Verwaltungsgericht Frankfurt am Main:
Urteil vom 14. Januar 2008
Aktenzeichen: 1 E 1781/07

(VG Frankfurt am Main: Urteil v. 14.01.2008, Az.: 1 E 1781/07)




Zusammenfassung der Gerichtsentscheidung

In der vorliegenden Gerichtsentscheidung geht es um einen Kläger, der die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis beantragt hat. Der Kläger, ein serbischer Staatsangehöriger, ist aufgrund von strafrechtlichen Vergehen in der Vergangenheit von der Bleiberechtsregelung ausgeschlossen. Der Beklagte, die Behörde, hat den Antrag des Klägers abgelehnt. Das Gericht hat die Klage abgewiesen und festgestellt, dass der Kläger weder einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach der Bleiberechtsregelung noch nach dem Aufenthaltsgesetz hat. Die Begründung des Gerichts beruht darauf, dass der Kläger Ausweisungsgründe nach dem Aufenthaltsgesetz erfüllt und die Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis keine Verletzung seines Rechtes auf Privat- und Familienleben darstellt. Das Gericht hat entschieden, dass die Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis gerechtfertigt und verhältnismäßig ist. Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger. Die Berufung wird nicht zugelassen.




Die Gerichtsentscheidung im Volltext:

VG Frankfurt am Main: Urteil v. 14.01.2008, Az: 1 E 1781/07


Ein Jugendlicher, in dessen Person wegen Verurteilungen nach dem JSG Ausweisungsgründe i.S.v. § 55 I, II Nr. 2 AufenthG vorliegen, ist nur Ziff. 4.3 der Bleiberechtsregelung des Hess. Ministerium des Innern und für Sport vom 28.11.2006 von der Bleiberechtsregelung ausgelassen.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durchSicherheitsleistung in Höhe der vollstreckbaren Kostenschuldabzuwenden, wenn nicht zuvor der Beklagte in entsprechender HöheSicherheit leistet.

Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der 1989 geborene Kläger ist serbischer Staatsangehöriger, muslimischer Volkszugehörigkeit aus dem Sandzak. Er reiste nach Angaben seines Vaters erstmals im Herbst 1995 in die Bundesrepublik Deutschland ein. In der Folgezeit wurde der Kläger im Hinblick auf den Bürgerkrieg in Jugoslawien geduldet. Ein Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbefugnis gemäß dem Erlass des HMDI vom 12.06.2001 wurde mit Bescheid vom 18.06.2002 abgelehnt. Im Hinblick auf die Erklärung des Vaters des Klägers, dass die Familie die Bundesrepublik Deutschland freiwillig verlassen wolle, wurden der Familie in der Folgezeit Grenzübertrittbescheinigungen ausgestellt, zuletzt bis zum 18.07.2003. Ein Antrag des Klägers und seiner Familie vom 25.07.2003 auf Anerkennung als Asylberechtigte wurde mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 05.08.2003 als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Eilantrag und Klage gegen den ablehnenden Bescheid wurden abgelehnt. Die Rechtskraft des Urteils trat am 05.02.2005 ein. Bereits am 20.10.2003 hatten der Kläger und seine Familie eine Petition beim Hessischen Landtag eingereicht, die mit Erlass des Hessischen Ministers des Innern vom 28.06.2006 abgelehnt wurde. Ein am 27.06.2006 gestellter Antrag bei der Härtefallkommission wurde am 04.05.2007 zurückgezogen.

Am 27.11.2006 stellte der Kläger einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 23 Abs. 1 AufenthG i.V.m. dem Erlass des HMDI vom 28.11.2006. Bereits am 31.01.2005 hatte der Kläger einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK gestellt.

Beide Anträge lehnte der Beklagte mit Verfügung vom 16.05.2007 ab. Zur Begründung der Ablehnung des Antrages nach der Bleiberechtsregelung ist ausgeführt, dass der Kläger nach Ziff. 4.3 des Erlasses ausgeschlossen sei. Nach der zitierten Vorschrift seien Personen von der Bleiberechtsregelung ausgeschlossen, bei denen Ausweisungsgründe nach §§ 53, 54, 55 Abs. 1, 2 Nr. 1 - 5 und 8 AufenthG vorliegen. In der Person des Klägers seien Ausweisungsgründe nach § 55 Abs. 1 i.V.m. § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG gegeben. Der Kläger sei zwischen 2002 und 2007 16 Mal polizeilich in Erscheinung getreten. Eine Reihe von Verfahren sei dem Beklagten offensichtlich nicht zur Kenntnis gegeben worden. Bei den genannten Verfahren handelt es sich um verschiedene Delikte wie Sachbeschädigung, Körperverletzung, gefährliche Körperverletzung, besonders schwerer Diebstahl, Verstoß gegen das BTMG und falsche Anschuldigungen. Die meisten dieser Verfahren seien gegen eine Verwarnung eingestellt worden. In drei Verfahren sei der Kläger zur Ableistung von gemeinnütziger Arbeit verurteilt, zweimal zu 20 Stunden und einmal zu 70 Stunden. Ferner sei der Kläger zur Zahlung eines Bußgeldes von 250,- € verurteilt worden, welches er nicht vollständig beglichen habe. Somit sei der Kläger weder vereinzelt noch geringfügig strafrechtlich in Erscheinung getreten. Bei der Prognose sei zu berücksichtigen, dass die Straffälligkeit des Klägers bis in die jüngste Zeit anhalte, so dass davon auszugehen sei, dass der Kläger bei einem weiteren Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstelle. Entgegen der Auffassung des Klägers sei auch ein Rückgriff auf die gesetzlichen Ausweisungsgründe möglich, da der Erlass unter Ziff. 4.3 seinem Wortlaut nach direkt auf die entsprechenden Regelungen des Aufenthaltsgesetzes verweise.

Auch die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK komme nicht in Betracht. Zwar könne der Schutz des Privat- und Familienlebens gemäß Art. 8 EMRK ein Ausreisehindernis im Sinne des § 25 Abs. 5 AufenthG darstellen, doch sei zu berücksichtigen, dass der inzwischen volljährige Kläger auf die Unterstützung seiner Familie nicht mehr angewiesen sei. Insofern könnten die bisher geltend gemachten Ausreisegründe, nämlich die psychische Erkrankung der Lebensgefährtin des Vaters des Klägers von dem Kläger nicht mehr geltend gemacht werden. Im Übrigen habe sich der Kläger nicht so stark in die Bundesrepublik Deutschland integriert, dass ihm eine dauerhafte Ausreise nicht mehr zumutbar wäre. Zwar halte sich der Kläger seit nunmehr 11 1/2 Jahren in der Bundesrepublik Deutschland auf und könne sich mündlich in der deutschen Sprache problemlos verständigen, allerdings sei zu berücksichtigen, dass der Kläger während der ganzen Zeit seines Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland lediglich geduldet aufgehalten habe und der Aufenthalt in keinem Zeitpunkt rechtmäßig gewesen sei. Nach der illegalen Einreise sei eine Abschiebung im Hinblick auf die Situation in der Heimat zunächst nicht möglich gewesen. Die Aufforderung zum Verlassen der Bundesrepublik Deutschland sei zunächst mit einem Rechtsmittel angegriffen worden, dann sei aber erklärt worden, dass man freiwillig ausreisen wolle. Anschließend sei jedoch ein Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigte gestellt worden. Nachdem dieser Antrag erfolglos geblieben sei, sei eine Petition gestellt worden, was wiederum eine Aufenthaltsbeendigung verhindert habe. Nach Ablehnung der Petition sei ein Härtefallantrag gestellt worden, so dass hierdurch auch weiterhin eine Rückführung in die Heimat nicht möglich gewesen sei. Der Kläger habe sich zwar in gewissem Maß in die Bundesrepublik Deutschland integriert, denn er habe die Schule absolviert und eine Ausbildung begonnen. Das Ausbildungsverhältnis habe er jedoch beendet und anschließend nicht versucht eine andere Arbeitsstelle zu finden. Inzwischen sei der Kläger seit 7 Monaten arbeitslos. Gegen die Integration spreche überdies, dass der Kläger wiederholt gegen geltendes Recht verstoßen habe. Die Häufigkeit und Intensität der Rechtsverstöße spreche gegen eine erfolgte Integration. Auch eine Reintegration des Klägers sei möglich, da er die ersten 6 1/2 Jahre seines Lebens in seiner Heimat verbracht habe und über ausreichende Sprachkenntnisse verfüge.

Der Kläger hat am 21.06.2007 Klage erhoben, mit der er Aufhebung der Verfügung der Beklagten vom 16.05.2007 und die Verpflichtung der Beklagten begehrt, ihm eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 23 Abs. 1 AufenthG, hilfsweise eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu erteilen.

Zur Begründung führt der Kläger aus, dass der Ausschlussgrund der Ziff. 4.3 der Bleiberechtsregelung nicht greife, da der Kläger weder ausgewiesen noch wegen einer Straftat verurteilt worden sei. Auf das Vorliegen von Ausweisungsgründen im Sinne des § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG könne sich die Behörde jedoch nicht berufen, da bezüglich strafrechtlicher Auffälligkeiten die Regelung in Ziff. 4.4 des Erlasses abschließend sei.

Der Kläger beantragt,

die Verfügung des Beklagten vom 16.05.2007 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 23 Abs. 1 AufenthG zu erteilen,hilfsweise,den Beklagten zu verpflichten, über einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 25 Abs. 5 AufenthG nach pflichtgemäßen Ermessen unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichtes zu entscheiden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er vertritt weiterhin die Auffassung, der Kläger habe keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aufgrund der Bleiberechtsregelung. Es liege der Ausschlussgrund gemäß der Ziff. 4.3 der Bleiberechtsregelung vor. Ziff. 4.4 der Bleiberechtsregelung stelle kein lex spezialis zu § 55 Abs. 2 Ziff. 2 AufenthG dar. Die Regelung des § 55 Abs. 2 Ziff. 2 AufenthG sei i.V.m. Ziff. 4.3 der Bleiberechtsregelung anwendbar. Hätte das Ministerium des Innern und für Sport § 55 Abs. 2 Ziff. 2 AufenthG aufgrund von Ziff. 4.4. der Bleiberechtsregelung ausschließen wollen, hätte es dies auf genauso einfachem Wege wie für die Ziffern 6 und 7 des § 55 Abs. 2 AufenthG regeln können. Da er dies für § 55 Abs. 2 Ziff. 2 AufenthG gerade nicht ausgeschlossen habe, sei die Anwendbarkeit gegeben. Das Hessische Ministerium des Innern und für Sport habe dies mit Erlass vom 23.05.2007 an die Prozessbevollmächtigte des Klägers bestätigt. Dort werde ausgeführt, dass aus dem Wortlaut der Ziff. 4.3 der Erlassregelung zweifelsfrei hervorgehe, das Personen, bei denen Ausweisungsgründe vorliegen, von der Anwendung der Bleiberechtsregelung ausgeschlossen seien. Der Kläger sei mehrfach strafrechtlich in Erscheinung getreten und erfülle damit zweifelsohne den Ausweisungstatbestand des § 55 Abs. 2 Ziff. 2 AufenthG. Eine Verurteilung oder sonstige Ahndung insbesondere eine Bestrafung eines Rechtsverstoßes sei bei § 55 Abs. 2 Ziff. 2 AufenthG nicht erforderlich. Überdies sei zu berücksichtigen, dass der Ausgang von zwei weiteren Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wegen gefährlicher Körperverletzung und Diebstahls in einem besonders schweren Fall nicht bekannt seien.

Über den am 07.11.2007 gestellten Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 104 a AufenthG sei noch nicht entschieden worden. Eine Aufenthaltserlaubnis nach dieser Vorschrift könne aber auch nicht in Aussicht gestellt werden. Als Anspruchsgrundlage komme allein § 104 Abs. 2 S. 1 AufenthG in Betracht. Für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 104 Abs. 2 S: 1 AufenthG müssten neben den speziellen Erteilungsvoraussetzungen auch die allgemeine Erteilungsvoraussetzungen vorliegen. Da Ausweisungsgründe gegeben seien, sei insoweit die allgemeine Erteilungsvoraussetzung gemäß § 5 Abs. 1 Ziff. 2 AufenthG nicht erfüllt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den Inhalt der vorgelegten Behördenvorgänge (2 Bände) Bezug genommen.

Gründe

Die Klage ist als Verpflichtungsklage statthaft und auch im Übrigen zulässig. Die Klage ist jedoch nicht begründet. Die Verfügung des Beklagten vom 16.05.2007 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 23 Abs. 1 i.V.m. dem Erlass des Hessischen Minister des Innern vom 28.11.2006 noch aus § 25 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 8 EMRK.

Nach § 23 Abs. 1 AufenthG kann die oberste Landesbehörde aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass Ausländern aus bestimmten Staaten oder in sonstiger Weise bestimmten Ausländergruppen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. Mit Erlass vom 28.11.2006 ordnete das Hessische Ministerium des Innern und für Sport nach § 23 Abs. 1 im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern eine Bleiberechtsregelung zugunsten Ausreisepflichtiger ausländischer Staatsangehöriger, die faktisch wirtschaftlich und sozial integriert sind, an. Danach kann Ausländern mit schulpflichtigen Kindern, die zum Zeitpunkt der Innenministerkonferenz vom 17.11.2006 seit 6 Jahren in Deutschland leben, unter bestimmten Voraussetzungen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn keine Ausschlussgründe vorliegen. In der Person des Klägers ist der Ausschlussgrund der Ziff. 4.3 des Erlasses des Hessischen Ministerium des Innern und für Sport vom 28.11.2006 gegeben. Nach Ziff. 4.3 sind von der Bleiberechtsregelung ausgeschlossen Personen, bei denen Ausweisungsgründe nach §§ 53, 54, 55 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 - 5 und 8 AufenthG vorliegen. Bei dem Kläger liegen Ausweisungsgründe im Sinne von § 55 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 AuslG vor. Ein Ausweisungsgrund liegt nach § 55 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG vor, wenn der Ausländer einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften begangen hat. Es kommt dabei nur darauf an, dass der Ausweisungsgrund tatbestandlich vorliegt. Es ist demgegenüber nicht erforderlich, dass die Rechtsfolge eintritt, der Ausländer also auch ermessensfehlerfrei ausgewiesen werden könnte. Strafgerichtliche Verurteilungen insbesondere bei Vorsatztaten sind grundsätzlich nicht geringfügig. Vorliegend ist der Kläger im Zeitraum von 2002 bis 2007 in insgesamt 16 Fällen polizeilich in Erscheinung getreten. Vom Amtsgericht Idstein wurde er wegen Körperverletzung ermahnt und ihm wurden 20 Stunden gemeinnützige Arbeit auferlegt. Durch Urteil des Amtsgerichts Königstein vom 06.07.2005 wurde er erneut verwarnt und ihm wurden 70 Stunden gemeinnützige Arbeit auferlegt. Grund war ein Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz und falsche Anschuldigungen. Wegen Raubes wurden ihm im Jahre 2006 vom Amtsgericht Frankfurt 20 Stunden gemeinnützige Arbeit und 250,- € Geldbuße auferlegt. Durch Urteil des Amtsgerichts Königstein vom 18.07.2007 wurde er wegen gefährlicher Körperverletzung nochmals ermahnt und ihm wurden 60 Stunden gemeinnützige Arbeit auferlegt.

Diese gehäuften Verstöße des Klägers gegen Strafvorschriften der Bundesrepublik Deutschland stellen nicht lediglich einen geringfügigen Verstoß gegen die Rechtsordnung dar. Der Kläger hat damit den Ausweisungstatbestand es §§ 55 Abs. 1, 55 Abs. 2 Nr. 2 AuslG erfüllt. Der Rückgriff auf Ziff. 4.3 ist dem Beklagten entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht durch Ziff. 4.4 der Bleiberechtsregelung verwehrt. Ziff. 4.4 der Bleiberechtsregelung steht neben Ziff. 4.3 und erfasst speziell die Fälle, in denen die jeweiligen Antragsteller wegen einer im Bundesgebiet begangenen vorsätzlichen Straftat verurteilt wurden, wobei Geldstrafen von bis zu 50 Tagessätzen grundsätzlich außer Betracht bleiben. Eine vergleichbare Vorschrift für Maßnahmen nach dem JGG fehlt, so dass insoweit auf Ziff. 4.3 der Bleiberechtsregelung zurückgegriffen werden kann. Dieses Verständnis entspricht auch der Auslegungspraxis des Hessischen Ministerium des Innern und für Sport, wie sich aus der zu dem vorliegenden Fall abgegebenen Stellungnahme des Hessischen Ministerium des Innern und für Sport gegenüber der Bevollmächtigten des Klägers vom 23.05.2007 ergibt. Anhaltspunkte für eine andere Verwaltungspraxis des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport, die über Art. 3 Abs. 1 GG auch zu einer Bindung im vorliegenden Falle führen könnte, hat das Gericht nicht. Der von der Klägerin in Bezug genommene Vermerk über eine Dienstbesprechung stammt offensichtlich nicht aus einem offiziellen Protokoll des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport und stünde im Übrigen auch im Widerspruch zu dem eindeutigen Inhalt des Schreibens des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport vom 23.05.2007.

Dem Kläger steht aber auch aus § 25 Abs. 5 i.V.m. Art. 8 EMRK kein Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu. Nach § 25 Abs. 5 AufenthG kann einem Ausländer, der vollziehbar ausreisepflichtig ist, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit einem Wegfall des Ausreisehindernisses in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Die Ausreise des Klägers ist weder aus rechtlichen noch aus tatsächlichen Gründen unmöglich. Eine rechtliche Unmöglichkeit resultiert insbesondere nicht aus § 25 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Art. 8 EMRK. Diese Norm gewährt keinen unmittelbaren Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels, sondern verlangt lediglich, dass auf der Tatbestandsseite bei der Auslegung offener Rechtsbegriffe bzw. auf der Rechtsfolgenseite im Rahmen des Ermessens eine fehlerfreie Berücksichtigung der in der Norm erfassten Schutzgüter erfolgt.

Soweit Art. 8 Abs. 1 EMRK den Schutz des Familienlebens garantiert, scheidet eine Verletzung dieser Bestimmung von vornherein aus. Der Kläger ist inzwischen volljährig und ist aus dem Familienverband ausgeschieden. In solchen Fällen prüft der Europäische Menschenrechtsgerichtshof allein noch ob die jeweilige Maßnahme das von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützte Privatleben berührt (EGMR, Urt. v. 16.06.2005 InfAuslR 2005, 349 - Sisojeva). Nach Artikel 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privatlebens. Artikel 8 Abs. 2 EMRK regelt, dass der Eingriff einer Behörde in die Ausübung dieses Rechtes nur unter bestimmten Bedingungen statthaft ist. Die EMRK und damit auch die Garantien des Art. 8 Abs. 1 EMRK beinhalten aber nicht das Recht eines Ausländers, in einen bestimmten Staat einzureisen oder sich dort aufzuhalten (vgl. Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 16.09.2004 (Dhiban/Deutschland) NVwZ 2005 S. 1046; Entscheidung vom 16.06.2005 (Sisojeva/Lettland) a.a.O.). Über die Einreise den Aufenthalt und die Abschiebung fremder Staatsangehöriger zu entscheiden ist nach allgemein anerkannten völkerrechtlichen Grundsätzen vielmehr das Recht der Vertragsstaaten. Aufenthaltsrechtliche Entscheidungen eines Vertragsstaates greifen demgemäß nicht regelmäßig sondern nur ausnahmsweise bei Hinzutreten bestimmter Umstände in das Recht auf Achtung des Privatlebens ein (Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 07.10.2004 (Tragan/Deutschland) NVwZ 2005, S. 1043). Der so ausgeformte Anspruch auf Achtung des Privatlebens ist bei Auslegung des offenen Rechtsbegriffs der Unmöglichkeit der Ausreise aus rechtlichen Gründen entsprechend zu berücksichtigen.

Die in § 25 Abs. 5 S. 1 AufenthG vorausgesetzte Unmöglichkeit der Ausreise aus rechtlichen Gründen kann daher nach Auffassung des erkennenden Gerichtes erst dann angenommen werden, wenn der Ablehnung der begehrten Aufenthaltserlaubnis Eingriffsqualität im Hinblick auf Art. 8 Abs. 1 EMRK zukommt. Insoweit ist allerdings anerkannt, dass die mit einem längeren Aufenthalt regelmäßig einhergehende Gewöhnung an die Verhältnisse im Aufenthaltsstaat für sich genommen nicht dazu führt, in einem den weiteren Verbleib verneinenden Entscheidung einen Eingriff zu sehen (vgl. HessVGH Beschl. 7 TG 106/06; VGH Baden Württemberg, Beschl. v. 02.11.2005, Az.: 1 S 3023/04 InfAuslR 2006, S. 70 m.w.N.).

Von einem Eingriff in diesem Sinn kann vielmehr erst dann ausgegangen werden, wenn der in einer ablehnenden Entscheidung über eine begehrte Aufenthaltserlaubnis liegenden Verweis das Privatleben nunmehr im Heimatland zu führen, vor dem Hintergrund der begrenzenden Funktion des Ausländerrechtes schlechthin unerträglich wäre. Bei der Beurteilung der rechtlichen Unmöglichkeit der Ausreise auf Tatbestandsebene reicht es hingegen nicht aus bloße, am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierte Zumutbarkeitsüberlegungen durchzuführen. § 25 Abs. 5 AufenthG stellt nicht auf den Maßstab der Zumutbarkeit ab. Nach seinem Wortlaut spricht diese Norm ausdrücklich von Unmöglichkeit und nicht von Unzumutbarkeit. Nichts anderes folgt aus einer systematischen Auslegung der Norm. Während der Gesetzgeber in § 25 Abs. 3 S. 2 AufenthG die Frage der Zumutbarkeit anspricht, ist dies in § 25 Abs. 5 AufenthG gerade nicht der Fall (vgl. auch Urteil des Niedersächsischen OVG vom 29.11.2005 Az.: 10 LB 84/05 wonach sich aus den Gesetzesmaterialien nichts für einen gesetzgeberischen Willen zur Einführung eines eigenständigen Tatbestandsmerkmals der Zumutbarkeit ergeben). Auch der Anspruch auf Achtung des Privatlebens kann sich somit zu einer Unmöglichkeit der Ausreise aus rechtlichen Gründen nur dann verdichten, wenn das Privatleben faktisch nur mehr im Aufenthaltsstaat als Vertragsstaat der EMRK geführt werden kann oder mit anderen Worten es schlechthin unerträglich wäre, den Betroffenen darauf zu verweisen, dass er nunmehr sein Privatleben wiederum in seinem früheren Heimatland führen muss. Allein der Umstand, dass der Kläger im Alter von etwa 6 Jahren in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist, hier aufgewachsen und zur Schule gegangen ist, lässt noch nicht den Schluss auf ein Aufenthaltsrecht zu. Im Hinblick auf Art. 8 Abs. 1 EMRK ist anerkannt, dass die Versagung des Aufenthalts nur dann einen Eingriff darstellen kann, wenn der betroffene Ausländer eine entsprechende aufenthaltsrechtliche Verankerung aufweist (vgl. BVerwG, Urt. v. 03.06.1997, NVwZ 1998, S. 189 f.). Diese Voraussetzung ist aber in den Fällen einer bloßen Duldung grundsätzlich nicht erfüllt. Eine Duldung gewährt nämlich keinen legalen ordnungsgemäßen Aufenthalt, sondern schützt den Ausländer lediglich vorübergehend vor einer sonst rechtlich zwingend gebotenen Abschiebung und lässt seine Ausreisepflicht unberührt (§ 55 Abs. 1, § 56 Abs. 1 AuslG 1990 bzw. § 60 a Abs. 1 - 3 AufenthG). Sie führt nicht zur Erlangung eines aufenthaltsrechtlichen Status, der berechtigterweise die Erwartung hervorrufen kann in Deutschland bleiben zu dürfen. Hinzu kommt, dass ungeachtet der rechtlichen Verfestigung des Aufenthalts des Klägers auch seine Integrationsleistung nicht derart nachhaltig ist, dass es schlechthin unerträglich wäre, den Kläger darauf zu verweisen, nunmehr sein Privatleben in seinem früheren Heimatland zu führen. Der Kläger lebt zwar seit seinem 6. Lebensjahr in der Bundesrepublik Deutschland, hat hier die Schule bis zum Hauptschulabschluss absolviert und anschließend eine Lehre angefangen, die er nach 1 1/2 Jahren aus Gesundheitsgründen abgebrochen hat. Er ist seitdem arbeitslos und derzeit nicht in die wirtschaftlichen Verhältnisse der Bundesrepublik Deutschland integriert. Wie die zahlreichen Straffälligkeiten des Klägers aus dem Zeitraum seit 2002 belegen, ist der Kläger nicht bereit und willens die Normen der Bundesrepublik Deutschland zu respektieren und ist damit auch sozial und gesellschaftlich nicht integriert. Da der Kläger darüber hinaus die ersten 6 Jahre seines Lebens in seiner Heimat verbracht hat, die Sprache spricht und auch eine seiner Schwestern in der Heimat lebt, kann der Kläger darauf verwiesen werden sein Privatleben wiederum in seiner früheren Heimat zu führen. Selbst wenn man zugunsten des Klägers davon ausginge, dass die sozialen Bindungen des Klägers wegen seines langjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet und wegen der im Ansatz vorhandenen Integrationsleistungen nach Art. 8 Abs. 1 EMRK schutzfähig wäre, wäre der Eingriff nach Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt.

Nach Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung eines Rechtes nach Abs. 1 nur statthaft, soweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in eine demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentlich Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist. Der Eingriff muss eine in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Maßnahme darstellen, die durch ein dringendes soziales Bedürfnis gerechtfertigt und mit Blick auf das verfolgte legitime Ziel auch im engeren Sinne verhältnismäßig ist. Die in die Verhältnismäßigkeitsprüfung einzustellenden Belange sind zu ermitteln und zu gewichten. Die öffentlichen Belange namentlich der in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannte Belang der öffentlichen Ordnung zu dem das Interesse an einer wirksamen Einwanderungskontrolle gehört sind im Rahmen der Abwägung in Bezug zu den privaten Interessen des Ausländers zu setzen. Dabei muss ein ausgewogenes Gleichgewicht der beiderseitigen Interessen gewahrt sein. Diese Abwägung fällt zu Lasten des Klägers aus. Wie bereits dargelegt ist der Kläger weder wirtschaftlich noch rechtlich in die Bundesrepublik Deutschland integriert. Im Hinblick hierauf hat das Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen Einwanderungskontrolle ein überwiegendes Gewicht. Dass dem Kläger ein Leben im Staat seiner Staatsangehörigkeit nicht zugemutet werden könnte, ist nicht feststellbar. Der Kläger besitzt die serbische Staatsangehörigkeit. Er kann nach Serbien zurückkehren. Angesichts seines Alters ist es auch zumutbar, sich dort eine neue Existenzgrundlage aufzubauen.

Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen, da er unterlegen ist (§ 154 Abs. 1 VwGO).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Berufung ist nicht zuzulassen, da die rechtlichen Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen.






VG Frankfurt am Main:
Urteil v. 14.01.2008
Az: 1 E 1781/07


Link zum Urteil:
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