Bundesgerichtshof:
Urteil vom 16. Dezember 2010
Aktenzeichen: Xa ZR 66/10

(BGH: Urteil v. 16.12.2010, Az.: Xa ZR 66/10)

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das am 25. März 2010 verkündete Urteil des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf insoweit aufgehoben, als die Berufung gegen die Abweisung der Klage auf Zahlung von 1.500.000 € nebst Zinsen zurückgewiesen worden ist.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Von Rechts wegen.

Tatbestand

Die Klägerin verlangt von der Beklagten Ersatz des Schadens, der ihr nach ihrer Behauptung durch eine Maßnahme zur Abwendung der Vollstreckung aus einem später aufgehobenen vorläufig vollstreckbaren Urteil entstanden ist.

Im Vorprozess hatte die Beklagte die dortigen Beklagten wegen Verletzung des "steroidbeladene Körner" betreffenden europäischen Patents 657 161 auf Unterlassung, Rechnungslegung und Feststellung der Schadensersatzpflicht in Anspruch genommen; das Landgericht Düsseldorf hatte diesem Begehren durch gegen Sicherheitsleistung für vorläufig vollstreckbar erklärtes Urteil vom 4. März 2003 entsprochen. Während des nachfolgenden Berufungsverfahrens wurde das Klagepatent im Einspruchsbeschwerdeverfahren vor dem Europäischen Patentamt am 26. Juli 2005 widerrufen. Die Beklagte verzichtete daraufhin im Vorprozess auf die geltend gemachten Ansprüche. Durch Verzichtsurteil vom 29. September 2005 wies das Oberlandesgericht Düsseldorf die Klage der Beklagten ab.

Nach Verkündung des landgerichtlichen Urteils am 4. März 2003 erklärte die Beklagte wiederholt, kurzfristig die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil einleiten zu wollen. Mit Anwaltsschreiben vom 3. Juli 2003 übersandte die Beklagte der Klägerin eine Bürgschaftsurkunde über die im landgerichtlichen Urteil festgesetzte Sicherheitsleistung und teilte mit, dass sie sich entschlossen habe, die Zwangsvollstreckung zu betreiben, jedoch gleichwohl bestehende Vergleichsmöglichkeiten ausschöpfen wolle. Deshalb vollstrecke sie nur aus der Verurteilung zur Rechnungslegung. Für den Fall, dass es bis zum 18. Juli 2003 nicht zu einer Einigung komme, werde sie auch die Vollstreckung hinsichtlich des Unterlassungstenors durchführen. Dies werde durch gesonderte Nachricht geschehen.

Parallel hierzu verhandelte die Klägerin mit der G. R. Ltd. in B. (nachfolgend: G. R. ) über das Recht, deren Knowhow zur Herstellung von Arzneimitteln zu nutzen. Die Verhandlungen führten zu einer Vereinbarung, die auf den 30. Juni 2003 (Unterschrift von G. R. ) und 10. Juli 2003 (Unterschrift der Klägerin) datiert ist und rückwirkend zum 1. Januar 2003 in Kraft trat. Darin wurde für den Fall, dass es nicht zu einem Vergleichsschluss mit der Beklagten kommen sollte, die Zahlung einer Pauschalsumme in Höhe von 1.500.000 € sowie umsatzabhängiger Lizenzzahlungen, anderenfalls die Zahlung einer Pauschalsumme zwischen 500.000 € und 1.500.000 € vereinbart.

In der Folgezeit korrespondierten die Parteien weiter hinsichtlich des Umfangs der Rechnungslegung. Mit Anwaltsschreiben vom 20. Dezember 2004 kündigte die Beklagte an, falls ihr nicht bis zum 15. Januar 2005 die ergänzenden Informationen zur Rechnungslegung vorlägen, werde sie einen im Entwurf beigefügten Antrag auf Zwangsgeld stellen, was jedoch nicht geschah. Die Beklagte hat auch in der Folgezeit weder die Festsetzung von Zwangsmitteln noch die Verhängung von Ordnungsmitteln beantragt.

Nachdem die Klage des Vorprozesses endgültig abgewiesen worden war, forderten die Klägerin und die weitere frühere Beklagte die Beklagte erfolglos zur Leistung von Schadensersatz auf.

Die Klägerin hat geltend gemacht, sie habe die Vereinbarung mit G. R. geschlossen und die Zahlung geleistet, um ihre Erzeugnisse nach einem Verfahren herstellen zu können, das das Klagepatent nicht verletze und vom Unterlassungstenor des landgerichtlichen Urteils nicht erfasst werde, und damit die drohende Zwangsvollstreckung durch die Beklagte abzuwenden. Die Beklagte hat die Meinung vertreten, dass sie nicht zum Schadensersatz verpflichtet sei, da eine Vollstreckung des Unterlassungstenors zu keinem Zeitpunkt gedroht habe. Jedenfalls sei die Zusatzvereinbarung mit G. R. zu einem Zeitpunkt abgeschlossen worden, als mit einer Vollstreckung noch nicht zu rechnen gewesen sei.

Das Landgericht hat die auf Zahlung der Lizenzgebühr in Höhe von 1.500.000 € und von Vollstreckungskosten in Höhe von 28.727,60 € gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin wurde zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom Berufungsgericht zugelassene Revision der Klägerin, der die Beklagte entgegentritt.

Gründe

Die zulässige Revision ist teilweise begründet und führt zur Aufhebung des Berufungsurteils insoweit, als die klageabweisende Entscheidung des Landgerichts hinsichtlich der verlangten Lizenzgebühr von 1.500.000 € nebst Zinsen bestätigt worden ist. Hinsichtlich der begehrten Vollstreckungsgebühren bleibt die Revision ohne Erfolg.

I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

Der Klägerin stehe ein Anspruch auf Erstattung einer an G. R. gezahlten Lizenzgebühr in Höhe von 1.500.000 € aus § 717 Abs. 2 ZPO nicht zu. Die Klägerin habe das Urteil des Landgerichts vom 4. März 2003 nicht vollstreckt, so dass ein Anspruch nach § 717 Abs. 2 Satz 1 1. Alt. ZPO ausscheide. Auch ein Anspruch nach § 717 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. ZPO komme nicht in Betracht. Voraussetzung für ihn sei, dass der Klägerin ein Schaden dadurch entstanden sei, dass sie zur Abwendung der Vollstreckung eine ihr auferlegte Leistung erbracht habe. Dies sei hier in Bezug auf den Unterlassungstenor des landgerichtlichen Urteils nicht feststellbar. Eine den Schadensersatzanspruch nach § 717 Abs. 2 ZPO auslösende Leistung zur Abwendung der Vollstreckung liege nur dann vor, wenn der Schuldner sich damit einem gegen ihn ausgeübten Vollstreckungsdruck beuge. Die Zwangsvollstreckung müsse ernsthaft und konkret drohen. Erfülle der Schuldner ein ihm durch Urteil auferlegtes Unterlassungsgebot, bevor der Gläubiger eine von ihm zu leistende Sicherheit erbracht habe, so leiste er regelmäßig nicht zur Abwendung der Vollstreckung im Sinne des § 717 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. ZPO. Grund dafür sei, dass ein Unterlassungstitel durch Verhängung der Ordnungsmittel des § 890 Abs. 1 und 2 ZPO durchgesetzt werde, wofür er unbedingt vollstreckbar sein müsse. Daran fehle es, solange die Sicherheitsleistung nicht erbracht und der Schuldner über die Erbringung der Sicherheitsleistung nicht in Kenntnis gesetzt sei. In einer solchen Situation sei der Schuldner einem Vollstreckungsdruck nicht ausgesetzt. Mit einer kurzfristigen Sicherheitsleistung müsse der Schuldner immer rechnen. Durch das Anwaltsschreiben der Beklagten vom 3. Juli 2003 sei zwar eine neue Situation eingetreten. Die Klägerin sei aber dennoch einem Vollstreckungsdruck nicht ausgesetzt gewesen, da die Beklagte angekündigt habe, vorläufig nur den Rechnungslegungsausspruch zu vollstrecken. Die Vollstreckung des Unterlassungstenors sei nur für den Fall angedroht worden, dass die Parteien bis 18. Juli 2003 einen Vergleich nicht abgeschlossen oder eine sonstige abweichende Abrede nicht getroffen hätten. Außerdem habe der Vollstreckung des Unterlassungstenors eine Nachricht an den Prozessvertreter der Klägerin vorausgehen sollen. Diese Voraussetzungen seien nicht erfüllt worden; eine Vollstreckung des Unterlassungstenors habe somit nicht konkret bevorgestanden. Es sei auch nicht verständlich, weshalb die Klägerin die Vereinbarung mit G. R. bereits am 10. Juli 2003 und damit vor dem Stichtag 18. Juli 2003 unterzeichnet habe. Nach alldem könne dahinstehen, ob der Abschluss der Zusatzvereinbarung mit G. R. sowie eine hierauf geleistete Zahlung oder eingegangene Zahlungsverpflichtung einen kausalen und zurechenbaren Vollstreckungsschaden darstellten.

Der Klägerin stehe gegen die Beklagte auch kein Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB unter dem Gesichtspunkt eines rechtswidrigen und schuldhaften Eingriffs in ihren eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb zu. Jemand, der ein staatliches, gesetzlich eingerichtetes und geregeltes Verfahren einleite oder betreibe, greife bei subjektiver Redlichkeit nicht rechtswidrig in ein geschütztes Rechtsgut seines Verfahrensgegners ein, auch wenn sein Begehren sachlich nicht gerechtfertigt sei und der anderen Partei aus dem Verfahren über dieses hinaus Nachteile erwüchsen. Für die Folgen einer fahrlässigen Fehleinschätzung der Rechtslage hafte der Rechtsschutz Suchende nicht außerhalb der schon im Verfahrensrecht vorgesehenen Sanktionen nach dem sachlichen Recht der unerlaubten Handlung. Das Gleiche müsse gelten, wenn der Gläubiger die Vollstreckung aus einem vorläufig vollstreckbaren Urteil nur androhe. Derartige Fälle solle § 717 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. ZPO gerade erfassen. Ein etwaiger Schaden des Schuldners beruhe auf der vorherigen gerichtlichen Inanspruchnahme, ohne die der Schutzrechtsinhaber nicht den vorläufig vollstreckbaren Titel erhalten hätte. Sei ein Schaden jedoch auf das gerichtliche Vorgehen des Schutzrechtsinhabers zurückzuführen, hafte dieser hierfür nur nach den Regeln der Prozessgesetze, also hier nach § 717 Abs. 2 ZPO. Lägen die Voraussetzungen dieser Norm nicht vor, weil es am erforderlichen Vollstreckungsdruck fehle, könne sich eine Fahrlässigkeitshaftung nicht aus § 823 Abs. 1 BGB ergeben. Eine andere Beurteilung sei nur gerechtfertigt, wenn - hier nicht ersichtliche - Umstände vorlägen, die das Verhalten des Gläubigers als unredlich oder sittenwidrig erscheinen ließen. Im Übrigen solle die Haftung für Eingriffe in den Gewerbebetrieb als "Auffangtatbestand" lediglich den gesetzlichen Schutz ergänzen und bestehende Haftungslücken ausfüllen, die hier nicht bestünden. Ein Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB scheitere zudem am fehlenden Verschulden der Beklagten.

Die Klägerin habe schließlich weder aus § 717 Abs. 2 Satz 1 ZPO noch aus § 823 Abs. 1 BGB einen Anspruch auf Erstattung der Rechtsanwaltskosten. Die Beklagte habe zwar von Anfang an mit der Vollstreckung des Rechnungslegungstenors gedroht. Konkret sei die Drohung aber erst mit dem Schreiben vom 3. Juli 2003 geworden, da auch die Zwangsvollstreckung nach § 888 ZPO erst drohe, wenn die Leistung der Sicherheit nachgewiesen sei. Die Entstehung der Vollstreckungsgebühr erfordere grundsätzlich nur, dass die anwaltliche Tätigkeit aus dem Bereich des Erkenntnisverfahrens und damit der Abgeltung durch die Prozessgebühr in das vorbereitende Stadium der Zwangsvollstreckung getreten sei. Hiervon ausgehend sei die Gebühr nach § 57 Abs. 1 BRAGO zu dem Zeitpunkt der Sicherheitsleistung schon verdient gewesen, denn die Beklagte habe die Klägerin bereits im April und Mai 2003 mit Anwaltsschreiben unter ausdrücklicher Androhung der Zwangsvollstreckung zur Rechnungslegung aufgefordert.

II. Diese Beurteilung hält der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in jeder Hinsicht stand.

1. Der Klägerin steht allerdings weder ein Schadensersatzanspruch unter dem Gesichtspunkt eines rechtswidrigen und schuldhaften Eingriffs in ihren eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb nach § 823 Abs. 1 BGB noch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB zu.

a) Wer ein staatliches, gesetzlich eingerichtetes und geregeltes Verfahren, insbesondere ein gerichtliches Verfahren, einleitet oder betreibt, greift bei subjektiver Redlichkeit nicht rechtswidrig in ein geschütztes Rechtsgut seines Verfahrensgegners ein, auch wenn sein Begehren sachlich nicht gerechtfertigt ist und dem anderen Teil über dieses Verfahren hinaus Nachteile erwachsen. Für die Folgen einer nur fahrlässigen Fehleinschätzung der Rechtslage haftet der ein solches Verfahren betreibende Schutzrechtsinhaber wie jeder andere Kläger oder Antragsteller außerhalb der im Verfahrensrecht vorgesehenen Sanktionen nach dem Recht der unerlaubten Handlung grundsätzlich nicht, da der Schutz des Prozessgegners regelmäßig durch das gerichtliche Verfahren nach Maßgabe seiner gesetzlichen Ausgestaltung gewährleistet wird. Wo dies allerdings nicht der Fall ist, muss es beim uneingeschränkten Rechtsgüterschutz verbleiben, den § 823 Abs. 1 und § 826 BGB gewähren (BGH, Beschluss vom 15. Juli 2005 - GSZ 1/04, BGHZ 164, 1 Rn. 21 = GRUR 2005, 882 - Unberechtigte Schutzrechtsverwarnung; Urteil vom 21. Dezember 2005 - X ZR 72/04, BGHZ 165, 311, 315 = GRUR 2006, 219 - Detektionseinrichtung II). Von dieser Rechtslage ist auch das Berufungsgericht ausgegangen; es hat, da auf Seiten der Beklagten allenfalls vor Fahrlässigkeit auszugehen sei, einen deliktischen Anspruch verneint.

b) Die Revision ist demgegenüber der Auffassung, dass die Beklagte aus § 823 Abs. 1 BGB und möglicherweise aus § 826 BGB hafte, da sie die Klägerin von Anfang an massiv unter Druck gesetzt habe, um einen "Vergleich" zu ihren "Bedingungen" zu erzwingen. Hierzu gehöre einerseits die ständig unter kurzen Fristen ausgesprochene und aufrechterhaltene Drohung, die Zwangsvollstreckung zu betreiben, andererseits die Vorgabe, hiervon nur dann abzusehen, wenn - ebenfalls kurzfristig - eine Einigung über den zu leistenden Schadensersatz erzielt werde. Das Berufungsgericht hat indessen keine Umstände festgestellt, die das Verhalten der Beklagten als unredlich oder sittenwidrig erscheinen ließen, etwa in dem Sinne, dass der Beklagten bei Androhung der Vollstreckung positiv bekannt gewesen sei, dass der titulierte Unterlassungsanspruch nicht bestehe oder dass sie sich den Titel in unredlicher sittenwidriger Weise verschafft habe. Auch die Würdigung, für ein unredliches oder sittenwidriges Verhalten sei nichts ersichtlich, ist deshalb rechtsfehlerfrei. Aber auch das Verhalten der Beklagten nach Erlass des vorläufig vollstreckbaren Urteils, auf das die Revision insbesondere abstellt, bietet keine Anhaltspunkte für ein vorsätzlich schädigendes Verhalten. Der Senat kann die rechtliche Würdigung dieses Verhaltens selbst vornehmen, da das Berufungsgericht die hierzu erforderlichen Feststellungen getroffen hat. Wenn der Gläubiger ein vorläufig vollstreckbares Urteil erstritten hat, ist er berechtigt, die Zwangsvollstreckung zu betreiben. Wie er die Zwangsvollstreckung - abgesehen von den gesetzlichen Erfordernissen - einleitet, bleibt ihm überlassen. Dazu kann die Ankündigung gegenüber dem Schuldner gehören, dass sich der Gläubiger die Vollstreckung vorbehalte, dass er darauf eingerichtet sei, die Sicherheitsleistung zu erbringen, dass er mit der Vollstreckung nicht vor einem bestimmten Termin beginnen werde oder dass er immer noch vergleichsbereit sei. Eine derartige Kommunikation mit dem Schuldner kann im günstigsten Falle die Zwangsvollstreckung abwenden, sie stellt kein vorsätzliches Unterdrucksetzen etwa im Sinne einer Nötigung dar, wie die Revision anklingen lässt. Wenn die Beklagte wiederholt auf die bevorstehende Vollstreckung hingewiesen und gleichzeitig immer wieder Vergleichsbereitschaft signalisiert hat, hat sie damit die Grundlage für eine eventuelle gütliche Einigung geschaffen. Ein unredliches Verhalten kann darin nicht gesehen werden.

2. Ein Schadensersatzanspruch der Klägerin nach § 717 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. ZPO kann demgegenüber nicht mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung verneint werden.

a) Nach dieser Vorschrift steht dem (früheren) Beklagten gegen den (früheren) Kläger ein Anspruch auf Ersatz des Schadens zu, der ihm durch eine zur Abwendung der Vollstreckung aus einem vorläufig vollsteckbaren Urteil erbrachte Leistung entstanden ist, wenn dieses Urteil aufgehoben oder abgeändert wird. Eine Leistung "zur Abwendung der Vollstreckung" im Sinn dieser Bestimmung setzt voraus, dass die Vollstreckung konkret droht. Dazu reicht nicht schon das Vorliegen eines Titels aus; der Gläubiger muss vielmehr deutlich gemacht haben, dass er zur Vollstreckung schreiten wird, wenn der Schuldner nicht leistet. Die vorläufige Vollstreckbarkeit dient innerhalb des Rechtsmittelsystems, das den Schuldner schützt, dem Interesse des Gläubigers. Die Haftung aus § 717 Abs. 2 ZPO soll demgegenüber die Nachteile des Schuldners ausgleichen, falls die vorläufige Vollstreckbarkeit außer Kraft gesetzt wird. Gleichzeitig soll der Gläubiger aber die Möglichkeit haben, ein die Haftung nach § 717 Abs. 2 ZPO auslösendes Verhalten zu vermeiden. Eine Leistung zur Abwendung der Vollstreckung ist demnach nur anzunehmen, wenn sich der Schuldner, der aufgrund eines für vorläufig vollstreckbar erklärten ausgeurteilten Unterlassungsanspruchs leistet, damit einem gegen ihn ausgeübten Vollstreckungsdruck beugt (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 5. Oktober 1982 - VI ZR 31/81, BGHZ 85, 110 = NJW 1983, 232; Urteil vom 22. Oktober 1992 - IX ZR 36/92, BGHZ 120, 73 = NJW 1993, 1076; Urteil vom 30. November 1995 - IX ZR 115/94, BGHZ 131, 233 = NJW 1996, 397; Urteil vom 3. Juli 1997 - IX ZR 122/96, BGHZ 136, 199 = NJW 1997, 2601). Erfüllt der Schuldner eine ihm durch Urteil auferlegte Unterlassungsverpflichtung, bevor der Gläubiger die ihm obliegende Sicherheitsleistung erbracht und dies dem Schuldner mitgeteilt hat, leistet er regelmäßig nicht zur Abwendung der Vollstreckung im Sinne des § 717 Abs. 2 ZPO (BGHZ 131, 233, 237). Allerdings liegt auch bei Stellung und Nachweis der Sicherheitsleistung der erforderliche Vollstreckungsdruck nicht vor, wenn der Gläubiger ausdrücklich erklärt oder sich aus den Umständen ergibt, dass trotz des Vorliegens der Voraussetzungen von der Vollstreckung noch abgesehen wird (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Januar 2009 - I ZB 115/07, BGHZ 180, 72 = GRUR 2009, 890 [zu § 945 ZPO]; Zöller/Herget, ZPO, 28. Aufl., § 717 Rn. 7).

b) Nach Meinung der Revision ist § 717 Abs. 2 ZPO nicht zu entnehmen, dass die Erbringung der Sicherheitsleistung Voraussetzung für die Annahme eines konkreten Vollstreckungsdrucks sei. Auch wenn jemand die Vollstreckung betreibe und die Sicherheitsleistung ankündige, sei diese Voraussetzung erfüllt.

Mit dieser Rüge kann die Revision im Ergebnis nicht durchdringen. Wie bereits ausgeführt hat die Rechtsprechung den Wortlaut des § 717 Abs. 2 ZPO ("durch eine zur Abwendung der Vollstreckung gemachte Leistung") dahingehend ausgefüllt, dass sich der Schuldner mit der Leistung einem auf ihn ausgeübten konkreten Vollstreckungsdruck beugen muss. Der Bundesgerichtshof hat insbesondere ausgesprochen (BGHZ 131, 233), dass der Schuldner, wenn er ein ihm auferlegtes Unterlassungsgebot erfüllt, bevor der Gläubiger eine von ihm zu leistende Sicherheit erbracht hat, regelmäßig nicht zur Abwendung der Vollstreckung im Sinn des § 717 Abs. 2 ZPO handelt. Er hat - mangels Relevanz für den dort entschiedenen Fall - offen gelassen, ob für den Schadensersatzanspruch nach § 717 Abs. 2 ZPO unter Umständen eine dem Schuldner vorab übermittelte Information über die unmittelbar bevorstehende Leistung der Sicherheit genügen kann. Diese Frage kann auch hier unentschieden bleiben, da die von der Beklagten vor Leistung der Sicherheit an die Klägerin übermittelten Informationen für die Annahme eines konkreten Vollstreckungsdrucks nicht ausreichen. Die entsprechende Würdigung durch das Berufungsgericht, diesen Schreiben sei nicht zu entnehmen, dass eine Vollstreckung des Unterlassungstenors unmittelbar bevorgestanden habe, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

Die Beklagte teilte zwar in dem Schreiben vom 14. April 2003 mit, dass sie darauf eingerichtet sei, kurzfristig die für die Sicherheitsleistung erforderliche Bürgschaft zu stellen. Gleichzeitig stellte sie aber der Klägerin anheim, Rechnung zu legen und auf diese Weise die Voraussetzungen für Vergleichsgespräche zu schaffen, wobei sie sich - sollte die Klägerin dem Vorschlag nicht folgen - die unverzügliche Einleitung der Zwangsvollstreckung vorbehalte. Eine etwa bevorstehende Vollstreckung des Unterlassungsausspruchs ist in diesem Schreiben nicht angesprochen, vielmehr wird das vorrangige Interesse der Beklagten deutlich, eine gütliche Einigung herbeizuführen. In dem Schreiben vom 25. April 2003 wurde der Klägerin eine Fristverlängerung hinsichtlich der Rechnungslegung gewährt; bezüglich des Unterlassungsgebots behielt sich die Beklagte die Vollstreckung vor. Eine konkrete Ankündigung der Vollstreckung des Unterlassungstenors ist auch diesem Schreiben nicht zu entnehmen. Gleiches gilt für das Schreiben der Beklagten vom 22. Mai 2003, in dem die Beklagte die erfolgte Rechnungslegung beanstandete und sich erneut die unverzügliche Einleitung der Zwangsvollstreckung vorbehielt.

c) Die Revision hat jedoch insoweit Erfolg, als sie sich gegen die Würdigung des Berufungsgerichts wendet, die Klägerin sei durch das Schreiben vom 3. Juli 2003 bezüglich des Unterlassungsgebots noch keinem hinreichenden Vollstreckungsdruck ausgesetzt gewesen.

aa) Das Berufungsgericht hat angenommen, dass auch bei Stellung und Nachweis der Sicherheitsleistung der erforderliche Vollstreckungsdruck noch nicht vorliegt, wenn der Gläubiger gleichzeitig erklärt, dass er von der Vollstreckung noch absehe. Der hiergegen gerichtete Angriff der Revision, § 717 Abs. 2 Satz 1 ZPO differenziere nicht zwischen verschiedenen Vollstreckungsmöglichkeiten, sondern gründe die Schadensersatzverpflichtung auf die Aufhebung "eines" für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteils, verfängt nicht. Der Gläubiger ist gesetzlich nicht verpflichtet, die Vollstreckung aus einem vorläufig vollstreckbaren Urteil, das dem Beklagten mehrere Pflichten auferlegt, in vollem Umfang zu betreiben. Es stand der Beklagten frei, nur den auf die Pflicht zur Auskunft und Rechnungslegung entfallenden Teil der Sicherheitsleistung zu erbringen. Aber auch wenn sie die Sicherheitsleistung in voller Höhe erbrachte, war sie nicht gezwungen, die ihr damit eröffneten Vollstreckungsmöglichkeiten in vollem Umfang auszuschöpfen.

bb) Der mit der vollständigen Erbringung der Sicherheitsleistung erzeugte Vollstreckungsdruck wird allerdings nicht schon dadurch kompensiert, dass der Gläubiger zunächst von weiteren Maßnahmen absieht. Solange der Schuldner damit rechnen muss, dass der Gläubiger jederzeit von den mit der Erbringung der Sicherheitsleistung geschaffenen Vollstreckungsmöglichkeiten Gebrauch macht, ist regelmäßig davon auszugehen, dass erbrachte Leistungen der Abwendung der Vollstreckung dienen. Etwas anderes gilt, wenn der Gläubiger aufgrund besonderer Umstände an sofortigen Vollstreckungsmaßnahmen rechtlich gehindert ist.

Letzteres hat das Berufungsgericht im Streitfall bejaht. Es hat angenommen, dass die Beklagte die Vollstreckung des Unterlassungstenors zwar in den Raum gestellt, die endgültige Entscheidung darüber an weitere Voraussetzungen geknüpft und sich darüber hinaus - auch in Gesprächen nach Zugang dieses Schreibens - bemüht habe, eine gütliche Einigung zwischen den Parteien herbeizuführen.

Diese Würdigung ist nicht frei von Rechtsfehlern. Dabei kann dahinstehen, ob die genannte Ankündigung als unverbindliche Absichtserklärung zu werten ist und ihr deshalb möglicherweise keine Bedeutung zukommt. Entscheidend ist, dass die Beklagte die ihr auferlegte Sicherheitsleistung erbracht und dadurch einen konkreten Vollstreckungsdruck im Sinn des § 717 Abs. 2 ZPO erzeugt hat. Wenn der Gläubiger alle Vollstreckungsvoraussetzungen herbeigeführt hat, trifft ihn nur dann keine Haftung nach § 717 Abs. 2 ZPO, wenn er gegenüber dem Schuldner deutlich macht, daraus keine Rechte herzuleiten. Im Streitfall lässt die Erklärung der Beklagten nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit erkennen, dass sie sich trotz Herbeiführung aller Vollstreckungsvoraussetzungen verbindlich verpflichten wollte, von einer Vollstreckung der Unterlassungspflicht vorerst weiterhin abzusehen.

Die Beklagte teilte in dem Schreiben vom 3. Juli 2003 einleitend ihren Entschluss mit, nunmehr die Zwangsvollstreckung zu betreiben. Unter Nummer 2 unterbreitete sie einen Ablaufplan der bevorstehenden Zwangsvollstreckung dahingehend, dass zunächst nur der Rechnungslegungstenor vollstreckt werde und setzte insoweit eine Frist bis zum 18. Juli 2003. Die Beklagte wies weiter darauf hin, dass sie vorbehaltlich einer Einigung oder einer abweichenden Abrede zwischen den Parteien "ab diesem Tage die Zwangsvollstreckung auch wegen des Unterlassungstenors durchführen" werde. Dies werde durch gesonderte Nachricht geschehen. Die Beklagte hat also gerade nicht angekündigt, die Vollstreckung trotz geleisteter Sicherheit noch hinausschieben zu wollen, sondern - im Gegenteil - sie ab 18. Juli 2003 durchzuführen. Eine eindeutige anders lautende Erklärung, etwa dahingehend, dass die Vollstreckung des Unterlassungstenors verbindlich nicht vor einem bestimmten Zeitpunkt beginnen werde, ist nicht erfolgt. Der 18. Juli 2003 kann nicht als solcher Zeitpunkt angesehen werden, denn aufgrund der vor der Sicherheitsleistung zwischen den Parteien geführten Korrespondenz war es jedenfalls ungewiss, dass sich die Parteien innerhalb der verbleibenden zweiwöchigen Frist einigen könnten.

cc) Hiervon ausgehend wird das Berufungsgericht zu prüfen haben, ob der Klägerin ein zurechenbarer Vollstreckungsschaden entstanden ist. Insbesondere wird zu klären sein, wann die Vereinbarung zwischen der Klägerin und G. R. geschlossen worden ist und ob die Klägerin bei der Gestal- tung des Vertrages mit G. R. gegen eine etwaige Schadensminde- rungspflicht verstoßen hat, indem sie, wie die Revision vorträgt, das beanstandete Herstellungsverfahren bereits im März 2003 umgestellt und sämtliche Chargen aus dieser Herstellung bis zum 31. März 2003 abverkauft und damit die Leistung von G. R. möglicherweise noch vor dem Vorliegen der Vollstreckungsvoraussetzungen in Anspruch genommen hat.

3. Einen Anspruch auf Erstattung von Rechtsanwaltskosten hat das Berufungsgericht zu Recht verneint. Die Voraussetzungen des § 717 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. ZPO - insbesondere die konkrete Drohung der Zwangsvollstreckung - lagen hinsichtlich der Rechnungslegung erst mit Zugang des Anwaltsschreibens vom 3. Juli 2003 vor. Zu diesem Zeitpunkt war die Gebühr des Rechtsanwalts der Klägerin für die Tätigkeit in der Zwangsvollstreckung bereits entstanden. Der Rechtsanwalt des Schuldners erhält die Gebühren des gemäß § 61 Abs. 1 RVG hier noch maßgeblichen § 57 BRAGO, wenn er den Schuldner in einem Zwangsvollstreckungsverfahren vertritt, z.B. sich gegen eine Zahlungsaufforderung des Gläubigers wendet (vgl. Gerold/Schmidt/von Eicken, BRAGO, 15. Aufl., § 57 Rn. 24 mwN). Hier hatte der Anwalt der Klägerin auf die Aufforderungsschreiben der Beklagten reagiert und Unterlagen zur Rechnungslegung übersandt. Damit war die Vollstreckungsgebühr verdient. Dagegen erinnert auch die Klägerin nichts. Sie ist jedoch der Auffassung, dass sich die Tätigkeit der Anwälte über den 3. Juli 2003 hinaus erstreckt habe. Es handele sich daher um eine einheitliche Tätigkeit, für die eine einheitliche Zwangsvollstreckungsgebühr entstanden sei. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, ist in jedem Fall zu prüfen, ob die Beklagte diese Gebühr als durch die Vollstreckungsandrohung entstandenen Schaden ersetzen muss. Dafür ist erforderlich, dass die Rechtsanwaltskosten kausal durch eine zur Abwendung der Vollstreckung erbrachte Leistung entstanden sind. Dies ist nicht der Fall, da die Gebühr schon vor dem Zeitpunkt der Vollstreckungsandrohung angefallen war.

Keukenschrijver Mühlens Bacher Hoffmann Schuster Vorinstanzen:

LG Düsseldorf, Entscheidung vom 30.10.2008 - 4b O 227/07 -

OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 25.03.2010 - I-2 U 142/08 -






BGH:
Urteil v. 16.12.2010
Az: Xa ZR 66/10


Link zum Urteil:
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