Oberlandesgericht Oldenburg:
Beschluss vom 21. April 2010
Aktenzeichen: 1 Ws 194/10

(OLG Oldenburg: Beschluss v. 21.04.2010, Az.: 1 Ws 194/10)

Tenor

Auf die Beschwerde des Angeschuldigten wird der Beschluss des Vorsitzenden der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Oldenburg vom 7. April 2010, durch den der Antrag des Angeschuldigten, Rechtsanwältin H... als Verteidigerin zu entpflichten und Rechtsanwalt L... zum Verteidiger zu bestellen, zurückgewiesen worden ist, aufgehoben.

Die Bestellung von Rechtsanwältin H... als Verteidigerin wird zurückgenommen. Rechtsanwalt L... wird zum Verteidiger bestellt.

Die Kosten der Beschwerde und insoweit dem Angeschuldigten entstandene notwendige Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe

Dem des versuchten Mordes angeklagten Angeschuldigten ist vom Vorsitzenden der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Oldenburg am 31. August 2009 Rechtsanwältin H..., O..., zur Verteidigerin bestellt worden, nachdem dem Angeschuldigten unter seinen beiden allein aktenkundigen Anschriften schriftlich Gelegenheit gegeben worden war, einen Verteidiger seiner Wahl zu benennen, dieser aber innerhalb der gesetzten Frist keinen Verteidigerwunsch geäußert hatte.

Am 23. März 2010 hat Rechtsanwalt L..., F..., unter Vollmachtsvorlage angezeigt, den Angeschuldigten zu verteidigen und zugleich beantragt, als Verteidiger bestellt zu werden. Nach Hinweis auf die schon erfolgte Verteidigerbestellung hat er mit Schriftsatz vom 30. März 2010 beantragt, Rechtsanwältin H... zu entpflichten und ihn - Rechtsanwalt L... - zu bestellen. Zur Begründung wird ausgeführt, der Angeschuldigte habe von dem Anhörungsschreiben wegen Wohnungsabwesenheit keine Kenntnis erlangt. Rechtsanwältin H... sei lange Zeit gar nicht und danach nur unzureichend für ihn tätig geworden. der Angeschuldigte wohne inzwischen in H... und wünsche eine Verteidigung durch den ortsnah ansässigen Rechtsanwalt L..., zu dem er am besten den erforderlichen Kontakt halten könne und der allein sein Vertrauen besitze.

Der Strafkammervorsitzende hat diesen Antrag mit Beschluss vom 7. April 2010 abgelehnt, weil die Anhörung ordnungsgemäß durchgeführt worden sei, ein zu berücksichtigender Vertrauensverlust zu der bestellten Verteidigerin nicht vorliege und auch ein Wechsel des bestellten Verteidigers ohne Mehrkosten nicht möglich sei.

Die hiergegen gerichtete zulässige Beschwerde des Angeschuldigten, der das Landgericht nicht abgeholfen hat, ist begründet.

Allerdings ist das Anhörungsverfahren nicht zu beanstanden. Der Strafkammervorsitzende hat dem Angeschuldigten durch sein Anschreiben vom 17. August 2009 sachgerecht und ausreichend Gelegenheit gegeben, einen Verteidiger zu benennen. Wenn dieser hiervon keine Kenntnis nahm, weil er sich nicht an seinem Wohnsitz, an dem er gemeldet war, aufhielt, nicht unter der von ihm angegeben weiteren Anschrift postalisch zu erreichen war, und trotz Kenntnis des gegen ihn laufenden Verfahrens keine Vorsorge für eine Postnachsendung getroffen hatte, hat die sich daraus ergebende Unkenntnis einer bevorstehenden Verteidigerbestellung nicht das Gericht, sonder der Angeschuldigte selbst zu vertreten.

Dem Landgericht ist auch darin zuzustimmen, dass kein Vertrauensverlust des Angeschuldigten zu Rechtsanwältin H... vorliegt, der eine Rücknahme der Verteidigerbestellung rechtfertigte.

Die Beschwerde ist aber gleichwohl begründet, weil die Voraussetzungen eines Auswechselns des bestellten Verteidigers auf Wunsch des Angeschuldigten gegeben sind. Nach verbreiteter Rechtsprechung der Oberlandesgerichte, der sich der Senat anschließt, gebietet es die aus § 142 Abs. 1 StPO resultierende Fürsorgepflicht des Gerichts, dem Wunsch des Angeklagten auf Wechsel des Pflichtverteidigers ausnahmsweise auch ohne Vorliegen von Widerrufsgründen dann zu entsprechen, wenn der bisherige bestellte Verteidiger damit einverstanden ist und durch die Beiordnung des neuen Verteidigers weder eine Verfahrensbeeinträchtigung noch Mehrkosten für die Staatskasse verursacht werden, vgl. OLG Hamburg StraFo 1998, 307.OLG Brandenburg StV 2001, 442. OLG Naumburg Beschl. v. 10.11.2004 bei juris. OLG Braunschweig StraFo 2008, 428. OLG Bamberg NJW 2006, 1536. OLG Köln StraFo 2008, 348. OLG Frankfurt StV 2008, 128.

So liegt es hier. Rechtsanwältin H... hat auf Nachfrage des Senats mitgeteilt, sie wolle sich dem Angeschuldigten nicht als Verteidigerin aufdrängen und sei deshalb mit einer Übernahme der Pflichtverteidigung durch Rechtsanwalt L... einverstanden, sofern ihre bisher entstandenen Gebühren und Auslagen erstattet würden. Letzteres steht wegen der erfolgten gerichtlichen Bestellung der Rechtsanwältin außer Frage.

Es entstehen auch keine Mehrkosten, die einem Wechsel des bestellten Verteidigers entgegenständen. Rechtsanwalt L... hat in der Beschwerdeschrift ausdrücklich erklärt, auf die bisher für die Pflichtverteidigung angefallenen Gebühren und Auslagen zu verzichten. Dieser Verzicht ist - mit der herrschenden Meinung und entgegen der Ansicht des Strafkammervorsitzenden wirksam, vgl. OLG Frankfurt NStZRR 2008, 47. OLG Braunschweig StraFo 2008, 428. OLG Bamberg NJW 2006, 1536. Hartmann, Kostengesetze, 40. Aufl., RVG VV 41004102 Rdn. 9. Der abweichenden Ansicht des OLG Köln (StraFo 2008, 348) vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Denn das für diese Ansicht herangezogene standesrechtliche Gebührenunterschreitungsverbot von § 49 BRAO erfasst die hier zu beurteilende Situation nicht. Dieses Verbot will einen der Qualität der Rechtsberatung abträglichen €Preiswettbewerb um Mandate€ verhindern. Ein solcher ist vorliegend aber schon deshalb nicht zu befürchten, weil der Pflichtverteidigerwechsel nur bei Zustimmung beider Rechtsanwälte zulässig ist und ein €Herausdrängen€ eines Verteidigers aus dem Verfahren mittels niedriger Vergütungsforderungen nicht möglich ist.

Diejenigen Mehrkosten, die dadurch entstehen, dass Rechtsanwalt L... - anders als Rechtsanwältin H... - nicht am Gerichtsort ansässig ist, sind zwar nicht unerheblich, stehen aber dem Verteidigerwechsel nicht entgegen, weil der Angeschuldigte in der vorliegenden schwierigen Schwurgerichtssache beanspruchen kann, dass ihm ein in seiner Wohnortnähe ansässiger Rechtsanwalt als Verteidiger seines Vertrauens bestellt wird, vgl. MeyerGoßner, StPO, 52. Aufl., § 142 Rdn. 12 mit weit. Nachw.. Seit der Neufassung von § 142 Abs. 1 StPO durch das 2. Opferrechtsreformgesetz ist zudem die frühere gesetzliche Anordnung der vorrangigen Bestellung eines im Gerichtsbezirk niedergelassenen Rechtsanwaltes als solche entfallen. Den im Gesetzgebungsverfahren vom Bundesrat - gerade auch unter Kostengesichtspunkten - geäußerten Bedenken (vgl. BTDrucksache 16/12812, S. 10) hat der Gesetzgeber keine Rechnung getragen.

Die Entfernung des Anwaltssitzes vom Gerichtsort bleibt aber gleichwohl einer der Gesichtspunkte, die bei der im Rahmen der Auswahlentscheidung des Vorsitzenden gebotenen Abwägung zu berücksichtigen sind, vgl. BTDrucksache 16/12098 S. 20, 21. Eine solche Entfernung kann mithin auch nach der jetzigen Rechtslage im Einzelfall den Verfahrensablauf in einer Weise beeinträchtigen, dass dies der Bestellung des auswärtigen Rechtsanwaltes entgegensteht. Dergleichen wird hier vom Strafkammervorsitzenden aber nicht geltend gemacht und ist auch nicht ersichtlich.

Schließlich ist auch eine Verfahrensverzögerung aufgrund des Wechsels des bestellten Verteidigers hier nicht zu besorgen, zumal sich Rechtsanwalt L... bereits in den Fall eingearbeitet hat.

Die Kostenentscheidung entspricht § 467 Abs. 1 StPO.






OLG Oldenburg:
Beschluss v. 21.04.2010
Az: 1 Ws 194/10


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