Bundespatentgericht:
Beschluss vom 29. März 2007
Aktenzeichen: 20 W (pat) 71/03

(BPatG: Beschluss v. 29.03.2007, Az.: 20 W (pat) 71/03)

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Patentinhaberin wird der Beschluss der Patentabteilung 52 vom 31. Juli 2003 aufgehoben.

Das Patent wird mit folgenden Unterlagen beschränkt aufrechterhalten:

Patentansprüche 1 bis 13 gemäß Hauptantrag, überreicht in der mündlichen Verhandlung, Beschreibung und Zeichnungen wie erteilt.

2. Der Antrag der Einsprechenden, die Teilungserklärung der Patentinhaberin vom 29. Juni 2006 für unwirksam zu erklären, wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Im Einspruch ist fehlende Patentfähigkeit geltend gemacht worden. Das Patentamt hat das Patent widerrufen.

Die Patentinhaberin und Beschwerdeführerin beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Patent gemäß Hauptantrag und den Hilfsanträgen 1 und 2, jeweils überreicht in der mündlichen Verhandlung, aufrechtzuerhalten.

Die Einsprechende beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie beantragt weiters, die erklärte Teilung des Patents für unwirksam zu erklären.

Der Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet:

"Sensoreinrichtung zur Erfassung einer Benetzung einer Scheibe (14), insbesondere einer Kraftfahrzeugscheibe, mitmindestens einem lichtausstrahlenden Sender (6), einem auf der Scheibe (14) auflegbaren Lichtleitkörper (10), der die Senderstrahlung (30) unter einem Neigungswinkel () in die Scheibe (14) einkoppelt und die Senderstrahlung (30) auf mindestens einen Empfänger (8) aus der Scheibe (14) auskoppelt, dadurch gekennzeichnet, dassder Lichtleitkörper (10) eine Struktur (22.1) aufweist, mit der die von dem Sender (6) ausgestrahlte Senderstrahlung (30) in zwei unterschiedliche Richtungen (X1, X2) gesammelt und parallelisiert werden, wobei die Struktur (22.1) optisch aktive Flächen (24) oder Linsen aufweist und der Sender (6) im Brennpunkt der Flächen (24) oder Linsen angeordnet ist und die Struktur (22.1) aus einer zur Scheibe (14) parallelen Oberfläche (18) des Lichtleitkörpers (10) hervorsteht und über einen zylinderförmigen Lichtleiter (26) mit der optisch aktiven Fläche (24) oder Linse verbunden ist."

Die Einsprechende hat folgende Druckschriften genannt:

(1) DE 197 01 258 A1

(2) US 5 015 931

(3) US 5 661 303

(4) DE 43 18 114 A1

(5) DE 44 24 454 A1 Die Patentinhaberin bekräftigt, der Gegenstand des neuen Patentanspruches 1 sei patentfähig.

Die Einsprechende führt dagegen im Wesentlichen aus, auch der Gegenstand des neuen Patentanspruches 1 beruhe insbesondere gegenüber Druckschrift (2) nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

II.

Die Beschwerde ist zulässig. Sie führt zur beschränkten Aufrechterhaltung des Patents.

1. Die geltenden Patentansprüche 1 bis 13 sind unbestritten zulässig. Die Merkmale des neuen Patentanspruchs 1 ergeben sich aus den erteilten Patentansprüchen 1, 3 und 4.

Entsprechend der Formulierung des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag weist die Struktur optische Flächen oder Linsen auf und steht aus einer zur Scheibe parallelen Oberfläche hervor. Nach dem letzten Merkmal des Patentanspruchs 1 ist die Struktur über einen zylinderförmigen Lichtleiter mit der optisch aktiven Fläche oder Linse verbunden, die jedoch nach dem Wortlaut des Patentanspruchs 1 selbst einen Teil der Struktur bildet. Der Senat versteht dieses Merkmal so, dass nicht die Struktur, sondern die zur Scheibe parallele Oberfläche des Lichtleitkörpers über den zylinderförmigen Lichtleiter mit der optisch aktiven Fläche oder Linse verbunden ist.

2. Stand der Technik Die Druckschrift (1) betrifft eine Sensoreinrichtung zur Erfassung der Benetzung einer Scheibe mit auf der Scheibe auflegbaren Koppelelementen 2, 4, wobei das Koppelelement 2 die Senderstrahlung unter einem Neigungswinkel in die Scheibe einkoppelt und das Koppelelement 4 die Senderstrahlung auf mindestens einen Empfänger auskoppelt. Die Koppelelemente 2,4 bestehen aus Folien, in die planare Strukturen wie asymmetrische Mikroprismen, asymmetrisch beugende Reliefstrukturen oder Phasengitter in der Weise eingebracht sind, dass die vom Sender ausgestrahlte Senderstrahlung gesammelt und in eine bevorzugte Richtung abgelenkt wird, s. Fig. 5 i. V. m. Sp. 5 Z. 16-20, d. h. zumindest nahezu auch parallelisiert wird. Die durch Folien gebildeten Koppelelemente leiten das einfallende Licht von ihrer dem Sender zugewandten Oberfläche zu ihrer der Scheibe zugewandten Oberfläche, so dass es sich bei den Koppelelementen um Lichtleiter handelt. Die Lichtleiter sind als Scheibe oder Ring ausgebildet und weisen daher die Form eines Zylinders auf (Fig. 3, 8). Sie entsprechen in ihrer Funktion dem Lichtleitkörper des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag des Streitpatents, d. h. sie vereinen die beiden Funktionen Sammeln der Senderstrahlung und Einkoppeln in die Scheibe unter einem Neigungswinkel. Im Unterschied hierzu wird beim Gegenstand des Anspruchs 1 die vom Sender ausgestrahlte Senderstrahlung nicht in eine, sondern in zwei unterschiedliche Richtungen gesammelt und parallelisiert. Außerdem sind nicht mehrere Koppelelemente vorgesehen, sondern ein Lichtleitkörper, der sowohl die Ein- als auch die Auskopplung der Senderstrahlung bewirkt. Ferner steht beim Gegenstand des Patentanspruchs 1 die Struktur, welche optisch aktive Flächen oder Linsen aufweist, aus einer zur Scheibe parallelen Oberfläche des Lichtleitkörpers hervor und ist mit dieser Oberfläche über einen zylinderförmigen Lichtleiter verbunden. Die Aufgabe dieses Lichtleiters ist also, den Teil des Lichtleitkörpers, der die Funktion der Einkopplung in die Scheibe unter einem Neigungswinkel übernimmt, mit dem aus der Scheibenoberfläche hervorstehenden (also beabstandeten) Teil des Lichtleiterkörpers zu verbinden, der aufgrund seiner Struktur die Funktion der aktiven Fläche oder Linse übernimmt. Da nach (1) diese beiden Funktionen durch die Koppelelemente bewirkt werden, also räumlich nicht getrennt sind, ist ein Lichtleiter, der diese Verbindung herstellen müsste, dort nicht vorhanden.

Aus Druckschrift (2) (Fig. 1, 2 i. V. m. Sp. 2 Z. 66-68) ist eine Sensoreinrichtung zur Erfassung einer Benetzung einer Kraftfahrzeugscheibe 14 bekannt, die einen Licht ausstrahlenden Sender 10, einen auf der Scheibe auflegbaren Lichtleitkörper 16, der die Senderstrahlung unter einem Neigungswinkel in die Scheibe einkoppelt, und einen weiteren auf der Scheibe auflegbaren Lichtleitkörper 18 aufweist, der die Senderstrahlung auf einen Empfänger 20 aus der Scheibe auskoppelt. Der Lichtleitkörper 16 weist eine Struktur auf (Sp. 3 Z. 6-8), die offensichtlich dazu dient, die von dem Sender ausgestrahlte Senderstrahlung in zwei unterschiedlichen Richtungen (Pfeile in Fig. 2, Sp. 3 Z. 49-54) zu sammeln und zu parallelisieren. Die Struktur umfasst optisch aktive Flächen oder Linsen (lenticular interface), wobei der Sender im Brennpunkt der Flächen oder Linsen angeordnet ist. Diese Anordnung ist zwar nicht ausdrücklich beschrieben, ergibt sich jedoch daraus, dass die Strahlen nur so parallelisiert werden können. Die Scheibe ist über einen Lichtleitkörper 16 mit der linsenförmigen Fläche verbunden. Aus der Schnittdarstellung in Figur 1 ist nicht zu entnehmen, ob die Außenkontur des Lichtleiters 16 wie beim Gegenstand des Patentanspruches 1 gemäß Hauptantrag zylinderförmig oder prismaähnlich ausgebildet ist. Außerdem weist die bekannte Vorrichtung abweichend vom Gegenstand des Patentanspruches 1 des Streitpatents, bei dem für die Senderseite und die Empfängerseite ein gemeinsamer Lichtleitkörper mit einer zur Scheibe parallelen Oberfläche vorgesehen ist, zwei Lichtleitkörper 16, 18 auf.

Die Druckschrift (3) betrifft eine Sensoreinrichtung zur Erfassung einer Benetzung einer Kraftfahrzeugscheibe 18 mit mindestens einem Licht ausstrahlenden Sender 56 und einem auf der Scheibe auflegbaren Lichtleitkörper 24, der die Senderstrahlung unter einem Neigungswinkel in die Scheibe einkoppelt und die Senderstrahlung auf mindestens einen Empfänger 58 aus der Scheibe auskoppelt. Die Strahlung wird durch eine Kollimatorlinse 64 gesammelt und parallelisiert, in deren Brennpunkt der Sender angeordnet ist. Aus einer zur Scheibe parallelen Fläche steht eine Struktur hervor. Die parallele Fläche ist über einen mit ebenen Randflächen ausgebildeten Lichtleiter mit der Linse verbunden. Ein zylinderförmiger Lichtleiter wie beim Gegenstand des Patentanspruches 1 gemäß Hauptantrag ist aus (3) nicht bekannt. In weiterem Unterschied zum Gegenstand des Patentanspruches 1 wird die Senderstrahlung nur in eine Richtung gesammelt und parallelisiert.

Die Druckschrift (4) zeigt eine Sensoreinrichtung zur Erfassung einer Benetzung einer Scheibe 1 mit den Merkmalen des Oberbegriffs des Patentanspruchs 1 gemäß Hauptantrag. Der Lichtleitkörper weist eine Struktur auf, mit der von dem Sender ausgestrahlte Senderstrahlung gesammelt und parallelisiert wird (Fig. 2). Die Struktur umfasst eine Linse, wobei der Sender im Brennpunkt der Linse angeordnet ist. Sie steht aus einer zur Scheibe parallelen Oberfläche des Lichtleitkörpers hervor. Die Oberfläche ist über einen Lichtleiter mit der optisch aktiven Fläche verbunden. Abweichend vom Gegenstand des Patentanspruches 1 gemäß Hauptantrag ist der Lichtleiter nicht zylinderförmig ausgebildet und er weist keine Struktur auf, mit der die von dem Sender ausgestrahlte Senderstrahlung in zwei unterschiedliche Richtungen gesammelt und parallelisiert wird.

Bei der weiter abliegenden Druckschrift (5) steht die Ausbildung von optischen Filtern im Vordergrund. Ein zylinderförmiger Lichtleiter ist aus (5) nicht zu entnehmen. Die Form des einen Lichtleiter darstellenden Ausführungsstücks wird in (5) nicht beschrieben und ist auch aus der Zeichnung nicht festzustellen.

3. Neuheit Der zweifelsfrei gewerblich anwendbare Gegenstand des Patentanspruches 1 gemäß Hauptantrag ist neu, denn keine der Druckschriften zeigt alle seine Merkmale, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen zum Stand der Technik ergibt.

4. Erfinderische Tätigkeit Der Gegenstand des Patentanspruches 1 gemäß Hauptantrag beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Als Fachmann ist ein Physiker mit Hochschulausbildung anzusehen, der über langjährige Erfahrungen in der Entwicklung von Regensensoren für Kraftfahrzeugscheiben verfügt und dabei vertiefte Kenntnisse der optischen Messtechnik erworben hat.

Bei der Sensoreinrichtung nach Druckschrift (2) sind zwei Lichtleitkörper 16, 18 vorgesehen, die in vorher genau bestimmtem Abstand und zueinander ausgerichtet auf der Kraftfahrzeugscheibe befestigt werden müssen. Da dies erhöhten Fertigungsaufwand bedingt, mag der Fachmann Veranlassung haben, Änderungen an der Konstruktion der Lichtleitkörper vorzunehmen. Als einfache Lösung mag es sich ihm hierbei anbieten, einen einzigen Lichtleitkörper mit einer zur Scheibe parallelen Oberfläche vorzusehen, denn derartige Lichtleitkörper gehören zu seinem Fachwissen, wie durch die Druckschriften (3) und (4) belegt ist.

Zur Außenkontur der Lichtleiter kann der Fachmann aus der Beschreibung von (2) keine Informationen entnehmen. Die Schnittdarstellung in Figur 1 lässt nicht erkennen, ob der Lichtleiter eine zylinderförmige oder prismaähnliche Außenkontur aufweist. Der Fachmann muss daher Überlegungen zur Ausgestaltung der Außenkontur des Lichtleiters anstellen.

Keine der bekannt gewordenen Druckschriften gibt dem Fachmann eine Anregung dahingehend, den Lichtleiter nach (2) zylinderförmig auszubilden. Die Druckschrift (1) zeigt zwar einen Regensensor mit einem zylinderförmigen Lichtleiter. Der Fachmann greift diesen Hinweis jedoch nicht auf, weil der dort vorgesehene Lichtleiter nicht die Funktion der Verbindung unterschiedlicher Bereiche eines Lichtleitkörpers ausübt. Vielmehr orientiert sich der Fachmann an den in (3) und (4) gezeigten Ausbildungen des Lichtleiters, weil dort der Strahlenverlauf mehr dem aus (2) bekannten Strahlenverlauf entspricht. Diese Druckschriften zeigen jedoch Lichtleiter mit ebenen Außenflächen und führen den Fachmann daher in eine andere Richtung.

Damit gelangt der Fachmann nicht in naheliegender Weise zum Gegenstand des Patentanspruches 1 gemäß Hauptantrag.

5. Die auf den Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag rückbezogenen Patentansprüche 2 bis 13 haben Bestand. Sie betreffen über das Selbstverständliche hinausgehende Ausgestaltungen des Gegenstandes des Patentanspruches 1.

6. Die Beschreibung genügt den an sie nach § 34 PatG zu stellenden Anforderungen.

7. Der Antrag der Einsprechenden, die Teilungserklärung der Patentinhaberin vom 29. Juni 2006 für unwirksam zu erklären, war zurückzuweisen, da im vorliegenden Beschwerdeverfahren dem Senat eine Entscheidungskompetenz hierfür nicht zusteht.

Die Teilung des Patents im Einspruchsverfahren war bis 30. Juni 2006, d. h. bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des patentrechtlichen Einspruchsverfahrens und des Patentkostengesetzes (vom 21. Juni 2006, vgl. BlPMZ 2006, 225 ff.) am 1. Juli 2006, unter den Voraussetzungen des § 60 PatG zulässig. Bis zur Aufhebung der Vorschrift hatte eine wirksame Teilungserklärung nach § 60 Abs. 1 Satz 2 PatG zur Folge, dass mit deren Abgabe der abgetrennte Teil als Anmeldung galt, für die ein Prüfungsantrag gestellt und die Zuständigkeit der Prüfungsstelle des Patentamts begründet war. Nach der jüngeren Rechtsprechung des Bundesgerichtshof zur Teilung im Einspruchsverfahren (vgl. insb. GRUR 2003, 781 - Basisstation, Leitsätze) hindert eine Teilungserklärung nicht den Fortgang des Beschwerdeverfahrens und eine abschließende Entscheidung über das Stammpatent. Begehrt der Beschwerdeführer eine Entscheidung über das Stammpatent, so komme es auf das Schicksal der Trennanmeldung in der Regel schon deshalb nicht an, weil durch die Teilung nichts abgetrennt werden müsse. Maßgeblich sei alleine, ob die Rechtsverfolgung des Patentinhabers im Einspruchsverfahren eine abschließende Entscheidung zulasse.

Letzteres ist im vorliegenden Fall ohne weiteres zu bejahen. Die Wirksamkeit der Teilungserklärung hat keinerlei Auswirkungen auf das Beschwerdeverfahren zum Stammpatent; Fragen zu ihrer Wirksamkeit können daher nicht Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens sein. Dies gilt ebenso für eine Auseinandersetzung mit dem Vortrag der Einsprechenden zur Rechtsmissbräuchlichkeit der Teilungserklärung und ihren Argumenten für einen Vertrauensschutz der Einsprechenden im Hinblick auf die frühere Rechtsprechung des BGH (insbes. GRUR 1996, 753 - Informationssignal und GRUR 1996, 747 - Lichtbogen-Plasma-Beschichtungssystem).






BPatG:
Beschluss v. 29.03.2007
Az: 20 W (pat) 71/03


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