Oberlandesgericht Köln:
Beschluss vom 26. Juli 2010
Aktenzeichen: 6 W 77/10

(OLG Köln: Beschluss v. 26.07.2010, Az.: 6 W 77/10)

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Köln vom 10.6.2010 - 203 O 99/10 - teilweise abgeändert:

Die Verwendung von Verkehrsdaten (§ 3 Nr. 30 TKG) durch die Beteiligte zur Erteilung der Auskunft an die Antragstellerin über Namen und Anschriften derjenigen Nutzer, denen zu den

in der dem Beschluss der Kammer vom 30.03.2010 beigefügten Anlage ASt 1 unter den laufenden Nummern 61 bis 83 (die Hörspiel-CD "Die drei €€€ Folge 131 - Haus des Schreckens" betreffend)

angegebenen Zeitpunkten die dort aufgeführten IP-Adressen zugeteilt waren, ist zulässig.

Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

Ihre außergerichtlichen Kosten tragen die Beteiligten selbst. Die von der Antragstellerin zu zahlende Beschwerdegebühr wird auf 150,00 € festgesetzt.

Gründe

I. Die Antragstellerin ist Inhaberin ausschließlicher Verwertungsrechte u.a. an den Tonträgern "AC / DC - Black Ice" (Musikalbum), "Aloha from Hell - No More Days To Waste" (Musikalbum) und "Die drei €€€ Folge 131 - Haus des Schreckens" (Hörspiel-CD). Sie begehrt die Anordnung der Zulässigkeit der Verwendung von Verkehrsdaten durch die beteiligte Internet-Service-Providerin zum Zweck der Auskunft über die Zuordnung dynamischer IP-Adressen, von denen aus nach ihren Ermittlungen der Inhalt der genannten und weiterer Tonträger in sogenannten Internet-Tauschbörsen zwischen dem 25. und 28.03.2010 ohne ihre Einwilligung zum Herunterladen angeboten wurden. Das Landgericht hat die Anordnung für die genannten Werke abgelehnt, weil es insoweit an einer Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß fehle. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin.

II. Die gemäß § 101 Abs. 9 Satz 6 UrhG zulässige sofortige Beschwerde hat im Hinblick auf die Hörspiel-CD Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.

1. Gegen die Anordnung der Zulässigkeit der Verwendung von Verkehrsdaten gemäß § 101 Abs. 9 UrhG bestehen auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Nichtigkeit der §§ 113a, 113b TKG vom 02.03.2010 (1 BvR 256/08, 263/08 und 586/08, NJW 2010, 833) keine grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken, da in einem Rechtsstaat das Internet keinen rechtsfreien Raum bilden darf und die Möglichkeit der individuellen Zuordnung von Internetkontakten bei Rechtsverletzungen ein legitimes Anliegen des Gesetzgebers ist, soweit es sich um Verletzungen von einigem Gewicht handelt (BVerfG, a.a.O., Rn. 260; Senat, Beschluss vom 13.04.2010 - 6 W 28/10; Beschluss vom 21.07.2010 - 6 W 79/10). So liegt es nicht nur beim konkreten Verdacht einer vorsätzlichen Straftat nach §§ 106 ff. UrhG, sondern auch bei offensichtlichen Rechtsverletzungen "in gewerblichem Ausmaß" (vgl. zu diesem der Richtlinie 2004/48/EG, Erwägungsgrund 14, entlehnten Merkmal auch des § 101 Abs. 2 UrhG BT-Drs. 16/5048 S. 65; BT-Drs. 16/8783 S. 50; BT-Plenarprot. 16/155 S. 16318 C, 16320 A, 16321 B; Senat, GRUR-RR 2009, 9 - Ganz anders; MMR 2009, 334 - Die schöne Müllerin; OLG Schleswig, GRUR-RR 2010, 239; OLG Hamburg, NJOZ 2010, 1222).

2. Das Landgericht hat seiner sorgfältig und eingehend begründeten Entscheidung zutreffend zu Grunde gelegt, dass die Bestimmung des gewerblichen Ausmaßes der geltend gemachten Rechtsverletzung eine Würdigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalles erfordert. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats hat die Kammer angenommen, dass der mit diesem Kriterium bezweckte Ausschluss gutgläubiger Handlungen von Endverbrauchern (Richtlinie 2004/48/EG, Erwägungsgrund 14) bei den hier in Rede stehenden Fallkonstellationen objektiv erfolgen muss, dass es vor allem auf Die Schwere der einzelnen Rechtsverletzung ankommt (weil die Zahl der von einem einzigen Verletzer öffentlich zugänglich gemachten Dateien bei dynamischen IP-Adressen vor erteilter Auskunft kaum feststellbar ist) und dass hierfür (im Anschluss an das im Gesetzgebungsverfahren angeführte Beispiel des Anbietens eines vollständigen Kinofilms oder Musikalbums oder Hörbuchs vor oder unmittelbar nach Veröffentlichung, BT-Drs. 16/8783, S. 50) darauf abgestellt werden muss, ob eine hinreichend umfangreiche Datei innerhalb ihrer relevanten Verkaufs- und Verwertungsphase öffentlich zugänglich gemacht wurde (Senat, a.a.O.; Beschluss vom 04.06.2009 - 6 W 48/09, bei juris; ebenso OLG Schleswig, a.a.O.).

Soweit das OLG Hamburg (a.a.O.) in dem Tatbestandsmerkmal des gewerblichen Ausmaßes eine Bagatellklausel gesehen hat, die geringfügige Rechtsverletzungen ausklammern soll, folgt daraus nicht, dass damit bei für sich genommen keinen besonders hohen wirtschaftlichen Wert verkörpernden Dateien auf das grundsätzliche Erfordernis eines engen zeitlichen Zusammenhangs zur Erstveröffentlichung verzichtet werden kann (in der Entscheidung war ein auf Platz 5 der Albumcharts plaziertes Musikalbum weniger als einen Monat nach seinem Erscheinen zum Herunterladen angeboten worden; vgl. auch OLG Frankfurt/Main, GRUR-RR 2009, 269 und OLG Karlsruhe, GRUR-RR 2009, 379 für das Anbieten einer Film-DVD ungefähr drei Monate nach ihrer Erstveröffentlichung). Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, verbietet sich im Hinblick auf Besonderheiten der Vermarktung zwar das Abstellen auf starre zeitliche Fristen. So kann sich ein Album mit einem von einem bekannten Interpreten dargebotenes Werk der klassischen Musik auch noch drei Jahre nach der Erstveröffentlichung in der relevanten Verkaufsphase befinden, wenn es noch zum Ursprungspreis veräußert wird (Senat, MMR 2009, 334 - Die schöne Müllerin). Bei Hörbüchern, Hörspielen und ähnlichen nicht besonders aktualitätsbezogenen Werkgattungen wird ebenfalls mit einer längeren relevanten Vermarktungsphase zu rechnen sein, zumal wenn der betreffende Tonträger wiederholt neu aufgelegt wird (Senat, Beschluss vom 04.06.2009 - 6 W 48/09); ein in Verkaufs-Ranglisten zum Ausdruck kommender besonders großer kommerzieller Erfolg wird hier nicht vorausgesetzt (Senat, a.a.O.; Beschluss vom 04.06.2009 - 6 W 46/09; Beschluss vom 19.06.2009 - 6 W 52/09). Für aktuelle Titel aus dem Gebiet der Unterhaltungsmusik teilt der Senat (Beschluss vom 23.07.2010 - 6 W 98/10) jedoch die Auffassung des Landgerichts, dass nach Ablauf von sechs Monaten besondere Umstände vorliegen müssen, um eine Rechtsverletzung in gewerblichem Ausmaß annehmen zu können. Solche Umstände können etwa darin liegen, dass der Titel in den TOP 50 der Album-Charts platziert ist (Senat, Beschluss vom 08.01.2010 - 6 W 153/09; Beschluss vom 13.04.2010 - 6 W 28/10). Im Einzelfall mag die relevante Verwertungsphase auch geraume Zeit nach der Erstveröffentlichung noch andauern oder wieder oder sogar erstmals beginnen, wenn zusätzliche Umstände für ein neu erwachtes Interesse des Publikums gerade an diesem Interpreten und Tonträger sprechen (Senat, Beschluss vom 21.07.2010 - 6 W 79/10 für den Kinostart eines Films mit dem betreffenden Künstler als Protagonisten).

Dagegen rechtfertigt der Umstand allein, dass das Album (auch) noch zu üblichen Preisen und nicht nur zu Ausverkaufspreisen vermarktet wird, im Bereich aktueller Unterhaltungsmusik nicht die Annahme, die für die Annahme eines gewerblichen Ausmaßes relevante Verwertungsphase sei noch nicht abgeschlossen (Senat, Beschluss vom 13.04.2010 - 6 W 28/10; Beschluss vom 23.07.2010 - 6 W 98/10). Weil der Gesetzgeber die Möglichkeiten einer Rechtsverfolgung nach § 101 UrhG im Hinblick auf das davon berührte Fernmeldegeheimnis bewusst nur in eingeschränktem Umfang zur Verfügung gestellt hat, kommt es insbesondere nicht auf das Argument der Beschwerde an, dass Tonträger jeglicher Art oft über viele Jahre oder sogar Jahrzehnte verwertet werden, dabei unter Umständen mehrere (in Lizenzverträgen berücksichtigte) Auswertungsphasen durchlaufen und das Leistungsschutzrecht des Tonträgerherstellers selbst kleinste, zwanzig Jahre nach dem Erscheinen unbefugt verwertete Teile einer Tonaufnahme umfasst (BGH, GRUR 2009, 403 = WRP 2009, 308 = NJW 2009, 770).

3. Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Landgericht im Streitfall die relevante Verwertungsphase der bereits weit über ein Jahr vor der geltend gemachten Verletzungshandlung erschienenen Musikalben "AC / DC - Black Ice" (erschienen im Oktober 2008 - siebzehn Monate vor März 2010) und "Aloha from Hell - No More Days To Waste" (erschienen im Januar 2009 - vierzehn Monate vorher) zutreffend als beendet angesehen. Wie vom Landgericht richtig ausgeführt, geht das Fehlen hinreichender gegenteiliger Anhaltspunkte zu Lasten der materiell beweisbelasteten Antragstellerin; von einer verfahrensfehlerhaften Missachtung des Amtsermittlungsgrundsatzes aus § 101 Abs. 9 S. 4 UrhG in Verbindung mit § 26 FamFG kann keine Rede sein. Darauf, dass die auf Hinweis der Kammer vom 30.03.2010 vorgelegten Internetausdrucke und das Beschwerdevorbringen zumindest bei dem Album "Black Ice" einen Vertrieb zu deutlich herabgesetzten Preisen belegen, kommt es aus den oben dargestellten Gründen im Ergebnis ebenso wenig an wie auf das mit der Beschwerde dargelegte branchenübliche allgemeine Preisniveau solcher Alben.

Dagegen musste das Landgericht in Bezug auf die CD "Die drei €€€ Folge 131 - Haus des Schreckens" zwar nicht von einem klassischen Werk aus dem Bereich der Kinder- oder Jugendlichen-Hörspiele ausgehen, bei dem die Nachfrage über die Jahre hinweg nur geringen Schwankungen unterliegt; der Seriencharakter des in Rede stehenden Hörspielformats und das periodische Erscheinen immer neuer Folgen konnte vielmehr die Annahme einer zeitlich begrenzten relevanten Verwertungsphase nahe legen. Diese hat die Kammer aber zu kurz bemessen: Die CD war im Juli 2009 erschienen (S. 4 des Schriftsatzes vom 06.04.2010, Bl. 38 d.A.), zur Zeit der Verletzungshandlung also noch nicht einmal neun Monate auf dem Markt. Sie wurde im Internet zu marktüblichen Preisen angeboten und nicht zu Ausverkaufspreisen verschleudert, was gegen ein Ende der relevanten Verwertung spricht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 101 Abs. 9 S. 4 UrhG, §§ 81 Abs. 1 S. 1, 84 FamFG, § 131a KostO.

Beschwerdewert: 3.000 €.






OLG Köln:
Beschluss v. 26.07.2010
Az: 6 W 77/10


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