Bayerisches Landessozialgericht:
Urteil vom 18. Dezember 2013
Aktenzeichen: L 14 R 384/12

(Bayerisches LSG: Urteil v. 18.12.2013, Az.: L 14 R 384/12)

1. Rechtsanwälte sind für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit in der Rentenversicherungspflicht nach § 6 Satz 1 Nr. 1 SGB VI zu befreien, wenn die rechtsanwaltschaftliche Zulassung die rentenversicherungspflichtige Betätitgung mit umfasst.2. Da das anwaltliche Berufsrecht die Betätigungen, die von der Zulassung umfasst werden, nicht positiv eingrenzend, sondern nur negativ abgrenzend beschreibt, kann nur für solche Betätigungen eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht verweigert werden, die das Berufsrecht mit der Ausübung des Rechtsanwaltsberufs als nicht vereinbar oder als keine rechtsanwaltschaftliche Betätigung darstellend bezeichnet.3. Die Betätigung als sog. Syndikus stellt, wie § 43 BRAO eindeutig zu entnehmen ist, keine rechtsanwaltschaftliche Berufsausübung dar und ist von der Zulassung als Rechtsanwalt nicht umfasst. Damit darf eine Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für die Beschäftigung/Tätigkeit als Syndikus nicht erfolgen.4. Darüber hinaus ist jede in einem Arbeitsverhältnis ausgeübte juristisch rechtsberatende Beschäftigung von der anwaltlichen Zulassung nicht umfasst, sofern sie nicht als angestellter Rechtsanwalt in einer Rechtsanwaltskanzlei/ gesellschaft erfolgt, weil dort die rechtsberatende Arbeitsleistung als Dienstleistung gegenüber externen Mandanten und nicht unternehmensintern erfolgt.5. Die sog. vier Kriterien finden im Gesetz keine Grundlage und erscheinen für die Entscheidung über die Befreiung von der Versicherungspflicht irrelevant.

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts München vom 02. Februar 2012 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 02. September 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Januar 2011 abgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten für beide Rechtszüge sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist die Befreiung des Klägers von der Versicherungspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung in seiner Tätigkeit bei der X. Vertriebsbetreuungsgesellschaft mbH als Personalreferent Recht in der Zeit vom 19.02.2010 bis zum 14.02.2011.

Der 1980 geborene Kläger ist Volljurist. Er begann am 15.09.2008 eine Tätigkeit als Personalreferent Recht bei der X. Vertriebsbetreuungsgesellschaft mbH, die er bis zum 14.02.2012 ausübte. Für die sich ab 15.02.2012 anschließende Tätigkeit im Bereich Compliance bei der X. AG wurde er durch die Beklagte von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit.

Am 13.04.2010 stellte der Kläger den streitgegenständlichen Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung. Er sei seit dem 19.02.2010 als Rechtsanwalt Mitglied der Rechtsanwaltskammer M. und der Bayerischen Rechtsanwalts- und Steuerberaterversorgung. Der Arbeitgeber bestätigte unter Punkt 5.2 des Antrags, dass der Kläger bei der X. Vertriebsbetreuungsgesellschaft mbH als Rechtsanwalt tätig sei. Am 24.03.2009 sei ihm von seinem Arbeitgeber Handlungsvollmacht nach § 54 HGB erteilt worden, bei der die Veräußerung und die Belastung von Grundstücken, das Eingehen von Wechselverbindlichkeiten sowie die Aufnahme von Darlehen und Prozessführung ausgeschlossen wurde. Er sei alleinig und eigenverantwortlich für alle juristischen Themen im Bereich Personalmanagement zuständig und nur dem Leiter des Personalmanagements unterstellt. Er unterliege in der rechtlichen Beratung jedoch keinen Weisungen. Hinsichtlich der Umsetzung von strategischen Fragen sei er lediglich gegenüber diesem Leiter und der Geschäftsführung weisungsgebunden. Er berate in laufenden Personalangelegenheiten, betreue Arbeitsgerichtsprozesse und koordiniere externe Rechtsanwälte. Er habe auch von seinem Arbeitgeber eine Freistellungserklärung im Sinne von § 14 BRAO erhalten.

Mit Bescheid vom 02.09.2010 wurde der Antrag abgelehnt. Die ausgeübte Tätigkeit sei nicht als eine anwaltliche Tätigkeit anzusehen, da sie nicht zwingend die Qualifikation als Volljurist voraussetze. Wenn die Tätigkeit jedoch nicht zwingend ausschließlich von Juristen mit der Befähigung zum Richteramt ausgeübt werden könne, könne es sich nicht um eine anwaltliche Tätigkeit handeln.

Seinen dagegen erhobenen Widerspruch begründete der Kläger damit, dass maßgeblich für eine Befreiung neben der Zulassung als Rechtsanwalt und die Mitgliedschaft in einem Versorgungswerk die tatsächliche berufstypische anwaltliche Tätigkeit erforderlich sei. Dafür habe die Beklagte die vier Tätigkeitsfelder Rechtsberatung, Rechtsentscheidung, Rechtsgestaltung und Rechtsvermittlung beschrieben. Alle vier Merkmale würden von ihm erfüllt. Er sei rechtsberatend tätig. Er sei alleiniger Ansprechpartner der Fachbereiche oder der Geschäftsführung für Fragen aus den Bereichen Arbeits- und Sozialrecht. Er entscheide nicht nur, ob und welche arbeitsrechtlichen Sanktionen in Betracht kommen, sondern auch über die Frage, ob ein Prozess geführt werden solle. Dass die Tätigkeit auch rechtsentscheidend sei, ergebe sich bereits aus der ihm erteilten Handlungsvollmacht. Bei der Bearbeitung der genannten Aufgabengebiete trete er auch als Entscheidungsträger gegenüber Geschäftspartnern und Anwälten auf. Er sei rechtsvermittelnd tätig, da er nicht nur Rechtsvorträge im Rahmen von Mitarbeiterrunden halte, sondern auch ein Rechtsprechungsmonitoring anfertige. Neben der Ausbildung von Referendaren obliege ihm auch die Verhandlung und Ausarbeitung von Betriebsvereinbarungen. Es sei nicht zutreffend, dass für die Tätigkeit nicht zwingend die Qualifikation eines Volljuristen erforderlich sei.

Der Widerspruch wurde mit Bescheid vom 24.01.2011 zurückgewiesen. Aus dem Gesamtbild der Tätigkeit ergäbe sich, dass der Kläger bei seinem nichtanwaltlichen Arbeitgeber keine anwaltliche Tätigkeit ausübe. Aus den Stellenbeschreibungen gehe weder eine von allen Weisungen unabhängige Alleinentscheidungsbefugnis noch eine wesentliche Teilhabe an Entscheidungsprozessen hervor. Darüber hinaus übe er die Tätigkeit bereits seit dem 15.09.2008 aus, ohne dass er bisher einer Zulassung zum Rechtsanwalt bedurft habe. Objektiv habe die Tätigkeit nicht zwingend die Qualifikation als Volljurist vorausgesetzt.

Mit seiner zum Sozialgericht M. erhobenen Klage verfolgte der Kläger sein Ziel weiter, die er mit seinem bisherigen Vorbringen begründete.

Zusätzlich trug er vor, dass zu seinen Aufgaben auch die Überarbeitung der Versorgungsordnung und der Insolvenzsicherung für Altersteilzeitguthaben gehört habe. Er habe in verschiedenen Bereichen Verhandlungen mit dem Betriebsrat im Zusammenhang mit dem Abschluss von Betriebsvereinbarungen geführt. Die Handlungsvollmacht sei ihm entsprechend der üblichen Handhabung bei seinem Arbeitgeber erst nach Abschluss der Probezeit erteilt worden. Erst im Anschluss habe er die Zulassung als Rechtsanwalt in die Wege geleitet, was sich jedoch aufgrund seiner beruflichen Inanspruchnahme lange hingezogen habe. Er habe Kündigungen und Abmahnungen ausgesprochen sowie Aufhebungsvereinbarungen abgeschlossen. Er habe eigenständig entschieden. Bestimmte Entscheidungen seien jedoch gemäß dem Vier-Augen-Prinzip von ihm und seinem Vorgesetzten zu unterzeichnen gewesen. Er habe auch die externe Rechtsanwältin gesteuert.

Das Sozialgericht M. hob mit Urteil vom 02.02.2012 den Bescheid der Beklagten vom 02.09.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.01.2011 auf und verurteilte die Beklagte, den Kläger für seine Tätigkeit als Personalreferent Recht bei der X. Vertriebsbetreuungsgesellschaft mbH gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI vom 19.02.2010 bis zum 14.03.2011 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien.

Es sah die Voraussetzungen des § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI für die Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung ab dem 19.02.2010 als erfüllt an. Die Befreiung nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI setze voraus, dass eine berufstypische Tätigkeit als Rechtsanwalt, d. h. eine für einen Rechtsanwalt typische Berufstätigkeit in einem Angestelltenverhältnis oder selbständig ausgeübt werde. Die berufstypische Tätigkeit eines Rechtsanwaltes bei einem nicht anwaltlichen Arbeitgeber umfasse dabei vier kumulativ vorliegende Kriterien, die rechtsberatende, die rechtsentscheidende, die rechtsgestaltende und die rechtsvermittelnde Tätigkeit. Da die Bundesrechtsanwaltsordnung keine Tätigkeit oder Beschäftigung beschreibe, wegen der eine Mitgliedschaft zur Rechtsanwaltskammer bestehen müsse, könne die Entscheidung über die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht wegen Pflichtversicherung zum Versorgungswerk der Rechtsanwälte nur an diesen vier berufsspezifischen anwaltlichen Tätigkeiten gemessen werden.

Die Tätigkeit des Klägers als Personalreferent Recht umfasse alle vier genannten Tätigkeitsbereiche.

Die Beklagte könne die Ablehnung des Befreiungsantrags auch nicht erfolgreich darauf stützen, dass für die Stelle des Klägers nach der Stellenbeschreibung nicht die Qualifikation als Volljurist Voraussetzung gewesen sei. Die Arbeitgeberin des Klägers habe einen Juristen eingestellt, der beide juristische Staatsexamen abgelegt habe. Im Hinblick auf den Qualifikationsunterschied zwischen Juristen mit erstem und mit zweitem Staatsexamen und die damit verbundene unterschiedliche Vergütung, spreche die Einstellung eines sogenannten Volljuristen dafür, dass der Arbeitgeber zu der Einschätzung gekommen sei, dass die zu besetzende Stelle die Qualifikation als Volljurist erfordere.

Gegen das Urteil des Sozialgerichts M. legte die Beklagte Berufung ein.

Sie wies darauf hin, dass es strittig sei, ob im Rahmen von § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI eine anwaltliche Tätigkeit als Angestellter bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber befreit werden könne. Diese Frage habe die Beklagte zunächst grundsätzlich bejaht und die vier Kriterien für die Beschreibung einer rechtsanwaltlichen Tätigkeit im Sinne von § 3 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) entwickelt. Allerdings sei mittlerweile in der Rechtsprechung umstritten, ob beim Syndikusanwalt die Befreiungsvorschrift des § 6 SGB VI zu Gunsten der Tätigkeit als Angestellter in einem Unternehmen eingreife, wenn die Tätigkeit im Sinne von § 3 BRAO ausgeübt werde und diesen Tätigkeiten ein Schwergewicht zukomme. Die Tätigkeit des Syndikusanwalts für seinen Dienstherrn entspreche, so z. B. das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, nicht dem anwaltlichen Berufsbild wie es in der Vorstellung der Allgemeinheit bestehe, nämlich dem des unabhängigen, freiberuflich tätigen Rechtsanwalts, sondern unterliege dem Prinzip der Über- und Unterordnung. Auch in der Literatur werde die Tätigkeit eines sog. Syndikusanwalts kritisch gesehen. Hier sei insbesondere auf die Kommentierung von Fichte in Hauck/Noftz hingewiesen, welcher die so genannte "Doppelberufstheorie" vertrete. Auch der für Anwaltssachen zuständige Senat des Bundesgerichtshofs (BGH) habe mit Beschluss vom 07.02.2011 nochmals bestätigt, dass derjenige, der als ständiger Rechtsberater in einem festen Dienst-Anstellungsverhältnis zu einem bestimmten Arbeitgeber stehe, in dieser Eigenschaft nicht als Rechtsanwalt tätig werde. Die mit dem Dienst- oder Anstellungsverhältnis verbundenen Bindungen und Abhängigkeiten stünden nicht im Einklang mit dem in den §§ 1-3 BRAO nominierten Berufsbild des Rechtsanwalts, des freien unabhängigen Beraters und Vertreters aller Rechtsuchenden. Die Beklagte habe damit auf der Grundlage der vier Kriterien einen Sonderweg beschritten, der nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des BGH sowie des Landessozialgerichts NRW stehe. Daher werde eine Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) angestrebt.

Der Kläger erwiderte, dass die Beklagte selbst die Kriterien in einem Merkblatt veröffentlicht habe. Deshalb müsse sie auf politischem Wege versuchen, eine Änderung herbeizuführen. Die Verwaltung habe sich mit ihrem Merkblatt selbst gebundenen. Die Sozialgerichte würden die vier Merkmale in der Praxis anwenden.

Die Beklagte replizierte, dass sie derzeit tatsächlich noch die vier Kriterien als Prüfungsmaßstab anlege und dies auch im vorliegenden Falle tue. Hier fehle es aber an diesen Kriterien, nach dem die Tätigkeit bereits am 15.09.2008 aufgenommen worden sei, die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft jedoch erst am 19.02.2010 erfolgt sei. Eine Änderung der Tätigkeit ab der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft habe nicht vorgelegen. Für die Beschäftigung des Klägers als Referent Recht werde lediglich ein Hochschulabschluss Jura gefordert. Die durch das 2. juristische Staatsexamen erlangte Befähigung zum Richteramt sei nicht objektiv unabdingbare Zugangsvoraussetzung für die Tätigkeit gewesen.

Der Senat hat mit Beschluss vom 16.11.2012 die Rechtsanwaltskammer M. und mit Beschluss vom 20.11.2013 die Bayerische Versorgungskammer beigeladen.

Der Kläger teilte mit, dass bei der Zulassung zur Anwaltschaft keine inhaltliche Prüfung stattfinde, ob der Rechtsanwalt auch tatsächlich eine anwaltliche Tätigkeit ausübe. Geprüft werde nur, sozusagen negativ, ob eine Tätigkeit nicht mit der Anwaltstätigkeit vereinbar sei. Die Vorschrift des § 46 BRAO stehe einer Befreiung nach § 6 SGB VI in keiner Weise entgegen. Die Regelung wäre überflüssig, wenn eine Tätigkeit bei einem nicht anwaltlichen Arbeitgeber nicht auch eine Anwaltliche sein könne. Die Unterschiede zwischen einem angestellten Rechtsanwalt in der Kanzlei und einem angestellten Rechtsanwalt bei einem nicht anwaltlichen Arbeitgeber seien ausgesprochen gering.

Die Beklagte führte unter Hinweis auf die Urteile des 12. Senats des BSG vom 31.10.2012 dahingehend aus, dass sie anhand dieser allein die jeweilige Beschäftigung eng am Wortlaut prüfe. Anhand der einschlägigen versorgungs- und kammerrechtlichen Normen sei daher zu prüfen, ob Anspruch auf Befreiung wegen der ausgeübten Tätigkeit bestehe. Der Kläger habe seine streitgegenständliche Beschäftigung am 15.09.2008 aufgenommen. Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft sei jedoch erst am 19.02.2010 erfolgt. Die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft sei daher nicht für die Beschäftigung bei der X. Vertriebsbetreuungsgesellschaft mbh erfolgt, was sich bereits daraus ergebe, dass die Rechtsanwaltskammer M. keine Bedenken gegen die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft im Hinblick auf die Tätigkeit nach § 7 Nr. 8 BRAO gehabt habe. Sowohl das Bundesverfassungsgericht (BverfG) als auch der Anwaltssenat des BGH sowie der Europäische Gerichtshof (EuGH) hätten sich der Doppelberufs- Theorie angeschlossen, wonach der Syndikusanwalt für seinen nichtanwaltlichen Arbeitgeber nicht als Rechtsanwalt tätig werde und damit diese Beschäftigung nicht das vom BSG herausgearbeitete qualifizierende Befreiungserfordernis darstelle. Wegen des konkreten Beschäftigungsverhältnisses bei der X. Vertriebsbetreuungsgesellschaft mbH sei die Pflichtmitgliedschaft bei der Versorgungseinrichtung und der Rechtsanwaltskammer aber ausgeschlossen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgericht München vom 02.02.2012 aufzuheben sowie die Klage gegen den Bescheid vom 02.09.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.01.2011 abzuweisen.

Die Beigeladenen stellen keinen Antrag.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Akten des Sozialgerichts und der Beklagten Bezug genommen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Gründe

Die Berufung der Beklagten ist zulässig (§§ 143, 151 SGG) und begründet. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Befreiung nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI zu. Das Urteil des Sozialgerichts München war daher aufzuheben. Denn der Bescheid vom 02.09.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.01.2011 ist rechtmäßig ergangen und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Nach § 6 Abs.1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI werden von der Versicherungspflicht befreit Beschäftigte für die Beschäftigung, wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind, wenn die weiteren in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 a), b) und c) SGB VI genannten Voraussetzungen vorliegen.

Die Regelung des § 6 Abs 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI knüpft an die konkrete Beschäftigung an, für die die Befreiung gewünscht wird. Dies ergibt sich bereits aus der Formulierung "werden befreit (...) für die Beschäftigung (...), wegen der sie (...) Mitglied einer (...) Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (...) und zugleich (...) Mitglied einer berufsständischen Kammer sind". Demgegenüber knüpft die in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI geregelte Befreiung von der Versicherungspflicht für Lehrer oder Erzieher an eine bloße Berufsgruppenbezeichnung an - unabhängig vom dienstrechtlichen Status der jeweiligen Erwerbstätigkeit (vgl. BSG, Urteil vom 31.10.2012, B 12 R 3/11 R). Vor diesem Hintergrund kann einer Auslegung des in § 6 Abs 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI verwendeten Begriffs der Beschäftigung dahingehend, dass es nicht auf das konkrete Beschäftigungsverhältnis, sondern auf die berufsspezifische Tätigkeit als solche ankommt, nicht näher getreten werden.

Der Kläger ist seit dem 15.09.2008 bei der X. Vertriebsbetreuungsgesellschaft mbH als Personalreferent Recht gegen Arbeitsentgelt abhängig beschäftigt und unterliegt damit der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI. Er ist jedoch nicht wegen dieser Beschäftigung Mitglied der Rechtsanwaltskammer M. und Mitglied der Bayerischen Rechtsanwalts- und Steuerberaterversorgung. Es besteht auch keine gesetzliche Verpflichtung, wegen der Beschäftigung bei der X. Vertriebsbetreuungsgesellschaft mbH Mitglied der Rechtsanwaltskammer M. sowie Mitglied der Bayerischen Rechtsanwalts- und Steuerberaterversorgung zu sein. Die in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI normierten Voraussetzungen für eine Befreiung von der Versicherungspflicht sind damit im Falle des Klägers nicht erfüllt. Ob er im Rahmen seiner Beschäftigung bei der X. Vertriebsbetreuungsgesellschaft mbH rechtsberatend, rechtsentscheidend, rechtsvermittelnd und rechtsgestaltend im Sinne der sogenannten Vier-Kriterien-Theorie tätig ist, ist nach Auffassung des Senats ohne Bedeutung.

Für seine Beschäftigung bei der X. Vertriebsbetreuungsgesellschaft mbH war eine Zulassung als Rechtsanwalt nicht notwendig. Dies zeigt sich bereits daran, dass der Kläger diese Tätigkeit schon am 15.09.2008 aufnahm, jedoch erst am 19.02.2010 zur Rechtsanwaltschaft zugelassen wurde, ohne dass sich sein Aufgabengebiet wesentlich verändert hätte. Der Kläger selbst hat in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass er zunächst keine Anwaltszulassung gebraucht habe, um die Tätigkeit als Personalreferent auszuüben. Den Antrag auf Zulassung hat er erst rund 1 1/2 Jahre nach Aufnahme des Arbeitsverhältnisses gestellt. Die Tätigkeit bei X. war somit ohne Zulassung zur Rechtsanwaltschaft ausübbar und es bestand keinerlei Notwendigkeit, hierfür eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht zu erteilen.

Der Kläger durfte ohnehin erst mit der Zulassung, der Vereidigung und dem Eintrag in das Rechtsanwaltsverzeichnis als Rechtsanwalt tätig sein (§12 Abs. 4 Bundesrechtsanwaltsordnung - BRAO -). Ab diesem Zeitpunkt war er auch berechtigt, für seine anwaltliche Tätigkeit eine Vergütung nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz zu verlangen. Der Kläger wurde also zugelassen, weil er den Voraussetzungen des Zulassungsverfahrens entsprach. Die Tätigkeit bei der X. Vertriebsbetreuungsgesellschaft mbH war insoweit nicht von Bedeutung.

Demnach wurde der Kläger nicht wegen seiner Tätigkeit bei der X. Vertriebsbetreuungsgesellschaft mbH zur Rechtsanwaltskammer zugelassen. Eine Prüfung der Anwaltskammer dahingehend, ob der Kläger bei der X. Vertriebsbetreuungsgesellschaft mbH als Rechtsanwalt beschäftigt ist, war weder notwendig noch vom Gesetz vorgesehen. Der Arbeitgeber hat ausweislich der Stellenbeschreibung nur die Qualifikation eines Hochschulabschlusses Jura verlangt. Die Ablegung des zweiten juristischen Staatsexamens war nicht notwendig, was aber für einen Rechtsanwalt unabdingbare Voraussetzung ist. Der Kläger war damit bis zu seiner Zulassung zum Rechtsanwalt auch nicht als Syndikus anzusehen.

Sofern die X. Vertriebsbetreuungsgesellschaft mbH dem Kläger bescheinigte, als Rechtsanwalt im Unternehmen tätig zu sein, wird diese Einschätzung vom Senat nicht geteilt. Eine abhängig ausgeübte juristische Tätigkeit verwandelt sich nicht dadurch in eine Anwaltliche, wenn der Arbeitnehmer (im Hinblick auf eine Nebentätigkeit) als Rechtsanwalt zugelassen wird. Der verbreiteten Auffassung, wonach aufgrund der umfassenden Statuswirkung der Zulassung als Rechtsanwalt jede berufliche Betätigung des zur Rechtsanwaltschaft Zugelassenen zu einer Anwaltlichen mutiert, sofern die Tätigkeit rechtsgestaltend, rechtsentscheidend, rechtsvermittelnd und rechtsberatend ist und mit dem Berufsrecht vereinbar ist, schließt sich der Senat nicht an.

Zu konzedieren ist, dass die Zulassung als Rechtsanwalt nicht tätigkeits-, sondern personenbezogen ist und zudem das anwaltschaftliche Berufsrecht nur eine grobe Konturierung des Berufs des Rechtsanwalts vornimmt. Nach § 1 BRAO ist der Rechtsanwalt ein unabhängiges Organ der Rechtspflege. § 3 BRAO definiert den Rechtsanwalt als den berufenen unabhängigen Berater und Vertreter in Rechtsangelegenheiten. Gemäß § 43a BRAO darf der Rechtsanwalt keine Bindungen eingehen, die seine berufliche Unabhängigkeit gefährden. Für die Zulassung ist neben den in § 4 BRAO genannten Voraussetzungen, wie die Befähigung zum Richteramt oder eine Berufshaftpflichtversicherung, ein Antrag auf Zulassung erforderlich. Daneben muss von ihm grundsätzlich eine Kanzlei im Bezirk der Rechtsanwaltskammer, deren Mitglied er ist, errichtet und unterhalten werden (§ 27 BRAO).

Über die erforderliche Unabhängigkeit und die damit verbundene rechtliche und tatsächliche Möglichkeit, den Anwaltsberuf auch auszuüben, verfügt der Anwalt nach gefestigter Rechtsprechung des BGH nur dann, wenn er über seine Dienstzeit im Zweitberuf hinreichend frei verfügen kann und während der Dienstzeiten bei seinem Arbeitgeber nicht nur in Ausnahmefällen erreichbar ist (BGH, Beschluss vom 09. November 2009 - AnwZ (B) 83/08 -, juris). Eine reine "Feierabendtätigkeit" des Rechtsanwalts sollen die Vorschriften der §§ 7 Nr. 8, 14 Abs. 2 Nr. 8 BRAO gerade verhindern. (BGH, Beschluss vom 09. November 2009 - AnwZ (B) 83/08 -, juris). Auch das bloße Führen des Titels "Rechtsanwalt" und die mit der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft verbundenen versorgungsrechtlichen Vorteile ("Titularanwalt") sind nicht von den genannten Vorschriften gedeckt.

Zwar verfügt der Kläger ab dem 19.02.2010 über eine Anwaltszulassung und damit nach Auffassung der Rechtsanwaltskammer auch über sämtliche Voraussetzungen, die hierfür erforderlich sind. Dies bedeutet jedoch nicht, dass auch die hier in Rede stehende abhängige Beschäftigung des Klägers bei der X. Vertriebsbetreuungsgesellschaft mbH als anwaltliche Tätigkeit anzusehen ist. Einer solchen Annahme steht insbesondere § 46 BRAO entgegen.

Nach § 46 Abs. 1 BRAO darf ein Rechtsanwalt für einen Auftraggeber, dem er aufgrund eines ständigen Dienst- oder ähnlichen Beschäftigungsverhältnisses seine Arbeitszeit und -kraft zur Verfügung stellen muss, vor Gerichten oder Schiedsgericht nicht in seiner Eigenschaft als Rechtsanwalt tätig werden. Damit zeigt das Gesetz die grundsätzliche Möglichkeit auf, dass ein Rechtsanwalt neben seiner anwaltlichen Tätigkeit einer abhängigen Beschäftigung nachgehen darf, und stellt gleichzeitig klar, dass in einem solchen Falle ein Tätigwerden als Rechtsanwalt für den Auftraggeber des ständigen Dienst- oder Arbeitsverhältnisses ausgeschlossen ist.

Letzteres ergibt sich für den Senat insbesondere aus der Gesetzesbegründung zu § 46 BRAO (BT DRS 12/7656), der zu entnehmen ist, dass Bestrebungen, den Syndikus wie einen Rechtsanwalt für seinen Arbeitgeber tätig werden zu lassen, sich nicht durchsetzen konnten. Dort heißt es:

"Nicht aufgegriffen hat der Ausschuss den in der Anhörung am 1. Dezember 1993 von Vertretern der Syndikusanwälte im Deutschen Anwaltverein vorgebrachten Vorschlag, durch eine Änderung des § 46 BRAO dem Syndikusanwalt einzuräumen, dass er auch im Angestelltenverhältnis als Anwalt tätig wird. Eine solche Änderung hätte zur Folge gehabt, dass der Syndikusanwalt, der jetzt im Nebenberuf Rechtsanwalt ist und im Hauptberuf als Angestellter seinen Arbeitgeber in rechtlichen Angelegenheiten berät, auch in seiner Eigenschaft als rechtlicher Berater seines Arbeitgebers Rechtsanwalt mit allen Rechten und Pflichten ist. Der Ausschuss ist in seinen Beratungen zu dem Ergebnis gekommen, dass das in den §§ 1 bis 3 BRAO normierte Berufsbild des Rechtsanwalts, wie es sich auch in der Allgemeinheit von ihm als unabhängigem Organ der Rechtspflege gebildet hat, mit der Tätigkeit unvereinbar ist, wenn der Syndikus im Rahmen seines Dienstverhältnisses als Anwalt auftritt. Bei der Tätigkeit, die der Syndikus für seinen Dienstherrn leistet, sind dann, wenn der Syndikus persönlich mit der Materie des Einzelfalls befasst gewesen ist, die durch das Gesetz der freien Advokatur gekennzeichneten typischen Wesensmerkmale der freien Berufsausübung, die das Bild des Rechtsanwalts bestimmen, nicht gegeben. Seine freie und unreglementierte Selbstbestimmung wäre im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses, in dem er grundsätzlich dem Prinzip der Über- und Unterordnung unterliegt, nicht gewährleistet. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 4. November 1992 zum anwaltlichen Zweitberuf (1 BvR 79/85 u. a.) spricht zwar einerseits für eine weitgehende Öffnung zum Zweitberuf, wenn durch Berufsausübungsregelungen die Gefahr von Interessenkollisionen vermieden wird. Das Gericht hat in diesem Zusammenhang aber auch erneut die Gemeinschaftsgüter der Stellung des Rechtsanwalts als unabhängigem Rechtspflegeorgan und der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege anerkannt. Beides steht nach der einhelligen Auffassung des Ausschusses einer Änderung des § 46 BRAO in dem gewünschten Sinn entgegen."

Entsprechend sieht auch der Bundesgerichtshof (BGH) die Tätigkeit eines Syndikus nicht als Tätigkeit eines Rechtsanwalts. Nach gefestigter Rechtsprechung zum Tätigkeitsbild des Rechtsanwalts nach der Bundesrechtsanwaltsordnung, so der BGH im Beschluss vom 07.02.2011, AnwZ (B) 20/10 mit Hinweis auf BVerfGE 87, 287, werde derjenige, der als ständiger Rechtsberater in einem festen Dienst- oder Anstellungsverhältnis zu einem bestimmten Arbeitgeber stehe (Syndikus), in dieser Eigenschaft nicht als Berater tätig. Die mit einem Dienst- und Anstellungsverhältnis verbundenen Bindungen und Abhängigkeiten stünden nicht in Einklang mit dem in den §§ 1 bis 3 BRAO normierten Berufsbild des Rechtsanwalts als freiem und unabhängigem Berater und Vertreter aller Rechtssuchenden.

Das Bundesverfassungsgericht war in der sogenannten Zweitberufsentscheidung (BVerfGE 87, 287) mit der Frage befasst, ob die Tätigkeit als Syndikus in abhängiger Stellung der daneben in selbständiger Stellung ausgeübten Tätigkeit als Rechtsanwalt entgegensteht. In diesem Zusammenhang sah das Bundesverfassungsgericht eine Berufszugangsregelung als verfassungswidrig an, weil eine weniger belastende Berufszugangsregelung genüge. Wie das LSG Nordrhein-Westfalen in seiner Entscheidung vom 07.05.2013, L 18 R 170/12, zutreffend ausführt, impliziert diese Entscheidung aber auch, dass eine durch einen Rechtsanwalt in der Funktion als angestellter Syndikus getätigte Rechtsberatung gegenüber seinem Arbeitgeber grundsätzlich keine anwaltliche Tätigkeit ist. Denn anderenfalls hätte der bloße Hinweis genügt, dass der Syndikus als solcher ebenfalls anwaltlich tätig ist, so dass in Konsequenz eine Berufsausübungsregelung gar nicht erforderlich gewesen wäre.

Demgemäß unterscheidet der BGH in ständiger Rechtsprechung streng zwischen einer Tätigkeit als Rechtsanwalt und einer daneben ausgeübten abhängigen Beschäftigung. Im Beschluss vom 10.10.2011, AnwZ (B) 49/10, führt jener aus: "Das Berufsbild eines Rechtsanwalts erfordert - wie die Regelung des § 46 BRAO zeigt - nicht, dass die Anwaltstätigkeit als Hauptberuf ausgeübt wird. Vielmehr kann auch als Rechtsanwalt tätig sein, wessen Arbeitszeit und -kraft überwiegend arbeitsvertraglich gebunden sind (Senatsbeschluss vom 7. November 1960 - AnwZ (B) 2/60, BGHZ 33, 266, 268). Erforderlich ist aber, dass der durch ein Dienstverhältnis gebundene Rechtsanwalt in der Lage ist, den Anwaltsberuf in einem, wenn auch beschränkten, so doch nennenswerten Umfang und jedenfalls mehr als gelegentlich auszuüben (Senatsbeschlüsse vom 9. November 2009 - AnwZ (B) 83/08, NJW 2010, 1381 Rn. 8; vom 23. Dezember 1987 - AnwZ (B) 43/86, BGHZ 100, 87, 93 m.w.N.; vom 7. November 1960, aaO S. 268; vgl. ferner BVerfGE 87, 287, 323)."

Die beigeladene Rechtsanwaltskammer scheint ebenfalls der Ansicht zu sein, dass neben dem Anwaltsberuf ein weiterer Beruf ausgeübt werden kann. Denn auf ihrer Internetseite heißt es unter der Überschrift:" Anwalt im Nebenberuf":

"Aus Sicht der Rechtsanwaltskammer handelt es sich bei der Nebentätigkeit stets um diejenige Tätigkeit, die neben dem Rechtsanwaltsberuf ausgeübt wird, auch wenn sie im Einzelfall für den Betroffenen den Hauptberuf darstellt. Beispiele für eine Nebentätigkeit

- Aufnahme einer gewerblichen Tätigkeit

- Syndikusanwalt in einem Wirtschaftsunternehmen

- Angestelltentätigkeit bei einer Behörde/im öffentlichen Dienst

- Anstellungstätigkeit in einer Wirtschafts- oder Steuerberaterkanzlei.

In diesen Fällen besteht eine Anzeigepflicht nach § 56 Abs. 2 Nr. 1 BRAO gegenüber der Rechtsanwaltskammer.

Die Nebentätigkeit ist von der Tätigkeit als Rechtsanwalt räumlich und organisatorisch streng zu trennen, was bedeutet, dass keinerlei Vermengung der beiden Tätigkeiten stattfinden darf. Eine räumliche Trennung ist immer dann gewährleistet, wenn die Rechtsanwaltstätigkeit in einem abgeschlossenen Raum durchgeführt wird, die Akten nicht Dritten zugänglich sind und der Zugang zum Büro nicht nur über Räume der Nebentätigkeit möglich ist. Organisatorisch ist darauf zu achten, dass ein separater Telefonanschluss, Faxanschluss, E-Mail-Adresse, Briefkasten sowie Klingelschild vorhanden ist.

Zwingende Voraussetzung der Vereinbarkeit der Nebentätigkeit mit dem Beruf des Rechtsanwalts ist eine ausreichende Einverständnis- und Freistellungserklärung des jeweiligen Arbeitsgebers, da nur dann gewährleistet werden kann, dass die Rechtsanwaltstätigkeit weiterhin frei von der sonstigen Tätigkeit ausgeübt werden kann und durch die Nebentätigkeit keinerlei Schranken aufgestellt werden. Nicht ausreichend ist daher eine bloß widerrufliche Einverständniserklärung des Arbeitgebers."

Sofern es vorliegend dem Kläger entsprechend den obigen Vorgaben gestattet ist, auch während seiner Dienstzeit für Dritte als Rechtsanwalt aufzutreten, stellt sich nach Meinung des Senats die Frage, weshalb es überhaupt einer solchen Freistellungserklärung des Arbeitgebers bedurfte, wenn der Kläger doch auch im Rahmen seines Arbeitsvertrages angeblich als unabhängiger Rechtsanwalt tätig war. Der Umstand, dass zwischen der Tätigkeit für die X. Vertriebsbetreuungsgesellschaft mbH einerseits und der Rechtsanwaltstätigkeit für Dritte unterschieden wurde, macht vielmehr nach Auffassung des Senats deutlich, dass der Kläger zwei voneinander abgrenzbare Berufe nebeneinander ausübt, die auch sozialversicherungsrechtlich getrennt zu beurteilen sind.

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) im Rentenversicherungsrecht, dass bei einem Nebeneinander unterschiedlicher Beschäftigungen oder selbständiger Tätigkeiten das Bestehen von Versicherungspflicht (oder Versicherungsfreiheit) der einen grundsätzlich keine Auswirkung auf die Versicherungspflicht (oder Versicherungsfreiheit) der anderen Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit hat, mithin jeder Sachverhalt selbstständig zu beurteilen ist und es deshalb zulässigerweise zu Mehrfachversicherungen und mehrfacher Beitragspflicht kommen kann (vgl. z. B. BSG, Urteil vom 04.11.2009, B 12 R 7/08 R).

Bei der abhängigen Beschäftigung des Klägers bei der X. Vertriebsbetreuungsgesellschaft mbH handelt es sich aus den vorgenannten Gründen nicht um eine anwaltliche Tätigkeit. Als weisungsgebundene Tätigkeit im Rahmen eines Über- und Unterordnungsverhältnisses entspricht sie nicht dem in § 1 bis 3 BRAO gezeichneten Berufsbild des Rechtsanwalts. Zudem kann im Hinblick auf § 46 BRAO nicht von einer anwaltlichen Tätigkeit für die X. Vertriebsbetreuungsgesellschaft mbH ausgegangen werden.

Handelt es sich bei der Tätigkeit bei X. Vertriebsbetreuungsgesellschaft mbH aber nicht um eine anwaltliche, kann sie folglich weder in der Rechtsanwaltskammer noch in der dazugehörigen Rechtsanwalts- und Steuerberaterversorgung eine Pflichtmitgliedschaft auslösen. Genau dies wäre aber Voraussetzung für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI für seine abhängige Beschäftigung bei der X. Vertriebsbetreuungsgesellschaft mbH.

Die von der Beklagten mit entwickelte sogenannte Vier-Kriterien-Theorie findet im Gesetz keine Grundlage. Ihre Anwendung führt de facto dazu, dass ein nach § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI versicherungspflichtig beschäftigter juristischer Mitarbeiter, der eine Zulassung als Rechtsanwalt erwirkt, im Ergebnis frei entscheiden kann, ob er für seine abhängige Beschäftigung Beiträge an die gesetzliche Rentenversicherung oder an das zuständige Versorgungswerk der Rechtsanwälte abführt, sofern ihm der Nachweis gelingt, dass er im Rahmen seines Dienst- bzw. Arbeitsverhältnisses rechtsberatend, rechtsentscheidend, rechtsvermittelnd und rechtsgestaltend tätig ist. Eine solche Wahlmöglichkeit ist in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI jedoch nicht vorgesehen.

Dass die Vorschrift des § 6 SGB VI in den dort geregelten Fällen überhaupt eine gewisse Dispositionsbefugnis der Versicherten vorsieht, ist für die gesetzlich organisierte und als solidarische Pflichtversicherung gestaltete soziale Rentenversicherung atypisch (vgl. BVerfGE 78, 232, 246 = SozR 5850 § 14 Nr. 11; BSG SozR 4-2600 § 6 Nr. 3;), weil sie die Gefahr einer negativen Risikoauslese in sich birgt (siehe Papier in Festschrift Zacher, 1998, 689, 703).

Der Senat stimmt mit Fichte, in: Fichte, Hauck/Noftz, Komm. zum SGB VI zu § 6 Rnr 12 überein, der folgendes ausführt: "Der Ausnahmecharakter der Versicherungsbefreiung beruht darauf, dass die Rentenversicherung auf Kontinuität des versicherten Personenkreises angewiesen ist und das Rentenversicherungsverhältnis daher grundsätzlich nicht Gegenstand privatautonomer Disposition sein kann (Voelzke in: Schulin HS-RV § 17 Rz 70; vgl. auch BVerwG Buchholz 430.4 Versorgungsrecht Nr. 19, 26; VGH Baden-Württemberg NJW 1995, 1443 und Juris). Die Rechtfertigung hierfür liegt vornehmlich in Finanzierungsgründen (Umlageverfahren). Dies entspricht auch dem Solidarprinzip; denn die Rentenversicherung wird - wenn auch der Sache und der Höhe nach begrenzt (vgl. Ruland, NJW 1982, 1847, 1853) - durch einen (auch) beitragsfinanzierten sozialen Ausgleich geprägt (siehe BSGE 81, 276 = SozR 3-2600 § 158 Nr. 1), dem sich der Einzelne durch eine Option zugunsten einer "günstigeren" Vorsorgeeinrichtung nicht entziehen soll (vgl. Ruland, NVwZ 1995, 417, 420). Die hierin zum Ausdruck kommende soziale Bindung hat verfassungsrechtlich zur Konsequenz, dass dem Einzelnen kein Wahlrecht eingeräumt werden muss, das es ihm ermöglichen würde, im gegliederten System sozialer Sicherheit die individuell jeweils günstigste Versorgungsmöglichkeit zu wählen (vgl. BVerfGK 4, 46 = SozR 4-2600 § 6 Nr. 1; BVerfG <Nichtannahmebeschluss> SozR 4-2600 § 6 Nr. 2; BSGE 80, 215 = SozR 3-2940 § 7 Nr. 4)".

Deshalb war der Berufung der Beklagten stattzugeben, das Urteil des Sozialgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung ergeht nach § 193 SGG und berücksichtigt das Obsiegen der Beklagten in der Berufungsinstanz.

Die Revision war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG).






Bayerisches LSG:
Urteil v. 18.12.2013
Az: L 14 R 384/12


Link zum Urteil:
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