Bundespatentgericht:
Beschluss vom 9. August 2004
Aktenzeichen: 11 W (pat) 307/02

(BPatG: Beschluss v. 09.08.2004, Az.: 11 W (pat) 307/02)

Tenor

Der Einspruch wird als unzulässig verworfen.

Gründe

I.

Auf die am 20. Januar 1996 beim Deutschen Patentamt eingereichte Patentanmeldung ist das Patent 196 01 989 mit der Bezeichnung "Anordnung zum Führen einer Materialbahn" erteilt und die Erteilung am 31. Januar 2002 veröffentlicht worden.

Gegen das Patent ist am 30. April 2002 Einspruch erhoben worden. Die Einsprechende macht im Einspruchsschriftsatz geltend, der Gegenstand des Patents beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, und stützt ihr Vorbringen auf die beiden Druckschriften

(D1) DE 37 06 541 A1

(D2) BELOIT Corporation: "Press To Dryer Transfer Box Operating Instructions" M004-96-0039-0021, Copyright August 1989 (7 Seiten Kopien).

Soweit sich der Patentanspruch 1 von der bereits in der Beschreibung der Patentschrift genannten und im Prüfungsverfahren berücksichtigten Druckschrift D1 unterscheide, sei dieses Merkmal jedoch aus der "Veröffentlichung" D2 bekannt. Die Druckschrift D2 liefere die Anregung, die in der Anordnung gemäß D1 vorgesehenen seitlichen Blaskästen und ihre Düsen einstellbar (ausrichtbar, justierbar) zu gestalten.

In der mündlichen Verhandlung hat die Einsprechende im wesentlichen vorgetragen, die Betriebsanleitung D2 müsse zusammen mit der auf dem Deckblatt der D2 genannten "Machine No. 4" an das Unternehmen der dort ebenfalls bezeichneten Abnehmerin "Boise Cascade Paper Group, St. Helens, Oregon" zur Zeit des Copyright-Vermerks vom August 1989 oder jedenfalls nicht viel später ausgeliefert worden sein, so daß sie einem unbegrenzten Personenkreis zugänglich geworden sei. Die geringfügigen Unstimmigkeiten zwischen Inhaltsverzeichnis und dem Text auf den Seiten 1 bis 3 der D2 könnten in der Praxis vorkommen. Sie sei allerdings nicht in der Lage, konkrete Umstände der Abgabe der D2 zu nennen. Sie lege aber die weitere Druckschrift "BELOIT PRESS TO DRYER SHEET TRANSFER BOX OPERATION" vom Mai 1986 mit einem der D2 ähnlichen Text als Indiz dafür vor, daß die D2 in ihrer Art nicht nur einmalig sei.

Die Einsprechende beantragt, das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin beantragt, den Einspruch als unzulässig zu verwerfen, anderenfalls das Patent aufrechtzuerhalten, und regt hilfsweise die Zulassung der Rechtsbeschwerde an.

Sie vertritt nunmehr in erster Linie die Ansicht, der Einspruch sei mangels hinreichender Substantiierung nicht zulässig. Eine Vorveröffentlichung der D2 erscheine aus mehreren Gründen äußerst unwahrscheinlich, so daß sie gegebenenfalls innerhalb der Einspruchsfrist hätte im einzelnen dargelegt werden müssen. Denn die D2 stelle allenfalls eine speziell für die Maschine No. 4 und für das namentlich genannte Unternehmen als Einzelexemplar verfaßte Betriebsanleitung dar, die auch - trotz des Copyright-Vermerks vom August 1989 - nichts darüber aussage, ob und wann diese Maschine mit der dazugehörigen Betriebsanleitung ausgeliefert worden sei. Außerdem sei die Zusammengehörigkeit der einzelnen als Druckschrift D2 eingereichten Kopie-Blätter zweifelhaft, da bei Überschriften und Seitenziffern Diskrepanzen zwischen dem Deckblatt und Inhaltsverzeichnis sowie den Textseiten 1 bis 3 bestünden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten, insbesondere die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen, Bezug genommen.

II.

Über den vorliegenden Einspruch entscheidet gemäß § 147 Abs 3 PatG der erkennende Technische Beschwerdesenat (vgl dazu Beschluß des Senats vom 15. Dezember 2003 - 11 W (pat) 347/03 -, Veröffentlichung vorgesehen, Leitsätze in Mitt 2004, 218).

Der Einspruch ist unzulässig, weil er nicht hinreichend substantiiert wurde.

Die Tatsachen, die den Einspruch wegen eines Widerrufsgrundes (§ 21 PatG) rechtfertigen sollen, sind bis zum Ablauf der Einspruchsfrist im einzelnen anzugeben, § 59 Abs 1 Satz 3 bis 5 PatG. Die Einspruchsbegründung genügt diesen gesetzlichen Anforderungen nur dann, wenn sie die für die Beurteilung des behaupteten Widerrufsgrundes maßgeblichen Umstände im Einzelnen so vollständig darlegt, daß der Patentinhaber und das Patentamt oder das Patentgericht daraus abschließende Folgerungen ziehen können (vgl BGH BlPMZ 1987, 203, 204 - Streichgarn; BGH BlPMZ 1998, 201, 202 - Tabakdose; BGH GRUR 1995, 333, 334 - Aluminium-Trihydroxid; BGH BlPMZ 2003, 241 - Automatisches Fahrzeuggetriebe). Beruft sich die Einsprechende auf fehlende Patentfähigkeit infolge fehlender Neuheit oder erfinderischer Tätigkeit, sind dazu insbesondere Angaben zum Stand der Technik erforderlich (vgl BGH aaO - Automatisches Fahrzeuggetriebe).

Diese Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt das Einspruchsvorbringen jedoch nicht in dem erforderlichen Umfang. Nach Ablauf der Einspruchsfrist vorgebrachte neue Tatsachen - wie die Vorlage einer weiteren Druckschrift in der mündlichen Verhandlung - bleiben als verspätet von vornherein außer Betracht.

Die Einsprechende hat zu dem allein geltendgemachten Widerrufsgrund gemäß § 21 Abs 1 Nr 1 PatG iVm § 4 PatG zwar dargelegt, weshalb der Patentgegenstand gegenüber den technischen Merkmalen der von ihr entgegengehaltenen beiden Druckschriften D1 und D2 nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe. Es fehlen aber notwendige Angaben, aus denen sich die Zugehörigkeit der D2, auf die sich die Einsprechende ausschlaggebend stützt, zum Stand der Technik ergibt.

Der gemäß § 4 PatG zu berücksichtigende Stand der Technik umfaßt nach § 3 Abs 1 Satz 2 PatG alle Kenntnisse, die vor dem für den Zeitrang der Anmeldung maßgeblichen Tag durch schriftliche oder mündliche Beschreibung, durch Benutzung oder in sonstiger Weise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind.

Zwar ist die Vorveröffentlichung der D1 als amtliche Offenlegungsschrift offenkundig. Bei der Firmenschrift D2 handelt es sich jedoch um eine Betriebsanleitung (Operating Instructions), aus der in keiner Weise auf die Zugänglichkeit für die Öffentlichkeit geschlossen werden kann.

Der Öffentlichkeit zugängliche Kenntnisse umfassen das gesamte in solcher Weise bereitstehende Wissen, daß die Fachwelt hierauf Zugriff nehmen könnte. Öffentliche Zugänglichkeit ist bereits erfüllt, wenn die Möglichkeit des Zugriffs und der Kenntnisnahme der Information durch die Öffentlichkeit besteht. Hierzu kann sogar eine mögliche Kenntnisnahme durch einen Sachverständigen genügen, wenn die Weitergabe der Information an beliebige Dritte jedenfalls mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erwartet werden kann (vgl BGH GRUR 1997, 892, 894 - Leiterplattennutzen; Schulte, PatG, 6. Auflage, 2001, § 3 Rdn 48-51).

Die Einsprechende hat die Betriebsanleitung D2 lediglich als "Veröffentlichung" bezeichnet. Bei der Firmenschrift D2 handelt es sich jedoch offensichtlich nicht um eine Veröffentlichung in dem Sinne, daß sie in einer beachtlichen Auflagenhöhe zur Herausgabe an einen unbegrenzten Kreis von Fachleuten, Interessenten oder Kunden bestimmt gewesen ist, wovon beispielsweise in der Regel bei Firmenpublikationen wie Zeitschriften, Prospekten, Katalogen oä ausgegangen werden kann (vgl dazu BGH GRUR 1971, 214 f - customer prints; BPatGE 30, 40, 42 = BlPMZ 1989, 163 f (Bedienungsanleitung); BPatGE 32, 109 ff = BlPMZ 1991, 349 ff (Werbeprospekt); BPatG Beschluß vom 9. Juli 1998 - 21 W (pat) 19/97 - (Prospekt); BPatG Beschluß vom 10. März 2003 - 20 W (pat) 4/01 - (VDO-Information), auch Betriebsanleitungen für bekannte Serien- oder Massenprodukte (zB Kraftfahrzeuge etc) wird man dazu rechnen müssen (vgl BPatG BlPMZ 1990, 35, 36 reSp).

Die D2 weist vielmehr die Besonderheit auf, daß diese Betriebsanleitung hinsichtlich ihres Objektes sowie ihres Adressaten ersichtlich ein individualisiertes Einzelexemplar darstellt, da sie nach den auf dem Deckblatt aufgedruckten Angaben nur für die Bestellerin "Boise Cascade Paper Group, St. Helens, Oregon" und die "Machine No. 4" mit der Order-Nummer "B5539" bestimmt ist.

Der Vermerk "Copyright August 1989" und die Druckschriftbezeichnung "M004-96-0039-0021" lassen nicht den Schluß auf eine mehrfache Erstellung der sachlich inhaltsgleichen Betriebsanleitung und Abgabe an Dritte - insbesondere für die Maschinen No 1 bis 4 - zu. Denn die Bestimmungsangaben sprechen zunächst für eine individuelle textliche und figürliche Zusammenstellung der D2 für den Abnehmer der einzelnen "Machine No. 4". Auf dem Produktgebiet komplexer und aufwendiger Papierverarbeitungsmaschinen wäre es nicht ungewöhnlich, wenn die Betriebsanleitung D2 eigens für eine modifizierte Sonderausführung nach Kundenwünschen der industriellen Bestellerin verfaßt worden ist. Damit kommt naheliegend auch eine Geheimhaltungspflicht in Betracht, deren Einhaltung die öffentliche Zugänglichkeit ausschließt (vgl zB BGH GRUR 1997, 892, 894 - Leiterplattennutzen; Schulte aaO § 3 Rdn 53, 54, 56, 95). Aus der D2 geht zudem nicht hervor, ob und wann die Maschine No. 4 ausgeliefert worden ist. Die D2 kann bloß ein herstellerinterner Entwurf geblieben sein.

Legt die Einsprechende zum Stand der Technik eine firmenschriftliche Betriebsanleitung vor, die durch individualisierende Bestimmungsangaben ein Einzelexemplar darstellt, bedarf es zur Substantiierung der Einspruchsbegründung auch des detaillierten Vortrages derjenigen konkreten Umstände, unter denen diese Betriebsanleitung - oder gegebenenfalls mehrere inhaltsgleiche - an Dritte, insbesondere Abnehmer der betroffenen Maschine, herausgegeben und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden ist (vgl auch BPatGE 30, 40 ff = BlPMZ 1989, 163 f; BPatG BlPMZ 1990, 35 ff). Daran mangelt es hier.

Im übrigen wäre die D2 in Form der eingereichten sieben Seiten Kopien so kaum verwertbar, weil das Deckblatt und das Inhaltsverzeichnis einerseits sowie die Beschreibungsseiten 1 bis 3 andererseits Unstimmigkeiten in Überschriften und Seitenzahlen aufweisen, die es zweifelhaft erscheinen lassen, ob die drei Beschreibungsseiten zum Deckblatt und Impressum gehören. Darauf kommt es aber hier nicht mehr entscheidungserheblich an.

Dellingerv. Zglinitzki Skribanowitz Richter Harrerist wegen Urlaubsan der Unterschriftverhindert.

Dellinger Pü






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