Anwaltsgerichtshof Rostock:
Urteil vom 5. Juli 2013
Aktenzeichen: AGH 9/12 (I/5)

(AGH Rostock: Urteil v. 05.07.2013, Az.: AGH 9/12 (I/5))

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Der Geschäftswert wird auf 25.000,00 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Der am xx.xx.19xx in W. geborene Kläger ist seit dem 01.12.1999 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Er war zunächst als angestellter Anwalt tätig und betreibt seit dem 01.10.2007 in N. eine Kanzlei als Einzelanwalt.

Mit Bescheid vom 09.05.2012 wurde dem Kläger im Hinblick auf den möglicherweise vorliegenden Widerrufsgrund nach § 14 Abs. 2 Nr. 3 BRAO aufgrund des Beschlusses des Vorstandes der Beklagten vom 22.02.2012 aufgegeben, nach § 15 Abs. 1 S. 1 BRAO ein Gutachten über seinen Gesundheitszustand innerhalb von 4 Monaten nach Zugang des Bescheids vorzulegen.

Das dem Kläger aufgegebene Gutachten soll von Prof. Dr. med. H. J. F., Ernst-Moritz-Arndt Universität Greifswald, erstellt werden. Es soll unter Berücksichtigung des in der Anordnung geschilderten Verhaltens Aufschluss darüber geben, ob der Kläger aus gesundheitlichen Gründen nicht nur vorübergehend unfähig ist, den Beruf eines Rechtsanwalts ordnungsgemäß auszuüben und folgende Fragen beantworten:

1. Liegt bei dem Rechtsanwalt eine seelisch bedingte Störung oder andere Krankheit vor, die ihn daran hindert, seinen Beruf als Rechtsanwalt ordnungsgemäß auszuüben€

2. Wie wirken sich diese Gesundheitsstörungen auf die Ausübung seines Berufes aus€ Welche Einschränkungen für das geistige und/oder psychische Leistungsvermögen folgen daraus€

3. Handelt es sich bei den von Ihnen erhobenen - die Leistungsfähigkeit des Rechtsanwalts einschränkenden - Befunden um solche von Dauercharakter, d. h. besteht keine Aussicht auf Wiederherstellung in absehbarer Zeit oder um einen (gegebenenfalls durch welche Heilmaßnahmen und therapeutische Behandlungsmethoden in welchem Zeitraum) besserungsfähigen vorübergehenden Zustand€

Die Anordnung wurde auf eine Vielzahl von konkret aufgeführten Beschwerden und Eingaben - erhoben von Rechtsanwälten und Gerichten - gestützt, deren Gegenstand das auffällige Verhalten des Klägers und von ihm unternommene prozessuale Schritte, die von den Beschwerdeführern als berufsrechtswidrig bzw. den Verfahrensfortgang behindernd angesehen wurden, waren. Ferner soll der Kläger in mündlichen Verhandlungen und im Schriftverkehr äußerst ungewöhnlich aufgetreten sein, was auf eine seelisch bedingte Störung bzw. Krankheit des Klägers hindeute. Die Beklagte bezog sich ferner auf eine Mitteilung des Landgerichts Stralsund vom 10.05.2012 (Az.: 2 T 121/12) darüber, dass im Rahmen einer Verdachtsdiagnose eine manische Episode mit psychotischer Symptomatik beim Kläger festgestellt worden war, die die Anordnung der vorläufigen Unterbringung mit Beschluss des Amtsgerichts Wolgast vom 29.04.2012 zur Folge hatte. Dieser Beschluss war am 10.05.2012 vom Landgericht Stralsund wieder aufgehoben worden, weil wegen Rückläufigkeit der manischen Phase keine akute Selbst- oder Fremdgefährdung mehr angenommen wurde.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung der Anordnung wird auf den Inhalt des Bescheids der Beklagten vom 09.05.2012 nebst Anlagen (Bd. I Bl. 23 ff. d.A.) Bezug genommen.

Gegen den am 15.05.2012 zugestellten Bescheid legte der Kläger unter dem 15.06.2012 Widerspruch ein und stellte - noch vor Erlass des den Widerspruch zurückweisenden Beschlusses vom 04.09.2012 - mit Schriftsatz vom 31.08.2012 den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage. Der angegriffene Bescheid entbehre einer tragfähigen Grundlage. Er sei daher rechtswidrig und verletze den Kläger auch in seinen (Grund-) Rechten.

Unter dem 26.09.2012 hat der Kläger Klage erhoben, die am 28.09.2012 einging und mit den Schriftsätzen vom 23.01.2013 (32 Seiten) und vom 27.03.2013 (42 Seiten) ausführlich begründet wurde. Der Kläger hat im Wesentlichen auf folgende Gründe abgestellt:

1. Die im Bescheid formulierten Fragen nach den konkreten Auswirkungen einer etwaigen gesundheitlichen Beeinträchtigung auf seine Tätigkeit als Rechtsanwalt (Fragen zu Ziff. 1 und Ziff. 2, 1. Frage) seien reine Rechtsfragen und daher nicht vom Gutachter, sondern von der Beklagten zu beantworten.

2. Die Einholung eines Gutachtens sei nicht erforderlich. Soweit die Beklagte aus dem Umstand, dass einzelne Beschwerdeführer sein Verhalten als

- übertrieben formalistisch- dem Verfahrensfortgang hinderlich- zum Teil als berufsrechtswidrig

angesehen und daraus "Zweifel an seiner Berufsfähigkeit" abgeleitet hätten, woraus "nicht nützende Verfahren" erwachsen seien, Anhaltspunkte für eine gesundheitliche Störung sehe, gehe sie fehl. Mangels näherer Erläuterung könne er zu den einzelnen, den Beschwerden zugrunde liegenden Verfahren nur mutmaßen, was gemeint sei (z.B. welche seiner Handlungen einem Verfahrensfortgang hinderlich gewesen sein soll).

Die Bewertung als "übertrieben formalistisch" sei unzutreffend; darüber hinaus aber als Anhaltspunkt für eine gesundheitliche Störung ungeeignet. Denn Formalien zu beachten, gehöre zum Wesen (auch) des deutschen Rechts. Was übertrieben formalistisch bedeute, bleibe unklar. Außerdem ziele der Vorwurf auf ein ständiges und grundlegendes Verhalten ab, wovon bei den wenigen Beschwerden keine Rede sein könne. Er habe in dem in Rede stehenden Zeitraum 2010/2011 rund 790 Sachen bearbeitet, was er anwaltlich versichere. Damit beträfe die Zahl der Rügen weniger als 1% der von ihm bearbeiteten Sachen. Auch seien konkrete Nachteile für Mandanten weder behauptet noch ersichtlich. Die Vorwürfe zu angeblich zurückbehaltenen Gerichtsakten, handschriftlichen Vermerken in Gerichtsakten und zu seinem Auftreten in zwei mündlichen Verhandlungen hätten nichts mit einem "übertrieben formalistischen" Verhalten zu tun.

Die Bewertung seines Verhaltens als zum Teil berufsrechtswidrig sei nicht rechtskräftig festgestellt und könne daher nicht als Anhaltspunkt für eine gesundheitliche Störung dienen.

"Zweifel an seiner Berufsfähigkeit" wegen gesundheitlicher Probleme hätten lediglich ein gegnerischer Rechtsanwalt aus H. und der Präsident des Landgerichts Rostock geäußert, die zu einer medizinischen Bewertung jedoch nicht in der Lage seien.

Auch eine Gesamtschau führe zu keinem anderen Ergebnis. Denn zwischen einzelnen belastbaren Indizien müsse zumindest ein innerer Zusammenhang herstellbar sein. Dies sei nicht der Fall.

Hinzu komme, dass vergleichbare Vorwürfe nicht mehr erhoben worden seien. Er habe sein Verhalten geändert, was gegen eine psychische Erkrankung spreche.

Auch die gerichtlich angeordnete Unterbringung vom 29.04.2012 bis 10.05.2012 in einer geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses sei kein Indiz für eine Gesundheitsstörung, die ihn dauerhaft an der ordnungsgemäßen Ausübung seines Berufes hindere. Zum einen habe es sich lediglich um eine Verdachtsdiagnose gehandelt. Zum anderen könne die ärztlich und gerichtlich erkannte "Selbstgefährdung" auch Ausdruck einer persönlichen Krise - etwa aufgrund des hier laufenden Verfahrens - oder aber auch eine Fehleinschätzung der Ärzte und Richter gewesen sein.

Die Beklagte habe im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung verkannt, dass er, der Kläger, als einer von rund 1.500 Rechtsanwälten im Land Mecklenburg-Vorpommern bzw. 150.000 Anwälten bundesweit schwerlich eine Gefahr für die Rechtspflege darstellen könne, sei er auch noch so lästig.

3. Fraglich sei, ob Form und Inhalt der Gutachtenauflage ihn zwingen würden, seine anwaltliche Schweigepflicht zu verletzen, was für ihn strafrechtliche Folgen haben könnte.

4. Die Auflage sei bereits aus formellen Gründen rechtswidrig. Denn er könne ihr weder ein hinreichend konkretes Untersuchungsthema entnehmen noch feststellen, was ihm überhaupt vorgeworfen werde. Ein konkreter Auftrag an den Sachverständigen, der ja kein Jurist sei, sei jedoch zwingende Voraussetzung einer Begutachtung.

Im Übrigen sei der Vorstand der Beklagten im Zeitpunkt der Beschlussfassung nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen, weil Schatzmeister und Vizepräsident, mithin zwei Vorstandsmitglieder, ihre Ämter niedergelegt hatten. Damit sei eine Kontinuität in der Arbeit des Vorstandes nicht mehr gewährleistet gewesen. Durch das Ausscheiden von zwei Rostocker Anwälten sei die Rechtsanwaltschaft des Landgerichtsbezirks Rostock deutlich unterrepräsentiert gewesen, so dass der Beschluss vom 22.02.2012 nicht wirksam sei. Ob der Vorstand in der Vergangenheit überhaupt ordnungsgemäß besetzt gewesen sei, sei gegebenenfalls weiter zu ermitteln.

5. Die Regelung des § 15 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 3 S. 1 BRAO sei mit dem Grundgesetz unvereinbar und daher nichtig. Die Regelung enthalte schon keinen Hinweis gemäß Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG (Bd. I Bl. 47 d.A.). Auch sei sie so weitreichend, dass die Ausgestaltung mangels Richtervorbehalts verfassungswidrig sei. Daher verstoße auch die Auflage gegen Art. 92 S. 1 GG, wonach die rechtsprechende Gewalt allein den Richtern vorbehalten sei.

Die Auflage verstoße auch gegen sein Recht auf freie Arztwahl. Darüber hinaus werde das Prinzip der Privatautonomie ausgehöhlt, weil der Betroffene gezwungen werde, einen Vertrag mit einem ihm vorgegebenen Vertragspartner abzuschließen. Gesetz und Auflage verstießen auch gegen die Unschuldsvermutung und den Grundsatz, sich nicht selbst belasten zu müssen. Hier aber solle der Kläger durch Öffnung höchst persönlicher Bereiche gegenüber einem Dritten helfen, einen bloßen Verdacht der Beklagten zu widerlegen oder zu bestätigen.

Der Kläger meint unter Bezugnahme auf den Fall "Gä.", dass hier über das Folterverbot nachzudenken sei, weil er einen - möglicherweise im Unterbewusstsein voreingenommenen - Gutachter dabei unterstützen solle, seine Existenzgrundlage zu vernichten. Dies sei unmenschlich.

Die Beklagte verletze Verfassungsrecht, wenn sie einfach die Positionen der Petenten als eigene übernehme. Sie bewerte Verhaltensweisen des Klägers nach eigenen Maßstäben oder jenen Dritter und greife damit in die Berufsausübungs- und Meinungsfreiheit des Klägers ein. Sein Verhalten - so ungewöhnlich oder lästig es auch sein möge - sei hinzunehmen. Es könne kein Zweifel daran bestehen, dass ein Anwalt wie Gerichtspersonen und Gegner das Recht habe, ausreichend vorbereitet, ausgeruht und mit Nahrung versorgt, an einer Verhandlung teilzunehmen. Es sei unerheblich, weshalb ein Anwalt oder Richter an einer Verhandlungsteilnahme, d.h. in der Fähigkeit wirklich mitzuwirken, gehindert sei. Denn es komme nicht auf die rein körperliche Anwesenheit im Gerichtssaal an.

Die Auflage greife auch in das Recht auf körperliche Unversehrtheit ein, da körperliche Untersuchungen (z.B. Blutentnahmen, Röntgen u. a.) nicht auszuschließen seien. Er wäre der Willkür des Gutachters völlig ausgeliefert. Während der Zeit der Untersuchung, jedenfalls während einer klinischen Beobachtung wäre seine Bewegungsfreiheit eingeschränkt; eine Abgrenzung zum Freiheitsentzug wäre schwierig. Die Mitwirkungspflicht bewirke über den Umweg der drohenden Fiktion des § 15 Abs. 3 S. 1 BRAO, dass dem Betroffenen faktisch keine Wahl bleibe. Dies sei nicht mehr freiwillig.

Gesetz und Auflage verletzten ihn, den Kläger, in seiner Menschenwürde. Es liege in seinem Interesse, nicht im Kernbereich seiner Persönlichkeit analysiert und dann im Rahmen eines Gutachtens - bildlich nackt und bloß, jeder Schutzhülle beraubt - präsentiert und daher sogleich seiner Würde beraubt zu werden. Er werde zu einem Objekt degradiert. Es sei nicht absehbar, wie der Gutachter mit seinen Erkenntnissen umgehe und wer letztlich Einblick in sein Innerstes erhalte.

6. Im Eilverfahren habe der Senat seine Rüge zu übergangenem Vorbringen, amtspflichtwidriger Sachverhaltsverzerrung und mangelnder Prüfung der Auflage bislang unbeschieden gelassen.

7. Schließlich hat der Kläger die Besetzung des Senats gerügt, weil dieser nicht der gesetzliche Richter sei. Seine Auffassung, es fehle an der regelgerechten Einrichtung des Anwaltsgerichtshofs Mecklenburg-Vorpommern und somit des Senats stützt der Kläger darauf, dass der Senat kein eigenständiges Gericht, sondern eine Unterabteilung des Präsidenten des Oberlandesgerichts Rostock sei. Das zeige sich an folgenden Umständen:

- die Briefpost werde mit Freistempler des Oberlandesgerichts als Justizbehörde versandt;

- EB und sonstige Post werde über das Postfach bzw. Telefaxgerät des Oberlandesgerichts befördert;

- die Geschäftsstelle des Anwaltsgerichtshofs habe keinen eigenen Telefon- und Telefaxanschluss;

- alles, von Räumen über Gerichtspersonen bis hin zur EDV und Telekommunikation werde mit dem Oberlandesgericht geteilt;

- allein ein Schild am Gebäude, dass auf den Anwaltsgerichtshof hinweise, reiche nicht aus.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 09.05.2012 über die Erteilung der auf § 15 Abs. 1 S. 1 BRAO gestützten Auflage, ein Gutachten durch Dr. med. H. J. F. vorzulegen, in Gestalt des am 07.09.2012 zugestellten Widerspruchsbescheids vom 04.09.2012 aufzuheben;

hilfsweise,

die Berufung zuzulassen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte nimmt Bezug auf ihren Bescheid vom 09.05.2012 nebst Anlagen. Dieser sei rechtmäßig zustande gekommen und auch materiell rechtmäßig. Der Vorstand sei bei der Fassung des Beschlusses vom 22.02.2012, der dem angefochtenen Bescheid zugrunde liege, ordnungsgemäß besetzt gewesen. Der Kläger sei auch in der gebotenen Weise angehört worden. Da der Kläger am Widerspruchsverfahren aber nicht mitgewirkt habe, habe der Vorstand den Widerspruch, den der Kläger nicht einmal begründet habe, in der Sitzung vom 22.08.2012 nach Aktenlage zurückgewiesen. Die im Bescheid aufgeführten Beschwerdeverfahren seien noch nicht abgeschlossen. Es sei nicht ersichtlich, dass die Beschwerdegründe zwischenzeitlich in Wegfall geraten seien und sich die Frage nach dem Gesundheitszustand des Klägers erledigt hätte. Angesichts der Tatsache, dass alle im Ausgangsbescheid genannten Beschwerden wegen des Auftretens und Handelns der Klägers im Rechtsverkehr von Organen der Rechtspflege erhoben worden seien, sei auch nicht davon auszugehen, dass im Falle des Vorliegens des Widerrufsgrundes der gesundheitlichen Störung ein Verbleib des Klägers in der Rechtsanwaltschaft die Rechtspflege nicht gefährden würde.

Die Regelung des § 15 BRAO verstoße nicht gegen höherrangiges Recht. Die Gründe für die Anordnung der ärztlichen Begutachtung hätten vorgelegen und seien nicht in Wegfall geraten.

Mit Schriftsätzen vom 12.06.2013 hat die Beklagte informationshalber den Beschluss des Landgerichts Stralsund vom 29.04.2013, Az.: 2 T 82/13, sowie ein Schreiben des Prof. Dr. F. vom 31.05.2013 zur Akte gereicht. Auf den Inhalt dieser Schriftsätze nebst Anlagen wird verwiesen.

Diesem Verfahren ist ein Eilverfahren wegen des Antrags des Klägers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 09.05.2012 vorausgegangen. Auf den den Antrag zurückweisenden Senatsbeschluss vom 25.01.2013 sowie den weiteren Inhalt der Akten des Eilverfahrens (Az.: AGH 7/12 (I/4) = Beiakte) wird Bezug genommen.

Der vom Senat auf den 19.04.2013 bestimmte Verhandlungstermin wurde aufgrund der seinerzeit ohne nähere Begründung vorgetragenen Reise- und Verhandlungsunfähigkeit des Klägers verlegt. Wie sich im nach hinein herausstellte, war der Kläger in der Zeit vom 17.04.2013 bis zum 06.05.2013 aufgrund des Beschlusses des Amtsgerichts Greifswald vom 17.04.2013 erneut in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses untergebracht. Auf die Sitzungsprotokolle vom 19.04.2013 und 14.06.2013 (Bd. II Bl. 156 f. und Bl. 205 ff. d.A.) wird verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen ebenfalls Bezug genommen.

Gründe

1.

Die Anfechtungsklage ist zulässig (§§ 112 a Abs. 1, 112 c Abs. 1 S. 1 BRAO i.V.m. § 42 Abs. 1, 1. Alt. VwGO), insbesondere ist sie form- und fristgerecht eingelegt worden. Das Vorverfahren gemäß §§ 69 ff. VwGO ist abgeschlossen.

2.

In der Sache hat die Klage aber keinen Erfolg. Denn die Anordnung der Beklagten an den Kläger, ein Gutachten über seinen Gesundheitszustand vorzulegen, ist zu Recht erfolgt.

2.1.

Nach § 114 Abs. 2 Nr. 3 BRAO ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt aus gesundheitlichen Gründen nicht nur vorübergehend unfähig ist, den Beruf eines Rechtsanwalts ordnungsgemäß auszuüben, es sei denn, dass sein Verbleiben in der Rechtsanwaltschaft die Rechtspflege nicht gefährdet.

Entscheidend ist insoweit, ob bei dem Rechtsanwalt gesundheitliche Gründe vorliegen, die ihm nach ihrer Art und ihrem Gewicht die ordnungsgemäße Ausübung des Berufs des Rechtsanwalts, insbesondere die sachgemäße und sorgfältige Wahrnehmung der Interessen der Rechtsuchenden, dauernd unmöglich machen (BGH, Beschluss vom 22.11.2010 - AnwZ (B) 74/07 m.w.N.).

2.2.

Nach § 15 Abs. 1 BRAO gibt die Rechtsanwaltskammer dem Betroffenen, wenn es zur Entscheidung über den Versagungsgrund des § 7 Nr. 7 oder den Widerrufsgrund des § 14 Abs. 2 Nr. 3 BRAO erforderlich ist, auf, innerhalb einer von ihr zu bestimmenden Frist das Gutachten eines von ihr zu bestimmenden Arztes über seinen Gesundheitszustand vorzulegen.

Die vorgenannte Regelung verstößt nicht gegen höherrangiges Recht, insbesondere nicht gegen das Grundgesetz. Sie dient dem Schutz des rechtsuchenden Publikums vor Rechtsanwälten, die aufgrund körperlicher oder geistiger Defizite keine Gewähr für eine ordnungsgemäße und sorgfältige Berufsausübung bieten (Henssler/Prütting/Henssler, BRAO, 3. Auflage, § 15 Rn. 3). Zur Erfüllung dieses Zwecks ist die Regelung geeignet und erforderlich (vgl. Feuerich/Weyland/Vossebürger, BRAO, 8. Auflage, § 15 Rn. 1, 1 a). Denn dem (schwerwiegenden) Eingriff in Persönlichkeitsrechte des betroffenen Rechtsanwalts geht der Schutz des rechtsuchenden Publikums im Rahmen einer geordneten Rechtspflege vor.

Wegen der Bedeutung der vorgesehenen Anordnung für den betroffenen Rechtsanwalt besteht die Möglichkeit der Anfechtung beim Anwaltsgerichtshof. Dieser Richtervorbehalt gewährleistet eine hinreichende Kontrolle des mit § 15 BRAO möglichen Eingriffs in das durch Art. 2 Abs. 2 GG gewährte Recht auf Selbstbestimmung, der nur bei Wahrung der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt sein kann (Henssler, a.a.O., § 15 Rn. 10). Aus diesem Grunde sind Anordnungen nach § 15 Abs. 1 BRAO auch mit Gründen zu versehen. Eine Belehrung über die Folgen der Nichtvorlage des Gutachtens ist gesetzlich zwingend vorgeschrieben (§ 15 Abs. 3 S. 2 BRAO). Anhaltspunkte für das Bestehen der vom Kläger angenommenen Gefahr der Verletzung anderer Grundrechte, die angesichts des Zwecks der Norm als unverhältnismäßig angesehen werden könnte, sind nicht ersichtlich.

2.3.

Die Auflage der Beklagten im Bescheid vom 09.05.2012 ist weder formell noch materiell zu beanstanden.

2.3.1. Die Beklagte hat substantiiert zur Besetzung des Kammervorstands bei der Beschlussfassung am 22.02.2012 vorgetragen (Bl. 22 BA; Bd. I Bl. 60 d.A.). Die Amtsniederlegung der Vorstands- und Präsidiumsmitglieder Rechtsanwälte G. und Dr. K. am 13.10.2011 führte nicht zur Beschlussunfähigkeit des Vorstands. Der Vorstand war mit 10 von den verbliebenen Vorstandsmitgliedern ordnungsgemäß besetzt (§ 3 GO des Vorstands = Bl. 22 BA).

Soweit der Kläger die Auffassung vertritt, dass § 69 BRAO nur die Rechtsfolge für das vorzeitige Ausscheiden eines Vorstandsmitglieds regele, mithin eine zahlenmäßige Begrenzung vornehme, geht er fehl. Die Regelung behandelt zwar im Singular das vorzeitige Ausscheiden eines Vorstandsmitglieds, insbesondere in Absatz 3 die Rechtsfolge dieses Ausscheidens. Daraus ergibt sich jedoch nicht, dass die Vorschrift bei einem gleichzeitigen Ausscheiden mehrerer Rechtsanwälte aus dem Vorstand nicht anzuwenden wäre. Sinkt die Zahl der Vorstandsmitglieder nach vorzeitigem Ausscheiden eines oder mehrerer Mitglieder nicht unter die Mindestzahl 7, hat in der nächsten Kammerversammlung eine Ersatzwahl stattzufinden, es sei denn, die Voraussetzungen des § 69 Abs. 3 S. 2 BRAO liegen vor. Die hier in Rede stehende Beschlussfassung fand jedoch vor der nächsten Kammerversammlung vom 18.04.2012, nämlich am 22.02.2012 statt.

Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs des Klägers im Verfahren bei der Beklagten ist ebenfalls nicht ersichtlich. Nach eigenem Bekunden hatte der Kläger vor Anordnung der Auflage Gelegenheit zur Äußerung zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen. Seinen Widerspruch vom 15.06.2012 hat er ohne Begründung eingereicht. Ihm angebotene Termine zu der von ihm erbetenen mündlichen Erörterung des Widerspruchs im Juli und August 2012 hat er nicht wahrgenommen. Der vom Kläger gegenüber der Beklagten erhobene Vorwurf, sie habe ihm pflichtwidrig keine effektive Möglichkeit eingeräumt, die gegen ihn erhobenen Vorwürfe in mündlicher Verhandlung vor dem Vorstand zu entkräften, entbehrt daher jeder Grundlage. Soweit der Kläger die als "Anhörung" bezeichnete Anforderung einer schriftlichen Widerspruchsbegründung als ungeeignet ansieht, um ihm effektiven Rechtsschutz zu gewähren, ist dies nicht nachvollziehbar. Zwar hat er vorgetragen, dass er dazu mindestens 100 maschinengeschriebene Seiten hätte verfassen müssen. Weshalb ihm dies - auch angesichts seiner sonstigen Arbeitsbelastung - vor dem 17.09.2012 nicht möglich gewesen sein soll, ist jedoch unverständlich. Vielmehr erscheint diese Begründung für das Verhalten des Klägers symptomatisch zu sein. Ihm scheint es an der Einsicht zu fehlen, dass Rechte und Pflichten miteinander korrespondieren.

2.3.2. Die Gutachtenaufforderung ist auch im Übrigen formell ordnungsgemäß. Insbesondere ist die Anordnung der Beklagten hinreichend bestimmt und ausreichend begründet. Sie legt unmissverständlich dar, auf welche Fragen sich das vorzulegende Gutachten zu beziehen hat und trifft die - mit einer Begründung versehene - Auswahl des Gutachters (vgl. Feuerich/Weyland, a.a.O., § 15 Rn. 3 und 4). Im Übrigen müssen die zu untersuchenden Fragen in der Anordnung nicht im Einzelnen benannt werden, wenn diese sich auf tatsächliche Vorkommnisse beziehen, aus denen sich zweifelsfrei ergibt, welche Fragen untersucht werden sollen (BGH, Beschluss vom 06.07.2009 - AnwZ (B) 81/08).

Die Aufforderung zur Beibringung des Gutachtens ist dem Kläger - versehen mit einer ordnungsgemäßen Folgenbelehrung gemäß § 15 Abs. 3 S. 2 BRAO und einer Rechtsbehelfsbelehrung (vgl. Schmidt-Räntsch in Gaier/Wolf/Göcken, Anwaltliches Berufsrecht, § 15 Rn. 32, 33) - förmlich zugestellt worden.

2.3.3. Die Anordnung ist auch materiellrechtlich begründet.

2.3.3.1. Wie die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid bereits ausgeführt hat, können gesundheitliche Gründe, die zum Widerruf der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft führen können, körperlicher und geistiger Natur sein. Es kommt darauf an, ob der Betroffene wegen dieser Gründe nicht nur vorübergehend unfähig ist, den Beruf eines Rechtsanwalts ordnungsgemäß auszuüben. Nach ständiger Rechtsprechung ist dies insbesondere dann der Fall, wenn der Rechtsanwalt zur ordnungsgemäßen und sorgfältigen Wahrnehmung der Interessen der Rechtsuchenden außerstande ist (vgl. BGH, Beschluss vom 26.11.2007- AnwZ (B) 102/05 m. w. N.). Nicht erforderlich ist, dass die Verrichtung des Anwaltsberufs dauerhaft und unumkehrbar unmöglich ist (vgl. Feuerich/Weyland, a.a.O., § 14 Rn. 28).

Die von der Beklagten im Einzelnen aufgelisteten Beschwerden und Eingaben geben auch nach Auffassung des Senats in ihrer Gesamtheit hinreichend Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger nicht nur vorübergehend unfähig sein könnte, den Beruf eines Rechtsanwalts ordnungsgemäß und sorgfältig im Interesse der Rechtsuchenden im Rahmen einer geordneten Rechtspflege wahrzunehmen. Die Anordnung ist mangels anderer, milderer Mittel zur Tatsachenaufklärung erforderlich.

Bei den der Anordnung zugrunde liegenden Sachverhalten handelt es sich nicht nur um berufsrechtliche Verstöße gemäß §§ 12, 14 und 19 BORA, wie ersichtlich aus den

- Beschwerden der Rechtsanwälte B. und W. wegen der nach § 12 BORA untersagten Umgehung des Gegenanwalts;

- Beschwerden der Präsidentin des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern und des Präsidenten des Landgerichts Neubrandenburg wegen Verstößen gegen die Pflicht nach § 14 BORA, ordnungsgemäße Zustellungen entgegenzunehmen und das Empfangsbekenntnis mit Datum versehen unverzüglich zu erteilen;

- Beschwerden wegen des Umgangs mit zur Einsicht erhaltenen Gerichtsakten (handschriftliche Vermerke in Gerichtsakten) und wegen der Zurückbehaltung von Gerichtsakten,

die jedenfalls zum Teil zur Einleitung von Verfahren vor dem Anwaltsgericht geführt haben, sondern insbesondere auch um die Bewertung der Reaktion des Klägers auf diese Beschwerden.

In einer Beschwerdesache des Präsidenten des Landgerichts Neubrandenburg wegen des Vorwurfs eines Verstoßes gegen § 19 BORA hat der Kläger in seiner Stellungnahme vom 29.09.2011 unter anderem ausgeführt: "Das als fehlerhaft gerügte Verhalten dieses Rechtsanwaltes mag ungewöhnlich sein, es entspricht aber seiner Gewohnheit und ist daher sein Recht."

Der Kläger berief sich in seinen Ausführungen gegenüber der Beklagten darauf, dass ein Rechtsanwalt das Recht genauso fortentwickle wie Richter und übrige Organe der Rechtspflege, er befände sich insofern auf Augenhöhe mit ihnen und müsse sich nicht deren Gewalt beugen. In seinen weiteren Ausführungen heißt es:

"Wollte man das anders sehen, wäre der Rechtsanwalt letztlich auf die Rolle des duckmäuserischen Gerichtsdieners reduziert, der sich sogar noch vorschreiben lassen muss, in welcher Form, welcher Schrift, welchem Zeilenabstand ... er seine Gedankenerklärungen zur Akte zu reichen hat."

"Ferner könnten auch eigentumsrechtliche Fragen kein anderes Ergebnis hervorrufen. Denn die Akte ist Eigentum des Volkes, in dessen Namen Recht gesprochen wird ...".

Mit Schreiben vom 16.09.2011 (Anlage 7 des angefochtenen Bescheids) berichtete der Vizepräsident des Landgerichts Rostock über das Verhalten des Klägers in einem Termin in einem Rechtsstreit vor der Kammer für Handelssachen. Danach habe der Kläger bei Erstellung des Sitzungsprotokolls erklärt, zwar physisch anwesend, doch in seiner Aufmerksamkeit beeinträchtigt zu sein, weil er mehr als 28 Stunden ohne Schlaf gewesen sei. Bei Protokollierung der Erschienenen habe er in "gewundener und wenig wiedergabefähiger Weise" erklärt, es sei zwischen dem Menschen, Herrn M. G. und dem Rechtsanwalt G. als Amtsträger zu unterscheiden. Aufgrund dieses Verhaltens wurden Zweifel an der Berufsfähigkeit des Klägers geäußert.

Mit Schreiben vom 27.09.2011 berichtete Rechtsanwalt B. über einen Termin vor dem Landgericht Hamburg (Az.: 308 O 120/11) vom 21.09.2011. Dem Schreiben fügte der Rechtsanwalt eine Kopie der Protokollabschrift des Termins bei (Anlage 9 des angefochtenen Bescheids). Rechtsanwalt B. äußerte, er habe den persönlichen Eindruck, dass der Kläger nicht in der Lage sei, die Anliegen seiner Mandanten wie ein ordentlich arbeitender Anwalt wahrzunehmen. Der hiesige Kläger habe einen "derart verwirrten Eindruck gemacht, dass ... zumindest derzeit eine psychische Störung vorliegen muss". Auf die weiteren Ausführungen zum Termin der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Hamburg wird Bezug genommen.

Mit einem weiteren Schreiben vom 17.10.2011 berichtete Rechtsanwalt B. gegenüber der Beklagten, dass der Kläger in einer dem Oberlandesgericht Hamburg vorliegenden rechtlichen Auseinandersetzung anwaltliche Schriftsätze durch einen "Kanzleivorsteher" mit dem Briefbogen

"G. Rechtsanwalt- Kanzleivorsteher -"

habe versenden lassen.

Die Beklagte sah darin eine Fortsetzung der Einlassungen des Klägers in anderen Beschwerdeverfahren, dass man zwischen ihm als Rechtsanwalt und seiner Kanzlei bzw. zwischen ihm als Rechtsanwalt und als Mensch zu unterscheiden habe.

2.3.3.2. Nach alldem hat die Beklagte konkrete Anhaltspunkte für gravierende gesundheitliche Störungen des Klägers hinreichend dargelegt. Die in der Anordnung genannten - nicht inhaltlich, aber als solche unstreitigen - vielfachen Beschwerden und Eingaben gerade von Anwaltskollegen und Richtern zum Verhalten des Klägers und zu den von ihm unternommenen prozessualen Schritten sowie das geschilderte auffällige Verhalten in mündlichen Verhandlungen und im Schriftverkehr deuten auf eine seelisch bedingte Störung oder Krankheit hin. Der zu berücksichtigende Sachverhalt begründet die dringende Vermutung, dass dem Kläger bei Erlass der Anordnung der Beklagten die erforderliche gesundheitliche Eignung für die ordnungsgemäße Ausübung des Rechtsanwaltsberufs dauerhaft (nicht unumkehrbar) gefehlt hat. Eine gesundheitliche Störung, die die Interessen der Rechtsuchenden, der Rechtspflege und des Kläger selbst konkret gefährden könnte, kommt somit ernsthaft in Betracht. Die Ausführungen des Klägers zum Nichtbestehen einer Gefahr für die Rechtspflege liegen neben der Sache. Auch wenn nur zu vermuten ist, dass der Rechtsanwalt (z.B. wegen Schwäche seiner geistigen Kräfte) nicht nur vorübergehend unfähig ist, seinen Beruf ordnungsgemäß auszuüben, ist damit regelmäßig eine Gefährdung der Rechtspflege bei einem Verbleiben des Rechtsanwalts in der Rechtsanwaltschaft indiziert (vgl. Feuerich/Weyland/Vossebürger, a.a.O., § 14 Rn. 30).

Die Erforderlichkeit einer Anordnung nach § 15 Abs. 1 S. 1 BRAO hat auch weiterhin Bestand. Sie ergibt sich hier zum einen aus der Ermangelung anderer Aufklärungsmöglichkeiten und zum anderen aus der Vielzahl von Beschwerden und Eingaben gegen den Kläger sowie aus der ca. 10-tägigen gerichtlichen Unterbringung im April/Mai 2012 wegen eines akuten psychotischen Zustandes in ausgeprägter manischen Phase mit aktueller Gefahr einer Selbst- und/oder Fremdgefährdung. Auch wenn es um den Kläger zwischenzeitlich "ruhiger" geworden sein sollte und der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat Fehler eingeräumt hat, ist eine Änderung seines Verhaltens nicht ersichtlich (vgl. beispielsweise die Korrekturen auf dem zurück gereichten Empfangsbekenntnis vom 25.03.2013 = Bd. I Bl. 120 d.A.). Diese Einschätzung wird durch die erneute mit Beschluss des Amtsgerichts Greifswald vom 17.04.2013 angeordnete vorläufige Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung, die nach Angaben des Klägers bis zum 06.05.2013 andauerte, erhärtet.

Zwar verkennt der Senat nicht, dass abwegige persönliche Meinungen eines Rechtsanwalts und diffamierende Äußerungen über Richter, Staatsanwälte und die Justiz insgesamt noch nicht die Aufforderung zur Vorlage eines Gutachtens über den Gesundheitszustand des Rechtsanwalts rechtfertigen. Entscheidend ist vielmehr, ob bei dem Rechtsanwalt gesundheitliche Gründe vorliegen, die ihm die sachgemäße und sorgfältige Wahrnehmung der Interessen der Rechtsuchenden, dauernd unmöglich machen (vgl. AGH Hamm, Beschluss vom 17.06.2011 - Az.: 1 AGH 7/11). So liegt der Fall hier jedoch.

Neben den bereits vorgebrachten Beanstandungen eines übertrieben formalistischen und dem Verfahrensfortgang hinderlichen Verhaltens, was sich beispielsweise in den Fällen mehrfach vom Kläger aus förmlichen Gründen bezweifelter Vollmachten, die von gegnerischen Kollegen vorgelegt wurden, zeigte und letztlich dazu führte, dass sich der Kläger - teilweise mit völlig realitätsfremden Begründungen - direkt an die gegnerischen Parteien gewandt hat, macht auch das Verhalten des Klägers in diesem Verfahren deutlich, dass die Anordnung der Gutachtenbeibringung nach wie vor erforderlich ist. Insoweit ist insbesondere auf die Ausführungen des Klägers zum Folterverbot (Ss. vom 27.03.2013, S. 35 = Bd. I, Bl. 116 d.A.) - wenn auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat bezüglich des Falls "Gä." als "etwas hinkender Vergleich" vom Kläger relativiert -, und auf die Rechtfertigung seines Verhaltens in einer mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Hamburg vom 21.09.2011 (Kopie des Protokolls = Bl. 160 ff. BA) im Schriftsatz vom 27.03.2013, S. 37 f. (Bd. I Bl. 117 d.A.) zu verweisen. Der Kläger scheint eigene - seine Mandate oft nicht einmal am Rande tangierende (z.B. Streit mit der Justizverwaltung über Akteneinsichtsgesuche) - Rechtsansichten als absolut anzusehen. Es entsteht der Eindruck, dass er seine Auffassungen mit einer nahezu krankhaften Verbissenheit und ohne die nötige Distanz verfolgt und dabei Gefahr läuft, das einzelne Mandat aus dem Blick zu verlieren.

Der Kläger weigerte sich mehrfach, ordnungsgemäße Zustellungen entgegenzunehmen und Empfangsbekenntnisse unverzüglich zu erteilen. Auch hier gründete sich die Verweigerung regelmäßig auf "Förmeleien" bzw. reichte er Empfangsbekenntnisse mit einer Mängelliste versehen zurück, in denen angebliche Fehler der Zustellung (z.B. hinsichtlich der schriftlichen Abfassung des Datums) angezeigt wurden.

Die Häufigkeit der Vorfälle und die zeitliche Dauer von ca. 2 Jahren, in denen sie aufgetreten sind, zeigt, dass es sich nicht um Ausnahmen bzw. "Ausrutscher" handelt, sondern vielmehr um ein wiederkehrendes auffälliges Verhalten mit deutlichen Anzeichen einer Verfestigung, die in der vorläufigen Unterbringung kulminierten und sich im hiesigen Verfahren fortsetzen. Eine pauschale Gegenüberstellung der Zahl der übernommenen Mandate und der Anzahl der Beschwerden, worauf der Kläger sich beruft, wird der Sache nicht gerecht. Die Grundeinstellung des Klägers, Rechte ohne Pflichten für sich in Anspruch nehmen zu können und andere stets und ständig verbessern zu müssen, führt hier nicht zu einer hinzunehmenden "Lästigkeit". Da das Verhalten des Klägers einherzugehen scheint mit fehlender Selbstreflektion, mangelnder Distanz und Ergebnisorientierung ist das Wohl der Mandanten gefährdet.

Die genannten Anhaltspunkte reichen nach Auffassung des Senats jedenfalls für eine Vorlageanordnung nach § 15 Abs. 1 S. 1 BRAO aus. Die Anordnung hat das Ziel, die Mitwirkungspflicht des Betroffenen bei der Prüfung der Voraussetzungen für einen Widerruf der Zulassung als Rechtsanwalt gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 3 BRAO zu konkretisieren (vgl. hierzu Schmidt-Räntsch, a.a.O., Rn. 16). Da die Vorlageanordnung ein Teil der Tatsachenaufklärung ist, aber keinen präjudiziellen Charakter hat, ist der Maßstab für das Vorliegen ihrer Erforderlichkeit nach § 15 Abs. 1 S. 1 BRAO niedriger als der Maßstab für die Entscheidung über den Widerruf der Zulassung nach § 14 Abs. 2 Nr. 3 BRAO.

Soweit der Kläger meint, die Antragsgegnerin habe kein hinreichend konkretes Untersuchungsthema in der Vorlageanordnung formuliert, verkennt er das Wesen der Begutachtung. Die Fragen sind vorliegend ausreichend genau gefasst. Ein bestimmter Gutachter ist benannt worden. Die Benennung einer konkreten Gesundheitsstörung kann nicht Ausgangspunkt, sondern nur Ergebnis der Begutachtung sein (vgl. BGH, Beschluss vom 22.11.2010, a.a.O.). Soweit der Kläger darauf verweist, dass der Gutachter kein Jurist ist, trifft dies zu. Sollten sich daraus Probleme hinsichtlich der Anforderungen an den Beruf des Rechtsanwalts ergeben, wird die Beklagte dies zu berücksichtigen haben.

Entgegen der Auffassung des Klägers ist es auch nicht fraglich, ob Form und Inhalt der Gutachtenauflage ihn zwingen würden, seine anwaltliche Schweigepflicht zu verletzen, denn das Gutachten bezieht sich auf tatsächliche Vorkommnisse. Wie die Beklagte im Eingang zu den Fragen klargestellt hat, soll das Gutachten unter Berücksichtigung des in der Anordnung geschilderten Verhaltens des Klägers Aufschluss darüber geben, ob der Kläger aus gesundheitlichen Gründen nicht nur vorübergehend unfähig ist, den Beruf eines Rechtsanwalts ordnungsgemäß auszuüben. Möglicherweise werden konkrete Verfahrensabläufe in einzelnen Verfahren bei der Untersuchung eine Rolle spielen. Dass der Kläger dadurch genötigt werden könnte, seine anwaltliche Schweigepflicht zu verletzen, was für ihn strafrechtliche Folgen haben könnte, ist jedoch nicht ersichtlich, zumal es auf die konkreten Mandate nicht ankommt.

2.3.4. Die von der Beklagten angeordnete Beibringung eines ärztlichen Gutachtens ist auch verhältnismäßig, weil andere, mildere Mittel zur Tatsachenaufklärung insoweit nicht zur Verfügung stehen. Dabei kommt es aufgrund der Gesamtschau nicht darauf an, dass über einzelne dem Kläger vorgeworfene berufsrechtliche Verstöße noch nicht rechtskräftig entschieden wurde.

3.

Mit der Rüge der nicht ordnungsgemäßen Besetzung des Senats kann der Kläger ebenfalls nicht durchdringen.

Gemäß § 100 Abs. 1 BRAO wird der Anwaltsgerichtshof bei dem Oberlandesgericht errichtet. Dies ist vorliegend der Fall. Die Besetzung des Anwaltsgerichtshofs folgt aus den §§ 101 ff. BRAO. Die Besetzung der Senate, die Verteilung der Sachen auf die beiden Senate und innerhalb der Senate ergibt sich aus den jeweiligen Geschäftsverteilungsplänen, die in der Geschäftsstelle des Anwaltsgerichtshofs Mecklenburg-Vorpommern aufliegen. Der Kläger hätte Einsicht in die Geschäftsverteilungspläne nehmen können.

Soweit der Kläger moniert, der Senat habe über seine Anhörungsrüge im Eilverfahren noch nicht entschieden, ist dies vorliegend unerheblich und hindert eine Entscheidung über die Klage nicht. Denn die Anhörungsrüge betrifft eine Entscheidung, mit der der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung von Widerspruch und Klage zurückgewiesen wurde (Beschluss des Senats vom 25.01.2013, Az.: AGH 7/12 (I/4) ).

Im Übrigen gilt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich, dass Art. 103 Abs. 1 GG die Fachgerichte verpflichtet, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (BVerfGE 69, 141 [143]). Die Gerichte sind dabei aber nicht gehalten, sich mit jedem Vorbringen ausdrücklich zu befassen. Deshalb müssen, damit ein Gehörsverstoß festzustellen ist, im Einzelfall besondere Umstände deutlich machen, dass tatsächliches Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung nicht erwogen worden ist (vgl. BVerfGE 65, 293 [295f.]; 79, 51 [61]). Dabei bietet das Prozessrecht des Art. 103 Abs. 1 GG keinen Schutz dagegen, dass die Gerichte das Vorbringen der Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts ganz oder teilweise unberücksichtigt lassen (vgl. BVerfGE 69, 141 [143f.]; 79, 51 [62]).

4.

Dem Hilfsantrag des Klägers ist nicht zu entsprechen, weil die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung nach Auffassung des Senats nicht vorliegen (§ 112 c Abs. 1 S. 1 BRAO, § 124 Abs. 2 VwGO). Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung, die keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten aufweist. Die Rechtssache ist auch nicht von grundsätzlicher Bedeutung. Die rechtlichen Grundlagen sind hinreichend höchstrichterlich geklärt. Das Urteil beruht auch nicht auf einer Abweichung von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts.

5.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 112 c Abs. 1 S. 1 BRAO, § 154 Abs. 1 VwGO.

Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 112 c Abs. 1 S. 1 BRAO, § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Der festgesetzte Gegenstandswert entspricht 1/2 des für Zulassungssachen nach § 194 Abs. 2 S. 1 BRAO maßgebenden Regelstreitwertes, mithin 25.000,00 Euro.






AGH Rostock:
Urteil v. 05.07.2013
Az: AGH 9/12 (I/5)


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/89f170dae85b/AGH-Rostock_Urteil_vom_5-Juli-2013_Az_AGH-9-12-I-5




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