Bundespatentgericht:
Beschluss vom 15. November 2001
Aktenzeichen: 17 W (pat) 32/01

(BPatG: Beschluss v. 15.11.2001, Az.: 17 W (pat) 32/01)

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1. Die am 7. Januar 1994 beim Deutschen Patentamt eingegangene Patentanmeldung P 44 00 279.3 - 32 mit der Bezeichnung

"Verfahren zur Erzeugung eines Warnsignals in einem Fahrzeug"

wurde am 5. März 2001 durch Beschluß der Prüfungsstelle für Klasse G08G mit der Begründung zurückgewiesen, der angemeldete Gegenstand beruhe nicht auf erfinderischer Tätigkeit. Gegen diesen Beschluß richtet sich die Beschwerde der Anmelderin, mit der sie ihr Patentbegehren auf der Grundlage der am 28. Juli 1998 eingegangenen Patentansprüche sowie eines in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Hilfsantrags weiterverfolgt.

Der geltende Patentanspruch 1 nach Hauptantrag lautet:

"Verfahren zur Erzeugung eines Warnsignals in einem mit einem Abstands- und Geschwindigkeitsdetektor ausgestatteten Fahrzeug und Einrichtungen zur Ermittlung eines Mindestsicherheitsabstands gegenüber einem Hindernis, zum Vergleich des Mindestsicherheitsabstands mit dem aktuellen Abstand und zur Ableitung des Warnsignals, wobei das Warnsignal bereits für einen aktuellen Abstand innerhalb eines Warnbereichs vor Erreichen des Mindestsicherheitsabstands erzeugt wird, dadurch gekennzeichnet, daß dabei in Abhängigkeit vom Abstandsverhältnis des aktuellen Abstands und des Mindestsicherheitsabstands das Warnsignal kontinuierlich, quantitativ variabel ist, unddaß das Warnsignal mit nichtlinearer Abhängigkeit vom Abstandsverhältnis erzeugt wird in der Weise, daß innerhalb des Warnbereichs in der Nähe des Mindestsicherheitsabstands ein überdurchschnittlich starker Signalanstieg mit abnehmendem Abstand erfolgt."

Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag lautet:

"Verfahren zur Erzeugung eines Warnsignals in einem mit einem Abstands- und Geschwindigkeitsdetektor ausgestatteten Fahrzeug und Einrichtungen zur Ermittlung eines Mindestsicherheitsabstands gegenüber einem Hindernis, zum Vergleich des Mindestsicherheitsabstands mit dem aktuellen Abstand und zur Ableitung des Warnsignals, wobei das Warnsignal bereits für einen aktuellen Abstand innerhalb eines Warnbereichs vor Erreichen des Mindestsicherheitsabstands erzeugt wird, dadurch gekennzeichnet, daß dabei in Abhängigkeit vom Abstandsverhältnis des aktuellen Abstands und des Mindestsicherheitsabstands das Warnsignal kontinuierlich, quantitativ variabel ist, daß das Warnsignal mit nichtlinearer Abhängigkeit vom Abstandsverhältnis in der Weise erzeugt wird, daß innerhalb des Warnbereichs in der Nähe des Mindestsicherheitsabstands ein überdurchschnittlich starker Signalanstieg mit abnehmendem Abstand erfolgt unddaß ausschließlich ein akustisches Signal zur Warnung erzeugt wird."

Wegen der abhängigen Ansprüche 2 bis 6 gemäß Hauptantrag bzw 2 bis 5 nach Hilfsantrag wird auf die Akte Bezug genommen.

2. Im Beschwerdeverfahren wurden folgende Druckschriften in Betracht gezogen:

[1] DE-OS 23 20 613

[2] DE 41 40 327 A1 3. Die Anmelderin vertritt die Auffassung, daß weder die kontinuierliche Anpassung eines vom Abstandsradar im Kfz ausgelösten Warnsignals noch die nichtlineare Abhängigkeit des Warnsignalpegels vom Abstandsverhältnis, d.h. vom Verhältnis aktueller Fahrzeugabstand zu Mindestsicherheitsabstand, durch den Stand der Technik nahegelegt seien.

Sie beantragt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das nachgesuchte Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:

Patentansprüche 1 bis 6, eingegangen am 28. Juli 1998, Beschreibung Seiten 1 bis 4, überreicht in der mündlichen Verhandlung, sowie ursprünglich eingereichte Zeichnung, hilfsweisemit den in der mündlichen Verhandlung überreichten Patentansprüchen 1 bis 5 gemäß Hilfsantrag, übrige Unterlagen wie Hauptantrag.

II.

Die frist- und formgerecht erhobene Beschwerde ist zulässig. Sie bleibt ohne Erfolg, weil der Patentanspruch 1 weder nach Haupt- noch nach Hilfsantrag die Kriterien der Patentfähigkeit erfüllt (§§ 1, 4 PatG).

1. Hauptantrag 1.1 In der vorliegenden Anmeldung geht es darum, den Fahrer eines Kraftfahrzeugs rechtzeitig über zu dichtes Auffahren auf ein anderes Fahrzeug oder auf ein Hindernis zu informieren und entsprechend zu warnen.

Der geltende Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag weist hierzu aus:

1. Ein Verfahren zur Erzeugung eines Warnsignals in einem Fahrzeug.

1.1. Das Fahrzeug ist mit einem Abstands- und Geschwindigkeitsdetektor ausgestattet.

2. Es besitzt Einrichtungen 2.1. zur Ermittlung eines Mindestsicherheitsabstands gegenüber einem Hindernis, 2.2. zum Vergleich des Mindestsicherheitsabstands mit dem aktuellen Abstand 2.3. und zur Ableitung des Warnsignals.

2.3.1 Das Warnsignal wird bereits für einen aktuellen Abstand innerhalb eines Warnbereichs vor Erreichen des Mindestsicherheitsabstands erzeugt.

2.3.2 Dabei ist in Abhängigkeit vom Abstandsverhältnis des aktuellen Abstands und des Mindestsicherheitsabstands das Warnsignal kontinuierlich quantitativ variabel.

2.3.3 Das Warnsignal wird mit nichtlinearer Abhängigkeit vom Abstandsverhältnis erzeugt in der Weise, daß innerhalb des Warnbereichs in der Nähe des Mindestsicherheitsabstands ein überdurchschnittlich starker Signalanstieg mit abnehmendem Abstand erfolgt.

Der Fachmann, ein mit Konstruktions- und Entwicklungsaufgaben in der Kfz-Elektronik befaßter Fachhochschul-Ingenieur, entnimmt daraus ein Verfahren, bei dem mit Hilfe der ermittelten Abstands- und Geschwindigkeitsdaten in geeigneten "Einrichtungen", also typischerweise mit einem Rechner, der aktuelle Fahrzeugabstand mit dem geschwindigkeitsabhängigen Sicherheitsabstand verglichen wird. Eine "Warnung" des Fahrzeuglenkers erfolgt aber nicht erst, wenn der Sicherheitsabstand erreicht ist oder unterschritten wird, sondern schon im Vorfeld, bspw. beginnend beim doppelten Sicherheitsabstand, und zwar in der Weise, daß das Warnsignal kontinuierlich und bei Erreichen des Sicherheitsabstands überproportional ("nichtlinear") ansteigt. Welche physikalische Größe mit "Warnsignal" tatsächlich bezeichnet werden soll, teilt die vorliegende Anmeldung dem sachkundigen Leser nicht mit, der somit davon ausgehen wird, daß mit "Warnsignal" jedwedes Signal gemeint ist, das dem Fahrzeuglenker akustisch, optisch oder sonstwie angeboten wird, wobei ein funktionaler Zusammenhang zwischen Amplitude, Lautstärke, Frequenz o. dgl. und dem Fahrzeugabstand bestehen soll. Ein "nichtlinearer" Signalanstieg im Sinne vorliegender Anmeldung kann somit mangels einer engeren Definition für den Fachmann nichts anderes bedeuten als eine "signifikante Signaländerung".

1.2. Der geltende Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag ist gedeckt durch die ursprünglich eingereichten Ansprüche 1 und 3. Diesbezüglich bestehen keine Bedenken.

1.3. Der Gegenstand des Patentanspruchs 1 ist neu. Keine der im Verfahren befindlichen Druckschriften beschreibt ein Verfahren zur Erzeugung eines Warnsignals mit allen in diesem Anspruch angegebenen Merkmalen. Ein solches Verfahren beruht jedoch nicht auf erfinderischer Tätigkeit, weil es sich für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt.

Aus der Druckschrift [1] ist ein Abstands-Warngerät mit einem Rechner bekannt, der aus den von Abstandsradar und Tachometer ermittelten Meßwerten ein Warnsignal erzeugt, wenn der für die jeweilige Geschwindigkeit erforderliche Sicherheitsabstand unterschritten wird (Anspruch 1; Seite 2 vorletzter Absatz; Seite 4 Absatz 1). Die Intensität des Warnsignals soll dabei um so stärker sein, je größer die Differenz zwischen dem aktuellen und dem Sicherheitsabstand, d.h. je geringer der Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug oder einem im Fahrweg befindlichen Hindernis ist (Anspruch 3). Das diesem bekannten Warngerät zugrundeliegende Verfahren erfüllt somit die Merkmale 1 bis 2.3 sowie Merkmal 2.3.2. des Patentanspruchs 1.

Als Überschuß über den Stand der Technik verbleiben demnach beim Verfahren gemäß Patentanspruch 1 die Erzeugung des Warnsignals bereits vor Erreichen des Mindest-Sicherheitsabstands (Merkmal 2.3.1) undder nichtlineare Signalanstieg in der Nähe des Mindest- Sicherheitsabstandes (Merkmal 2.3.3.).

Für den Fachmann ist offensichtlich, daß eine Warnung, die Ñ wie in Druckschrift [1] beschrieben Ñ den Fahrzeuglenker erst bei Unterschreiten des Sicherheitsabstands erreicht, nicht jeder Verkehrssituation gerecht werden kann. Insbesondere gefährlich ist, daß diese Warnung ggfs zu spät, dh zu einem Zeitpunkt kommt, wenn unter ungünstigen Umständen ein Zusammenstoß bereits nicht mehr vermeidbar ist. Der Fachmann ist deshalb veranlaßt, Überlegungen anzustellen, eine solche systembedingte Gefährdung auszuschließen und den Fahrer so frühzeitig zu informieren, daß dieser sich rechtzeitig auf die jeweilige Verkehrssituation einstellen kann. Der Gedanke mit dem "Warnsignal" zu beginnen, bevor der Mindestsicherheitsabstand erreicht ist, liegt damit auf der Hand. Dieses Prinzip entnimmt der Fachmann im übrigen auch der Lehre der Druckschrift [2] (Sp 1 Z 19 - 21 iVm Sp 2 Z 44 - 48), derzufolge der vor einem Fahrzeug sich erstreckende Raum in verschiedene Sicherheitszonen eingeteilt wird, in denen der Fahrer jeweils entsprechend informiert oder gewarnt wird, um eine angemessene Soll-Maßnahme einzuleiten (Spalte 1 Zeilen 42 bis 46, Spalte 2 Zeilen 44 bis 50). In der am weitesten entfernten "Informationszone", in der noch keine unmittelbare Kollisionsgefahr besteht, wird dem Fahrer dabei lediglich die Entfernung zum Hindernis angezeigt.

Daß bei der naheliegenden frühzeitigen Warnung der bereits aus Druckschrift [1] bekannte kontinuierliche Signalanstieg nicht "linear" verlaufen darf, ist selbstverständlich, denn man kann vom Fahrzeuglenker nicht erwarten, daß er in einem gleichmäßig ansteigenden Warnsignalpegel den Zeitpunkt erfaßt, an dem er die letzte Grenze, nämlich den absolut kritischen Mindest-Sicherheitsabstand unterschreitet. Dies muß zwangsläufig durch eine signifikante Änderung der Intensität der Warnung, bspw. durch einen deutlichen Anstieg der Lautstärke, der Tonfrequenz, der Intensität einer Warnlampe o. dgl., dh durch eine "Nichtlinearität" im Signalverlauf kenntlich gemacht werden. Damit ist der Fachmann aber auch bereits beim Gegenstand des Patentanspruchs 1 angelangt, denn mehr besagt dieser nicht.

2. Hilfsantrag Der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag unterscheidet sich inhaltlich von dem des Hauptantrags lediglich durch die Anfügung, wonach

"ausschließlich ein akustisches Signal zur Warnung erzeugt wird".

Gegen die Zulässigkeit dieses Anspruchs bestehen keine Einwände, denn dieses zusätzliche Merkmal ist auf Seite 2, letzter Absatz der ursprünglichen Unterlagen als eine von mehreren Ausführungsmöglichkeiten der beanspruchten Erfindung offenbart. Das Warnsignal akustisch zu erzeugen ist jedoch bereits aus dem vorstehend beschriebenen Stand der Technik bekannt, vgl. Druckschrift [1], Seite 4, Absatz 1 und fügt somit dem beanspruchten Gegenstand nichts hinzu, was eine erfinderische Tätigkeit begründen könnte.

3. Mit dem nicht gewährbaren Patentanspruch 1 sowohl nach Haupt- wie auch nach Hilfsantrag fallen auch die von ihm abhängigen übrigen Ansprüche. Sie enthalten zur Überzeugung des Senats ebenfalls nichts, was die Grundlage für ein gewährbaren Hauptanspruch bilden könnte. Gegenteiliges hat auch die Anmelderin nicht geltend gemacht.

Grimm Greis Püschel Schuster Bb/prö






BPatG:
Beschluss v. 15.11.2001
Az: 17 W (pat) 32/01


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