Bundespatentgericht:
Beschluss vom 10. Februar 2003
Aktenzeichen: 9 W (pat) 15/01

(BPatG: Beschluss v. 10.02.2003, Az.: 9 W (pat) 15/01)

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I Mit Beschluß vom 9. November 2000 hat die Patentabteilung 22 des Deutschen Patent- und Markenamts nach Prüfung des Einspruchs das am 9. Januar 1996 angemeldete Patent mit der Bezeichnung

"Bremse für Schienenfahrzeuge"

in vollem Umfang aufrechterhalten.

Der Patentanspruch 1 lautet:

Bremse für Schienenfahrzeuge mit einem Antriebsgehäuse, das einen Antriebsmotor und/oder ein Getriebe des Schienenfahrzeugs aufnimmt, mit :

- einer mitdrehbar auf einer Welle des Motors oder des Getriebes gehaltenen Bremsscheibe, die in einem im wesentlichen zylindrischen Gehäuseabschnitt des Antriebsgehäuses untergebracht ist,

- einem am Umfang der Bremsscheibe angeordneten Schwimmsattel, der einander beiderseits der Bremsscheibe gegenüberliegende Bremsbeläge aufweist, und - einem Aktuator zum Andrücken der Bremsbeläge gegen die Bremsscheibe, dadurch gekennzeichnet, dass der Schwimmsattel in einer Öffnung in der Umfangswand des Gehäuseabschnitts gelagert ist, dass der Schwimmsattel eine annähernd rechteckige Grundplatte aufweist, die in einer zur Bremsscheibe tangentialen Ebene liegt und die Öffnung des Gehäuseabschnitts weitgehend ausfüllt, und dass der Aktuator mit seinem von dem Schwimmsattel abgewandten Ende in einem nach außen offenen, an die Öffnung des Gehäuseabschnitts angrenzenden Einzug des Antriebsgehäuses liegt.

Die Patentansprüche 2 bis 5 sind dem Patentanspruch 1 rückbezogen nachgeordnet.

Die Patentabteilung hat die Auffassung vertreten, dass die patentierte Bremse für Schienenfahrzeuge auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe, da sie durch eine Zusammenschau der AT 399 694 B und der FR 2 410 175 nicht nahegelegt sei.

Gegen diesen Beschluß der Patentabteilung hat die Einsprechende Beschwerde erhoben.

Die Einsprechende hat in der Beschwerdebegründung vom 2. Juli 2001 die US 4 072 214 und die US 3 897 858 als neue Entgegenhaltungen erstmals genannt. Sie hat dort ausgeführt, dass das Beanspruchte durch die Gegenstände nach der FR 2 410 175 und der US 4 072 214 bzw nach der US 3 897 858, jeweils in Verbindung mit dem Fachwissen des Fachmanns, nahegelegt sei. In der mündlichen Verhandlung trägt sie vor, dass die Bremse nach Patentanspruch 1 bereits durch die FR 2 410 175 dem Fachmann nahegelegt sei.

Sie beantragt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie macht geltend, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 durch den genannten Stand der Technik nicht nahegelegt sei.

II Die statthafte Beschwerde ist frist- und formgerecht eingelegt und auch im übrigen zulässig. Sie ist aber in der Sache nicht begründet.

1. Die erst nach Ablauf der Einspruchsfrist im Beschwerdeverfahren genannten Entgegenhaltungen US 4 072 214 und US 3 897 858 waren bei der Prüfung des Einspruchs im Rahmen des Beschwerdeverfahrens nicht als relevanter Stand der Technik zu berücksichtigen.

Nach § 59 Abs 2, S 4 und S 5 PatG sind die Tatsachen, die den Einspruch rechtfertigen, bis zum Ablauf der Einspruchsfrist von drei Monaten im Einzelnen anzugeben. Die Einsprechende ist daher - insbesondere bei unverändert aufrechterhaltenen Patentansprüchen - nicht berechtigt, nach Ablauf der Einspruchsfrist neue Tatsachen zur Begründung seines Einspruchs nachzuschieben und hat daher keinen Anspruch auf Berücksichtigung solchen verspäteten Vorbringens (BGH GRUR 1978, 99, 100 - Gleichstromfernspeisung). Druckschriften, die erst nach Ablauf dieser Frist genannt werden, hat die Patentabteilung oder der Beschwerdesenat allerdings wegen des im Einspruchsverfahren geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes auf seine Erheblichkeit zu prüfen (BGH GRUR 1978, 99, 100 - Gleichstromfernspeisung; BPatGE 18, 19, 20; Benkard-Schäfers, PatG, 9. Aufl, § 59 Rn 33).

Der Senat ist nach Prüfung der Entgegenhaltungen US 4 072 214 und US 3 897 858 zu dem Ergebnis gelangt, dass diese Druckschriften nicht entscheidungserheblich sind. Einer Begründung, warum die Entgegenhaltungen für die Entscheidung über den Einspruch nicht relevant sind, bedarf es hierbei nicht (vgl. BPatGE 18, 19, 20; Benkard-Schäfers a.a.O., § 59 Rn 33).

2. Die Patentansprüche sind zulässig.

Der erteilte Patentanspruch 1 geht inhaltlich auf die ursprünglichen Patentansprüche 1, 2 und 6 zurück. Die erteilten Patentansprüche 2 bis 5 entsprechen den ursprünglichen Patentansprüchen 3 bis 5 und 7.

3. Im Oberbegriff des Patentanspruchs 1 ist der Stand der Technik nach AT 399 694 B berücksichtigt. In der Beschreibungseinleitung der Patentschrift ist ausgeführt, dass bei dieser Bremse die Bremsscheibe und der Bremssattel vollständig in das Getriebegehäuse integriert seien, so dass sie vom Getriebeöl umspült würden. Bei Wartungsarbeiten sei der Zugang zur Bremse erheblich erschwert.

Das dem Patent zugrundeliegende und mit der Aufgabe formulierte technische Problem besteht daher darin, eine Bremse zu schaffen, die sich durch eine vereinfachte Konstruktion, einen geringen Raumbedarf und eine hohe Wartungsfreundlichkeit auszeichnet.

Dieses Problem soll - in Verbindung mit den Merkmalen des Oberbegriffs des Patentanspruchs 1 - durch die in dessen kennzeichnendem Teil angegebenen Merkmale gelöst werden.

4. Die beanspruchte Bremse für ein Schienenfahrzeug ist unstreitig neu.

Sie unterscheidet sich von der gattungsbildenden Bremse nach der AT 399 694 B unbestritten durch die Merkmale des kennzeichnenden Teils des Patentanspruchs 1.

Die Bremse nach der FR 2 410 175 ist gattungsfremd, da sie keine Bremse für ein Schienenfahrzeug betrifft, und kann daher den Gegenstand des Patentanspruchs 1 des Streitpatents nicht neuheitsschädlich vorwegnehmen.

5. Die beanspruchte Bremse für ein Schienenfahrzeug ist ohne Zweifel gewerblich anwendbar. Sie beruht auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Durchschnittsfachmann ist hier ein Ingenieur des Maschinenbaus, der berufliche Erfahrung auf dem Gebiet der Bremsen für Fahrzeuge aufweist.

Bei der Bremse für ein Schienenfahrzeug nach der AT 399 694 B befinden sich gemäß Fig 2 der Druckschrift die Bremsscheibe 13, der Schwimmsattel 9 und der Aktuator im Gehäuse des Getriebes 2. Die Bremsscheibe ist mitdrehbar auf einer Welle 3 des Getriebes befestigt und in einem im wesentlichen zylindrischen Gehäuseabschnitt des Gehäuses angeordnet. Der Aktuator dient zum Andrücken der Bremsbeläge gegen die Bremsscheibe. Bei dieser Konstruktion sind die Bremsscheibe, die Bremsbeläge und der Aktuator erst nach Öffnen des Gehäuses zugängig und sind zumindest teilweise auch vom Getriebeöl umspült. Aus dieser Druckschrift erhält der Fachmann keine Anregung, wie eine verbesserte Wartungsfreundlichkeit der Bremsen erreicht werden könnte.

In der FR 2 410 175 wird eine Bremse für Straßenfahrzeuge (vgl Fig 1) vorgeschlagen. Ein Motor 1 ist an einem Befestigungsteil 5 und ein Planetengetriebe 2 ist an einem Flansch 8 (über ein kreisförmiges Teil 11) fluchtend zu deren Wellen zentriert. Das Befestigungsteil 5 ist an dem Flansch 8 durch Schrauben 9 fixiert und der Flansch ist an einem Querträger 7 des Fahrzeugs befestigt. In dem schmalen Raum zwischen dem kragenförmigen Befestigungsteil 5 und dem planen Flansch 8 ist eine Bremsscheibe 4 angeordnet und auf der mit der Motorwelle verbundenen Getriebewelle 3 befestigt. Der Bremssattel 6 weist eine rechteckige Grundplatte auf, die in einer zur Bremsscheibe tangentialen Ebene liegt, und ist an der Rückwand des teilweise zylindrischen Befestigungsteils 5 angeschraubt (Fig 1). Die Bremsbeläge 14 werden über einen Seilzug 15 betätigt.

Das Befestigungsteil 5 ist nach Auffassung des Senats nicht mit dem Gehäuseabschnitt 12 des Antriebsgehäuses 10 des Patents gleichzusetzen. Nach der Beschreibung der FR 2 410 175 S 2, Z 5 bis 12 haben die Bauteile Befestigungsteil 5 und Flansch 8 jeweils ausschließlich eine Trägerfunktion und bilden keinen Gehäuseabschnitt eines Antriebsgehäuses für den Motor oder das Getriebe - auch nicht im Sinne der Patentschrift Sp 3, Z 9 bis 14, wonach der Gehäuseabschnitt 12 einen Zwischenflansch zwischen dem den Motor aufnehmenden Teil des Antriebsgehäuses 10 und einem Getriebegehäuse darstellt. Ohne Kenntnis des Patents käme der Durchschnittsfachmann nicht auf die Idee, die Bauteile 5 bzw 5 und 8 als Gehäuseabschnitt des Motorgehäuses 1 anzusehen und an der Umfangswand des Befestigungsteils eine Öffnung zur Lagerung des Schwimmsattels vorzusehen. Denn der Bremssattel ist beim Gegenstand nach der FR 2 410 175 - wie ausgeführt - an der Rückseite (Planseite) des als Lagerteil dienenden Befestigungsteils angeschraubt und der vorgegebene Radstand zwischen Motor und Rad 12 ist nicht beliebig vergrößerbar, um den Bremssattel in einer Öffnung der radialen Wand des Befestigungsteils anordnen zu können.

Vergleichbar mit dem Antriebsgehäuse 10 des Patents wäre allenfalls das Motorgehäuse 1 der FR 2 410 175. Dessen konstruktive Umgestaltung mit einem zusätzlichen zylindrischen Gehäuseabschnitt, in dem eine Öffnung in der Umfangswand vorgesehen wird, in der der Schwimmsattel gelagert werden kann, regt die FR 2 410 175 jedoch nicht an. Wie auch die Einsprechende einräumt ist der Motor 1 üblicherweise ein zukaufbares Serienbauteil, das nur unter erheblichem Aufwand im vorgenannten Sinne änderbar wäre.

Außerdem vermittelt die Bremse nach der FR 2 410 175 dem Fachmann auch keine Anregung dazu, einen Aktuator vorzusehen, der in einem Einzug des Antriebsgehäuses liegt, angrenzend an die Öffnung in der Umfangswand des Gehäuseabschnitts. Gestützt auf sein Fachwissen würde der Fachmann einen Aktuator am Bremssattel der FR 2 410 175 allenfalls außerhalb des Flansches 5 anbringen und zwar in einer Lage senkrecht zu den Bremsbelägen und parallel zu den Wellen von Motor und Getriebe. So ergäbe sich eine einfache Konstruktion, bei der der Aktuator leicht zugänglich wäre, die allerdings vom Streitgegenstand wegführt.

Der Patentanspruch 1 ist somit beständig. Die Patentansprüche 2 bis 5 betreffen zweckmäßige weitere Ausbildungen des Gegenstandes des Patentanspruchs 1, die nicht selbstverständlich sind, und haben daher mit dem Patentanspruch 1 Bestand.

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BPatG:
Beschluss v. 10.02.2003
Az: 9 W (pat) 15/01


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