Bundespatentgericht:
Beschluss vom 6. März 2002
Aktenzeichen: 19 W (pat) 33/00

(BPatG: Beschluss v. 06.03.2002, Az.: 19 W (pat) 33/00)

Tenor

Auf die Beschwerde der Einsprechenden wird der Beschluß der Patentabteilung 31 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 4. November 1999 aufgehoben. Das Patent 40 01 629 wird widerrufen.

Gründe

I Das Deutsche Patentamt- und Markenamt - Patentabteilung 31 - hat das mit der am 20. Januar 1990 eingegangenen Anmeldung beantragte und mit der Bezeichnung "Zentral steuerbare Verriegelungsanlage" erteilte Patent 40 01 629 im Einspruchsverfahren durch Beschluß vom 4. November 1999 mit der Begründung aufrechterhalten, daß dem Stand der Technik keine Anregung dahingehend zu entnehmen sei, die Kupplung zwischen dem Sicherungsknopf und dem Schloss so auszulegen, daß sie durch eine die normale Betätigungskraft zum Entsichern des Sicherungsknopfes übersteigende Kraft gelöst werde.

Gegen diesen Beschluß richten sich die Beschwerden der Einsprechenden.

Der geltende Patentanspruch 1 nach Hauptantrag lautet:

"Zentral steuerbare Verriegelungsanlage, insbesondere für Kraftfahrzeugtüren und Klappen, welche elektromotorisch in eine Offenstellung, eine Sicherungsstellung und eine Diebstahlsicherungsstellung zu schalten ist, in der die jeweiligen Schlösser auch nicht durch gewaltsames Ziehen an einem Sicherungsknopf zu öffnen sind und bei der zur Schlossbetätigung ein um eine feststehende Achse schwenkbarer Innensicherungshebel (1) vorgesehen ist, an dem ein motorisches Betätigungselement der Verriegelungsanlage und über eine axial verschiebbare Betätigungsstange (8) der Sicherungsknopf (7) angelenkt sind, und welche eine in Diebstahlsicherungsstellung lösbare Kupplung für den Sicherungsknopf aufweist, dadurch gekennzeichnet, daß die lösbare Kupplung zwischen dem Innensicherungshebel (1) und dem innensicherungshebelseitigen Ende der Betätigungsstange (8) vorgesehen ist, und daß die Kupplung (10) zum selbsttätigen Lösen der Verbindung zwischen dem Sicherungsknopf (7) und dem Schloß bei einer die normale Betätigungskraft zum Entsichern übersteigenden Kraft ausgebildet ist."

Der geltende Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 lautet, wobei die gegenüber dem Patentanspruch 1 nach Hauptantrag geänderten Merkmale unterstrichen sind:

"Zentral steuerbare Verriegelungsanlage, insbesondere für Kraftfahrzeugtüren und Klappen, welche elektromotorisch in eine Offenstellung und eine Sicherungsstellung sowie in eine Diebstahlsicherungsstellung zu schalten ist, in der die jeweiligen Schlösser auch nicht durch gewaltsames Ziehen an einem Sicherungsknopf zu öffnen sind und bei der zur Schlossbetätigung ein um eine feststehende Achse schwenkbarer Innensicherungshebel (1) vorgesehen ist, an dem ein motorisches Betätigungselement der Verriegelungsanlage und über eine axial verschiebbare Betätigungsstange (8) der Sicherungsknopf (7) angelenkt sind, und welche eine in der Diebstahlsicherungsstellung lösbare Kupplung für den Sicherungsknopf aufweist, wobei die lösbare Kupplung zwischen dem Innensicherungshebel (1) und dem innensicherungshebelseitigen Ende der Betätigungsstange (8) vorgesehen ist, dadurch gekennzeichnet, daß die Kupplung zum selbsttätigen Lösen der Verbindung zwischen dem Sicherungsknopf (7) und dem Schloß bei einer die normalen Betätigungskräfte zum Entsichern übersteigenden und an der Betätigungsstange (8) anliegenden Kraft ausgebildet ist."

Der geltende Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 2 lautet, wobei die gegenüber dem Patentanspruch 1 nach Hauptantrag geänderten Merkmale unterstrichen bzw gestrichen sind:

"Zentral steuerbare Verriegelungsanlage, insbesondere für Kraftfahrzeugtüren und Klappen, welche elektromotorisch in eine Offenstellung und eine Sicherungsstellung sowie in eine Diebstahlsicherungsstellung zu schalten ist, in der die jeweiligen Schlösser auch nicht durch gewaltsames Ziehen an einem Sicherungsknopf zu öffnen sind und bei der zur Schlossbetätigung ein um eine feststehende Achse schwenkbarer Innensicherungshebel (1) vorgesehen ist, an dem ein motorisches Betätigungselement der Verriegelungsanlage und über eine axial verschiebbare Betätigungsstange (8) der Sicherungsknopf (7) angelenkt sind, und welche eine in Diebstahlsicherungsstellung lösbare Kupplung für den Sicherungsknopf aufweist, wobei die lösbare Kupplung zwischen dem Innensicherungshebel (1) und dem innensicherungshebelseitigen Ende der Betätigungsstange (8) vorgesehen ist, dadurch gekennzeichnet, daß die Kupplung (10) einen auf dem Innensicherungshebel (1) schwenkbar befestigten Schlepphebel aufweist, an dem die Betätigungsstange (8) angelenkt ist und der über eine Übertotpunktfeder (11) mit dem Innensicherungshebel (1) verbunden ist."

Die Einsprechenden führen aus, daß die Verriegelungsanlage nach der deutschen Offenlegungsschrift 38 12 331 dem Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag neuheitsschädlich entgegenstehe, wenn sein Gegenstand so verstanden werde, daß die Stelle der Krafteinleitung offen bleibe. Im übrigen enthalte der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Haupt- und Hilfsantrag 1 und 2 ursprünglich nicht offenbarte Merkmale. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Haupt- und Hilfsantrag 1 und 2 sei somit nicht patentfähig.

Die Einsprechenden beantragen übereinstimmend, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin beantragt, die Beschwerden zurückzuweisen, hilfsweise mit der Maßgabe, das Patent mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrechtzuerhalten:

Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1, überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 6. März 2002, und den Patentansprüchen 2 bis 5 gemäß Patentschrift, höchst hilfsweise mit den Patentansprüchen 1 bis 3 gemäß Hilfsantrag 2.

Die Patentinhaberin will sich hinsichtlich des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag nur auf eine Überprüfung des Beschlusses des Deutschen Patent- und Markenamts, dh auf eine Diskussion zum Stand der Technik einlassen. Im übrigen ist sie der Meinung, daß kein Schloß im Stand der Technik eine in Diebstahlsicherungsstellung lösbare Kupplung aufweise. Ferner sei das letzte Merkmal des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag so zu verstehen, daß die Kraft, die die normale Betätigungskraft zum Entsichern übersteige und zum selbsttätigen Lösen der Kupplung führe, über den Sicherungsknopf eingeleitet werde.

Hinsichtlich des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 1 und 2 meint sie, daß durch die vorgenommene Formulierungsänderung von "und" in "sowie" zum Ausdruck komme, daß in die Diebstahlsicherungsstellung nicht mehr elektromotorisch geschaltet werde. Im übrigen würden sich auch die restlichen vom Senat beanstandeten Merkmale aus den ursprünglichen Unterlagen ergeben, so daß der Gegenstand des Hilfsantrags 1 und 2 jeweils in den ursprünglichen Unterlagen offenbart sei. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Haupt- und Hilfsantrag 1 und 2 sei neu und beruhe auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II Die zulässigen Beschwerden haben Erfolg, weil der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht und der Gegenstand des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 1 und 2 über den Inhalt der Anmeldung in der Fassung hinausgeht, in der er ursprünglich eingereicht worden ist.

Als zuständiger Fachmann ist ein Fachhochschulingenieur der Fachrichtung Maschinenbau mit langjährigen beruflichen Erfahrungen in der Konstruktion von Schlössern für zentral steuerbare Verriegelungsanlagen, insbesondere im Automobilbau, anzusehen.

1) Hauptantrag Im Hinblick auf die BGH-Entscheidung "Aluminium-Trihydroxid" (BGH GRUR 95, 333) sieht sich der Senat daran gehindert, den Widerrufsgrund der unzulässigen Erweiterung im Rahmen des Hauptantrags zu prüfen.

In der Patentschrift ist eingangs auf Spalte 1, Zeilen 3 bis 18 erläutert, daß eine zentral steuerbare Verriegelungsanlage mit den Merkmalen des Oberbegriffs des Patentanspruchs 1 Gegenstand der deutschen Offenlegungsschrift 38 12 331 ist.

Dort ist als zentral steuerbare Verriegelungsanlage eine Zentralverriegelungseinrichtung, insbesondere für Kraftfahrzeugtüren, bekannt. Über ein elektromotorisches Stellelement 1 ist die Verriegelungsanlage in eine Entriegelungsstellung als Offenstellung, eine Verriegelungsstellung als Sicherungsstellung und in eine Diebstahlsicherungsstellung zu schalten (Sp 1 Z 3 bis 18, Z 39 bis 40).

Bei der bekannten Verriegelungsanlage sind in weiterer Übereinstimmung mit dem Oberbegriff des Patentanspruchs 1 in der Diebstahlsicherungsstellung (Fig. 1) die jeweiligen Schlösser auch nicht durch gewaltsames Ziehen an einem Sicherungsknopf 5 zu öffnen (Sp 1 Z 40 bis 47, Sp 4 Z 7 bis 14). Zur Schloßbetätigung ist der Schloßhebel 6 als um eine feststehende Achse schwenkbarer Innensicherungshebel 4 vorgesehen (Sp 3 Z 22 bis 26), an dem über den Kupplungshebel 10 ein motorisches Betätigungselement 1 der Verriegelungsanlage und über einen Sicherungshebel 4 eine axial verschiebbare Betätigungsstange (ohne Bezugszeichen) mit Sicherungsknopf 5 angelenkt sind (vgl Fig 1 Sp 3 Z 15 bis 36).

Die bekannte Verriegelungsanlage weist ferner eine Kupplung 10 bis 14 für den Sicherungsknopf 5 auf, die zum Erreichen der Diebstahlsicherungsstellung gelöst wird (Sp 3 Z 32 bis 36, Sp 4 Z 37 bis 50).

Da in den der Patentschrift zugrunde liegenden ursprünglichen Unterlagen der Begriff "lösbare Kupplung" nicht angegeben ist, sondern lediglich von "Kraftschluß"(Sp 1 Z 37 bis 41 der OS, die an allen zitierten Stellen mit den ursprünglichen Unterlagen übereinstimmt), "Leerhub" (Sp 1 Z 59 bis 64 OS) oder "Verschwenken, ohne den Innensicherungshebel mitzunehmen" (Sp 2 Z 54 bis 61 der OS) gesprochen wird und das Ausführungsbeispiel nur eine Übertotpunktfeder zwischen dem Innensicherungshebel und dem Schlepphebel zeigt, kann der Fachmann zum Verständnis des anspruchsgemäßen Merkmals "eine in Diebstahlsicherungsstellung lösbare Kupplung" nicht auf die Patentschrift als die patenteigene Auslegungshilfe zurückgreifen; er wird vielmehr die zur Abgrenzung herangezogene deutsche Offenlegungsschrift 38 12 331 heranziehen, und so zu dem Verständnis gelangen, daß zum Erreichen der Diebstahlsicherungsstellung die Kupplung gelöst wird.

Somit ist der Oberbegriff des Patentanspruchs 1 nach Hauptantrag aus der deutschen Offenlegungsschrift 38 12 331 bekannt.

Weiterhin entnimmt der Fachmann dieser Druckschrift, daß die bekannte lösbare Kupplung 10 bis 14 - wie im Patentanspruch 1 gefordert - zwischen dem Innensicherungshebel (=Schloßhebel 6) und dem innensicherungshebelseitigen Ende der Betätigungsstange mit Sicherungshebel 4 vorgesehen ist (Fig 1, Sp 3 Z 37 bis 46).

Außerdem ist die Kupplung 11 durch das Verfahren der Schubstange 2 zum selbsttätigen Lösen der Verbindung, dh Lösen der Verrastung der Sicken 12 bis 14, zwischen dem Sicherungsknopf 5 und dem Schloß 7 bei einer die normale Betätigungskraft zum Entsichern übersteigenden Kraft ausgebildet (Sp 3 Z 32 bis 36, Sp 2 Z 10 bis 13, Sp 3 Z 41 bis 44); denn in der Sicherungsstellung sind die Sicken 12 bis 14 zwischen dem Kupplungshebel 10, dem Sicherungshebel 4 und dem Schloßhebel 6 verrastet und bleiben bei einer normalen Betätigung, zB durch den Sicherungsknopf, verrastet.

Da im Patentanspruch 1 nach Hauptantrag nicht festgelegt ist, wie die Kraft zum selbsttätigen Lösen eingeleitet werden soll, umfaßt sein Gegenstand alle Möglichkeiten. Eine beschränkende Auslegung des Patentanspruchs 1 auf eine Krafteinleitung nur durch den Sicherungsknopf, wie die Patentinhaberin meint, kann hier auch nicht durch die Beschreibung in der Patentschrift erfolgen, da der Patentanspruch 1 insoweit aus sich heraus verständlich ist.

Der Gegenstand von Patentanspruch 1 ist demnach nicht neu.

2) Hilfsantrag 1 und 2 Da der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 und 2 neue Merkmale enthält, hat der Senat im Rahmen seiner Prüfungskompetenz (vgl BGH, GRUR 1998, 901 - Polymermasse) auch die Aufgabe, die neu vorgelegten Patentansprüche auf unzulässige Erweiterungen hin zu überprüfen.

Die zentral steuerbare Verriegelungsanlage des Patentanspruchs 1 nach Hilfsantrag 1 und 2 weist im Oberbegriff das gleichlautende Merkmal "..., welche elektromotorisch in eine Offenstellung und eine Sicherungsstellung sowie in eine Diebstahlsicherungsstellung zu schalten ist, ...." auf.

In den der Patentschrift zugrunde liegenden ursprünglich eingereichten Unterlagen wird nicht darauf eingegangen, wie die Verriegelungsanlage in die Diebstahlsicherungsstellung gebracht wird. Auch aus dem Hinweis "wird in Diebstahlsicherungsstellung der Innensicherungshebel festgehalten, ..." in Spalte 3, Zeilen 3 bis 5 der Offenlegungsschrift, die insoweit mit den ursprünglich eingereichten Unterlagen übereinstimmt, kann der Fachmann nicht darauf schließen, daß elektromotorisch in die Diebstahlsicherungsstellung geschaltet wird. Wenn das Wort "sowie" als "und" gelesen wird, fehlt es somit an der ursprünglichen Offenbarung dieses Merkmals.

Wenn jedoch das Wort "sowie" so gelesen wird, wie die Patentinhaberin meint, nämlich daß sich das Wort "elektromotorisch" nicht mehr auf die Diebstahlsicherungsstellung beziehen soll, dh daß offen bleiben soll, wie in diese Stellung zu schalten ist, ist darin eine unzulässige Erweiterung des Schutzbereiches des erteilten Patentanspruchs 1 zu sehen. Denn der erteilte Hauptanspruch war auf ein elektromotorisches Schalten beschränkt.

Der Patentanspruch 1 nach den Hilfsanträgen 1 und 2 ist deshalb entweder aufgrund § 21 Abs. 1 Nr. 4 PatG oder im Hinblick auf § 22 Abs. 1, 2. Alternative nicht gewährbar.

Bei dieser Sachlage, erübrigt es sich, auf die weiteren Mängel in der Offenbarung in den entsprechenden Patentansprüchen 1 einzugehen.

3) Mit dem Patentanspruch 1 nach Haupt- und Hilfsanträgen 1 und 2 fallen auch die auf sie direkt oder indirekt rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 5 nach Haupt- und Hilfsantrag 1 bzw. 2 und 3 nach Hilfsantrag 2.

Dr. Kellerer Schmöger Dr. Mayer Dr.-Ing. Kaminski Ko






BPatG:
Beschluss v. 06.03.2002
Az: 19 W (pat) 33/00


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