Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen:
Urteil vom 30. Juli 2009
Aktenzeichen: L 12 AL 229/06

(LSG Niedersachsen-Bremen: Urteil v. 30.07.2009, Az.: L 12 AL 229/06)

1. Die Schwelle einer Geschäftsgebühr von 1,3 kann nur dann überschritten werden, wenn die Sache entweder besonders umfangreich oder besonders schwierig ist. Eine anwaltliche Tätigkeit ist nur dann besonders umfangreich, wenn der Zeitbedarf deutlich mehr als zwei oder drei bzw. mehr als fünf Stunden beträgt. Ob sie besonders schwierig ist, ist aus den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen und ergibt sich nicht schon daraus, dass es sich um ein Spezialgebiet handelt, für das eine Fachanwaltschaft eingerichtet ist.2. Eine Erledigungsgebühr setzt ein besonderes Bemühen des Anwalts voraus, das über eine genaue Prüfung und Begründung des Widerspruchs hinausgeht. Dieses liegt nicht schon vor, wenn der Anwalt den Mandanten nach Erhalt eines Teilabhilfe- und Widerspruchsbescheides dahingehend berät, von einer Klageerhebung abzusehen.

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bremen vom 4.9.2006 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist die Höhe der Vergütung der Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten im Widerspruchsverfahren.

Die Klägerin schloss mit der bei ihr (zuletzt) seit Oktober 1973 beschäftigten, am 13.2.1946 geborenen Arbeitnehmerin I. mit Wirkung vom 30.6.2003 einen Aufhebungsvertrag "auf Anregung der Arbeitgeberin zur Vermeidung einer arbeitgeberseitigen Kündigung" mit einer Abfindung. Die Arbeitnehmerin beantragte und erhielt Arbeitslosengeld ab 1.7.2003.

Mit Schreiben vom 16.2.2004 hörte die Beklagte die Klägerin zu einer möglichen Erstattungspflicht an und führte u. a. aus, nach § 147a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 4 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) seien Aufwendungen für Arbeitslosengeld etc. nach Vollendung des 58. Lebensjahres des Arbeitnehmers zu erstatten, ggf. zu erstattende Beträge wurden für die Zeit ab 1.7.2003 (bis 31.12.2003) aufgeführt. Mit ihrem Schreiben vom 9.3.2004 machte die Klägerin dagegen vor allem geltend, der Aufhebungsvertrag sei anstelle des Ausspruchs einer sozial gerechtfertigten betriebsbedingten Kündigung erfolgt.

Mit Bescheid vom 21.6.2004 verlangte die Beklagte von der Klägerin Erstattung gemäß § 147a SGB III in einer Gesamthöhe von 6.862,36 € für die Zeit vom 1.7.2003 bis zum 31.3.2004. Sie stellte dabei in ihrer Begründung u. a. darauf ab, dass das Arbeitsverhältnis nach Vollendung des 56. Lebensjahres beendet worden sei und die Arbeitnehmerin auch nicht die Voraussetzungen für andere Sozialleistungen erfüllt habe.

Mit Fax vom 14.7.2004 legte die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten Widerspruch ein und erbat und erhielt Akteneinsicht in die bis dahin 33 Seiten umfassende Verwaltungsakte.

Mit Fax vom 8.10.2004 wies der Prozessbevollmächtigte zur Begründung seines Widerspruchs darauf hin, dass die Arbeitnehmerin erst am 13.2.2004 das 58. Lebensjahr vollendet habe und bis dahin die Voraussetzung nach § 147a Abs. 1 Satz 1 SGB III nicht erfüllt sei. Weiter bat er um eine Auseinandersetzung mit dem Schreiben der Klägerin vom 9.3.2004, was bisher nicht erfolgt sei, und bat wegen der Voraussetzungen gemäß § 147a Abs. 1 Satz 2 Nrn. 6 und 7 SGB III um Fristverlängerung, da insofern noch weitere Nachforschungen erforderlich seien.

Mit weiterem Fax vom 1.11.2004 gab der Prozessbevollmächtigte zu bedenken, dass die Neufassung des § 147a Abs. 1 Satz 1 SGB III (Erstattungspflicht nach Vollendung des 57. Lebensjahres des Arbeitnehmers) auf den Sachverhalt nicht angewandt werden könne, da sie nicht zurückwirke, und verwies insoweit auf § 434l Abs. 3 SGB III. Dementsprechend habe die Beklagte in ihrem Schreiben 16.2.2004 an die Klägerin selbst die ehemalige Fassung des § 147a SGB III zitiert.

Mit Änderungsbescheid vom 10.12.2004 reduzierte die Beklagte den geforderten Erstattungsbetrag auf 1.205,50 € für die Zeit ab 13.2.2004 bis 31.3.2004 und wies mit gleichzeitig übersandtem Widerspruchsbescheid vom 14.12.2004 den Widerspruch im Übrigen als unbegründet zurück, da das Arbeitsverhältnis nicht durch eine sozial gerechtfertigte Kündigung, sondern durch Aufhebungsvertrag beendet worden sei und auch keine anderen die Erstattungspflicht ausschließenden Tatsachen festzustellen seien. Gleichzeitig wurde mit dem Widerspruchsbescheid entschieden, dass der Klägerin auf Antrag die notwendigen Aufwendungen zu 5/6 erstattet würden und die Hinzuziehung des Bevollmächtigten als notwendig anerkannt werde.

Mit Gebührenrechnung vom 17.2.2005 machte der Prozessbevollmächtigte nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) und dessen Vergütungsverzeichnis (VV) folgende Gebühren nach einem Gegenstandswert von 6.862,36 € geltend:

Geschäftsgebühr Nr. 2400 VV (Faktor 1,8)675,00 €Erledigungsgebühr Nr. 1002 VV (Faktor 1,5)562,50 €Post- und Telek.-Pauschale Nr. 7002 VV 20,00 €16 % Mehrwertsteuer Nr. 7008 VV 201,20 €Summe 1.458,70 € ========Mit Bescheid vom 21.2.2005 setzte die Beklagte nur 490,58 €, entsprechend einem Sechstel von 588,70 € fest. Dabei legte sie lediglich die Geschäftsgebühr mit einem Faktor 1,3 in Höhe von 487,50 €, die Pauschale von 20,00 € und entsprechende Mehrwertsteuer von 81,20 € zugrunde.

Im Widerspruchsverfahren machte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin geltend, die Mittelgebühr betrage 1,5, die Gebühr von 1,3 sei lediglich eine sogenannte Schwellengebühr, die überschritten werden könne, wenn die Tätigkeit entweder umfangreich oder schwierig gewesen sei. Beides sei hier der Fall. Die Schwierigkeit zeige sich schon daran, dass die Beklagte selbst ihrem Ausgangsbescheid eine unzutreffende Vorschrift zugrunde gelegt habe. Das habe eine genaue Beschäftigung mit den Rechtsgrundlagen, insbesondere mit den Übergangsvorschriften des SGB III, erforderlich gemacht. Des Weiteren hätten die Voraussetzungen des § 147a Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 und 7 SGB III überprüft werden müssen, was ebenfalls schwierig sei. Die Tätigkeit sei auch umfangreich gewesen. Er habe sich in den vor dem Widerspruch nicht bekannten Sachverhalt einarbeiten, die Akten einsehen und den Widerspruch nach Rücksprache mit der Klägerin begründen müssen.

Die Erledigungsgebühr nach Nr. 1002 VV sei entstanden, weil sich die Rechtssache durch anwaltliche Mitwirkung im Widerspruchsverfahren gegen einen Verwaltungsakt ganz oder teilweise erledigt habe. Die Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV sei eine Rahmengebühr, die gemäß § 14 Abs. 1 RVG der Rechtsanwalt unter Berücksichtigung aller Umstände nach billigem Ermessen bestimme. Es werde um Ausgleich von 5/6 der Rechnung vom 17.2.2005 gebeten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 7.4.2005 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Als Geschäftsgebühr sei die "Mittelgebühr, also das 1,3-fache" (gemeint wohl: die Schwellen- oder Regelgebühr von 1,3), zugrunde zu legen. Eine höhere Gebühr könne nicht gefordert werden, weil die anwaltliche Tätigkeit sich weder vom Umfang noch von der Schwierigkeit her von durchschnittlichen Tätigkeiten unterscheide. Neue Tatsachen zu den Ausschlusstatbeständen des § 147a SGB III seien nicht dargelegt worden. Eine Erledigungsgebühr sei nicht entstanden, weil der Widerspruchsbescheid vom 14.12.2004 habe erlassen werden müssen.

Am 4.5.2005 hat die Klägerin beim Sozialgericht (SG) Bremen Klage erhoben und 5/6 von 1.458,70 €, mithin 1.215,58 €, geltend gemacht, wovon nach Zahlung der Beklagten in Höhe von 490,58 € noch 725,00 € offen seien. Im Übrigen hat die Klägerin auf ihre Widerspruchsbegründung Bezug genommen und ausgeführt, der Ansatz einer Geschäftsgebühr von 1,8 sei nicht zu beanstanden. Eine durchschnittliche Tätigkeit sei mit einer Mittelgebühr zu vergüten, also mit einer Gebühr von 1,5. Die abgerechnete Gebühr in Höhe von 1,8 bewege sich innerhalb der Toleranzgrenze von 20 %, die gemäß gefestigter Rechtsprechung nicht als unbillig angesehen werden könne.

Das RVG sei gegenüber den früheren Regelungen ein völlig neu strukturiertes Gesetz. Danach entstehe die Erledigungsgebühr, wenn sich eine Rechtssache ganz oder teilweise nach Aufhebung oder Änderung des mit einem Rechtsbehelf angefochtenen Verwaltungsakts durch die anwaltliche Mitwirkung erledige. Ein beiderseitiges Nachgeben sei nicht erforderlich. Die anwaltliche Mitwirkung an der Erledigung sei dadurch gegeben, dass der Prozessbevollmächtigte den Widerspruch eingelegt und begründet habe, was zum Erlass des Änderungsbescheides geführt habe.

Die Beklagte hat vorgetragen, es sei von einer durchschnittlichen Schwierigkeit auszugehen. Im Übrigen hat sie sich auf eine Entscheidung des BSG vom 9.8.1995 (9 RVs 7/94) zu § 116 Abs. 3 BRAGO bezogen, die analog auch zum RVG heranzuziehen sei. Danach entfalle die Erstattung einer Erledigungsgebühr nach Nr. 1002 VV, wenn dem Widerspruch teilweise durch Widerspruchsbescheid abgeholfen werde, ohne dass der Bevollmächtigte dabei mitgewirkt habe. Das Einlegen des Widerspruchs stelle keine gebührenrechtlich erhebliche Mitwirkungshandlung dar.

Mit Gerichtsbescheid vom 4.9.2006 hat das SG die Klage abgewiesen. Für die Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV RVG entspreche die Mittelgebühr dem Faktor 1,5, jedoch könne keine Gebühr von mehr als 1,3 gefordert werden, wenn die Tätigkeit, wie hier der Fall, weder umfangreich noch schwierig gewesen sei. Der Umfang könne allenfalls als durchschnittlich bewertet werden. Dass der Sachverhalt für den Prozessbevollmächtigten völlig neu gewesen sei und er sich für die Widerspruchsbegründung mit den zugrunde liegenden Rechtsgrundlagen zu beschäftigen gehabt habe, sei ebenso als Regelfall anzusehen, wie eine erforderliche Rücksprache mit dem Mandanten. Auch die zusätzliche Überprüfung der Voraussetzungen des § 147a Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 und 7 SGB III (Ausnahmeregelungen bei verstärktem betrieblichem Personalabbau) führe nicht zu einem überdurchschnittlichen Umfang der Tätigkeit, weil die erforderlichen Zahlen dem Prozessbevollmächtigten von der Klägerin zweifelsohne hätten zur Verfügung gestellt werden können. Auch die Schwierigkeit sei nicht überdurchschnittlich zu beurteilen, so dass insgesamt eine Gebühr von 1,3 und damit im Ergebnis die von der Beklagten berücksichtigten 487,50 € anzusetzen seien.

Eine Erledigungsgebühr nach Nr. 1002 VV RVG sei nicht entstanden. Die Gebühr setze ein besonderes Bemühen und eine erhebliche Mitwirkungshandlung des Rechtsanwalts bei der außergerichtlichen Erledigung des Rechtsstreits voraus. Der Prozessbevollmächtigte habe nur die von einem Anwalt regelmäßig zu erwartende Tätigkeit im Widerspruchsverfahren entfaltet. In der Begründung des Widerspruchs sei kein besonderes Bemühen um eine außergerichtliche Erledigung zu sehen, da ein Widerspruch stets mit dem Ziel begründet werde, dass der angegriffene Bescheid abgeändert oder aufgehoben werde. Mit der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides sei das Widerspruchsverfahren vollständig erledigt gewesen. Es sei unerheblich, dass der Prozessbevollmächtigte durch die gleichzeitige Übersendung von Änderungsbescheid und Widerspruchsbescheid keine Gelegenheit gehabt habe, den weiteren Widerspruch zurückzunehmen.

Der von der Klägerin noch geltend gemachte Gesamterstattungsbetrag von 1.215,58 € überschreite den ihr zustehenden Betrag von 490,58 € um knapp 148 %, so dass es auch auf den geltend gemachten Toleranzrahmen von 20 %, den die Kammer allerdings nicht anwende, nicht ankomme.

Gegen diese ihr am 4.10.2006 zugestellte Entscheidung hat die Klägerin am 2.11.2006 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) eingelegt. Sie macht geltend, die Geschäftsgebühr sei nicht auf 1,3 zu begrenzen. Die Tätigkeit sei sowohl umfangreich als auch schwierig gewesen. Beim Umfang sei u. a. die Dauer des Verfahrens von Anfang Juli 2004 bis Anfang Januar 2005 zu beachten. Neben der Akteneinsichtnahme habe der Prozessbevollmächtigte drei Faxe an die Beklagte geschickt und mit der Klägerin per E-Mail, telefonisch und schriftlich kommuniziert und von ihr Unterlagen erhalten und gesichtet. Bei der Beurteilung der Schwierigkeit sei nach gefestigter Rechtsprechung ein objektiv-genereller Maßstab anzulegen und die Schwierigkeit aus der Sicht des Allgemeinanwalts zu beurteilen. Dabei sei u. a. - unabhängig von einer Spezialisierung des jeweiligen Rechtsanwalts - zu berücksichtigen, ob eine Tätigkeit in Spezialgebieten oder in Rechtsgebieten, für die Fachanwaltschaften eingerichtet seien, stattgefunden habe. Die überdurchschnittliche Schwierigkeit ergebe sich hier schon daraus, dass es sich um eine Spezialmaterie handele. Das sei bereits das Sozialversicherungsrecht im Allgemeinen, besonders aber der § 147a SGB III, und das nicht nur wegen der Übergangsvorschrift des § 434l Abs. 3 SGB III. Die Schwierigkeit zeige sich bereits daran, dass die Beklagte die Norm selber falsch bzw. gar nicht angewandt habe. Die Schwierigkeit könne nicht ausschließlich nach Seitenzahlen beurteilt werden. Die anwaltliche Tätigkeit liege in der eigenständigen Sachverhaltserarbeitung und zutreffenden Subsumtion. Wenn man die im Regelfall zu erwartende anwaltliche Tätigkeit nur als durchschnittlich bewerte, könne die Gebühr mit dem Faktor 1,3 nie überschritten werden. Auch unter Berücksichtigung der weiteren Bestimmungskriterien des § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG sei eine Geschäftsgebühr von 1,8 entstanden: Die Vermögensverhältnisse der Klägerin seien gut. Die Angelegenheit habe für die Klägerin durchaus überdurchschnittliche Bedeutung gehabt, da es um einen auch für diese Firma erheblichen Rückforderungsbetrag gegangen sei. Zumindest aber sei die Mittelgebühr von 1,5 entstanden. Der Toleranzrahmen von 20 %, der abweichend von der Auffassung der Vorinstanz allgemein anerkannt sei, sei mit der angesetzten Geschäftsgebühr von 1,8 eingehalten. Die Bestimmung der Höhe der Geschäftsgebühr sei nach § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG billig und damit verbindlich. Der angefochtene Gerichtsbescheid berücksichtige nicht, dass die Beklagte nach § 14 Abs. 1 Satz 4 RVG die Darlegungs- und Beweislast für eine Unbilligkeit der Gebührenbestimmung habe, der sie nicht nachgekommen sei.

Die Voraussetzungen der Erledigungsgebühr nach Nr. 1002 VV RVG seien nach dem Gesetzestext ebenfalls eindeutig erfüllt. Die anwaltliche Mitwirkung an der Erledigung sei gegeben. Ohne sie wäre es weder zum Widerspruch noch zum Änderungsbescheid und zum Widerspruchsbescheid gekommen und auch nicht dazu, dass gegen den Widerspruchsbescheid keine Klage mehr erhoben worden sei. Selbstverständlich habe der Prozessbevollmächtigte den Sachverhalt mit der Klägerin besprechen und klären müssen und habe Informationen und Unterlagen von der Klägerin eingeholt. Diese Unterlagen habe er aufbereiten und richtig zuordnen müssen, um damit den Ausgangsbescheid überprüfen zu können. Die anwaltliche Mitwirkung sei erforderlich und entscheidend für den Ausgang des Widerspruchsverfahrens gewesen, weil die Klägerin selbst nicht erkannt habe, dass die Beklagte eine unzutreffende Rechtsgrundlage zugrunde gelegt hatte. Auch wenn die Widerspruchsbegründung relativ kurz sei, hätten dem die genaue anwaltliche Prüfung der zeitlichen Zusammenhänge und der jeweils geltenden Zahlen und die richtige Zuordnung der anzuwendenden Vorschriften voranzugehen gehabt. Des Weiteren habe die Mitwirkung in der Beratung der Klägerin nach Erhalt des Änderungs- und des Widerspruchsbescheides bestanden, was schließlich - ohne Klageerhebung - zur Erledigung der Rechtssache geführt habe. Bereits auf der dem Prozessbevollmächtigten ausgestellten Vollmacht sei dieser beauftragt worden, insbesondere den Rechtsstreit oder außergerichtliche Verhandlungen durch Vergleich, Verzicht oder Anerkenntnis zu erledigen. Der Prozessbevollmächtigte habe den Entwurf der (ersten) Widerspruchsbegründung an die Klägerin per E-Mail gesandt und dabei bereits darauf hingewiesen, dass die Erstattungspflicht ab Vollendung des 58. Lebensjahres nach damaligem Stand voraussichtlich nicht entfallen werde. Auf die Frage des Prozessbevollmächtigten nach dem eventuellen Vorliegen der Voraussetzungen des § 147a Satz 2 Nr. 6 und 7 SGB III habe die Klägerin ihm telefonisch mitgeteilt, dass die dafür erforderlichen Personalverminderungen nicht vorlägen. Dies habe er der Klägerin nach weiterer Überprüfung per E-Mail vom 1.11.2004 nochmals detaillierter begründet und sie auf das Ergebnis, wie es dann auch durch die Bescheide der Beklagten vom 10. und 14.12.2004 eingetreten sei, vorbereitet. Nach Eingang der Bescheide habe der Prozessbevollmächtigte diese der Klägerin mit Schreiben vom 6.1.2005 detailliert erläutert und von einer Klage abgeraten, entsprechend habe die Klägerin die Bescheide akzeptiert. Die Beklagte habe die verfahrensbeendenden Bescheide allein aufgrund der Mitwirkung des Prozessbevollmächtigten erlassen, nicht aufgrund der vorhergehenden Argumentation der Klägerin.

Die Klägerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bremen vom 4.9.2006 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides vom 21.2.2005 und Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 7.4.2005 zu verurteilen, der Klägerin weitere 725,00 € nebst Zinsen in Höhe von 8 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten.

Die Beklagte beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor, der Umfang der Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten sei minimal, umfasse nur einen kurzen Schriftsatz und liege damit weit unter dem durchschnittlichen Umfang einer entsprechenden Tätigkeit. Auch in der Sache sei die anwaltliche Tätigkeit als einfach zu bezeichnen. Zur Entstehung einer Erledigungsgebühr nach Nr. 1002 VV RVG nur durch das besondere Bemühen des Prozessbevollmächtigten liege inzwischen umfangreiche Rechtsprechung vor. Handlungen, die nur der Förderung des Verfahrens dienten und zu einer für den Mandanten günstigen Entscheidung führten, seien davon nicht erfasst. Die gründliche und sorgfältige Einarbeitung und Betreibung des Verfahrens sei die selbstverständliche Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten und mit den übrigen Gebühren abgegolten. Die Änderung der Entscheidung sei nicht durch anwaltliche Mitwirkung zur gütlichen Erledigung, sondern aufgrund der Tatsache erfolgt, dass ein Erstattungsanspruch erst ab dem 13.2.2004 bestanden habe, was sich bereits aus dem Gesetz ergebe.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf die Prozessakte - L 12 AL 220/06 (S 17 AL 169/05) - sowie auf die Leistungsakte der Arbeitnehmerin mit dem Az. 217 A 055290. Diese Unterlagen haben dem Gericht vorgelegen und sind zum Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung gemacht worden.

Gründe

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Der angefochtene Bescheid der Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheides ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erstattung weiterer Kosten.

Das SG hat in der angefochtenen Entscheidung die heranzuziehenden Vorschriften bereits benannt und zutreffend dargelegt, weshalb danach eine höhere Vergütung nicht gerechtfertigt ist. Auf diese Ausführungen wird Bezug genommen und gemäß § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen. Mit Rücksicht auf das Berufungsvorbringen ist lediglich Folgendes zu ergänzen:

31Eine besonders umfangreiche Tätigkeit ergibt sich weder aus der Dauer des Verfahrens, die im Wesentlichen aufgrund des sukzessiven Vortrags der Klägerseite nach Akteneinsicht und Rücksprache zwischen dem Prozessbevollmächtigten und der Mandantin zustande gekommen ist, noch aus der Zahl und dem Umfang der jeweils kurzen Schriftsätze bzw. der vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin dargestellten Kommunikation über E-Mail, Telefon und Fax. Denn daraus ist nicht abzuleiten, dass der Aufwand, der nur bei einem Zeitbedarf von deutlich mehr als zwei oder drei, nach einer anderen Quelle sogar von mehr als fünf Zeitstunden als überdurchschnittlich angesehen werden könnte (vgl. Mayer in: Gerold-Schmidt , RVG, 18. Aufl., Rn. 15), hier tatsächlich entsprechend hoch war.

Auch eine besondere Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit lässt sich hier nicht feststellen. Allein der Gesichtspunkt, dass es sich beim Sozialrecht bzw. Sozialversicherungsrecht um ein Spezialgebiet handelt und auch die hier zu behandelnde Vorschrift des § 147a SGB III innerhalb dieses Gebiets eine besondere Regelung darstellt, macht die anwaltliche Tätigkeit nicht schwierig. Vielmehr ist immer eine Einzelfallbetrachtung erforderlich, auch wenn es sich um einen Tätigkeitsfeld handelt, für das eine Fachanwaltschaft eingerichtet ist (vgl. Mayer, a. a. O., Rn. 16). Im vorliegenden Einzelfall ist jedoch eine besondere Schwierigkeit nicht ersichtlich. Die Beklagte hatte mit ihrem Anhörungsschreiben vom 16.2.2004 die maßgebliche Ermächtigungsgrundlage bereits benannt und - weitgehend wörtlich - zitiert. In der hier in erster Linie maßgeblichen Frage, ab welchem Alter der Arbeitnehmerin eine Erstattungspflicht des Arbeitgebers beginnt, hatte die Beklagte in diesem Schreiben auch bereits zutreffend die Vollendung des 58. Lebensjahres genannt, während sie im erlassenen Bescheid dann auf die Vollendung des 56. Lebensjahres abgestellt hat. Es ist danach zwar nicht von der Hand zu weisen, dass es einer genauen Überprüfung des Erstattungsbescheides und der anzuwendenden Fassung der Ermächtigungsgrundlage bedurfte, um der Beklagten erfolgreich die Fehlerhaftigkeit des Ausgangsbescheides aufzeigen zu können. Eine besondere Schwierigkeit ist darin jedoch nicht zu sehen, zumal ein Hinweis schon in den widersprüchlichen Äußerungen der Beklagten gefunden werden konnte. Die Überprüfung der einzelnen Voraussetzungen der genannten Ermächtigungsgrundlage stellt jedoch hier keine überdurchschnittliche Anforderung dar, die es rechtfertigt, die Angelegenheit als schwierig zu bezeichnen. Das gilt auch angesichts des Umstandes, dass verschiedene - positive wie negative - Tatbestandsmerkmale zu prüfen waren. Konkret kam hier neben der nicht besonders schwierigen Bewertung des Aufhebungsvertrags im Unterschied zur betriebsbedingten Kündigung vor allem die weitere Frage in Betracht, ob eine Ausnahme wegen eines generellen, größeren Personalabbaus im Sinne der Nr. 6 und 7 der §§ 147a Abs. 1 Satz 2 SGB III vorgelegen haben könnte. Wenn der Prozessbevollmächtigte insoweit mitteilt, die Klägerin habe ihm - auf entsprechende qualifizierte Nachfrage - telefonisch mitgeteilt, dass die dafür erforderlichen Personalverminderungen nicht vorlägen, so kann auch die insoweit erforderliche anwaltliche Tätigkeit nicht als besonders schwierig bewertet werden.

Auf die weiteren Bestimmungskriterien des § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG, wie die Vermögensverhältnisse der Klägerin oder die Bedeutung der Sache für sie, kommt es insoweit nicht mehr an, weil die Schwelle einer Geschäftsgebühr von 1,3 nach Nr. 2400 VV nur dann überschritten werden kann, wenn festzustellen ist, dass die Sache entweder umfangreich oder schwierig ist, was, wie dargelegt, hier nicht der Fall war. Ebenso kann ein Toleranzrahmen von 20 % hier die angesetzte Gebühr von 1,8 nicht rechtfertigen. Unabhängig davon, ob ein solcher Toleranzrahmen anzuwenden ist, ist die Überschreitung mit 1,8 hier so hoch, dass sie auch unter Berücksichtigung des Toleranzrahmens nicht mehr als billig angesehen werden kann.

34Eine Erledigungsgebühr nach Nr. 1102 VV RVG ist ebenfalls nicht entstanden. Die bloße Tatsache des Einleitens und Durchführens eines Widerspruchsverfahrens, das mit einem Erfolg oder Teilerfolg endet, reicht dafür nicht aus, das auch dann nicht, wenn kein Klageverfahren folgt. Wenn eine solche Regelung beabsichtigt gewesen wäre, hätte das leicht in der Legende der Nr. 1002 VV so ausgedrückt werden können. Die Legende stellt jedoch darauf ab, dass sich eine Rechtssache "durch die anwaltliche Mitwirkung" erledigt. Das setzt ein besonderes Bemühen des Prozessbevollmächtigten um die Erledigung voraus, das über eine (regelmäßig zu erwartende) genaue Prüfung und Begründung des Widerspruchs hinausgeht. Dies entspricht inzwischen auch ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung (BSG vom 7.11.2006 - B 1 KR 23/06 R -, vom 21.3.2007 - B 11a AL 53/06 R -, vom 2.10.2008 - B 9/9a SB 3/07 R - und - B9/9a SB 5/05 R -). Ein solches besonderes Bemühen ist hier nicht ersichtlich. Es liegt auch nicht in der Beratung der Mandantin nach der Widerspruchsentscheidung mit der Folge eines Absehens von der Klageerhebung, da auch dadurch ein besonderes Bemühen nicht erkennbar wird. Auch der Umstand, dass durch gleichzeitige Erteilung von Teilabhilfe-Bescheid und Widerspruchsbescheid der Prozessbevollmächtigte keine Gelegenheit hatte, etwa durch Rücknahme des Widerspruchs im Übrigen zur einverständlichen Erledigung beizutragen, kann nicht zur Zubilligung der Erledigungsgebühr führen. Der Verwaltung muss vielmehr ein entsprechendes Verfahren ohne Verursachung weiterer Kosten freistehen, zumal sonst die Klägerseite durch Erhebung weitreichender Forderungen und späteres Einlenken zu Lasten der Verwaltung regelmäßig höhere Kosten veranlassen könnte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.






LSG Niedersachsen-Bremen:
Urteil v. 30.07.2009
Az: L 12 AL 229/06


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