfähiges Kunststoffmaterial wird ein schnell luft- und raumtemperaturtrocknendes Silikonpolymer eingesetzt, das 6) in einem pastösen Ausgangszustand 7) mittels Druck aus einer Nadel (6) bzw. Düse, 8) die über dem zu dichtenden geometrischen Verlauf eines Gehäuseabschnitts geführt wird, 9) direkt auf diesen Abschnitt (3a) eines Gehäuseteils 10) ohne Formwerkzeug ein Abschirmprofil bildend 11) aufgebracht wird und sich dort unter Anhaften an dessen Oberfläche elastisch verfestigt, 12) derart, daß das Abschirmprofil auch nach wiederholtem Öffnen des Gehäuses eine gute Beständigkeit aufweist.

- Kennzeichen -

Nach den Ausführungen in der Streitpatentschrift schließt das beanspruchte Verfahren den Gedanken ein, das Abschirmprofil nicht separat, sondern direkt und ohne Preßform auf dem Gehäuse durch eine die erwünschten Eigenschaften aufweisende, sich verfestigende pastöse Masse, die aus einer über dem zu dichtenden geometrischen Verlauf geführte Öffnung austritt, zu erzeugen und damit einerseits sämtliche Handhabungsprobleme und andererseits die verfahrensbedingten Nachteile des Formpressens oder des verklebenden Abdichtens zu vermeiden. Das Material besteht dabei aus einer Kunststoffmasse, welche leitende Einschlüsse - insbesondere in Form von Metallpartikeln oder als Kohlenstoffteilchen - enthält. Die Profilbildung im Auftragsvorgang führt zu einer guten Beständigkeit des Abschirmprofils auch nach wiederholtem Öffnen des Gehäuses (Spalte 2, Zeile 43 bis 56).

II.

1.) Die Streitpunkte der unzulässigen Erweiterung, unzureichenden Offenbarung und Neuheit der Erfindung können unerörtert bleiben (vgl. BGH GRUR 1991, 120, 121 Abschnitt II.1 - "Elastische Bandage"). Denn der Senat ist jedenfalls davon überzeugt, dass der Stand der Technik dem Fachmann den Gegenstand des Streitpatents nahegelegt hat, so dass es zu seiner Bereitstellung keiner erfinderischen Tätigkeit bedurft hat. Zuständiger Durchschnittsfachmann ist vorliegend ein mit der Entwicklung und Fertigung von Abschirmgehäusen und dessen Abschirmdichtungen befaßter, berufserfahrener Fachhochschulingenieur der Fachrichtung Hochfrequenztechnik.

Dem Fachmann, der es sich zum Ziel gesetzt hatte, ein Verfahren zur Herstellung eines Gehäuses mit elektromagnetischer Abschirmung mit einfacheren Mitteln bereitzustellen, war die Firmenbroschüre Chomerics gemäß Anlage K6A der Klägerin 2 (entsprechend Anlage K5/1 der Klägerin 1 bzw. Anlage K10 des Klägers 3) bekannt. Aus dieser - unbestritten aus dem Jahre 1988 stammenden (vgl. den Druckvermerk auf Blatt 1) - Druckschrift ist ein Verfahren zur Herstellung eines Gehäuses mit den Merkmalen 1 bis 9 sowie 11 und 12 des Patentanspruchs 1 des Streitpatents - gemäß vorstehender Merkmalsanalyse - bekannt. Denn durch das dort offenbarte Verfahren soll ebenfalls schon - ein Gehäuse mit elektromagnetischer Abschirmung [Merkmal 1] hergestellt werden,

- welches insbesondere der Aufnahme elektronischer Funktionselemente [Merkmal 2] dient (vgl. Blatt 1, Absatz "Communications", siehe dort den Hinweis auf die E... Abschirmungsintegrität (E... shield integrity) z.B. bei Funkrufempfängern (pocket paging devices)),

- wobei das Gehäuse eine Abschirmdichtung aufweist, die aus elastischem und elektrisch leitfähigem Kunststoffmaterial [Merkmal 3] besteht - und einen Spalt zwischen zwei benachbarten Gehäuseteilen [Merkmal 4] ausfüllt;

- als elastisches und elektrisch leitfähiges Kunststoffmaterial ist ein schnell luft- und raumtemperaturtrocknendes Silikonpolymer [Merkmal 5] vorgesehen (vgl. Blatt 2, linke Spalte, Absatz "CHO-BOND ¨ Caulks and Sealants"; rechte Spalte, Absatz "CHO-BOND ¨ Flexible Silicones");

- dieses Silikonpolymer wird in einem pastösen Ausgangszustand [Merkmal 6]

- mittels Druck aus einer Düse [Merkmal 7],

- die über dem zu dichtenden geometrischen Verlauf eines Gehäuseabschnitts geführt wird [Merkmal 8],

- direkt auf diesen Abschnitt eine Gehäuseteils aufgebracht [Merkmal 9] (vgl. Blatt 3, Abbildung rechts oben; Blatt 2 und 3, Tabelle "Specifications and product characteristics", dort 3. Zeile zu CHO-BOND ¨ Caulk or Sealant "1038"),

- wo sich das Material unter Anhaften an dessen Oberfläche elastisch verfestigt [Merkmal 11], derart - daß das Abschirmprofil auch nach wiederholtem Öffnen des Gehäuses eine gute Beständigkeit aufweist [Merkmal 12] (vgl. Blatt 2, rechte Spalte, Absatz "CHO-BOND ¨ Flexible Silicones").

Entgegen der Auffassung der Beklagten vermittelt die Firmenbroschüre K6A dem Fachmann, wie die zitierten Fundstellen belegen, hinsichtlich der vorstehend aufgelisteten Verfahrensschritte eine klare und vollständige Lehre zum technischen Handeln. Der Beklagten ist jedoch insoweit zu folgen, als sich der K6A nicht zweifelsfrei entnehmen läßt, ob das auf einen Gehäuseabschnitt aufgebrachte Silikonpolymer - wie im Merkmal 10 des Patentanspruchs 1 angegeben ist - dort ohne Formwerkzeug ein Abschirmprofil bildet oder ob es hierfür noch einer Nachbearbeitung, insbesondere mittels eines Formwerkzeugs, bedarf. Zwar ist in der K6A angeben, daß die dort beschriebenen Silikonpolymere ausgezeichnete "formedinplace gaskets" (FIPG) bilden, das heißt Dichtungen, die nicht vorgefertigt, sondern vor Ort hergestellt werden (vgl. Blatt 2, rechte Spalte, Absatz "CHO-BOND ¨ Flexible Silicones"); es ist jedoch nicht auszuschließen, daß der Begriff "FIPG", wie die Beklagte geltend macht, weiter zu fassen ist und - im Gegensatz zu Merkmal 10 des Anspruchs 1 - auch eine Nachbearbeitung mit Hilfe eines Formwerkzeugs einschließt.

Der Fachmann, der sich vor die Aufgabe gestellt sieht, ein Gehäuse mit einer Abschirmdichtung gemäß den in der K6A offenbarten Verfahrensschritten zu versehen, kann nicht umhin, sich mit der Frage auseinander zusetzen, ob es nach der Aufbringung des pastösen Silikonpolymers mittels Druck aus der Düse (vgl. die Abbildung auf Blatt 3) noch einer Nachbearbeitung der Dichtungsmasse bedarf oder nicht, da hiervon der erforderliche Zeitaufwand und die Kosten des Auftragsverfahrens entscheidend beeinflußt werden. Der Fachmann wird deshalb das in K6A (Tabelle) in Bezug genommene "Technical Bulletin Nr. 46" aus dem Jahr 1987 (vgl. den Druckvermerk "1987" links unten) gemäß Anlage K6B der Klägerin 2 (entsprechend Anlage K5/2 der Klägerin 1 bzw. Anlage K11 des Klägers 3) zu Rate ziehen, in der die physikalischen und chemischen Eigenschaften des auch in der K6A besprochenen Silikonpolymers CHO-BOND¨1038 und dessen Verarbeitung näher erläutert werden. In dieser weiteren Druckschrift ist angegeben, daß das besagte Dichtungsmaterial mit einem Messer verteilt oder direkt auf einen vertikalen Gehäuseabschnitt aufgetragen werden kann (vgl. linke Spalte, 2. und 3. Absatz).

Der Fachmann entnimmt der zitierten Textstelle, daß das aufgetragene Silikonpolymer zwar nachbearbeitet werden kann, daß es eines solchen zusätzlichen Verfahrensschrittes jedoch dann nicht bedarf, wenn durch den Auftrag eines Strangs des pastösen Materials mit Hilfe einer Düse bereits das gewünschte Abschirmprofil erzielt worden ist. In seinem routinemäßigen Bemühen, das aus der K6A bekannte Verfahren kostengünstig und zeitsparend einzusetzen, wird der Fachmann - angeregt durch die zugehörige K6B - auf eine Nachbearbeitung der vor Ort erzeugten Dichtung nach Möglichkeit verzichten, zumal auch die jeweiligen Abbildungen in K6A und K6B außer den gezeigten Düsen keinen Hinweis auf den Einsatz eines Formwerkzeugs zur Nachbearbeitung geben. Somit gelangt der Fachmann ohne erfinderisches Zutun zum Verfahren gemäß Anspruch 1 des Streitpatents.

Der in der mündlichen Verhandlung vorgebrachte Einwand der Beklagten, daß die Kläger die Erfindung aufgrund ihrer Einfachheit in rückschauender Betrachtungsweise im Stand der Technik zu sehen glauben und sie "hineinlesen", kann aufgrund des dargelegten Offenbarungsgehaltes der Firmenschriften Chomerics K6A/K6B nicht gefolgt werden, zumal sich die Einfachheit des Verfahrens nach diesem Stand der Technik für den unbefangenen Fachmann schon auf den ersten Blick aus den jeweiligen Abbildungen dieser Firmenschriften ergibt. Auch das Argument der Beklagten, die in den Abbildungen der K6A und K6B gezeigte Düse diene lediglich dem Aufbringen des Silikonpolymers und könne kein Abschirmprofil im Sinne des patentgemäßen Verfahrens erzeugen, geht ins Leere, da auch im Anspruch 1 des angegriffenen Patents keine weitergehenden Angaben - weder hinsichtlich der Ausgestaltung der dort erwähnten Nadel bzw. Düse noch hinsichtlich des Abschirmprofils - enthalten sind.

Entgegen der Auffassung der Beklagten kann aus der K6B (vgl. linke Spalte, 3. Absatz) auch nicht darauf geschlossen werden, dass das dort beschriebene Silikonpolymer zwangsläufig nachbearbeitet werden muss; denn die genannte Textstelle beschreibt lediglich die für Silikonpolymere typische Hautbildung. Sobald nämlich ein solches Material mit Luftfeuchtigkeit in Berührung kommt, entsteht an seiner Oberfläche durch die einsetzende Polymerisation eine trockene Haut ("forms a cured skin within two minutes"), die ein Anhaften des beim Verlassen der Auftragsdüse noch äußerst klebrigen Silikons ("excellent adhesive", vgl. linke Spalte, letzter Absatz) am Untergrund verhindert und das Material für den gewünschten Verwendungszweck insofern unbrauchbar macht. Deshalb muß das Silikon vor Ablauf der genannten Zeitspanne verarbeitet, d.h. aufgetragen werden ("must be tooled within this time period"); ob es zum Zwecke einer zusätzlichen Profilierung noch nachbearbeitet werden soll, liegt - wie vorstehend dargelegt - im Ermessen des zuständigen Fachmanns.

Da somit bereits die beiden Firmenschriften Chomerics K6A und K6B in ihrer Zusammenschau dem Fachmann die beanspruchte Lehre, einschließlich dem direkten Aufbringen des pastösen Silikonpolymers auf ein zu dichtendes Gehäuseteil ohne Nachbearbeitung mittels eines Formwerkzeugs nahelegen, kann der Auffassung der Beklagten, hinsichtlich der Verarbeitung der Abschirmungs- und Dichtungsmaterialien CHO-Bond 1038 gemäß K6A und K6B seien weitere Quellen G1 bis G7 heranzuziehen, nicht gefolgt werden. Deshalb gehen die von der Beklagten angezogenen Druckschriften über andersartige Verarbeitungsmöglichkeiten von Silikonpolymeren, z.B. eine Verarbeitung mit einem Spatel als Formwerkzeug (G1), mit abdichtenden Gegenflächen oder einer Pressform als Formwerkzeug (G2 bis G5 bzw. G7A) bzw. als "filled seal", bei der die Dichtung nach dem Zusammenbau mehrerer Teile auf die Fugen aufgebracht werden (G7), ebenso ins Leere, wie die mit den Anlagen G11 bis G19 der Beklagten dokumentierten andersartigen Verfahren zu Herstellung von Abschirmdichtungen eines Gehäuses. Die G6 ist von der Beklagten lediglich als Nachweis dafür genannt, dass die Aushärtung von Silikonpolymeren über Additionsvernetzung erfolgt.

Eine andere Beurteilung ergibt sich insbesondere auch nicht durch die von der Beklagten dargelegte Auslegung des Begriffs "Formedin-Place Gasket" (FIPG) als eine Dichtung, die an Ort und Stelle aufgebracht und dort mittels eines Werkzeugs in ihre endgültige Form gebracht wird. Denn der Begriff "FIPG" - für sich genommen - lässt es offen, ob eine Nachbearbeitung mittels eines Formwerkzeugs erfolgt oder nicht, und schließt somit eine Verarbeitung ohne Formwerkzeug mit ein, vgl. hierzu gutachtlich z.B. die von der Klägerin 2 genannte Anlage K5A (entsprechend Anlage K4 der Klägerin 1, Seite 103 leAbs):

"Es besteht jedoch auch die Möglichkeit, dass die Raupe oder Siebdruck aus Siliconkautschuk auf eine Dichtfläche aufgebracht wird und dort aushärtet. Erst nach Montage des Bauteils wird die Dichtfunktion der FIPG-Dichtung wirksam. In diesem Fall muß der RTV-Siliconkautschuk gut auf dem Substrat haften und mit der Gegenfläche auch im Dauerbetrieb nicht verbacken. Diese Technik wird bei häufig zu demontierenden Teilen verwendet."

Diese Art der Herstellung einer FIPG-Dichtung entspricht - im übrigen in Übereinstimmung mit der Definition von "formedinplace gaskets" in der von der Beklagten genannten Druckschrift G9 (vgl. Kapitel 7 Seite 1 Abs 1 bis 3) - der sich für den Fachmann aus K6A und K6B erschließenden Verarbeitung, wie sie im Anspruch 1 gelehrt wird (Merkmale 5 bis 12), vgl. K6A, Abbildung auf Blatt 3 iVm Blatt 2 rechte Spalte Abschnitt "CHO-Bond Flexible Silicones":

These materials cure rapidly on exposure to room temperature, "skinning over" in 15 minutes. They produce excellent forminplace gaskets which remain flexible over a wide temperature range. They bond well to aluminum, especially after priming with CHO-Bond 1086, and can undergo disassembly one or more times."

Demgegenüber stände die von der Beklagten dargelegte (enge) Auslegung des Begriffs "FIPG" mit der Folge, dass - neben dem Merkmal 10 des Anspruchs 1 ("ohne Formwerkzeug") - auch das Merkmal 12 ("wiederholtes Öffnen und Schließen des Gehäuses") nicht erfüllt ist, da die Dichtmasse mit beiden Flächen verklebt (Schriftsatz der Beklagten vom 1. Juni 2004 S 5 leAbs bis S 6 Abs 4 bzw. vom 29. Juni 2004 S 6 Abs 1), in offensichtlichem Widerspruch zu der vorstehend dargelegten Offenbarung der K6A, wo im Zusammenhang mit der Bildung exzellenter FIPG-Dichtungen das wiederholte Öffnen und Schließen des Gehäuses ausdrücklich genannt ist.

Da das beanspruchte Verfahren somit durch den Stand der Technik nahegelegt ist, kann auch der von der Beklagten geltend gemachte wirtschaftliche Erfolg (Markterfolg) nicht als Indiz für erfinderische Tätigkeit herangezogen werden (vgl. hierzu BGH GRUR 1994, 36 Ls 2 - "Meßventil"; BGH "Elastische Bandage" aaO S 121 reSp unten bis S 122 liSp Abs. 1 Busse, PatG, 6. Auflage, § 4 Rdn 183/184 mwNachw).

Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents beruht nach alledem nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Der Patentanspruch 1 ist deshalb nicht rechtsbeständig.

2.) Entgegen der Auffassung der Beklagten weisen auch die erteilten Unteransprüche 2, 5, 7, 8 und 10 keinen eigenständig erfinderischen Gehalt auf. Sie sind daher ebenfalls nicht rechtsbeständig.

a) Der Patentanspruch 2 des Streitpatents beansprucht ergänzend zu den Verfahrensschritten nach Patentanspruch 1,

- daß zur Herstellung eines mehrschichtigen Abschirmprofils die Nadel bzw. Düse mehrfach mindestens über vorbestimmte Bereiche des Abschnitts, an dem das Abschirmprofil angeordnet sein soll, derart geführt wird, daß sich aus mehreren Strängen ein vorgegebener Querschnitt aufbaut, welcher insgesamt ein Dichtungsprofil bildet.

Diese zusätzlichen Verfahrensmerkmale entnimmt der Fachmann bereits der vorstehend erläuterten K6A, deren Abbildung auf Blatt 3 zeigt, daß die Düse zumindest im Bereich der Schraubenlöcher bzw. zumindest entlang der oberen Längsseite so geführt wird, daß jeweils zwei nebeneinander verlaufende Stränge den erwünschten Querschnitt bilden. Dass von der erfindungsgemäßen Lehre insbesondere auch ein aus nebeneinander auf der Oberfläche eines Gehäuseteils (11) aufgebrachten Profilen (81a) und (81b) gebildetes Dichtungs- und Abschirmprofil umfasst sein soll, zeigt z.B. die Ausführungsform gemäß Fig. 2a iVm der Beschreibung Spalte 4 Zeilen 14 bis 17, Spalte 5 Zeilen 5 bis 8 und 18 bis 24 des Streitpatents. Etwas anderes kann - entgegen der Auffassung der Beklagten - auch nicht aus der Formulierung des Anspruchs 2 abgeleitet werden, wonach sich aus mehreren Strängen ein vorgegebener Querschnitt "aufbaut". Denn von einem solchen "Aufbau" ist ausdrücklich auch im Zusammenhang mit dem in Fig. 2a des Streitpatents dargestellten Dichtungs- und Abschirmprofil aus nebeneinander angeordneten Profilen 81a und 81b die Rede (vgl. dort Spalte 5 Zeilen 18 bis 24).

b) Die Patentansprüche 5 und 7 bilden das Verfahren nach den Patentansprüchen 1 und 2 dahingehend weiter,

- daß bei einem mindestens bereichsweise mehrschichtigen Aufbau des Abschirmprofils jede Schicht auf der darunterliegenden an Ort und Stelle und mit dieser festhaftend verbunden gebildet wird; und - daß der Querschnitt der durch mehrere Materialstränge erzeugten Dichtung lippenförmig ist.

Diese beiden zusätzlichen Merkmalsgruppen entnimmt der zuständige Fachmann der Anlage K14 der Klägerin 2 (entsprechend der Anlage K12 des Klägers 3). Denn aus dieser einschlägigen Druckschrift ist bereits bekannt, eine lippenförmig gestaltete Dichtung zur Abdichtung einer Gehäuseöffnung gegen elektromagnetische Strahlung aus zwei übereinander liegenden Schichten, nämlich einer nicht leitfähigen, elastischen Schicht (Dichtungsmittel 5;7) und einer leitfähigen, elastischen Schicht (9;11) zu bilden, die aus dem gleichen Material, beispielsweise einem Silikonpolymer bestehen können, und deshalb aufgrund dessen anfänglich guter Klebeeigenschaften an Ort und Stelle fest aneinander haften. Das Silikonpolymer wird durch Zusätze wie z.B. Metall- oder Kohlepulver leitfähig gemacht, wodurch zwangsläufig auch seine mechanischen Eigenschaften beeinflußt werden, beispielsweise also seine Elastizität verringert wird (vgl. die Figuren 1 und 2 und die Beschreibung Spalte 2, Zeile 55 bis Spalte 4, Zeile 35 sowie die Ansprüche 1, 6 bis 8 und 15).

In dem routinemäßigen Bemühen des Fachmanns, das aus der K6A bekannte Verfahren dahingehend weiter zu entwickeln, daß sich damit Abschirmdichtungen mit besonders vorteilhaften elektrischen und gleichzeitig auch mechanischen Eigenschaften herstellen lassen, kann er nicht umhin, die diesbezüglichen Anregungen der K14 aufzugreifen. Einer erfinderischen Tätigkeit bedarf es hierzu nach Überzeugung des Senats nicht.

Zwar offenbart die K14 - im Gegensatz zum Streitpatent - in erster Linie die Vorfertigung von Abschirmdichtungen (vgl. Spalte 3, letzte Zeile bis Spalte 4, 2. Zeile), die sodann mit den Gehäuserändern verbunden oder verklebt werden müssen; jedoch beschreibt die besagte Druckschrift im Anschluß an die zitierte Textstelle die Aufbringung der Abschirmdichtung in Form eines geeignet dicken Strangs aus Silikonpolymer als gleichwertige Alternative, wie dies insoweit der Lehre des Streitpatents entspricht (vgl. Spalte 4, Zeilen 2 bis 9).

Auch der Behauptung der Beklagten, dem Stand der Technik gemäß K14 sei - im Gegensatz zu dem entsprechenden Merkmal im Unteranspruch 7 - kein "lippenförmiges" Abschirmprofil zu entnehmen, kann nicht beigetreten werden. Denn dieser Begriff ist im Streitpatent nicht näher erläutert, so daß ihm von daher kein abgrenzbarer Bedeutungsinhalt gegenüber dem Stand der Technik (vgl. in K14 die Figuren 1, 2 und 5), der nach dem Verständnis des zuständigen Fachmanns bereits lippenförmige Querschnitte zeigt, beigemessen werden kann (vgl. hierzu BGH GRUR 1981, 812 Ls 1 - "Etikettiermaschine"). So werden beispielsweise im Zusammenhang mit der Ausführungsform gemäß Fig. 2i des Streitpatents die zwei nebeneinander angeordneten, flach gewölbten Profilteile 89b und 89c ausdrücklich als "Dichtlippen" bezeichnet (vgl. Spalte 6 Zeilen 15 bis 22), so dass die im Patentanspruch 7 gelehrte "lippenförmige" Dichtung keineswegs auf "gebogene Lippenprofile" mit Biegeverformung beschränkt ist, wie die Beklagte in der mündlichen Verhandlung unter Hinweis auf die Ausführungsform gemäß Fig. 2g und Spalte 3 Zeilen 15 bis 17 geltend gemacht hat (vgl. hierzu BGH GRUR 2004, 1023 Ls 1 - "Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung").

c) Der Unteranspruch 8 ergänzt das Verfahren nach den Patentansprüchen 2 bis 7 durch das Merkmal,

- daß der Querschnitt der durch mehrere Materialstränge erzeugten Dichtung als Hohlprofil gebildet wird.

Dieses Merkmal ergibt sich für den Fachmann in naheliegender Weise aus der Anlage K15B der Klägerin 2 (entsprechend Anlage K10/2 der Klägerin 1, vgl. Beschreibung Seite 2, vorletzter Absatz bis Seite 3, erster Absatz sowie Seite 2, fünftletzter Absatz) iVm den Figuren 1 und 2 des zugehörigen japanischen Originals Anlage 15A der Klägerin 2 (entsprechend Anlage K10/1 der Klägerin 1). Denn die beiden korrespondierenden Druckschriften lehren, Abschirmdichtungen aus koaxial angeordneten Schichten aus leitfähigem Silikongummi (2;12) und nicht leitfähigem Silikongummi (1;11) geringerer Härte aufzubauen, wodurch sich insgesamt die gewünschte Elastizität der Abschirmdichtung ergibt. Nach einem weiteren (nicht dargestellten) Ausführungsbeispiel kann diese Elastizität durch ein Hohlprofil aus elektrisch leitfähigem Material erreicht werden (Beschreibung Seite 2, fünftletzter Absatz).

Zwar ist der Beklagten darin beizupflichten, daß sich die Druckschriften K15A/K15B der Klägerin 2 ausschließlich mit vorgefertigten Abschirmprofilen befassen; jedoch stellen der Direktauftrag eines Abschirmprofils - was insoweit der Lehre des Streitpatentschrift entspricht - und dessen Vorfertigung mit anschließender Verklebung, wie die vorstehend diskutierte K14 der Klägerin 2 belegt, im Verständnis des Durchschnittsfachmanns zwei Alternativen dar, von denen er bedarfsweise Gebrauch machen wird. Von daher bedarf es keiner erfinderischen Tätigkeit, um angesichts des beim Stand der Technik schon Bekannten zu einer Weiterbildung des patentgemäßen Verfahrens gemäß Unteranspruch 8 zu gelangen.

d) Der Unteranspruch 10 ergänzt das Verfahren nach den Patentansprüchen 2 bis 9 durch das Merkmal,

- daß mindestens eine Leiterplatte in die abschirmende Außenform einbezogen wird.

Dieses Merkmal ergibt sich für den Fachmann unmittelbar aus der einschlägigen Anlage K11B der Klägerin 2 (entsprechend K11/2 der Klägerin 1 bzw. K14 des Klägers 3, vgl. dort die Beschreibung Seite 3, letzter Absatz bis Seite 4, erster Absatz) iVm Figur 1 und 2 des japanischen Originals Anlage K11A der Klägerin 2 (bzw. Anlage K11/1 der Klägerin 1); denn bei diesem Stand der Technik ist bereits vorgesehen, zwischen zwei mit einer Abschirmdichtung (leitender Gummiauftrag 6) z.B. aus leitendem Silikongummi versehenen Gehäuseteilen (2,3) eine Leiterplatte (Platine 1) zur Unterbringung elektronischer Bauteile anzuordnen, wodurch die Leiterplatte ersichtlich in die abschirmende Außenform einbezogen wird (siehe Fig. 1 und 2). Dabei ist für den Fachmann ohne weiteres ersichtlich, daß die Ausbildung der Abschirmdichtung zwischen dem jeweiligen Gehäuseteil und der - temperaturempfindlichen - Leiterplatte insofern unbedenklich ist, als das Aufbringen des RTV-Silikonpolymers, wie sich für den Fachmann unmittelbar aus den Abbildungen der beiden og Firmenbroschüren K6A und K6B ergibt, durch eine offensichtlich ungeschützte Hand erfolgt, was - insoweit auch entsprechend der Lehre des erteilten Anspruchs 4 des Streitpatents - auf eine Verarbeitung bei Raumtemperatur schließen läßt.

Soweit die Beklagte die Lehre des erteilten Patentanspruchs 10 dahingehend auslegt, daß die Leiterplatte selbst - anstelle eines Gehäuseteils - die abschirmende Außenform bildet, so mag eine derartige einengende Auslegung durch den Anspruch 1 iVm der Beschreibung Spalte 6 Zeilen 65/66, wonach eine Leiterplatte gleichzeitig als Gehäuseteil dient, offenbart sein. Grundlage für die Beurteilung der Patentfähigkeit der geschützten Lehre ist jedoch nach ständiger Rechtsprechung der die Erfindung allgemein kennzeichnende Patentanspruch, der aber - wie dargelegt - aufgrund seiner "Anspruchsbreite" durch den Stand der Technik nach Anlage K11A/K11B der Klägerin 2 nahegelegt ist (vgl. hierzu BGH GRUR 2004, 47 Ls 1, 48 Abschnitt IV.1.b - "blasenfreie Gummibahn I"; BGH "Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung" aaO). Im übrigen könnte auch nichts Erfinderisches darin gesehen werden, die Abschirmdichtung zwischen einem Gehäuseteil und einer zugleich als Abschirmung dienenden Leiterplatte anzuordnen, da die Ausbildung einer Leiterplatte als Abschirmung, wie die Beklagte in der mündlichen Verhandlung selbst eingeräumt hat, dem Fachmann allgemein bekannt ist.

Die Unteransprüche 2, 5, 7, 8 und 10 sind von daher in ihrem mittelbaren oder unmittelbaren Rückbezug auf den Patentanspruch 1 des Streitpatents nicht rechtsbeständig.

3.) Mit dem Patentanspruch 1 sind auch die auf ihn direkt oder indirekt rückbezogenen abhängigen Unteransprüche 3, 4, 6, 9, 11 und 12, die weitere Ausgestaltungen des patentgemäßen Verfahrens betreffen und im Hinblick auf den nachgewiesenen Stand der Technik ebenfalls keinen eigenen erfinderischen Gehalt haben, für nichtig zu erklären. Eine eigenständig erfinderische Qualität dieser Unteransprüche hat die Beklagte auch nicht geltend gemacht.

III.

Als Unterlegene hat die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits gemäß §§ 84 Abs 2 PatG iVm § 91 Abs 1 Satz 1 ZPO zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 99 Abs. 1 PatG, 709 ZPO.

Meinhardt Dr. Meinel Gutermuth Schuster Dr. Häußler Pü






BPatG:
Urteil v. 21.04.2005
Az: 2 Ni 47/03


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