Oberlandesgericht Köln:
Beschluss vom 1. August 1995
Aktenzeichen: 25 WF 141/95
(OLG Köln: Beschluss v. 01.08.1995, Az.: 25 WF 141/95)
Verbindlichkeit der Bestimmung einer Rahmengebühr
1. Die vom Rechtsanwalt gem. § 12 I 1 BRAGO getroffene Bestimmung der Höhe der Rahmengebühren ist grundsätzlich auch für die Landeskasse im Festsetzungsverfahren gem. §§ 121 ff BRAGO verbindlich. Das gilt aber nicht, wenn die vom Rechtsanwalt getroffene Bestimmung unbillig ist. 2. Unbilligkeit der Gebührenbestimmung liegt schon dann vor, wenn der Rechtsanwalt ein wesentliches Bewertungsmerkmal übersehen hat. 3. Der Rechtsanwalt kann von der Staatskasse nur Vergütung für diejenigen Tätigkeiten verlangen, die er nach seiner Beiordnung im Zuge der PKH-Bewilligung entfaltet hat. 4. Die Bitte des Familiengerichts zur schriftlichen Berichterstattung durch das verfahrensbeteiligte Jugendamt unter Óbersendung der widerstreitenden Sorgerechtsanträge der Eltern löst keine Beweisgebühr aus.
Gründe
Zwischen den Parteien hat vor dem Familiengericht Köln ein
isoliertes Verfahren geschwebt, in dem sie wechselseitig die
Óbertragung der elterlichen Sorge für die Dauer des Getrenntlebens
(§ 1672 BGB) über das aus ihrer Ehe hervorgegangene, am 24.1.1992
geborene Kind J. beantragt haben. Im gleichen Verfahren haben sie
zusätzlich wechselseitig im Wege der einstweiligen Anordnung die
Óbertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes bzw. die Herausgabe
des Kindes erstrebt. Zur Glaubhaftmachung ihres konträren
Vorbringens haben beide Parteien eine außerordentliche Hülle und
Fülle eidesstattlicher Versicherungen zu den Akten überreicht. Das
Familiengericht hat das verfahrensbeteiligte Jugendamt der Stadt K.
unter Óbermittlung der Antragsschriften beider Parteien um
schriftliche Berichterstattung gebeten und mit Beschluß vom
11.11.1993 das Aufenthaltsbestimmungsrecht über das Kind im Wege
einstweiliger Anordnung auf die Antragsgegnerin übertragen. Mit
Schriftsatz vom 22.12.1993 hat sich Rechtsanwältin Birgit Schroeder
für die Antragsgegnerin, die bis dahin anderweitig anwaltlich
vertreten war, bestellt. Am 16.2.1994 ist der Bericht des
Jugendamtes der Stadt K. eingegangen. Im Termin zur mündlichen
Verhandlung vom 16.5.1994 ist der Antragsgegnerin antragsgemäß
unter Beiordnung von Rechtsanwältin B. S. Prozeßkostenhilfe
bewilligt worden. Nach eingehender Erörterung der Sach- und
Rechtslage wurde die elterliche Sorge entsprechend dem Vorschlag
des Jugendamtes und im Einvernehmen mit beiden Eltern der
Antragsgegnerin übertragen, während das Umgangsrecht des
Antragstellers mit dem Kind außergerichtlich geregelt wurde.
Rechtsanwältin S. hat, ausgehend vom auf 5.000,00 DM gerichtlich
festgesetzten Geschäftswert, die Festsetzung folgender Gebühren und
Auslagen zur Erstattung aus der Landeskasse beantragt: 10/10
Prozeßgebühr gemäß §§ 123, 31.1 BRAGO 279,00 DM 10/10
Verhandlungsgebühr gemäß §§ 123, 31.2 BRAGO 279,00 DM 10/10
Beweisgebühr gemäß §§ 123, 31.3 BRAGO 279,00 DM Auslagenpauschale §
26 BRAGO 40,00 DM 15 % Mehrwertsteuer § 25 BRAGO 131,55 DM
Rechnungsbetrag: 1.008,55 DM
Gemäß Beschluß vom 26.8.1994 sind die aus der Landeskasse zu
zahlenden Gebühren und Auslagen auf 527,39 DM festgesetzt worden,
wobei sich diese Summe wie folgt errechnet: 7.5/10 Prozeßgebühr
209,30 DM 7.5/10 Verhandlungsgebühr 209,30 DM Auslagenpauschale
40,00 DM 15 % Mehrwertsteuer 68,79 DM Total: 527,39 DM
Die Absetzungen sind damit begründet worden, daß keine
Beweisgebühr und im übrigen nur die Mittelgebühren, aber nicht die
Höchstgebühren angefallen seien. Gegen diesen Beschluß richtete
sich die Erinnerung, der Verfahrensbevollmächtigten der
Antragsgegnerin, die geltend machte, daß sie wegen des Umfanges und
der Schwierigkeit der Angelegenheit nach ihrem billigen, für die
Landeskasse verbindlichen Ermessen gemäß § 12 BRAGO zutreffend die
Höchstgebühren aus dem Gebührenrahmen des § 118 BRAGO angesetzt
habe. Außerdem sei eine Beweisgebühr erfallen, weil das
Familiengericht das verfahrensbeteiligte Jugendamt damit beauftragt
habe, die streitigen Behauptungen der Parteien zu überprüfen und
auf diese Weise die Wahrheit auszumitteln.
Das Familiengericht hat die Erinnerung mit Beschluß vom
24.10.1994 zurückgewiesen und zur Begründung auf die schriftliche
Stellungnahme des Bezirksrevisors bei dem Amtsgerichts Köln vom
18.10.1994 verwiesen, deren Inhalt hiermit in Bezug genommen
wird.
Gegen diesen Beschluß richtet sich die Beschwerde der
Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin, die das
Familiengericht dem Senat zur Entscheidung vorgelegt hat.
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet, weil der angefochtene
Beschluß, mit dem das Familiengericht die Erinnerung gegen den
Kostenfestsetzungsbeschluß vom 26.8.1994 zurückgewiesen hat,
richtig ist.
Die von der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin in
ihrem Festsetzungsantrag mit dem Ansatz von 10/10 Gebühren gewählte
Bestimmung (§ 12 I BRAGO) ist unbillig und aus diesem Grunde nicht
verbindlich. Für die auch vorliegend einschlägigen Angelegenheiten
der freiwilligen Gerichtsbarkeit sieht § 118 Abs. 1 BRAGO zur
Abgeltung der anwaltlichen Tätigkeiten einen Gebührensatzrahmen von
5/10 bis 10/10 der vollen Gebühr vor. Bei derartigen Rahmengebühren
bestimmt der Rechtsanwalt selbst die im Einzelfall zu entrichtende
Gebühr unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände, insbesondere der
Bedeutung der Angelegenheit, des Umfanges und der Schwierigkeit der
anwaltlichen Tätigkeit sowie der Einkommens- und
Vermögensverhältnisse seines Auftraggebers nach billigem Ermessen;
§ 12 Abs. 1 Satz 1 BRAGO. § 12 Abs. 1 Satz 2 BRAGO schreibt
ausdrücklich vor, daß die vom Rechtsanwalt getroffene Bestimmung,
sofern die Gebühr von einem Dritten zu ersetzen ist, nur dann nicht
verbindlich ist, wenn sie unbillig ist. Für die Landeskasse, die
dem im Wege der Prozeßkostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalt die
Vergütung gemäß den §§ 121 ff BRAGO zu gewähren hat, gilt nichts
anderes. Zwar trifft § 12 Abs. 1 Satz 2 BRAGO von seinem Wortlaut
her nicht genau zu, weil der Ausdruck ,ersetzen" auf das durch die
Bewilligung der Prozeßkostenhilfe geprägte Rechtsverhältnis
zwischen dem Staat einerseits und dem beigeordneten Rechtsanwalt
andererseits nicht recht paßt. Die Staatskasse kann aber bezüglich
der Nachprüfung der Gebührenansprüche des beigeordneten
Rechtsanwalts weder eine stärkere noch eine schwächere
Rechtsposition haben als einerseits der Auftraggeber selbst,
andererseits ein etwaiger ersatzpflichtiger Dritter. Das ergibt
sich auch aus den §§ 121 ff BRAGO. Aus § 121 BRAGO folgt, daß die
übrigen Vorschriften der BRAGO über die Höhe der gesetzlichen
Vergütung auch für den beigeordneten Rechtsanwalt gelten, ,soweit
in diesem (dem 13.) Abschnitt nichts anderes bestimmt ist." Der 13.
Abschnitt der BRAGO enthält aber keine Sondervorschrift über die
Bestimmung der Höhe der im Einzelfall zu vergütenden Gebühr bei
gesetzlichen Rahmengebühren. § 123 BRAGO legt nur die Beträge der
,vollen Gebühr" (§ 11 Abs. 1 Satz 1 BRAGO) ab einem Gegenstandswert
von mehr als 6.000,-- DM für die aus der Staatskasse zu
entrichtende Vergütung anders fest, läßt aber den
Gebührensatzrahmen des § 118 BRAGO unverändert. Folglich ist auch
der innerhalb dieses Rahmens liegende Gebührensatz für den
jeweiligen Einzelfall vom Rechtsanwalt gemäß § 12 BRAGO zu
bestimmen (vgl. OLG Düsseldorf JurBüro 1982, 872; Gerold/von
Eicken, BRAGO, 12. Aufl., vor § 121 Rz. 3; § 121 Rz. 6). Die
getroffene Bestimmung ist vom Kostenfestsetzungsbeamten bzw. im
Erinnerungs- und Beschwerdeverfahren gemäß § 128 BRAGO
grundsätzlich hinzunehmen, jedoch kann und muß das Gericht
abweichend von der Bestimmung des Rechtsanwalts ,entscheiden" -
vgl. § 128 Abs. 3 BRAGO -, wenn die anwaltliche Bestimmung unbillig
ist (vgl. OLG Saarbrücken JurBüro 1982, 714; OLG Düsseldorf JurBüro
1982, 871/872; Göttlich/Mümmler, BRAGO, 18. Aufl., Stichwort
,Rahmengebühren" Rz. 2.4.; Gerold/Madert, BRAGO, 12. Aufl., § 12
Rz. 4). Die von der Beschwerdeführerin getroffene Bestimmung ist
unbillig und aus eben diesem Grunde unverbindlich. Unbilligkeit im
Sinne des § 12 Abs. 1 BRAGO setzt nicht voraus, daß ein Extremfall
einer unangemessen hohen Gebührenfestsetzung vorliegt, vielmehr
reicht es dafür aus, wenn der Rechtsanwalt bei seiner Bestimmung
einen wesentlichen Bemessungsfaktor unberücksichtigt gelassen hat
(vgl. OLG Düsseldorf JurBüro 1982, 872; Gerold/Madert a.a.O., § 12
Rz. 4). So liegt es hier. Die Beschwerdeführerin hat den Ansatz der
Höchstgebühr damit begründet, daß sie eine mehr als 100 Seiten
starke Gerichtsakte zu bearbeiten gehabt habe, woraus sich, so ist
ihr Vorbringen jedenfalls zu verstehen, ein besonderes Maß an
Arbeit und Mühewaltung für sie ergeben habe. Dabei wird aber und
zwar entscheidend übersehen, daß es hier nur um die Tätigkeit der
Beschwerdeführerin als anwaltliche Vertreterin der Antragsgegnerin
im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 16.5.1994 geht - erstmals
in diesem Termin ist der Antragsgegnerin unter Beiordnung der
Beschwerdeführerin Prozeßkostenhilfe bewilligt worden. Und es ist
nach gesamter Aktenlage nichts ersichtlich, was die Annahme zu
rechtfertigen vermöchte, daß die anwaltliche Tätigkeit der
Beschwerdeführerin, bezogen auf die Vertretung der Antragsgegnerin
in eben diesem Termin, über ein durchschnittliches Maß an
anwaltlicher Arbeit und Mühewaltung in elterlichen Sorgesachen
hinausgegangen wäre. Ganz im Gegenteil: In diesem Zeitpunkt war der
Sach- und Streitstand längst geklärt, das verfahrensbeteiligte
Jugendamt hatte sich für die Óbertragung der elterlichen Sorge auf
die Mandantin der Beschwerdeführerin ausgesprochen und es wurde
nach - in elterlichen Sorgesachen generell üblicher - Erörterung
eine Einigung erzielt. Auf alles andere, vornehmlich die Tatsache,
daß die Beschwerdeführerin sich vor dem Termin, um die Interessen
der Antragsgegnerin ordnungsgemäß wahrnehmen zu können, von Grund
auf in die Akten einarbeiten mußte, kommt es nicht an. Denn gemäß §
121 Abs. 1 BRAGO bestimmt sich der Anspruch des beigeordneten
Rechtsanwalts ausschließlich nach dem Beschluß, durch den
Prozeßkostenhilfe bewilligt und er beigeordnet worden ist. Daher
ist der Zeitpunkt der Beiordnung von ausschlaggebender Bedeutung:
Der Rechtsanwalt kann von der Staatskasse nur diejenigen
Tätigkeiten vergütet verlangen, die er n a c h dem Wirksamwerden
der Beiordnung vorgenommen hat. Für den von der Staatskasse zu
erfüllenden Vergütungsanspruch ist die Sachlage so anzusehen, als
ob die Partei den Rechtsanwalt erstmals im Zeitpunkt des
Wirksamwerdens der Beiordnung beauftragt hätte; seine vorher
entfaltete Tätigkeit ist für die Höhe der vom Staat zu zahlenden
Gebühren ohne jegliche Bedeutung (vgl. BGH NJW 1970, 757; OLG
Düsseldorf JurBüro 1982, 872). Aus allen diesen Gründen ist es
nicht gerechtfertigt, vom Ansatz der in elterlichen Sorgesachen
allenthalten üblichen Mittelgebühr - 7.5/10 - nach oben
abzuweichen. Folglich erweist sich die Beschwerde in diesem Punkt
als sachlich nicht gerechtfertigt. Eine Beweisgebühr ist nicht
angefallen. Denn die Einschaltung des Jugendamtes durch das
Familiengericht diente nach Aktenlage ersichtlich keinem anderen
Zweck als der zwingend gebotenen Anhörung dieses
Verfahrensbeteiligten (§ 50 Abs. 1 SGB VIII in Verbindung mit § 49
a FGG): Das Familiengericht hat sich bei der Berichtanforderung
darauf beschränkt, die konträren Antragsschriften der
verfahrensbeteiligten Eltern mit der Bitte um Kenntnis- und
Stellungnahme zu übermitteln, was vornehmlich den Zweck verfolgte,
dem Gericht möglicherweise nicht bekannte, gegebenenfalls für das
Kindeswohl bedeutsame Tatsachen durch diese sach- und fachkundige
Behörde zur Kenntnis zu bringen. Das aber ist ersichtlich keine
Beweisaufnahme, sondern diente lediglich bloßen
Informationszwecken, und konnte deshalb auch keine Beweisgebühr
anfallen lassen (vgl. OLG Bamberg JurBüro 1981, 686; 1986, 1377;
OLG Düsseldorf JurBüro 1979, 533; OLG Frankfurt JurBüro 1979, 704;
OLG Hamm JurBüro 1985, 876; KG JurBüro 1984, 60; OLG Saarbrücken
JurBüro 1986, 1375).
Nach alledem mußte der Beschwerde sachlicher Erfolg versagt
bleiben. Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei;
außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet; § 128 Abs. 5
BRAGO.
6 - -
OLG Köln:
Beschluss v. 01.08.1995
Az: 25 WF 141/95
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