Landgericht Berlin:
Urteil vom 20. September 2011
Aktenzeichen: 16 O 134/11

(LG Berlin: Urteil v. 20.09.2011, Az.: 16 O 134/11)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, diese zu vollziehen an einem ihrer Vorstandsmitglieder,

zu unterlassen,

Zitate aus dem Interview der Klägerin in dem "tv magazin", der Beilage der Zeitschrift "Stern" vom 05.01.2011 (Nr. 2) wie folgt zu vervielfältigen und/oder zu verbreiten und/oder vervielfältigen und/oder verbreiten zu lassen:

... geschehen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist wegen des Tenors zu 1. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 25.000,- € und im Übrigen gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin, eine Schauspielerin, gab ein Interview, das in der im Tenor bezeichneten Publikation der Gruner + Jahr AG & Co. KG abgedruckt wurde. Daraufhin erschien in der von der Beklagten verlegten "BILD" ein Artikel, der die im Tenor wiedergegebenen Teile des Interviews enthielt.

Die Klägerin sieht sich in ihrem Urheber- und Urheberpersönlichkeitsrecht verletzt. Sie beantragt,

was erkannt ist.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, dass es sich bei den in Rede stehenden Interviewpassagen nicht um eine urheberrechtlich geschützte Rechtsposition handele. Allenfalls sei nicht die Klägerin, sondern die Journalistin, die die Fragen gestellt habe, Inhaberin dieses Rechtes. Die Klägerin sei aber auch deshalb nicht aktivlegitimiert, weil sie - so behauptet die Beklagte - dem "Stern" ein ausschließliches Nutzungsrecht eingeräumt habe. Schließlich könne sie, die Beklagte, sich auf das Zitatrecht (§ 51 UrhG) berufen.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein Unterlassungsanspruch gemäß §§ 97 Abs. 1, 14, 16 Abs. 1, 17 Abs. 1 UrhG zu.

1. Bei den streitgegenständlichen Teilen des Interviews der Klägerin handelt es sich um ein gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG geschütztes Sprachwerk.

Die nach § 2 Abs. 2 UrhG erforderliche Schöpfungshöhe setzt einen hinreichenden Grad an Individualität voraus. Sprachliche Mitteilungen sind geschützt, wenn sie entweder ihrer Darstellungsform nach oder wegen ihres Inhaltes eine persönliche geistige Schöpfung beinhalten; nach der Rechtsprechung führt also eine durch die individuelle Gedankenführung geprägte sprachliche Gestaltung ebenso zum Urheberrechtsschutz wie eine individuelle Auswahl oder Darstellung des Inhalts. Auch im Bereich von Sprachwerken ist allerdings bereits die so genannte kleine Münze geschützt, also Druckerzeugnisse des täglichen Lebens, sofern sie einen gewissen Grad von Individualität aufweisen (Bullinger in Wandtke/Bullinger, Urheberrecht, 3. Auflage 2009, § 2 Rn 48 mwN).

Das trifft hier zu, da das Interview sowohl einen darstellerischen als auch einen inhaltlichen Spielraum bietet, von dem die Klägerin hinlänglich Gebrauch gemacht hat. Zu Recht weist sie darauf hin, dass sie auf die vorsichtige Frage nach ihrem Verhältnis zu freizügigen Liebesszenen - für die heutigen Gepflogenheiten durchaus unüblich - offen und platt reagiert, in ihrer nächsten Aussage dann aber differenziert die von ihr gespielte Frau beschreibt und mit einer knappen und lakonischen Schilderung der Diskussion um die Freigabe des Fotos schließt. Es schadet nicht, dass die einleitende Frage selbst nicht Gegenstand des Verbotstenors ist, da auch die hiermit vorliegende Begründung zu dessen Auslegung heranzuziehen ist.

Entgegen der Ansicht der Beklagten sind die einzelnen Passagen des Interviews auch nicht isoliert zu betrachten. Dies wäre nur dann geboten, wenn es der Klägerin um den selbständigen Schutz einzelner Äußerungen aus dem Interview ginge; hier greift sie aber den gesamten Bericht an. Wenn die Beklagte gegen die Schutzfähigkeit ferner geltend macht, die - zumal in wenigen Sätzen gehaltenen - Antworten der Klägerin seien durch die Fragen geprägt gewesen, auch habe sie nur tatsächliche Ereignisse geschildert, so greift dies ebenfalls nicht durch. Zwar führt etwa Schulze (in Dreier/Schulze, UrhG, 3. Aufl.,§ 83 Rn. 83) wie folgt aus:

"Für die Schutzfähigkeit eines Sprachwerks kommt es sowohl auf seine Art als auch auf seinen Umfang an. Ist der Stoff des Sprachwerks frei erfunden, so erlangtes eher Urheberrechtsschutz als solche Texte, bei denen der Stoff durch organisatorische Zwecke oder wissenschaftliche und andere Themen vorgegeben ist; denn dort fehlt der im fraglichen wissenschaftlichen oder sonstigen Fachbereich üblichen Ausdrucksweise vielfach die urheberrechtsschutzfähige eigenschöpferische Prägung (BGH GRUR 1984, 659, 661 - Ausschreibungsunterlagen). Hier kann wiederum die Länge des Textes eine Rolle spielen. Je länger ein Text ist, desto größer ist der ihm zu Grunde liegende Spielraum für eine individuelle Wortwahl und Gedankenführung. Ein mehrere Seiten umfassender Text ist deshalb eher schutzfähig als ein Werbeslogan oder eine kurze Erklärung. Dies ist auch bei der Schutzfähigkeit von Teilen eines Sprachwerks zu beachten. Die einzelnen Worte und Zeichen genießen grundsätzlich keinen Urheberrechtsschutz (vgl. LG Mannheim ZUM 1999, 659, 660 - Heidelbär, Urheberrechtschutz wurde für das Werbewort "Heidelbär" verneint). Je kürzer die jeweilige Formulierung ist, desto mehr muss sie sich durch eine fantasievolle Wortwahl oder Gedankenführung von üblichen Formulierungen abheben (vgl. OLG Hamburg Schulze OLGZ 229, welches den Urheberrechtsschutz von Textteilen aus Kochrezepten und Bedienungsanleitungen im konkreten Fall verneinte)."

In ihren streitgegenständlichen Antworten schildert die Klägerin zwar auch tatsächliche Ereignisse, bringt aber vor allem ihre innere Einstellung zu diesen zum Ausdruck. Es kann auch keine Rede davon sein, dass es sich vorliegend - wie in den Entscheidungen, auf die sich die Beklagten beruft - nur um einzelne Sätze handelt, da die übernommenen Aussagen der Klägerin sich über immerhin neun Sätze erstrecken.

2. Die Klägerin ist auch aktivlegitimiert.

Entgegen der Ansicht der Beklagten schuf nicht allein die das interview führende Journalistin das nach Vorstehendem geschützte Werk. Vielmehr ist die Klägerin jedenfalls Miturheberin (§ 8 Abs. 2 S.1 UrhG). Aus der Entscheidung "Quizmaster" des BGH (GRUR 1981, 419, 420) folgt nichts anderes, da es dort allein um die urheberrechtliche Schutzfähigkeit von Fragen in Interviews ging, was aber nicht ausschließt, dass auch Antworten derartigen Schutz geniessen.

Auf die Frage, ob die Klägerin dem "Stern" ein ausschließliches Nutzungsrecht an dem Interview eingeräumt hatte, kommt es vorliegend nicht an. Denn auch ein ausschließliches Nutzungsrecht schließt die Aktivlegitimation der Klägerin jedenfalls dann nicht aus, wenn sie ein eigenes schutzwürdiges Interesse ideeller Natur hat (BGH GRUR 1957, 614, 615 - Ferien vom Ich; vgl. ferner etwa v. Wolff in Wandtke/Bullinger aaO § 97 Rn 7). Ein solches Interesse ist hier in der Verletzung des Urheberpersönlichkeitsrechts der Klägerin aus § 14 UrhG zu sehen: Durch die Verwendung nur einzelner Passagen des Interviews wurde entstellend der Eindruck erweckt, bei dem Interview sei es überwiegend um Nacktszenen sowie die Brüste der Klägerin gegangen. Tatsächlich spielte dies für das Interview jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Die Beklagte meint zwar, dass eine Entstellung auszuschließen wäre, wenn das Publikum diese Verfremdung hätte erkennen können. Dass dies tatsächlich zutrifft, behauptet die Beklagte aber nicht einmal und ist auch nicht ersichtlich; eine solche Behauptung ergibt sich auch nicht etwa aus dem Verweis der Beklagten darauf, dass zu erkennen gewesen sei, dass es sich um eine gekürzte Wiedergabe handele.

3. Indem die Beklagte Teile des Interviews in der von ihr verlegten Zeitung "BILD" veröffentlichte, griff sie in das Vervielfältigungs- und Verbreitungsrecht der Klägerin, §§ 16 Abs. 1, 17 Abs. 1 UrhG, ein.

4. Diese Nutzung ist auch nicht nach § 51 UrhG erlaubt.

Diese urheberrechtliche Schrankenregelung dient dem Ziel, die geistige Auseinandersetzung mit fremden Gedanken bzw. schöpferischen Leistungen zu erleichtern (BGH, Urteil vom 07.04.2011 - I ZR 56/09 - ICE, Rn 45 mwN). Für den Zitatzweck ist allerdings erforderlich, dass eine innere Verbindung zwischen den verwendeten fremden Werken oder Werkteilen und den eigenen Gedanken des Zitierenden hergestellt wird; Zitate sollen als Belegstelle oder Erörterungsgrundlage für selbstständige Ausführungen des Zitierenden der Erleichterung der geistigen Auseinandersetzung dienen (BGH, GRUR 2010,628 Rn. 26 - Vorschaubilder, mwN). So liegt es hier aber nicht. Dies wird bereits dadurch deutlich, dass die zitierten Stellen einen Großteil des Beitrages ausmachen. Zudem beschränkt sich der begleitende Text inhaltlich auf allgemeine Informationen über die Klägerin sowie auf die bloße Wiedergabe des Zitierten. Dass sie eigene Ausführungen in einer geistigen Auseinandersetzung gemacht hätte, behauptet die Beklagte ebenfalls nicht und ist ebenfalls nicht ersichtlich.

Im Übrigen müsste es sich bei dem zitierenden Werk selbst um ein urheberrechtlich geschütztes Werk gemäß §§ 1, 2 Abs. 1 und 2 UrhG handeln (Dreier in Dreier/Schulze aaO § 51 UrhG Rn. 6). Dies setzt die Unabhängigkeit des zitierenden Werkes von den Zitatstellen voraus. Eine bloße Zusammenstellung einzelner Zitate ohne erkennbare eigene Leistung, wie hier geschehen, erfüllt diese Anforderung indes nicht.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO.






LG Berlin:
Urteil v. 20.09.2011
Az: 16 O 134/11


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