Bundespatentgericht:
Beschluss vom 14. Juni 2004
Aktenzeichen: 6 W (pat) 45/01

(BPatG: Beschluss v. 14.06.2004, Az.: 6 W (pat) 45/01)

Tenor

1. Die Sache wird unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zur weiteren Prüfung an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückverwiesen.

2. Die Beschwerdegebühr wird zurückgezahlt.

Gründe

I.

Die Patentanmeldung ist am 6. Juli 1998 beim Deutschen Patent- und Markenamt eingereicht worden.

Der Patentanspruch 1 lautet:

"Linearführungseinrichtung, umfassend - eine Führungsschiene (10) mit einer Längsachse (12),

- mindestens einen Führungswagen (14), welcher auf der Führungsschiene (10) unter Verwendung mindestens einer in einem Umlaufraum des Führungswagens (14) umlaufenden Wälzkörperschleife (S1, S2) in Richtung der Längsachse (12) geführt ist, wobei diese Wälzkörperschleife (S1, S2) eine tragende Wälzkörperreihe in gleichzeitigem Eingriff mit einer tragenden Laufbahn (30) der Führungsschiene (10) und mit einer tragenden Laufbahn des Führungswagens (14), ferner eine rücklaufende Wälzkörperreihe sowie zwei Umlenkbogen-Wälzkörperreihen aufweist, wobei weiter der Führungswagen (14) von einem Wagenhauptkörper (16) im Längenbereich der tragenden Wälzkörperreihe und von Kopfstückeinheiten (32) an den axial beabstandeten Enden des Wagenhauptkörpers (16) gebildet ist, wobei weiter Umlenkführungen (44, 46, 50, 52) für die Umlenkbogen-Wälzkörperreihen wenigstens zum Teil an diesen Kopfstückeinheiten (32) ausgebildet sind, wobei weiter Schmierstoffbedarf an mindestens einem Teil der Wälzflächen (30, 44, 46, 50, 52, 60, 114, 132, 58) besteht und zur Befriedigung dieses Schmierstoffbedarfs ein Schmierstoffwegesystem (84-1 bis 84-4, 86-1 bis 86-4, 98, 100, 102-1 bis 102-4, 110, 114, 116, 120, 122) in dem Führungswagen (14) vorgesehen ist, welches von einem Schmierstoffversorgungsraum (84-1 bis 84-4, 86-1 bis 86-4, 98, 100, 102-1 bis 102-4) des Führungswagens (14) zu Wälzflächen (114, 132, 50, 52) führt, und wobei dieses Schmierstoffwegesystem (84-1 bis 84-4, 86-1 bis 86-4, 98, 100, 102-1 bis 102-4, 110, 114, 116, 120, 122) wenigstens zum Teil in einem Grenzbereich (34) zwischen mindestens einer Kopfstückeinheit (32) und dem Wagenhauptkörper (16) untergebracht ist, dadurch gekennzeichnet, daß eine an den Schmierstoffversorgungsraum (84-1 bis 84-4, 86-1 bis 86-4, 98, 100, 102-1 bis 102-4) angeschlossene und wenigstens zum Teil in dem Grenzbereich (34) annähernd in Umfangsrichtung der Führungsschiene (10) verlaufende Schmierölzuführleitung (110, 130) wenigstens auf einem Teil ihrer Länge von einer druckgefälleunabhängig fördernden Schmierölzuführkapillarleitung (100, 130) gebildet ist, welche in mindestens einem Schleckbereich (114, 132) in Schleckkontakt mit Wälzkörpern (58) der mindestens einen Wälzkörperschleife (S1, S2) oder mit der tragenden Laufbahn (30) der Führungsschiene (10) steht."

Der nur "insbesondere" auf einen der Ansprüche 1 bis 33 rückbezogene und damit nebengeordnete Anspruch 34 lautet:

"Linearführungseinrichtung, umfassend - eine Führungsschiene (10) mit einer Längsachse (12),

- mindestens einen Führungswagen (14), welcher auf der Führungsschiene (10) unter Verwendung mindestens einer in einem Umlaufraum des Führungswagens (14) geführten Wälzkörperschleife (S1, S2) in Richtung der Längsachse (12) geführt ist, wobei diese Wälzkörperschleife (S1, S2) eine tragende Wälzkörperreihe in gleichzeitigem Eingriff mit einer tragenden Laufbahn (30) der Führungsschiene (10) und mit einer tragenden Laufbahn des Führungswagens (14), ferner eine rücklaufende Wälzkörperreihe sowie zwei Umlenkbogen-Wälzkörperreihen aufweist, wobei Schmierstoffbedarf an mindestens einem Teil der Wälzflächen (30, 44, 46, 50, 52, 60, 114, 132, 58) besteht und zur Befriedigung dieses Schmierstoffbedarfs ein Schmierstoffwegesystem (84-1 bis 84-4, 86-1 bis 86-4, 98, 100, 102-1 bis 102-4, 110, 114, 116, 120, 122) in dem Führungswagen (14) vorgesehen ist, welches von einem Schmierstoffversorgungsraum (84-1 bis 84-4, 86-1 bis 86-4, 98, 100, 102-1 bis 102-4) des Führungswagens (14) zu Wälzflächen (114, 132, 50, 52) führt, dadurch gekennzeichnet, daß an den Schmierstoffversorgungsraum (84-1 bis 84-4, 86-1 bis 86-4, 98, 100, 102-1 bis 102-4) eine Schmierölzuführleitung (110, 130) und eine Schmierfettzuführleitung (116, 120, 122) angeschlossen sind, daß die Schmierölzuführleitung (110, 130) auf wenigstens einem Teil ihrer Länge von einer druckgefälleunnabhängig fördernden Schmierölzuführkapillarleitung (110, 130) gebildet ist, welche in mindestens einem Schleckbereich (114, 132) in Schleckkontakt mit Wälzkörpern (58) der mindestens einen Wälzkörperschleife (S1, S2) oder mit der tragenden Laufbahn (30) der Führungsschiene (10) steht, daß die Schmierfettzuführleitung (116, 120, 122) an mindestens einer Schmierfettmündungsstruktur (124) in den Umlaufraum oder die tragende Laufbahn (30) der Führungsschiene (10) einmündet und daß in der Schmierfettzuführleitung (116, 120, 122) stromaufwärts der Schmierfettmündungsstruktur (124) eine Absperreinrichtung (118) vorgesehen ist, welche durch Schmierfettdruck geöffnet werden kann."

Zur Fassung der Ansprüche 2 bis 33 und 35 bis 38 wird auf die Unterlagen vom Anmeldetag verwiesen.

Die Prüfungsstelle für Klasse F 16 C des Deutschen Patent- und Markenamts hat in einem Bescheid vom 1. März 1999 unter Hinweis auf den Stand der Technik nach der DE 197 54 454 A1, DE 41 41 038 A1, DE 44 24 795 A1 und DE 44 15 704 A1 festgestellt, daß "die in Anspruch 1 beanspruchte Anordnung neuheitsschädlich vorweggenommen" sei. Zu den "Unteransprüchen 2 bis 38" wurde festgestellt, daß sie lediglich einfache konstruktive Maßnahmen enthielten, die durch den ermittelten Stand der Technik zumindest als nahegelegt anzusehen seien.

Die Anmelderin hat in einem Erwiderungsschriftsatz vom 6. August 1999 Unterschiede zwischen den Gegenständen nach den Ansprüchen 1 und 34 und den vier Druckschriften nach dem Stand der Technik aufgezeigt und um eine Revision der negativen Einschätzung der Prüfungsstelle zur Neuheit der Ansprüche 1 und 34 gebeten. Außerdem hat sie für den Fall der Ablehnung ihrer Ansicht um eine Anhörung gebeten.

Die Prüfungsstelle hat die Patentanmeldung daraufhin ohne Anberaumung der Anhörung mit Beschluß vom 15. Februar 2001 - im wesentlichen mit den Formulierungen aus dem Bescheid vom 1. März 1999 - zurückgewiesen.

Gegen diesen Beschluß hat die Anmelderin Beschwerde eingelegt.

Sie beantragt für das Beschwerdeverfahren:

1. Den Beschluß vom 15. Februar 2001 aufzuheben und das Patent aufgrund der ursprünglichen Unterlagen gemäß Erteilungsantrag vom 6. Juli 1998 zu erteilen;

2. hilfsweise die Sache an das Deutsche Patent- und Markenamt zur weiteren Prüfung zurückzuverweisen.

Zur Begründung ihrer Beschwerde führt die Anmelderin im wesentlichen aus, daß die Gegenstände nach den Ansprüchen 1 und 34 gegenüber allen im Verfahren befindlichen Entgegenhaltungen jeweils neu seien. Die Verneinung der Neuheit des Anspruchs 1 sei der einzige Grund für den Zurückweisungsbeschluß gewesen. Auf die Frage der erfinderischen Tätigkeit sei die Prüfungsstelle nicht eingegangen.

Zu weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und hat insoweit Erfolg, als die Sache zur weiteren Prüfung an das Deutsche Patent- und Markenamt zurückzuverweisen und die Beschwerdegebühr zurückzuzahlen war.

Dem Antrag der Anmelderin auf Patenterteilung mit den ursprünglichen Unterlagen konnte nicht entsprochen werden, da die geltenden Unterlagen von der Prüfungsstelle noch nicht umfassend auf Patentfähigkeit geprüft wurden.

1) Die Zurückverweisung erfolgt gemäß PatG § 79 Abs 3 Satz 1 Nr 2, wonach das Bundespatentgericht die angefochtene Entscheidung aufheben kann, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, wenn das Verfahren vor dem Patentamt an einem wesentlichen Mangel leidet.

Diese Voraussetzung ist im vorliegenden Fall gegeben, denn unter anderem ist der Beschluß nicht mit einer ausreichenden Begründung versehen.

Zur Begründung der Ablehnung der Patentfähigkeit der ursprünglichen Patentansprüche hat die Prüfungsstelle im einzigen Bescheid vom 1. März 1999 die deutschen Offenlegungsschriften 197 54 454 (E1), 41 41 038 (E2), 44 24 795 (E3) und 44 15 704 (E4) genannt (die Bezeichnungen im folgenden Text jeweils in Klammern). Sie hat dazu jeweils mit einem kurzen Hinweis auf die einzelnen Druckschriften festgestellt, "damit ist aber die in Anspruch 1 beanspruchte Anordnung neuheitsschädlich vorweggenommen". Zu allen einzelnen Merkmalen des umfangreichen, 1 umfassenden Anspruchs 1 wurde nicht Stellung genommen. Der selbständig formulierte Patentanspruch 34 wird lediglich als Unteranspruch ("die Unteransprüche 2 bis 38") angesprochen und es wird auch hier zu keinem Einzelmerkmal des ebenfalls umfangreichen Anspruchs 34 Stellung genommen. Damit sind bereits die im Bescheid vom 1. März 1999 genannten Gründe, warum u.a. die in Anspruch 1 beanspruchte Anordnung neuheitsschädlich vom genannten Stand der Technik vorweggenommen sein soll, nicht nachvollziehbar. Die Druckschriften sind nämlich auch nicht so beschaffen, daß die Neuheitsschädlichkeit dem Fachmann von selbst ins Auge springen könnte.

In der Erwiderung vom 6. August 1999 auf diesen Bescheid nennt die Anmelderin u.a. zwei Merkmalsgruppen des Anspruchs 1 ("Grenzbereich ..." und "... Schleckkontakt ...") und stellt dazu fest, daß die eine Merkmalsgruppe nicht aus E1 und E2 bekannt sei, während die zweite Merkmalsgruppe nicht aus E3 und E4 bekannt sei, so daß folgerichtig "von einer neuheitsschädlichen Vorwegnahme der Ansprüche 1 .... durch die Entgegenhaltungen ... nicht die Rede sein kann".

Auf diese Erwiderung der Anmelderin erfolgte ohne weitere Stellungnahme der Prüfungsstelle die Zurückweisung der Patentanmeldung durch Beschluß vom 15. Februar 2001. Dieser Beschluß befaßt sich ausschließlich in einem siebenzeiligen Absatz mit dem Vorbringen der Anmelderin in ihrer Erwiderung, wobei lediglich ein einzelnes Argument der Anmelderin behandelt wird - und dies in sachlich unzutreffender Weise. Die Prüfungsstelle behauptet nämlich, daß die Ausführungen der Anmelderin bezüglich eines nicht vorliegenden "Schleckkontakts" schon bezüglich der aus E1 bekannten Anordnung nicht nachvollziehbar seien. Die Anmelderin hat in ihrer Erwiderung jedoch festgestellt, daß die E3 und E4 und nicht die E1 einen Schleckkontakt zeigten. Bezüglich der E1 hat die Anmelderin aufgezeigt, daß diese Entgegenhaltung eine "vom Anspruch 1 abweichende Konstruktion des Führungswagens zeige, so daß der Gegenstand des Anspruchs 1 daher neu gegenüber dieser Druckschrift sei. Im übrigen erschöpft sich die Begründung des Zurückweisungsbeschlusses in der wörtlichen Wiederholung von Textteilen des Bescheides vom 1. März 1999. Damit weist der Zurückweisungsbeschluß dieselben Begründungsmängel auf, die bereits bei Abhandlung des Bescheids weiter oben beschrieben wurden. Darüber hinaus wurde auch das wesentliche Vorbringen der Anmelderin in ihrer Erwiderung übergangen.

Auch die Ablehnung des im Erwiderungsschriftsatz vom 6. August 1999 hilfsweisen gestellten hilfsweisen Antrags auf Anhörung in diesem Fall ist verfahrensfehlerhaft. Abgesehen davon, daß eine Anhörung in jedem Verfahren in der Regel sachdienlich ist, wäre die Sachdienlichkeit ganz besonders in vorliegendem Verfahren wegen der bestehenden Meinungsverschiedenheiten zwischen Anmelderin und Prüfungsstelle zu bejahen gewesen. Dies wird auch schon dadurch deutlich, weil die Begründung für die Ablehnung der Anhörung unter Punkt C. des Zurückweisungschlusses eben gerade nicht zutrifft. Danach sei das Vorbringen der Anmelderin von der Prüfungsstelle zur Kenntnis genommen und bei der Entscheidung erwogen worden. Dies kann schon insofern nicht zutreffen, als die Begründung des Zurückweisungsbeschlusses im wesentlichen aus Textteilen des Erstbescheides besteht und nicht erkennbar ist, wie das auf die einzelnen im Verfahren befindlichen Druckschriften gerichtete Vorbringen der Anmelderin in ihrer Erwiderung auf den Bescheid berücksichtigt wurde.

Der Senat hält es in diesem Fall für geboten, von der ihm durch § 79 Abs 3 Satz 1 Nr 2 PatG an die Hand gegebenen Möglichkeit der Zurückverweisung der Sache an das Deutsche Patent- und Markenamt Gebrauch zu machen. Die Prüfungsstelle erhält dadurch Gelegenheit, die auch weiterhin beantragte Anhörung durchzuführen und über die Patentfähigkeit - einschließlich der erfinderischen Tätigkeit - der Gegenstände nach den Patentansprüchen zu entscheiden.

2) Nach § 80 Abs 3 PatG kann das Patentgericht die Rückzahlung der Beschwerdegebühr anordnen, wenn dies der Billigkeit entspricht. Die Billigkeit der Rückzahlung kann sich aus der Sachbehandlung durch die Prüfungsstelle (z.B. bei Verfahrensfehlern) ergeben, insbesondere dann, wenn bei ordnungsmäßiger und angemessener Sachbehandlung der Erlaß des Zurückweisungsbeschlusses nicht in Betracht gekommen wäre und damit die Erhebung der Beschwerde sowie die Einzahlung der Beschwerdegebühr hätten vermieden werden können (Schulte, PatG, 6. Aufl, § 73 Rdn 144).

Wegen der unter Punkt II. 1. abgehandelten Verfahrensmängel, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird, ist die Beschwerdegebühr aus Billigkeitsgründen zurückzuzahlen. Nach Überzeugung des Senats wäre bei ordnungsgemäßer Sachbehandlung durch die Prüfungsstelle eine Beschwerdeeinlegung nicht erforderlich gewesen.

Dr. Lischke Heyne Schmidt-Kolb Sperling Hu






BPatG:
Beschluss v. 14.06.2004
Az: 6 W (pat) 45/01


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