Hessischer Verwaltungsgerichtshof:
Beschluss vom 26. Februar 1985
Aktenzeichen: 3 TI 86/85

(Hessischer VGH: Beschluss v. 26.02.1985, Az.: 3 TI 86/85)

Gründe

I.

Am 31. Mai 1984 begehrten die Antragsteller beim Verwaltungsgericht Wiesbaden vorläufigen Rechtsschutz im Wege einer einstweiligen Anordnung. Die Antragsgegnerin sollte verpflichtet werden, gegenüber der Beigeladenen eine Baustopverfügung zu erlassen. Sie trugen dazu u.a. vor, die mit ihren Häusern bebauten Grundstücke lägen im Gebiet eines Bebauungsplanes, der mit Einfamilienhäusern bebaut sei. Entsprechend den Festsetzungen im Bebauungsplan sei das Baugebiet bebaut. Es handele sich um eine aufgelockerte Bauweise, die sich durch kleine eingeschossige Einfamilienhäuser mit geringer Baumasse auszeichne. Mit ihrem Antragsschriftsatz legten die Antragsteller u.a. drei Lichtbilder vor (2 Aufnahmen über ein Modell des von der Beigeladenen vorgesehenen Bauwerks und eine Aufnahme mit ihren Häusern). Die Antragsgegnerin trug u.a. mit Schriftsatz vom 8. Juni 1984 vor, der Behauptung der Antragsteller, das Baugebiet sei lediglich mit eingeschossigen Familienhäusern bebaut, werde entgegengetreten. Es seien dort mehrere zweigeschossige Wohnhäuser anzutreffen. Selbst die Gebäude der Antragsteller seien nicht ausschließlich eingeschossig.

Nachdem das Verwaltungsgericht diesen Antrag mit Beschluß vom 13. Juni 1984 (III/1 G 406/84) abgelehnt hatte, erließ der Senat auf Beschwerde der Antragsteller mit Beschluß vom 6. Juli 1984 (3 TG 1813/84) die erstrebte einstweilige Anordnung. Den Streitwert setzte der Senat dabei für beide Rechtszüge auf 26.638,-- DM fest. Die Beigeladene hatte zuvor mit Schriftsatz vom 1. Juli 1984 u.a. vorgetragen, es sei unrichtig, daß das Baugebiet durch eine aufgelockerte Bauweise mit ein- und zweistöckigen Häusern gekennzeichnet sei.

Mit Schriftsatz vom 11. Juli 1984 beantragten die Antragsteller Festsetzung ihrer Anwaltskosten. Darin enthalten waren u.a. 960,-- DM als 10/10 Beweisgebühr in der ersten Instanz und 480,-- DM als 5/10 Beweisgebühr in der zweiten Instanz. Neben anderen geltend gemachten Gebühren setzte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts Wiesbaden die geforderten Beweisgebühren nicht fest. Dazu ist im Kostenfestsetzungsbeschluß vom 7. September 1984 ausgeführt, die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs enthalte keinen Hinweis, der die Beweisgebühr auslöse, insbesondere sei die Vorlage der Ablichtungen für die "Entscheidungsgründe ohne Bedeutung".

Gegen diesen Beschluß legten die Antragsteller am 18. September 1984 Erinnerung ein. Zur Begründung trugen sie u.a. vor, die Beweisgebühr sei angefallen, denn sowohl das Verwaltungsgericht als auch der Verwaltungsgerichtshof hätten umfangreiche Bauakten eingesehen und verwertet und dabei insbesondere auch Pläne und von ihnen vorgelegte Bilder in Augenschein genommen.

Mit Beschluß vom 20. November 1984 gab das Verwaltungsgericht der Erinnerung zum Teil statt, wies sie aber zurück, soweit mit ihr Festsetzung der geltend gemachten Beweisgebühren verlangt wurde. In den Gründen ist dazu ausgeführt, Beweisgebühren seien nicht entstanden. Ausweislich der Gründe des Beschlusses des Verwaltungsgerichtshofs seien lediglich Akten und Pläne des Antragsgegners verwertet worden. Eine derartige Verwertung löse grundsätzlich im Verwaltungsprozeß keine Beweisgebühr aus. Die vom Antragstellervertreter eingereichten Lichtbilder seien auch nicht verwertet worden.

Am 30. November 1984 haben die Antragsteller dagegen Beschwerde eingelegt. Das Verwaltungsgericht half mit weiterem Beschluß vom 28. Dezember 1984 der Beschwerde zum Teil ab, nicht jedoch, soweit die Antragsteller weiterhin Beweisgebühren fordern. Dazu tragen die Antragsteller mit ihrer Beschwerde vor, bereits durch Vorlage von Lichtbildern entstehe eine Beweisgebühr. Sie hätten Lichtbilder und eine Reihe von Plänen vorgelegt. Diese seien nicht mit den Plänen der Behördenakten identisch. Die von ihnen vorgelegten Lichtbilder seien von beiden Instanzen in Augenschein genommen worden. Dabei komme es nur darauf an, ob die vorgelegten Lichtbilder vom Gericht in Augenschein genommen worden seien, um dem Gericht "ein eigenes Urteil über die Richtigkeit oder Unrichtigkeit streitiger Tatsachen" zu ermöglichen. Das sei hier der Fall gewesen. Sie weisen dazu auf den oben wiedergegebenen Vortrag der Verfahrensbeteiligten (Antragsschrift vom 30. Mai 1984, Antragserwiderung der Antragsgegnerin vom 8. Juni 1984 und Schriftsatz der Beigeladenen vom 2. Juli 1984 im Beschwerdeverfahren) im Hinblick auf die Bebauung im seinerzeit interessierenden Bereich hin. Zur Klärung dieser streitigen tatsächlichen Umstände seien in beiden Instanzen die von ihnen vorgelegten Lichtbilder von den Gerichten besichtigt worden.

Die Antragsteller beantragen sinngemäß,

unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 20.11.1984 und des Kostenfestsetzungsbeschlusses vom 7. Dezember 1984 auch die geforderten Beweisgebühren festzusetzen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Zur Begründung trägt sie vor, das Verwaltungsgericht Wiesbaden habe zu Recht die geltend gemachten Beweisgebühren nicht festgesetzt. Soweit die Antragsteller Vorlage von in ihrem Besitz befindlichen Plänen als Urkundsbeweis ansehen sollten, scheitere die Berücksichtigung im Rahmen des § 31 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO schon an den §§ 34 Abs. 1 und 114 BRAGO. Die Übergabe von Sachakten an das Gericht durch eine am Verfahren beteiligte Behörde lasse ohnehin gemäß § 34 Abs. 1 BRAGO keine Beweisgebühr entstehen. Die Geltendmachung einer Beweisgebühr lasse sich ebensowenig unter dem Gesichtspunkt einer Augenscheinseinnahme durch das Gericht rechtfertigen. Eine die Beweisgebühr auslösende Augenscheinseinnahme durch das Gericht habe nicht stattgefunden. Dazu reiche es nicht aus, wenn sich das Gericht durch Augenscheinseinnahme lediglich ein besseres Verständnis des Parteivortrages oder eine bessere Anschauung über unstreitige Tatsachen beschaffen wolle. In beiden Instanzen sei der den Entscheidungen zugrundeliegende Sachverhalt, nämlich Lage, Nutzung und Größe der Grundstücke, sowie Art und Umfang der vorhandenen und geplanten Bebauung in der Umgebung des Bauvorhabens der Beigeladenen zwischen den Parteien unstreitig gewesen. Dies komme auch in der Sachverhaltsschilderung im Rahmen der Begründung des Beschlusses des Senats zum Ausdruck. Streit habe lediglich hinsichtlich der rechtlichen Bewertung des Sachverhalts im Rahmen des § 34 Abs. 1 BBauG bestanden. Im übrigen sei nicht ersichtlich, wieso gerade die Unterlagen der Antragsteller für die Entscheidungsfindung der Gerichte die behauptete entscheidende Bedeutung gehabt haben sollten. Im Beschluß des Senats würden die Lichtbilder der Antragsteller an keiner Stelle erwähnt. Es sei lediglich auf die von ihr vorgelegten Behördenakten Bezug genommen worden.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat zu Recht die geltend gemachten Beweisgebühren nicht festgesetzt. Zutreffend hat deshalb das Verwaltungsgericht auch insoweit die dagegen eingelegte Erinnerung zurückgewiesen.

Beweisgebühren sind nicht entstanden.

Die Antragsteller berufen sich für die geltend gemachten Beweisgebühren darauf, daß den Gerichten beider Instanzen Akten, Pläne und Fotografien vorgelegen hätten, die sie in Augenschein genommen hätten. Mithin seien diese Unterlagen zu Beweiszwecken verwertet worden.

Soweit es sich um vorgelegte Behördenakten handelt, ist von der eine Beweisgebühr ausschließenden Bestimmung des § 34 Abs. 1 BRAGO auszugehen. Danach erhält der Rechtsanwalt die Beweisgebühr nicht, wenn die Beweisaufnahme lediglich in der Vorlegung der in den Händen des Beweisführers oder des Gegners befindlichen Urkunden besteht. Die Voraussetzungen dieser Bestimmung liegen insoweit vor. Behördenakten sind Urkunden im Sinne dieser Bestimmung (Gerold -Schmidt, Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, 8. Aufl., Anm. 2 zu § 34; Riedel-Sußbauer, BRAGO, 4. Aufl., Rdnr. 3 zu § 34). Sie sind auch von der Antragsgegnerin als Gegnerin der beweisführenden Antragsteller vorgelegt worden.

Soweit die vorgelegten Pläne und Bilder nicht als Urkunde im Sinne dieser Bestimmung anzusehen sind, bleibt es bei der Bestimmung des § 31 Abs. 1 Nr. 3 BRAGO. Danach erhält der zum Prozeßbevollmächtigten bestellte Rechtsanwalt für die Vertretung im Beweisaufnahmeverfahren eine Beweisgebühr. Die Voraussetzungen dieser Bestimmungen liegen jedoch nicht vor. Eine Beweisaufnahme zur Klärung der von den Antragstellern in ihrem Schriftsatz vom 12. Februar 1985 angesprochenen gegensätzlichen Behauptungen der Verfahrensbeteiligten hat nicht stattgefunden.

Der Verwaltungsgerichtshof München hat in seinem Beschluß vom 10. Mai 1971 (81 II 70, NJW 1971, 2039) zur Frage der Beweisgebühr bei Inaugenscheinnahme von vorgelegten Lichtbildern und Lageplänen ausgeführt, wenn sich das Gericht durch Augenscheinseinnahme lediglich ein besseres Verständnis des Parteivortrages oder eine bessere Anschauung über unstreitige Tatsachen beschaffen wolle, dann stelle dies keine Beweisaufnahme dar. Eine Beweisaufnahme sei im Falle der Augenscheinseinnahme vielmehr dann, aber auch nur dann gegeben, wenn der Wille des Gerichts erkennbar geworden sei, durch eigene Wahrnehmung sich ein eigenes Urteil über Richtigkeit oder Unrichtigkeit streitiger Tatsachen zu bilden. Sei die Einnahme des Augenscheins nicht durch einen ausdrücklichen Beschluß angeordnet worden, dann sei u.a. aus dem Urteilstatbestand und den Entscheidungsgründen zu ermitteln, ob das Gericht den Willen gehabt habe, sich durch eigene Wahrnehmung mittels der Augenscheinseinnahme ein eigenes Urteil über die Richtigkeit oder Unrichtigkeit streitiger Tatsachen zu bilden. Treffe dies zu, dann stelle die Augenscheinseinnahme auch ohne einen förmlichen Beweisbeschluß eine Beweisaufnahme dar. Das OLG Frankfurt hat in seinem Beschluß vom 12. März 1980 ( 20 W 104/80, Anwaltsblatt 1980, 367) ebenfalls zu dieser Frage ausgeführt, daß in der Augenscheinseinnahme vorgelegter Lichtbilder dann eine Beweisaufnahme liege, wenn das Gericht sich ein ebenes Urteil über die Richtigkeit oder Unrichtigkeit streitiger Tatsachen. habe bilden wollen. Ebenso hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluß vom 25. November 1980 (V TI 34/80) für das Entstehen einer Beweisgebühr durch Inaugenscheinnahme von vorgelegten Lichtbildern und Lageplänen gefordert, daß sie zur Klärung streitiger Tatsachen verwertet worden sind.

Gemessen an diesen Grundsätzen, die sich der Senat zu eigen macht, sind weder in erster Instanz noch in zweiter Instanz des Baustoppverfahrens Pläne und Lichtbilder derart verwertet worden, daß sich das Gericht ein eigenes Urteil über Richtigkeit oder Unrichtigkeit streitiger Tatsachen gemacht hat.

Aus dem Beschluß des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 13. Juni 1984 (III/1 G 406/84) ergeben sich keinerlei Hinweise, daß Pläne und Lichtbilder vom Gericht verwertet worden sind, um sich durch eigene Wahrnehmung mittels der Augenscheinseinnahme ein eigenes Urteil über die Richtigkeit oder Unrichtigkeit streitiger Tatsachen zu bilden.

Dasselbe gilt für das seinerzeitige Beschwerdeverfahren vor dem Senat (Beschluß vom 6. Juli 1984,

- 3 TG 1813/84 -). Wenn auch die Parteien jenes Eilverfahrens, wie die Antragsteller zutreffend vortragen, darüber stritten, ob die Umgebung ihrer Häuser mit ein- oder zweigeschossigen Häusern bebaut sind, so hat gerade diese Streitfrage der Senat im Ergebnis offengelassen. Im Beschluß des Senats sind keine Hinweise zu finden, aus denen sich ergibt, daß der Senat durch Augenscheinseinnahme in vorgelegte Bilder und Pläne sich ein eigenes Urteil über die Richtigkeit oder Unrichtigkeit des Parteivortrages zur Frage der ein- oder zweigeschossigen Bauweise auf den antragstellerischen Grundstücken und deren Umgebung gebildet hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 2 VwGO. Die Festsetzung des Beschwerdewertes beruht auf § 13 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluß ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).






Hessischer VGH:
Beschluss v. 26.02.1985
Az: 3 TI 86/85


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