Landgericht München I:
Urteil vom 16. Januar 2008
Aktenzeichen: 1HK O 11928/07, 1HK O 11928/07

(LG München I: Urteil v. 16.01.2008, Az.: 1HK O 11928/07, 1HK O 11928/07)

Tenor

I. Der Beklagten wird bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der künftigen Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an der Beklagten, untersagt,

im geschäftlichen Verkehr den tiefgefrorenen Apfelkuchen €S. Ä. € zu vertreiben mit den auf der Rückseite der Verpackung wiedergegebenen Angaben zur Produktdeklaration, nämlich:

a) dem Verzeichnis der Zutaten,

b) dem Zeitraum, während dessen das Lebensmittel beim Verbraucher gelagert werden kann, sowie die Aufbewahrungstemperatur oder die zur Aufbewahrung erforderliche Anlage,

c) dem Mindesthaltbarkeitsdatum,

d) den Worten €nach dem Auftauen nicht wieder einfrieren€

in einer Schriftgröße und Gestaltung wie aus nachfolgend eingelichteter Anlage K 2 ersichtlich.

<Folgen 2 Seiten Ablichtungen der streitgegenständlichen Verpackung>

II. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 166,60 EUR zuzüglich 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

III. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

IV. Das Urteil ist in Ziff. I. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 50.000,00 EUR, in Ziff. II. und III. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die von der Beklagten gewählte Gestaltung der gemäß §§ 3, 4, 5, 6, 7 Abs. 5 LebensmittelkennzeichnungsV (LMKV) und § 5 der Verordnung über tiefgefrorene Lebensmittel (TLMV) vorgeschriebenen Angaben betreffend das Verzeichnis der Zutaten, das Mindesthaltbarkeitsdatum, die Aufbewahrungstemperatur, den Lagerzeitraum nach dem Auftauen und die Warnung vor einem Wiedereinfrieren der Ware.

Der Kläger ist ein Verein, zu dessen satzungsgemäßen Aufgaben es gehört, auf die Einhaltung der Regeln des lauteren Wettbewerbs zu achten.

Die Beklagte betreibt als die für Deutschland zuständige Gesellschaft eines internationalen Konzerns im Inland eine Vielzahl von Möbelhäusern. Dort vertreibt sie auch fertig verpackte Lebensmittel, insbesondere Spezialitäten aus dem Herkunftsland des Konzerns. Unter anderem bietet sie tiefgefrorenen Apfelkuchen an, der wie im Tenor gezeigt verpackt ist.

Die nach den o.g. Vorschriften erforderlichen Pflichtangaben, deren Vollständigkeit und Richtigkeit vom Kläger nicht in Frage gestellt werden, hat die Beklagte neben den Angaben in 16 weiteren Sprachen auf der Rückseite der Packung in einem kompakten, nicht weiter untergliederten Block angeordnet. Sie wählte für den deutschen Text dabei eine Schriftart und €größe, die in etwa Arial Narrow, 4 Punkt entspricht. Die Konturen der in schwarzer Schrift auf reinweißem Hintergrund gedruckten Buchstaben, die eine Versalgröße von ca. 1,06 mm erreichen, sind scharf umrissen.

Der € nur auszugsweise wiedergegebene € Text ist damit etwa wie folgt gestaltet:

Der Kläger vertritt die Ansicht, damit seien die Angaben nicht mehr deutlich lesbar i.S.v. § 3 Abs. 3 Satz 1 LMKV.

Er hat die Beklagte mit Schreiben vom 15.02.2007 abgemahnt und verlangt Ersatz seiner Kosten. Diese errechnet er als Teilbetrag der proportional im Jahr 2006 auf jede der von ihm ausgesprochenen 1.405 Abmahnungen entfallenden Kosten von 177,44 € (S. 6 der Klageschrift).

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, wie im Tenor geschehen.

Die Beklagte beantragt:

Klageabweisung.

Sie vertritt die Auffassung, die Angaben seien in der gewählten Gestaltung gut lesbar. Sie behauptet insoweit, 12 willkürlich ausgewählte Testpersonen unterschiedlichen Alters hätten sie ohne Hilfsmittel und ohne Anstrengung lesen können. Die Frage der Lesbarkeit sei, da es sich dabei um eine Tatsachen- und nicht um eine Rechtsfrage handle, durch Einholung eines demoskopischen Gutachtens zu klären; eine Entscheidung allein aufgrund der Einschätzung der Kammer sei nicht zulässig.

Die Parteien haben im übrigen gemäß § 137 Abs. III ZPO auf die vorbereitend gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Gründe

I. Die zulässige Klage ist begründet

Der Kläger hat einen Unterlassungsanspruch nach §§ 3, 4 Nr. 11, 8 Abs. 1 UWG i.V.m. §§ 3, 4, 5, 6, 7 Abs. 5 LebensmittelkennzeichnungsV (LMKV) und § 5 der Verordnung über tiefgefrorene Lebensmittel (TLMV). Er hat nach § 12 Abs. 1 Satz 2 auch Anspruch auf Ersatz der Kosten seiner Abmahnung.

Der Unterlassungsanspruch nach §§ 3, 4 Nr. 11, 8 Abs. 1 UWG ist gegeben, da die Beklagte sich durch die Missachtung der Anforderung an die Lesbarkeit der lebensmittelkennzeichnungsrechtlichen Pflichtangaben in unlauterer Weise einen Wettbewerbsvorteil verschafft hat.

17Die Angaben sind entgegen § 3 Abs. 3 Nr. 1 LMKV nicht €deutlich lesbar€, da der Text in der von der Beklagten gewählten Gestaltung für einen durchschnittlichen Verbraucher mit normaler Sehkraft bei normalen Lichtverhältnissen nicht auf Anhieb leicht und flüssig erfasst werden kann.

a. Die Kammer sieht sich aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen in der Lage, die Frage selbst zu entscheiden; für die Einholung eines Sachverständigengutachtens ist insoweit kein Raum.

Die Frage, ob das Tatbestandsmerkmal €deutlich lesbar€ i.S.v. § 3 Abs. 3 Nr. 1 LMKV erfüllt ist, lässt sich durch ein demoskopisches Gutachten alleine nicht beantworten, da es sich nicht allein um eine Tatsachen-, sondern zunächst um eine Rechtsfrage handelt, die i.S. der oben genannten Definition zu beantworten ist (siehe nachfolgend unter b.).

Ob eine Erfassbarkeit i.S. dieser Definition gegeben ist, kann die Kammer selbst beurteilen. Die Frage ist aus der Sicht eines Durchschnittsverbrauchers zu beantworten, so dass alle Mitglieder der Kammer Teil der angesprochenen Verkehrskreise sind und aus ihrer übrigen Lebenserfahrung über ausreichende Erfahrungswerte verfügen, um beurteilen zu können, wie andere Personen, die ebenfalls zu diesen Kreisen zu zählen sind, die zu beurteilende Situation einschätzen werden (siehe nachfolgend unter c.). Da es der Kammer somit nicht an der erforderlichen Sachkunde zur Beurteilung der Tatfrage fehlt, ist vorliegend kein Raum für die Einholung eines Sachverständigengutachtens.

b. Der Gesetzgeber hat mit seiner Wortwahl klar gestellt, dass die von ihm angeordneten Pflichtangaben nicht nur irgendwie, sondern €deutlich€ lesbar sein müssen. Schon zu der im Heilmittelwerberecht im Rahmen von § 4 Abs. 4 HWG a.F. verwendeten Formulierung €erkennbar€ hatte der BGH entschieden, dass die Pflichtangaben nicht nur irgendwie entzifferbar, sondern €ohne besondere Konzentration und Anstrengung lesbar€ sein müssen (Urteil vom 10.12.1986, GRUR 1987, 301, 302). Wie vom BGH in seinen Urteilen vom 13.05.1987 (Lesbarkeit I bis III, GRUR 1988, 68 ff., 69, 71, 73) und dem Beschluss vom 24.11.1988 (ZLR 1989, 161, 163) zu dem zwischenzeitlich im Gesetz statt €erkennbar€ verwendeten Terminus €gut lesbar€ ausgeführt, genügt der Umstand allein, dass der Text €ohne besondere Konzentration und Anstrengung€ lesbar ist, nach der Gesetzesänderung nicht mehr. Diese Einschätzung gilt nicht nur für die vom BGH beurteilte Vorschrift des HWG, sondern in gleicher Weise für die hier streitgegenständliche Norm der LMKV. Die Anforderungen sind nach Auffassung der Kammer dort wie hier somit erst dann erfüllt, wenn der Text der Pflichtangaben für einen durchschnittlichen Verbraucher mit normaler Sehkraft bei normalen Lichtverhältnissen auf Anhieb leicht und flüssig erfasst werden kann.

c. Bei normalen Lichtverhältnissen sind die Angaben der Beklagten in der von ihr gewählten Gestaltung nur mit großer Konzentration und gesteigerter Anstrengung erfassbar. Aufgrund der geringen Höhe und noch geringeren Breite der verwendeten Schrifttypen, der engen Laufweite der Buchstaben und der fehlenden Gliederung des ohne Untergliederung und mit einzeiligem Zeilenabstand gestalteten Textblocks müssen selbst Leser mit überdurchschnittlicher Sehkraft sich bei optimalen Lichtverhältnissen sehr darauf konzentrieren, um die einzelnen Worte richtig erkennen zu können und um beim Lesen nicht mit den Augen innerhalb des Textblocks zu verrutschen. Dies gilt insbesondere, wenn die Packung nicht fixiert ist, sondern in der Hand gehalten wird. Dies wird beim Einkauf aber regelmäßig der Fall sein, zumal aufgrund der geringen Schriftgröße der für ein Erkennen der Buchstaben noch mögliche Abstand zwischen Auge und Packung deutlich limitiert ist; die meisten Leser werden sich die Packung daher relativ nahe an die Augen halten.

Den Mitgliedern der Kammer ist es selbst bei sehr guten Lichtverhältnissen jeweils nicht auf Anhieb gelungen, den Text flüssig herunter zu lesen. Wenn aber selbst für Personen mittleren Alters, die sämtliche aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit ausgesprochen große Übung darin haben, Texte rasch zu erfassen, eine Lesbarkeit nur bei Aufwendung besonderer Konzentration und unter Inkaufnahme eines deutlich verlangsamten Lesetempos gegeben ist, so ist ohne weiteres davon auszugehen, dass der Durchschnittsverbraucher, der im Schnitt über eine deutlich geringere Leseübung verfügt, den Text nicht auf Anhieb leicht und flüssig erfassen kann.

24d. Die Kammer sieht insoweit auch bei der Anwendung von § 3 Abs. 3 LMKV den in der Rechtsprechung des BGH zur parallel gelagerten Vorschrift des § 4 Abs. 4 HWG entwickelten Erfahrungssatz bestätigt, wonach für die Erreichung guter Lesbarkeit der Pflichtangaben in aller Regel die Verwendung einer Schrift erforderlich ist, die nicht kleiner ist als 6 Punkt. Kleinere Schrifttypen hat der BGH allenfalls unter besonderen Umständen als möglicherweise ausreichend angesehen, wenn der Text z.B. durch Absetzen gegliedert ist oder besonders hohe Zeilen- oder Buchstabenabstände verwendet werden. Voraussetzung ist dabei stets, dass die jeweiligen Angaben keine wichtigen Warnungen betreffen (Beschluss vom 24.11.1988, ZLR 1989, 161, 163). Derartige die Lesbarkeit erleichternde Umstände sind vorliegend nicht gegeben. Wie in dem vom BGH entschiedenen Fall sind die Pflichtangaben vielmehr als kleiner kompakter Block gestaltet, der sich € wie der BGH zutreffend ausgeführt hat € €schon durch diese Anordnung einem zu besonderer Anstrengung wenig geneigten flüchtigen Leser eher verschließt.€ Im vorliegenden Fall wird die Lesbarkeit zwar durch den hochauflösenden, an den Rändern €scharf€ abgegrenzten Druck der Buchstaben und die gute Kontrastwirkung des weißen Hintergrunds begünstigt, andererseits dadurch, dass nicht nur eine sehr kleine, sondern auch eine besonders schlanke und enge Schrift gewählt wurde (vermutlich arial narrow) zusätzlich beeinträchtigt. Ein (auszugsweiser) Vergleich der Angaben der Beklagten in einer vom BGH als regelmäßige Untergrenze der Lesbarkeit bezeichneten 6-Punkt-Standard-Schrift einer üblichen Laufweite (vgl. die beiden Entscheidungen Lesbarkeit I und II, GRUR 1988, 68, bzw. 71, in denen jeweils die zu enge Stellung der Buchstaben moniert worden war) mit der gewählten engen 4-Punkt-Schrift verdeutlicht dies eindrücklich:

Es liegt auf der Hand, dass in dieser Gestaltung viele Leser Angaben, die für sie wichtig wären, etwa weil sie gegen bestimmte Inhaltsstoffe Unverträglichkeiten oder Allergien haben, im Geschäft überlesen. Viele Verbraucher achten auch aus weniger gravierenden Gründen im Regelfall auf die Angaben zu Inhaltsstoffen von Lebensmitteln, etwa weil sie solche mit zu vielen Konservierungsstoffen, Stabilisatoren, Lebensmittelfarben oder sonstigen von ihnen als unnatürlich, da €chemisch€ empfundenen Zusätzen wie E330 tendenziell meiden. In derartigen Fällen ist die Gefahr, dass diese Verbraucher die sonst gewohnte, bei dem Produkt der Beklagten aus den oben genannten Gründen aber besonders mühsame Überprüfung der Angaben hier ganz unterlassen oder weniger sorgfältig vornehmen. Angesichts der Tatsache, dass vorliegend 23 Angaben zu derartigen Stoffe enthalten sind, bedarf es keiner näheren Ausführungen, dass sich die Beklagte damit gegenüber Produkten, die € wie geboten € eine deutlich lesbare Gestaltung der Inhaltsstoffe aufweisen, einen Wettbewerbsvorteil verschafft. Dass die Beklagte insoweit gezielt gehandelt hätte, muss ihr € zumal es im Rahmen des Unterlassungsanspruchs auf Fragen des Verschuldens ohnehin nicht ankommt € gar nicht unterstellt werden.

2. Der Kläger hat nach § 12 Abs. 1 Satz 2 UWG auch Anspruch auf Ersatz der Kosten seiner Abmahnung, deren Höhe von der Beklagten nicht angegriffen wurde und die auch bei einem Vergleich mit den von anderen Verbänden angesetzten Kosten nicht zu beanstanden wären.

II. Nebenentscheidungen:

1. Kosten: § 91 ZPO.

2. Vorläufige Vollstreckbarkeit § 709 Satz 1 und 2 ZPO.

3. Streitwert: § 3 ff. ZPO, 3, 48 Abs. 1 GKG.

Beschluss:

Der Streitwert beträgt € 15.000,00.






LG München I:
Urteil v. 16.01.2008
Az: 1HK O 11928/07, 1HK O 11928/07


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/8d5e4ca0eb81/LG-Muenchen-I_Urteil_vom_16-Januar-2008_Az_1HK-O-11928-07-1HK-O-11928-07




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