Bundespatentgericht:
Beschluss vom 31. Januar 2007
Aktenzeichen: 9 W (pat) 335/04

(BPatG: Beschluss v. 31.01.2007, Az.: 9 W (pat) 335/04)

Tenor

Das Patent wird aufrechterhalten.

Gründe

I.

Gegen das am 19. Februar 1999 angemeldete und am 18. Dezember 2003 veröffentlichte Patent mit der Bezeichnung

"Anordnung eines Zylinders in einer Rotationsdruckmaschine"

ist von der Firma A... AG Einspruch erhoben worden.

Die Einsprechende ist der Ansicht, die im erteilten Patentanspruch 1 angegebene Anordnung eines Zylinders in einer Rotationsdruckmaschine sei durch den Stand der Technik nahegelegt. Sie macht dazu eine offenkundige Vorbenutzung einer Rollenoffsetmaschine Web 16 Modell 9E geltend und verweist außerdem auf die DE 30 42 170 C2. Eine mit einer Zylinderanordnung der streitpatentgemäßen Artausgerüstete Rollenoffsetmaschine Modell 9E sei im Jahre 1988 an die Fa. B... in C... geliefert und dort in Betrieb genommen worden.

Zum Nachweis der offenkundigen Vorbenutzung bietet sie Zeugenbeweis an und legt innerhalb der Einspruchsfrist folgende Unterlagen vor:

- Konstruktionszeichnung "Gummizylinder-Lagerung" 9E.006.000.U (E1)

- Colorierte Kopie eines Ausschnitts aus E1 (E11)

- Anschreiben an die Fa. D... (E21)

- Transportauftrag an die Spedition E... (E22)

- Versandanzeige an die Fa. B... (E23)

- Rechnung an die Fa. D... (E24)

- Monteur-Bericht der A... AG vom 10. März 1989 (E25).

In der mündlichen Verhandlung legt sie ergänzend folgende Unterlagen vor:

- Konstruktionszeichnung "Gummizylinder" 9E.006.201 (E3)

- Teileliste 385.7-1 "Heidelberg WEB 16" (E4)

- Foto eines Druckmaschinenzylinders "Perforierwerk" 385.7-1 (E5).

Die Einsprechende stellt den Antrag, das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin stellt den Antrag, das Patent aufrechtzuerhalten.

Sie hält die Zylinderanordnung nach dem erteilten Patentanspruch 1 gegenüber dem in Betracht gezogenen Stand der Technik für patentfähig.

Der erteilte Patentanspruch 1 lautet:

"Anordnung eines Zylinders (1) in einer Rotationsdruckmaschine, miteinem aus einem Zylinderballen (3) und einem ersten Lagerzapfen (2) als feste Einheit bestehenden Zylinderkörper (4), einem zweiten Lagerzapfen (5) mit einem Flansch (12), über den der zweite Lagerzapfen (5) lösbar fest mit dem Zylinderballen (3) verbunden ist, einer eine Lagerung (6, 7) für den jeweiligen Lagerzapfen (2, 5) aufnehmenden Bohrung (8, 9) in einer Gestellwand (10, 11), dadurch gekennzeichnet, dassdie Lagerungen (6, 7) der Lagerzapfen (2, 5) jeweils von der Außenseite der Gestellwand (10, 11) in die Bohrung (8, 9) einsetzbar gestaltet sind, der Flansch (12) des zweiten Lagerzapfens (5) stirnseitig mit dem Zylinderballen (3) verschraubt ist derart, dass die Befestigungsschrauben (13) für den Flansch (12) durch die von der Lagerung (7) freigemachte Bohrung (9) von der Außenseite der Gestellwand (11) betätigbar angeordnet sind, der Durchmesser (DB1) der Bohrung (9) für den zweiten Lagerzapfen (5) größer als der Außendurchmesser (DF) des Flansches (12) ist, die Bohrung (8) für den ersten Lagerzapfen (2) einen Durchmesser (DB2) besitzt, der beim Wechsel des Zylinderkörpers (4) zwischen den Gestellwänden (10, 11) eine dafür erforderliche Schrägstellung des ersten Lagerzapfens (2) in der von der Lagerung (6) freigemachten Bohrung (8) gestattet."

Diesem Patentanspruch 1 schließt sich der rückbezogene Patentanspruch 2 in der erteilten Fassung an.

Im Recherche- sowie im Prüfungsverfahren sind folgende weitere Druckschriften in Betracht gezogen worden:

- DE 44 04 758 A1/C2

- DE 44 06 573 A1

- DE 44 47 124 C1

- US 2 315 729

- FR-PS 1 135 716

- DE-PS 156 111.

II.

Die Zuständigkeit des Bundespatentgerichts ist durch PatG § 147 a. F. Abs. 3 Satz 1 begründet.

1. Der Einspruch ist unbestritten zulässig. Er hat aber keinen Erfolg.

2. Das Patent betrifft eine Anordnung eines Zylinders in einer Rotationsdruckmaschine.

In der Beschreibungseinleitung der Streitpatentschrift ist ausgeführt, dass nach der DE 44 04 758 A1 ein Druckmaschinenzylinder aus einem Zylinderkörper mit einem Zylinderballen und einem ersten Lagerzapfen als Einheit und einem mit dem Zylinderballen lösbar fest verbundenen zweiten Lagerzapfen besteht. Der Zylinder sei mittels die Lagerzapfen aufnehmender Lagerungen jeweils in einer Bohrung einer Gestellwand gelagert. Der Zylinderkörper werde unter Trennung von dem in der entsprechenden Gestellwand verbleibenden zweiten Lagerzapfen durch eine mittels Auseinanderfahren von die Gestellwand verkörpernden Trägerwänden geschaffene Öffnung axial aus dem Gestell ausgefahren. Diese Lösung sei zwar für einen häufigen Wechsel einer hülsenförmigen Bespannung des Zylinderballens besonders geeignet. Wegen ihres hohen technischen Aufwands und des seitlichen Platzbedarfs sei diese Lösung für eine bloße Demontagemöglichkeit des Zylinders jedoch weniger geeignet.

Das dem Patent zugrundeliegende und mit der Aufgabe formulierte technische Problem besteht daher darin, eine Anordnung eines Zylinders in einer Rotationsdruckmaschine der genannten Art zu schaffen, die bei relativ kleinem Abstand zwischen den Gestellwänden und Gewährleistung einer möglichst großen Zylindersteifigkeit mit geringem technischen Aufwand einen Wechsel des Zylinderkörpers ermöglicht.

Dieses Problem wird durch die Anordnung mit den im Patentanspruch 1 angegebenen Merkmalen gelöst.

3. Die erteilten Patentansprüche 1 und 2 sind zulässig. Sie stimmen inhaltlich mit den ursprünglichen Patentansprüchen 1 und 2 überein.

4. Patentfähigkeit 4.1 Neuheit Die ohne Zweifel gewerblich anwendbare Anordnung eines Zylinders in einer Rotationsdruckmaschine nach dem Patentanspruch 1 ist neu. Dies hat auch die Einsprechende in der mündlichen Verhandlung zugestanden.

4.2 Erfinderische Tätigkeit Die Zylinderanordnung nach dem Patentanspruch 1 beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Als Durchschnittsfachmann nimmt der Senat einen Ingenieur der Fachrichtung Maschinenbau an, der bei einem Druckmaschinen-Hersteller mit der Anordnung von Zylindern und deren Lagerungen im Maschinengestell befasst ist und auf diesem Gebiet über mehrjährige Berufserfahrung verfügt.

Grafik Die von der Einsprechenden vorgelegte Zeichnung 9E.006.000.U zeigt eine Gummizylinder-Lagerung in der antriebsseitigen (links) und der bedienseitigen (rechts) Seitenwand einer Druckmaschine (nachstehend ein Ausschnitt aus der Zeichnung). Danach weist der Zylinder einen Zylinderkörper mit einem ersten Lagerzapfen V2 (Antriebsseite) und einem zweiten Lagerzapfen (Bedienseite) und einem von den Lagerzapfen getragenen Zylinderballen V3 auf. Die Lagerzapfen sind mittels Lagerungen V6, V7 in einer jeweiligen Bohrung V8, V9 einer Gestellwand V10, V11 gelagert. Der zweite Lagerzapfen besteht aus einem ersten Zapfenabschnitt für die bedienseitige Traglagerung (Radiallagerung) und einem mit diesem lösbar verbundenen zweiten Zapfenabschnitt V5 für die axiale Lagerung des Zylinders. Der lösbare Zapfenabschnitt V5 weist einen stirnseitig am ersten Zapfenabschnitt anliegenden Flansch V12 auf und ist über Befestigungsschrauben V13 an der Stirnseite des ersten Zapfenabschnitts verschraubt. Die Befestigungsschrauben V13 sind von der Außenseite der Gestellwand V11 betätigbar.

Die Einsprechende führt aus, dass der antriebsseitige Lagerzapfen V2 sowie der erste Zapfenabschnitt des bedienseitigen Lagerzapfens mit dem Zylinderballen V3 eine feste Einheit bilden (Zeichnung 9E.006.201). Die Lagerungen V6, V7 seien jeweils von der Außenseite der Gestellwand V10, V11 in die Bohrung V8, V9 einsetzbar, wobei die jeweilige Bohrung V8, V9 auch einen Durchmesser mit den im erteilten Patentanspruch 1 angegebenen Abmessungen aufweise. Nach dem Entfernen des zweiten Zapfenabschnitts V5 und der Lagerungen V6, V7 könne der Zylinderkörper soweit in Richtung der antriebsseitigen Gestellwand V10 verschoben werden, dass ein Schrägstellen des Zylinderkörpers zwischen den Gestellwänden V10, V11 möglich sei.

Grafik Zwar sei der zweite Zapfenabschnitt V5 an den ersten Zapfenabschnitt des zweiten Lagerzapfens angeflanscht und nicht - wie im erteilten Patentanspruch 1 gefordert - stirnseitig mit dem Zylinderballen V3 verschraubt, dieses sei jedoch von untergeordneter Bedeutung, da in beiden Fällen die Verschraubung von der Stirnseite her erfolge. In der streitpatentgemäßen Anordnung der Trennstelle (stirnseitig) liege allenfalls eine dem Fachmann bei herkömmlicher Arbeitsweise zumutbare konstruktive Abwandlung der vorbenutzten Zylinder-Lagerung, die eine erfinderische Tätigkeit nicht zu begründen vermöchte. Dies gelte umso mehr, als es im einschlägigen Stand der Technik durchaus üblich und dem Fachmann daher bekannt sei, die Trennstelle zwischen Zylinderballen und lösbaren Lagerzapfen an die Stirnseite des Ballens zu legen. Hierzu verweist sie auf die Druckschrift DE 30 42 170 C2. Bei dem aus dieser Druckschrift bekannten Druckwerkzylinder (nebenstehende Figur) sei der Ballen 1 an beiden Stirnseiten mit jeweils einem Lagerzapfen 2 lösbar verschraubt. Der Fachmann habe daher die Zylinderanordnung nach der behaupteten Vorbenutzung lediglich auf eine ihm ohnehin geläufige Anordnung der Trennstelle zwischen Zylinderballen und Lagerzapfen abwandeln müssen. Da sich für das Schrägstellen des Zylinders bei sonst gleichen Merkmalen und Maßnahmen keine Unterschiede ergäben, sei die streitpatentgemäße Lösung durch die behauptete Vorbenutzung nahegelegt.

Grafik Der Senat vermag sich dieser Auffassung nicht anzuschließen. Schon die streitpatentgemäße Anordnung der Trennstelle zwischen Zylinderballen und lösbarem Lagerzapfen stirnseitig am Zylinderballen wird dem Fachmann durch die behauptete Vorbenutzung nicht nahegelegt. Unterstellt man zugunsten der Einsprechenden, dass der Fachmann durch die streitpatentgemäße Forderung nach geringem Abstand der Gestellwände (vgl. Aufgabenstellung) auf den Gedanken käme, den ersten Zapfenabschnitt des bedienseitigen Lagerzapfens zu verkürzen, so ergäbe sich daraus nicht zwangsläufig die Verlagerung der Trennstelle an die Stirnseite des Zylinderballens. Aus der von der Einsprechenden vorgelegten Zeichnung 9E.006.000.U (s. nachstehend vergrößerte Darstellung der bedienseitigen Lagerung) ist nämlich ersichtlich, dass an den Stirnseiten des Zylinderballens die Schmitzringe mit ihren Befestigungsschrauben und an den Schmitzringen Stellelemente für die Gummituch-Spanneinrichtung angeordnet sind. Der bei einer derartigen Konstruktion für den Befestigungsflansch eines lösbaren Zylinderzapfens und der für eine zusätzliche Anordnung von Lagerzapfen-Befestigungsschrauben nötige Platzbedarf an der Zylinderballen-Stirnseite kann nach Auffassung des Senats nur durch eine völlige Abänderung der Befestigungskonstruktion für die Schmitzringe erhalten werden, wobei solches einen einer Neukonstruktion entsprechenden Aufwand erfordern würde. Für den Fachmann läge es daher auf der Hand, die Lage der Trennstelle zwischen zwei Zapfenabschnitten beizubehalten. Dabei würde er allenfalls den ersten Zapfenabschnitt bis zur außenliegenden Schmitzring-Stirnfläche verkürzen und den lösbaren Zapfenabschnitt V5 entsprechend verlängern. Von einer Verlagerung der Trennstelle unmittelbar an die Stirnseite des Zylinderballens wird der Fachmann angesichts der geschilderten Schwierigkeiten nach Überzeugung des Senats dagegen geradezu abgehalten.

Aber auch zur Zugänglichkeit der Befestigungsschrauben von der Außenseite der Gestellwand durch die Gestellwand-Bohrung hindurch erhält der Fachmann durch die behauptete Vorbenutzung keine Anregung. Denn die übrigen Schrauben (Schmitzringe, Spanneinrichtung) sind bei dieser Konstruktion erkennbar von innen zwischen den Gestellwänden her zugänglich. Hinzu kommt, dass an den Innenseiten beider Gestellwände V10, V11 Stelleinrichtungen für das An-/Abstellen des Zylinders angeordnet sind, die Radiallager über einen Abschnitt ihrer Längserstreckung aufnehmen, selbst jedoch nicht zu den "von der Außenseite der Gestellwand in die Bohrung" einsetzbaren Lagerung gehören. Denn sie sind offensichtlich nur von der Innenseite der Gestellwände her montierbar. Diese Stelleinrichtungen weisen eine Bohrung für den Durchtritt des jeweiligen Lagerzapfens auf, deren Durchmesser nur unwesentlich größer ist als der Durchmesser des Lagerzapfens selbst. Diese Ausgestaltung hält den Fachmann von einer Betätigbarkeit der Befestigungsschrauben von außen durch die Lagerbohrung ab, denn er müsste die Stellelemente für die Zylinderan-/-abstellung wegen ihres engen Durchmessers zumindest zum Teil demontieren, um durch die Gestellwand-Bohrung hindurch an die Befestigungsschrauben zu gelangen. Einen solchen Montage-Aufwand wird der Fachmann aber unbedingt vermeiden wollen.

Angesichts dieser Sachlage ist der Senat überzeugt, dass eine Weiterbildung der behaupteten Vorbenutzung mit dem Ergebnis der streitpatentgemäßen Lösung nur durch rückschauende Betrachtung in Kenntnis der Erfindung zustande kommen kann.

Aber auch in Verbindung mit der DE 30 42 170 C2 wird die streitpatentgemäße Ausgestaltung nicht nahegelegt. Zwar ist aus dieser Druckschrift in der Tat die stirnseitige Befestigung der Lagerzapfen am Zylinderballen bekannt. Diese zu übertragen auf die Konstruktion nach der behaupteten Vorbenutzung wird der Fachmann jedoch schon aus den oben geschilderten Gründen abgehalten. Diese Druckschrift unterstreicht vielmehr die Auffassung des Senats bezüglich des außerordentlich hohen konstruktiven Aufwands bei einer Abänderung der behaupteten Vorbenutzung auf stirnseitige Anordnung der Trennstelle zwischen Lagerzapfen und Zylinderballen. Denn die DE 30 42 170 C2 zeigt, dass besagte Anordnung der Trennstelle die Befestigung der Schmitzringe 6 (siehe obenstehende Figur) auf dem Mantel des Zylinderballens erforderlich macht. Demnach müssten bei der behaupteten Vorbenutzung die Schmitzringe selbst, ihre Befestigung und auch der (daran anzupassende) Zylinderballen "umkonstruiert" werden. Das aber ist nicht nur bloße konstruktive Abwandlung, sondern vielmehr Abkehr vom vorhandenen und Hinwendung zu einem anderen, völlig unterschiedlichen Konstruktionsprinzip. Eine Verknüpfung der beiden Konstruktionsprinzipien nach der behaupteten Vorbenutzung und der DE 30 42 170 C2 durch den Fachmann hält der Senat deshalb für ausgeschlossen.

Die von der Einsprechenden nicht aufgegriffenen Druckschriften aus dem Recherche- und Erteilungsverfahren zeigen jeweils selbständige und in sich abgeschlossene konstruktive Realisierungen von Zylinderlagerungen mit zum Teil gegenüber dem Streitpatent sogar abweichender Zielrichtung. Nach Überzeugung des Senats erhält der Fachmann schon keine Anregung zu einer Änderung oder gar Verknüpfung dieser Lösungen überhaupt. Unterstellt man aber dennoch eine Verknüpfung, so kommt der Fachmann nach Überzeugung des Senats selbst im Falle einer beliebig gearteten Zusammenschau - unter Einbeziehung des für ihn typischen fachmännischen Könnens - trotzdem nicht in naheliegender Weise zu der streitpatentgemäßen Ausgestaltung.

Gegenteiliges hat die Einsprechende auch nicht geltend gemacht.

Der erteilte Patentanspruch 1 hat somit Bestand.

Mit der Zylinderanordnung nach dem Patentanspruch 1 ist auch der Gegenstand des rückbezogenen Patentanspruchs 2 patentfähig, der eine vorteilhafte Weiterbildung der Zylinderanordnung nach dem Patentanspruch 1 betrifft und zumindest keine Selbstverständlichkeiten darstellt.






BPatG:
Beschluss v. 31.01.2007
Az: 9 W (pat) 335/04


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