Bundespatentgericht:
Beschluss vom 12. Januar 2011
Aktenzeichen: 9 W (pat) 313/05

(BPatG: Beschluss v. 12.01.2011, Az.: 9 W (pat) 313/05)

Tenor

Das Patent wird mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrechterhalten:

- Patentanspruch 1, eingegangen am 31. August 2005 mit Schriftsatz vom 25. August 2005,

- Patentansprüche 2 bis 10 gemäß Patentschrift,

- Beschreibung und Bezugszeichenliste gemäß Patentschrift, wobei die Absätze 0001 bis 0007 und Absatz 0008 bis einschließlich der Worte "... Die Verriegelung kann durch" in Spalte 2, Zeile 1 durch die Seiten 1 und 2, eingegangen am 31. August 2005 mit Schriftsatz vom 25. August 2005, ersetztwerden,

- Zeichnung Figuren 1 bis 8 gemäß Patentschrift.

Gründe

I.

Gegen das am 1. August 2001 angemeldete und am 31. Oktober 2002 veröffentlichte Patent mit der Bezeichnung

"Fahrzeugsitz, insbesondere Kraftfahrzeugsitz, mit einem Höheneinsteller"

ist Einspruch eingelegt worden.

Die Patentinhaberin verteidigt das Patent in beschränkter Fassung und ist der Meinung, dass der nunmehr mit Patentanspruch 1 beanspruchte Fahrzeugsitz patentfähig sei. Sie beantragt sinngemäß, das Patent mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrecht zu erhalten:

- Patentanspruch 1, eingegangen am 31. August 2005 mit Schriftsatz vom 25. August 2005,

- Patentansprüche 2 bis 10 gemäß Patentschrift,

- Beschreibung und Bezugszeichenliste gemäß Patentschrift, wobei die Absätze 0001 bis 0007 und Absatz 0008 bis einschließlich der Worte "... Die Verriegelung kann durch" in Spalte 2, Zeile 1 durch die Seiten 1 und 2, eingegangen am 31. August 2005 mit Schriftsatz vom 25. August 2005, ersetztwerden,

- Zeichnung Figuren 1 bis 8 gemäß Patentschrift.

Die Einsprechende stellt den Antrag, das Patent zu widerrufen.

Sie vertritt die Auffassung, dass Fahrzeugsitze, definiert durch die Merkmale in den geltenden Patentansprüchen, nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhten. Zur Stütze ihres Vorbringens verweist sie auf die teils schon im Prüfungsverfahren berücksichtigten Druckschriften:

D1 DE 199 28 813 C1, D2 DE 100 56 082 A1, D3 DE 196 16 915 C1, D4 DE 199 53 630 A1, D5 DE 44 08 219 A1.

Der geltende Patentanspruch 1 lautet (Änderungen gegenüber der erteilten Fassung durch Fettschrift oder Durchstreichen hervorgehoben):

Fahrzeugsitz, insbesondere Kraftfahrzeugsitz, mit einem einen Antrieb aufweisenden Höheneinsteller (25; 125), zur Einstellung der Höhe eines Sitzrahmens (10) des Fahrzeugsitzes (1) relativ zu einem mit der Fahrzeugstruktur verbundenen Unterbau (3), wobei wenigstens ein Crashgesperre (27, 30) im Bereich einer hinteren Schwinge (9; 109) und einer zunächst drehfest an der hinteren Schwinge (9; 109) angebrachten Klinke (19; 119) vorgesehen ist, und wobei im Crashfall eine irreversible Geometrieänderung des Höheneinstellers (25; 125) das wenigstens ein Crashgesperre (27, 30) aktiviert, welches eine alternative Kraftübertragung zwischen dem Sitzrahmen (10) und dem Unterbau (3) zur Verfügung stellt, dadurch gekennzeichnet, daß die Geometrieänderung des Höheneinstellers (25; 125) irreversibel ist wobei das Crashgesperre (27, 30) den Höheneinsteller (15;125) auf der antriebsfreien Fahrzeugsitzseite sperrt, indem es unter Überbrückung der hinteren Schwinge (9; 109) den Sitzrahmen (10) mit der Klinke (19; 119) verriegelt.

Diesem Patentanspruch 1 schließen sich rückbezogen die erteilten Patentansprüche 2 bis 10 an.

II.

1.

Die Zuständigkeit des Beschwerdesenats des Bundespatentgerichts ist durch § 147 Abs. 3 Satz 1 PatG in den vom 1. Januar 2002 bis zum 30. Juni 2006 geltenden Fassungen begründet.

2.

Der Einspruch ist zulässig. Gegenteiliges hat auch die Patentinhaberin nicht vorgetragen.

3.

Das geltende Patentbegehren ist unbestritten zulässig. Die Merkmale des geltenden Patentbegehrens sind sowohl im Streitpatent als auch in den ursprünglich eingereichten Unterlagen als zur Erfindung gehörig offenbart. Der geltende Patentanspruch 1 geht aus dem erteilten Patentanspruch 1 und weiteren Angaben aus der Beschreibung des Streitpatents hervor. Der Antrieb des Höheneinstellers ist in Spalte 4, Zeile 15, genannt. Das Crashgesperre im Bereich einer hinteren Schwinge und einer zunächst drehfest an der hinteren Schwinge angebrachten Klinke findet seine Stütze in den Fig. 6 und 7 sowie Spalte 3, Zeilen 48 bis 52 i. V. m. Spalte 2, Zeilen 53 bis 57. Bei der Änderung des Pronomens "welche" in "welches" handelt es um die Korrektur einer offensichtlichen Unrichtigkeit. Das Sperren des Höheneinstellers durch das Crashgesperre auf der antriebsfreien Fahrzeugsitzseite, indem das Crashgesperre unter Überbrückung der hinteren Schwinge den Sitzrahmen mit der Klinke verriegelt, geht aus Spalte 3, Zeilen 48 bis 65 i. V. m. Spalte 1, Zeilen 54 bis 57 hervor. Die erteilte Fassung des Streitpatents entspricht inhaltlich den ursprünglich eingereichten Unterlagen mit redaktionellen Änderungen.

4. Der Einspruch hat in der Sache soweit Erfolg, als er zur Beschränkung des Patents führt.

a) Laut Beschreibungseinleitung betrifft das Streitpatent einen Fahrzeugsitz. Aus der DE 199 53 630 A1 (D4) sei ein Fahrzeugsitz bekannt, welcher zwischen dem Sitzrahmen und der Schwinge einen motorischen Antrieb für den Höheneinsteller aufweise. Im Crashfall werde bei Überschreiten einer Grenzkraft in einer federbelasteten Schlitz-Zapfen-Führung die Geometrie des Höheneinstellers reversibel geändert, wobei durch ein Gesperre eine zusätzliche Kraftübertragung zwischen dem Sitzrahmen und der Fahrzeugstruktur geschaffen werde. Diese zusätzliche Kraftübertragung entlaste den Antrieb des Höheneinstellers und verriegele die dem Antrieb gegenüberliegende, antriebsfreie Seite des Höheneinstellers. In der Regel sei die Aktivierung des Gesperres reversibel, d. h. der Fahrzeugsitz könne wieder in seine Ausgangsstellung zurückkehren (Abs. 0001, 0002).

Ein Fahrzeugsitz der genannten Art soll hinsichtlich der Herstellungskosten verbessert werden (Abs. 0003).

Als den mit der Lösung des Problems beauftragten Durchschnittsfachmann legt der Senat seiner Entscheidung einen Dipl.-Ing. der Fachrichtung Maschinenbau mit Fachhochschulabschluss zugrunde, der über mehrjährige Erfahrung in der Entwicklung und Konstruktion von Fahrzeugsitzen, insbesondere deren Verstelleinrichtungen verfügt.

Als Lösung wird vorgeschlagen, die Geometrieänderung des Höheneinstellers irreversibel zu gestalten. Dadurch könne der Höheneinsteller mit einfacheren, kostengünstigeren und beispielsweise deformierbaren Elementen aufgebaut werden, was im Vergleich zum bekannten Fahrzeugsitz den Montageaufwand und die Herstellungskosten reduziere. Sobald dann das Crashgesperre aktiviert und verriegelt sei, finde eine möglichst gleichmäßige und direkte Kraftweiterleitung über den Höheneinsteller statt. Insbesondere ungesperrte Bereiche des Höheneinstellers, wie beispielsweise die nicht angetriebene Seite, würden verriegelt, und der Antrieb werde entlastet.

In Form einer Merkmalsgliederung lautet die vorgeschlagene Lösung eines Fahrzeugsitzes nach Patentanspruch 1 wie folgt:

1.

Der Fahrzeugsitz weist einen Höheneinsteller zur Einstellung der Höhe eines Sitzrahmens des Fahrzeugsitzes relativ zu einem mit der Fahrzeugstruktur verbundenen Unterbau auf.

2.

Der Höheneinsteller weist einen Antrieb auf.

3.

Wenigstens ein Crashgesperre ist im Bereich einer hinteren Schwinge und einer Klinke vorgesehen.

4.

Die Klinke ist zunächst drehfest an der hinteren Schwinge angebracht.

5.

Im Crashfall aktiviert eine Geometrieänderung des Höheneinstellers das Crashgesperre.

6.

Die Geometrieänderung des Höheneinstellers ist irreversibel.

7.

Das Grashgesperre stellt eine alternative Kraftübertragung zwischen dem Sitzrahmen und dem Unterbau zur Verfügung.

8.

Das Crashgesperre sperrt den Höheneinsteller auf der antriebsfreien Fahrzeugsitzseite.

9.

Das Crashgesperre sperrt den Höheneinsteller, indem es unter Überbrückung der hinteren Schwinge den Sitzrahmen mit der Klinke verriegelt.

Nach Verständnis des vorstehend genannten Fachmanns bezieht sich das zunächst drehfeste Anbringen der Klinke an der hinteren Schwinge auf den normalen Gebrauchszustand des Fahrzeugsitzes im Gegensatz zum Zustand nach einem Crash. Eine irreversible Geometrieänderung stellt eine Formänderung des Höheneinstellers dar, die nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, z. B. infolge einer plastischen Verformung eines oder mehrerer Bauteile. Die Ausgangsstellung des Fahrzeugsitzes kann nicht mehr hergestellt werden. Die alternative Kraftübertragung zwischen Sitzrahmen und Unterbau wird durch eine Verriegelung des Sitzrahmens mit einer Klinke unter Überbrückung der hinteren Schwinge bereitgestellt, d. h. es gibt einen Kraftübertragungsweg ohne Einbinden der hinteren Schwinge.

b) Der mit dem Patentanspruch 1 beanspruchte Fahrzeugsitz ist zweifellos gewerblich anwendbar und unbestritten neu.

b1) In der Druckschrift DE 199 53 630 A1 (D4) ist ein Fahrzeugsitz 1 mit einem Höheneinsteller zur Einstellung der Höhe eines Sitzrahmens 10 des Fahrzeugsitzes 10 relativ zu einer mit der Fahrzeugstruktur verbundenen Unterschiene 5 beschrieben (vgl. Sp. 2, Z. 41 bis 50; Merkmal 1.). Der Höheneinsteller weist einen Antrieb auf (vgl. Sp. 1, Z. 24 bis 27; Merkmal 2.). Es ist wenigstens ein Crashgesperre vorgesehen, das im Crashfall eine alternative Kraftübertragung zwischen dem Sitzrahmen 10 und der Fahrzeugstruktur zur Verfügung stellt (vgl. Anspruch 1; Teilmerkmal 3., Merkmal 7.). Crashgesperre werden durch Eingriff der ersten Zahnklinke 31 mit dem ersten Zahnbogen 36 oder durch Eingriff der zweiten Zahnklinke 33 mit dem zweiten Zahnbogen 38 gebildet (vgl. Sp. 3, Z. 68 bis Sp. 4, Z. 2, Sp. 4, Z. 16 bis 19). Die Zahnklinken 31, 33 werden von einem Klinkenhebel 23 getragen, der über einen Klinkenbolzen 21 schwenkbar auf einer hinteren Schwinge 9 gelagert ist (vgl. Sp. 3, Z. 24 ,25, Sp. 2, Z. 67 bis Sp. 3, Z. 4). Das Crashgesperre ist demnach im Bereich einer hinteren Schwinge und einer Klinke vorgesehen (Merkmal 3. insgesamt). Der Klinkenhebel 23 weist noch eine Sperrklinke 25 auf, die in eine Aufnahme 13« des Lagerbolzens 13 eingreift. Bis zu einer bestimmten Grenzlast ist der Lagerbolzen 13 relativ zur Schwinge 9 unverdrehbar und unverschiebbar gehalten (vgl. Sp. 3, Z. 4 bis 23). Durch den Klinkenbolzen 21 und die Sperrklinke 25 wird demnach zunächst an zwei Punkten eine bezüglich der Schwinge 9 ortsfeste Verbindung und somit auch drehfeste Verbindung für den Klinkenhebel 23 hergestellt (Merkmal 4.). Im Crashfall aktiviert eine Geometrieänderung des Höheneinstellers das Crashgesperre (vgl. Anspruch 5; Merkmal 5., Teilmerkmal 6.). Da auf beiden Seiten des Fahrzeugsitzes Crashgesperre vorgesehen sind, wird der Höheneinsteller zwangsläufig auch auf der antriebsfreien Fahrzeugsitzseite gesperrt (vgl. Sp. 2, Z. 50 bis 53; Merkmal 8.). Die Zahnbögen 36, 38 des Crashgesperres sind (sitz)rahmenfest (vgl. Sp. 3, Z. 47, 48). Im Falle eines Crashs erfolgt daher eine Verriegelung des Sitzrahmens 10 mit dem Klinkenhebel 23. Gleichwohl machen aber beide Kraftübertragungswege von der Schwinge 9 Gebrauch, zumal der Klinkenhebel 23 auf dem an der Schwinge 9 angebrachten Klinkenbolzen 21 gelagert ist (vgl. Sp. 4, Z. 2 bis 7 i. V. m. Sp. 2, Z. 67 bis Sp. 3, Z. 4; Teilmerkmal 9.).

Der durch Patentanspruch 1 des Streitpatents definierte Fahrzeugsitz weist demgegenüber im Crashfall eine irreversible Geometrieänderung des Höheneinstellers auf (Merkmal 6.). Zudem ist streitpatentgemäß eine Überbrückung der hinteren Schwinge beim Bereitstellen des alternativen Kraftübertragungsweges durch Verriegeln des Crashgesperres vorgesehen (Teilmerkmal 9).

b2) Aus der DE 199 28 813 C1 (D1) ist ein Fahrzeugsitz mit einer Verstelleinrichtung zur Einstellung der Höhe eines Sitzabschnittes des Fahrzeugsitzes (Sitzseitenteil 3) relativ zu einem mit der Fahrzeugstruktur verbundenen Unterbau, der Schienenführung 1 bekannt (vgl. Anspruch 1; Merkmal 1.). Zur Einstellung der Höhe ist (wenigstens) ein Antrieb vorgesehen, der am hinteren Abschnitt 32 des Sitzseitenteils 3 auf einen einstellbaren Verstellhebel 25 wirkt. Der Verstellhebel 25 entspricht der streitpatentgemäßen hinteren Schwinge (vgl. Sp. 4, Z. 3 bis 12; Merkmal 2, Teilmerkmal 3.). Im Crashfall wird das Lager 35 für die sitzseitige Achse 28 des Verstellhebels 25 zerstört. Bei einer unteren Einstellposition der Sitzhöhe bewegt sich die Achse 28 Crashbedingt zunächst auf eine Anschlagfläche 15a und gelangt anschließend mit dem Fanghaken 17 der schienenfesten Lasche 15 in Eingriff. Dadurch werden die Kräfte unter Umgehung des Verstellantriebs in die Schienenlängsführung 1 eingeleitet (vgl. Sp. 5, Z. 55 bis Sp. 6, Z. 17, Fig. 5a, 5b; Merkmale 5., 6., 7., 9.). Bei einer höheren Einstellposition der Sitzhöhe kann die Achse 28 mit dem Fanghaken 17 nicht mehr in Eingriff gelangen. Dann werden die Kräfte von der Achse 28 über den Fanghebel 4 auf die Lasche 15 übertragen (vgl. Sp. 6, Z. 25 bis 42, i. V. m. Fig. 4).

Demgegenüber weist die streitpatentgemäße Vorrichtung noch eine zunächst drehfest an der hinteren Schwinge angebrachte Klinke auf (Teilmerkmal 3. und Merkmal 4.) und ermöglicht eine Sperre der Höheneinstellung auf der antriebsfreien Fahrzeugsitzseite (Merkmal 8.).

b3) Die in den weiteren Druckschriften beschriebenen Fahrzeugsitze liegen noch weiter ab. So weisen die Fahrzeugsitze nach der DE 44 08 219 A1 (D5) und der DE 196 16 915 C1 (D3) schon keine drehfest an der hinteren Schwinge angebrachte Klinke und kein verriegelndes Crashgesperre auf. Es erfolgt eine Begrenzung des Verstellwegs des Sitzrahmens über Fangeinrichtungen (vgl. D5, Fig. 1 bis 3; D3, Fig. 3) oder über Anschläge (vgl. D5, Fig. 4 bis 6). Alternativ erfolgt eine Gurtkraftbegrenzung durch Deformation von sich im Kraftfluss zwischen den Gurtangriffspunkten und dem Fahrzeugboden befindlichen Teilen oder Baugruppen (vgl. D3, Sp. 3, Z. 52 bis 67). In der DE 100 56 082 A1 (D2) sind mehrere Ausführungsformen eines Fahrzeugsitzes mit Crashgesperre beschrieben, die jeweils keine, zunächst drehfest an einer hinteren Schwinge angebrachte Klinke aufweisen. Dort werden die den Klinken gleichzusetzenden Hebel 4 (Fig. 1 bis 3) bzw. 7 (Fig. 4) erst durch das Einwirken von crashbedingten Belastungen (unmittelbar auf Klinken wirkende Fliehkräfte und ggf. zusätzlich über das Gurtschloss eingeleitete Drehmomente über Zugseil 52) unabhängig von vorher stattfindenden Verstellbewegungen der hinteren Schwinge (Verstellhebel 3 in Fig. 1 bis 3 bzw. hinterer Hebel 7 in Fig. 4) bewegt. Die hintere Schwinge (Verstellhebel 3 in Fig. 1 bis 3 bzw. hinterer Hebel 7 in Fig. 4) ist auch stets in den Kraftübertragungsweg von dem Sitzrahmen in den Unterbau eingebunden und stellt ein Teil des Crashgesperres dar. Die Merkmale 4 und 9 sind daher nicht verwirklicht.

c) Der mit dem Patentanspruch 1 beanspruchte Fahrzeugsitz beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit, da er sich nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt.

Bei jedem der bekannten Fahrzeugsitze kommt beim Überführen von einer unteren bodennahen Gebrauchsposition in eine obere Gebrauchsposition oder umgekehrt sowie zum Begrenzen des Verstellweges des Sitzrahmens in einem Crashfall ein Gelenkgetriebe zum Einsatz, dessen Abmessungen und Komponenten genau auf den jeweiligen Sitz abgestimmt sind. Isoliertes Ersetzen einzelner Glieder ist in der Regel nicht möglich, ohne die Funktionsfähigkeit des gesamten Gelenkgetriebes zu beeinträchtigen.

Nicht gefolgt werden kann der Auffassung der Einsprechenden unter Verweis auf Fig. 4 sowie Spalte 4, Zeilen 3 bis 9 der D4, dass bei dem bekannten Fahrzeugsitz ebenfalls eine Überbrückung für die hintere Schwinge 9 geschaffen werde, so dass Crashkräfte über die Klinke 23 vom Sitzrahmen in den Fahrzeugboden eingeleitet werden. Gerade die zitierte Textpassage lässt eindeutig erkennen, dass auch nach dem Verriegeln einer der Zahnklinken mit einem der sitzseitigen Zahnbögen die Kräfte in allen Fällen auf die hintere Schwinge 9 (und von dieser auf die Oberschiene 3) geleitet werden (vgl. auch Abschnitt b1)). Ohne Schwinge 9 könnte keine Verriegelung stattfinden, weil die Klinke 23 über den Klinkenbolzen 21 auf der Schwinge 9 gelagert ist. Es wird eine Art starres Dreieck mit den Seiten Sitzrahmen 10 (oberer Lagerbolzen 19 und Zahnbogen 36 oder 38), Schwinge 9 (Lagerbolzen 19 und Klinkenbolzen 21) sowie Klinkenhebel 23 (Zahnklinke 31 oder 33) gebildet. Dadurch wird der zwischen hinterer Schwinge 9 und Sitzrahmen 10 wirkende Antrieb entlastet (vgl. Sp. 4, Z. 8, 9). Eine Überbrückung der Schwinge 9 im Sinne des Streitpatents ist in D4 demnach nicht realisiert.

Nach Meinung der Einsprechenden sei einem Fachmann aus der DE 199 53 630 A1 (D4) nahegelegt, die dort vorgesehene Geometrieänderung zur Aktivierung eines Crashgesperres irreversibel zu gestalten, da die Deformation des Höheneinstellers in der D4 bevorzugt als elastisch und daher reversibel dargestellt werde (vgl. Sp. 1, Z. 38 bis 44). Dass eine Geometrieänderung für Crashgesperre auch irreversibel ausgebildet werden könne, entnehme der Fachmann zudem der DE 199 28 813 C1 (D1). Er erhalte die Anregung, beim Crashgesperre der D4 den Eingriff der Sperrklinke 25 an den Lagerbolzen 13 irreversibel mittels eines Lagers 35 im Sinne der D1 auszubilden. Dieses Lager würde im Crashfall brechen und die Klinke 23 würde sich relativ zum Lagerbolzen 13 bewegen. Der Lagerbolzen 13 verschiebe sich im Langloch 15 an der Schwinge 9 und die Klinke 23 gelange mit ihrer Verzahnung 31 in Eingriff mit dem Zahnbogen 36. Dadurch könne ein einfaches und kostengünstiges Crashgesperre zur Verfügung gestellt werden, das auf zusätzliche Bauteile wie eine Feder verzichte.

Abgesehen von den vorstehend erwähnten grundsätzlichen Schwierigkeiten, auch nur ein Bauteil in einem Gelenkgetriebe zu ersetzen oder anders zu gestalten, ohne das Konzept der Gesamtkonstruktion zu verlassen, bringt eine solche Vorgehensweise nicht die angestrebten Vorteile. Teile werden keine eingespart. Anstatt einer Feder wird ein Lager gebraucht. Am grundsätzlichen Kraftfluss ändert sich nichts, so dass sämtliche Bauteile wie Schwinge 9, Klinke 23 und Lagerbolzen 13 nach wie vor dieselbe Festigkeit aufweisen müssen und nicht durch einfachere, deformierbare und daher kostengünstigere Bauteile ersetzt werden können, zumal durch den Einbau eines Lagers auf die von der Einsprechenden geltend gemachte Art und Weise eine Überbrückung der Schwinge 9 nicht realisiert werden kann. Aus fachmännischer Sicht besteht daher keine Veranlassung, den aus D4 bekannten Fahrzeugsitz so umzugestalten, dass die streitpatentgemäß geforderten Merkmale erfüllt werden.

Es ist nicht erkennbar -und auch nicht vorgetragen worden -, dass es irgendeine Veranlassung geben könnte, die anderen bekannten Fahrzeugsitze, bei denen im Crashfall zur Begrenzung des Verstellwegs des Sitzrahmens Fangeinrichtungen verwendet werden, unter dem Gesichtspunkt der Absenkung der Herstellungskosten derart umzugestalten, dass anstatt einer geringen Anzahl von Bauteilen zusätzliche Bauteile vorgesehen werden (D1, D3, D5). Insbesondere geht von diesen Fahrzeugsitzen keine Anregung aus, ohne Kenntnis des Streitgegenstandes eine zunächst mit der Schwinge drehfeste Klinke vorzusehen, die den Sitzrahmen verriegelt, zumal die von diesen Fahrzeugsitzen bekannten Fangelemente auf einfache Art und Weise bereits die Funktion der Verstellwegbegrenzung unter Überbrückung der jeweiligen Schwinge vornehmen.

Bei den aus der D2 bekannten Fahrzeugsitzen ist der Höhensteller mit einer Schwinge und einer Klinke so konzipiert, dass im Crashfall eine Verriegelung zwischen Klinke und Schwinge erfolgt, so dass die Belastungen vom Fahrzeugsitz stets über die Schwinge auf den Unterbau und die Klinke übertragen werden (vgl. auch Abschnitt b3)). Insbesondere fehlt auch jede Anregung, die Bewegung der Klinke und der Schwinge im Normalbetrieb des Fahrzeugsitzes durch eine drehfeste Verbindung der beiden Bauteile zu synchronisieren und erst im Crashfall zu entkoppeln.

d) Der Fahrzeugsitz nach dem geltenden Patentanspruch 1 ist demnach patentfähig, und mit ihm sind es auch die Weiterbildungen gemäß den auf Patentanspruch 1 rückbezogenen Patentansprüchen.

5. Die Entscheidung konnte im schriftlichen Verfahren ergehen, da dem Antrag der Patentinhaberin stattzugeben war und die Einsprechende mit Schriftsatz vom 5. Juli 2007 ihren Antrag auf Anberaumung einer mündlichen Verhandlung zurückgenommen und ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren erklärt hat.

Pontzen Bork Paetzold Dr. Höchst Ko






BPatG:
Beschluss v. 12.01.2011
Az: 9 W (pat) 313/05


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