Bundespatentgericht:
Beschluss vom 17. Februar 2005
Aktenzeichen: 34 W (pat) 306/02

(BPatG: Beschluss v. 17.02.2005, Az.: 34 W (pat) 306/02)

Tenor

Das Patent wird widerrufen.

Gründe

I.

Gegen das am 6. Oktober 2000 angemeldete und am 3. Januar 2002 veröffentlichte deutsche Patent 100 49 602 mit der Bezeichnung "Verfahren zur Regelung eines Boilers" hat die Einsprechende am 30. März 2002 Einspruch eingelegt.

Der Einspruch wird darauf gestützt, dass das Verfahren gem. Patentanspruch 1 des angegriffenen Patents gegenüber dem Stand der Technik mangels Neuheit und erfinderischer Tätigkeit nicht patentfähig sei. Die Merkmale des einzigen Unteranspruchs beträfen fachübliche Maßnahmen. Darüber hinaus fehlten dem Patent Angaben darüber, wie die maximale Brennerlast definiert sei.

Im Verfahren befindet sich u.a. die in der Patentschrift DE 100 49 602 C1 genannte Europäische Patentanmeldung EP 1 011 037 A2.

Die Einsprechende beantragt, das Patent zu widerrufen.

Die Patentinhaberin beantragt, das Patent aufrechtzuerhalten.

Sie sieht die Patentfähigkeit als gegeben an.

Die erteilten Patentansprüche lauten:

1. Verfahren zur Regelung eines eine Brenner-Einrichtung (10) und eine Wärmetauscher-Einrichtung (11) umfassenden Boilers, wobei ein erster gemessener Istwert (14) der Wärmetauscher-Einrichtung (11) mit einem entsprechenden Sollwert (15) verglichen und anschließend einer ersten Regeleinrichtung (13) zugeführt wird, die hieraus ein Stellsignal (16) für die Brenner-Einrichtung (10) errechnet, und wobei dieses Stellsignal (16) mit einem zweiten gemessenen Istwert (18) der Brenner-Einrichtung (10) verglichen und anschließend einer zweiten Regeleinrichtung (17) zugeführt wird, die hieraus ein modifiziertes Stellsignal (19) für die Brenner-Einrichtung (10) errechnet, dadurch gekennzeichnet, daß zur Initialisierung oder Kalibrierung der Regelung ausschließlich die maximale Brennerlast angefahren und bei der maximalen Brennerlast ein Ionisationssignal ermittelt wird.

2. Verfahren nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß abhängig von dem bei maximaler Brennerlast ermittelten Ionisationssignal und anhängig von der in etwa linearen Beziehung zwischen dem Ionisationssignal und der Brennerleistung die Regelung erfolgt.

Zu weiteren Einzelheiten des Vortrags der Beteiligten wird auf die Akte verwiesen.

II.

1. Gemäß § 147 Abs 3 Satz 1 Ziffer 1 PatG entscheidet über den Einspruch nach § 59 PatG der Beschwerdesenat des Patentgerichts, wenn - wie hier - die Einspruchsfrist nach dem 1. Januar 2002 beginnt und der Einspruch vor dem 1. Januar 2005 eingelegt worden ist.

2. Der fristgerecht erhobene Einspruch, mit dem die Widerrufsgründe der fehlenden Patentfähigkeit und der unzureichenden Offenbarung (§ 21 Abs 1 Nr 1 und 2 PatG) geltend gemacht werden, ist unbestritten zulässig.

3. Die Zulässigkeit der erteilten Patentansprüche mag gegeben sein. Dies wurde seitens der Einsprechenden nicht bestritten. Auch mag das Patent die Erfindung so deutlich und vollständig offenbaren, dass ein Fachmann sie ausführen kann. Dies kann jedoch ebenso dahinstehen wie die Neuheit und die gewerbliche Anwendbarkeit des Patentgegenstandes, denn der Gegenstand des erteilten Patentanspruchs 1 beruht jedenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.

3.1. Die vorveröffentlichte europäische Patentanmeldung EP 1 011 037 A2, die in der Beschreibung des angegriffenen Patents ausführlich gewürdigt ist und deren Offenbarungsgehalt ausdrücklich Bestandteil des angegriffenen Patents sein soll (s Sp 1 Abs 0008 in DE 100 49 602 C1), soll nach den Ausführungen in Sp 1 Abs 0002 der Patentschrift DE 100 49 602 C1 (im folgenden PS genannt) den Oberbegriff des angegriffenen Patentanspruchs 1 bilden.

Die EP 1 011 037 A2 (im folgenden EP-A2 genannt) offenbart ein Verfahren zur Regelung der Wassertemperatur eines eine Brenner-Einrichtung und eine Wärmetauscher-Einrichtung umfassenden Boilers. Ein solches Verfahren ist offensichtlich mit dem Verfahren zur Regelung eines eine Brenner-Einrichtung und eine Wärmetauscher-Einrichtung umfassenden Boilers gemäß dem angegriffenen Patentanspruch 1 gemeint. Bei dem bekannten Verfahren wird in seitens der Patentinhaberin ausdrücklich zugestandener Übereinstimmung mit dem patentgemäßen Verfahren ein erster gemessener Istwert 14 der Wärmetauscher-Einrichtung, bei dem es sich um einen Ist-Temperaturwert des hinsichtlich seiner Temperatur zu regelnden Wassers handelt, mit einem Sollwert 15 (= Solltemperatur des Wassers) verrechnet. Diese Verrechnung erfolgt durch Bildung der Differenz von Istwert 14 und Sollwert 15. Die gebildete Differenz wird einer ersten Regeleinrichtung 13 zugeführt, die hieraus ein Ausgangssignal als Stellsignal 16 für die Brenner-Einrichtung 10 errechnet (s PA 6 iVm Sp 2 Z 22 bis 38 in EP-A2).

Mit Hilfe eines Ionisations-Sensors wird ein zweiter Istwert 18 der Brenner-Einrichtung 10 (ein Ionisationssignal) gemessen. Das zuvor errechnete Stellsignal 16 wird mit diesem zweiten gemessenen Istwert 18 der Brenner-Einrichtung 10 durch Bildung der Differenz verrechnet. Diese Differenz wird einer zweiten Regeleinrichtung 17 als Eingangsgröße zugeführt, die hieraus ein modifiziertes Stellsignal 19 für die Brenner-Einrichtung 10 bestimmt (s PA 6 iVm Sp 3 Z 6 bis 9 sowie 19 bis 25 in EP-A2).

In dem angegriffenen Patentanspruch 1 heißt es zwar, dass "ein ... Istwert (14) ... mit einem entsprechenden Sollwert (15) verglichen und anschließend einer ... Regeleinrichtung (13) zugeführt wird, ...". Der zuständige Fachmann, der übereinstimmend von den Beteiligten als ein Fachhochschul-Ingenieur der Fachrichtung Regelungstechnik mit Kenntnissen in der Heizungstechnik angesehen wird, ersieht hieraus jedoch ganz automatisch schon allein aufgrund seines Grundlagenwissens, dass bei dem beanspruchten Regelungsverfahren - in üblicher Weise - der Istwert (=Regelgröße) mit dem Sollwert (=Führungsgröße) durch Differenzbildung verglichen und diese Differenz (=Regeldifferenz) als Eingangsgröße dem Regelglied einer Regeleinrichtung (die Regeleinrichtung besteht in der Regelungstechnik allgemein aus Messeinrichtung, Vergleicher, Regelglied und Stelleinrichtung) aufgegeben wird. Darüber hinaus lassen auch die Figurenzeichnung und die zugehörige Beschreibung (s insbes Sp 1 Z 59 bis 62 der PS) keine andere Deutung zu.

Das Verfahren gemäß dem Oberbegriff des angegriffenen Patentanspruchs 1 ist somit aus der EP 1 011 037 A2 bekannt.

3.2. Nachteilig beim Stand der Technik nach der EP 1 011 037 A2 soll sein, dass bspw für eine Kalibrierung der Brennerregelung sowohl die minimale als auch die maximale Brennerlast angefahren werden müsse (s Sp 1 Abs 0003 der PS).

Demzufolge liegt dem Patent die Aufgabe zu Grunde, ein einfacheres Verfahren zur Regelung eines Boilers zu schaffen (s Sp 1 Abs 0004 der PS).

Diese Aufgabe soll erfindungsgemäß gelöst werden durch ein Regelungsverfahren mit den Merkmalen des Oberbegriffs des angegriffenen Patentanspruchs 1, wobei zur Initialisierung oder Kalibrierung der Regelung ausschließlich die maximale Brennerlast angefahren und bei der maximalen Brennerlast ein Ionisationssignal ermittelt wird.

3.3. Die Patentinhaberin begründet nun die erfinderische Tätigkeit des Gegenstands des angegriffenen Patentanspruchs 1 damit, dass ein Kalibrieren einer Regelung, bei dem ausschließlich die maximale Brennerlast angefahren werde, aus dem Stand der Technik nicht bekannt sei und der Fachmann auch überhaupt keinen Anlass gehabt habe, das übliche Kalibrierverfahren (Ermittlung weiterer Kalibrierpunkte) zu ändern.

Dies ist nach Überzeugung des Senats nicht zutreffend. Es ist unstrittig zwischen den Beteiligten, dass für den ordnungsgemäßen Betrieb einer Regelung eine Kalibrierung der Regelung von Zeit zu Zeit erforderlich ist. Da der Fachmann stets bestrebt ist, insbesondere aufwendige oder häufig erforderliche Tätigkeiten zu vereinfachen und den damit verbundenen Aufwand zu reduzieren, war er auch veranlasst, über eine Vereinfachung des Kalibriervorgangs nachzudenken.

Im vorliegenden Fall muss das Verhältnis der Größe des Ionisierungssignals zur Brennerleistung bestimmt werden. Dieser funktionale Zusammenhang muss gemessen und die ermittelten Werte als Kennlinie der Regeleinrichtung eingegeben werden. Ergeben die gemessenen Werte eine Kurve, so ist die Kennlinie umso genauer bestimmt, je mehr Kalibrierwerte ermittelt werden. Diese Zusammenhänge sind dem Fachmann aufgrund seines Fachwissens geläufig.

Wie die mündliche Verhandlung ergab, setzt das erfindungsgemäße Verfahren jedoch eine (in etwa) lineare Beziehung zwischen dem Ionisationsstrom und der Brennerleistung voraus, wie sie jedenfalls bei atmosphärischen Gasbrennern besteht. Diese lineare Beziehung zwischen Ionisationsstrom und Brennerleistung bei atmosphärischen Gasbrennern ist aus der EP 1 011 037 A2 bereits bekannt (s Sp 3 Z 12 bis 15 in EP-A2). Außerdem weiß der Fachmann, dass der Ionisationsstrom bei erloschener Flamme Null ist. Eine sich aus einer linearen Beziehung ergebende Kennlinie wird daher als Teil einer durch den Ursprung (O-Punkt) des Koordinatensystems gehenden Geraden abgebildet. Eine Gerade kann bekanntermaßen durch zwei Punkte bestimmt werden. Ist ein Punkt der Geraden bereits bekannt - hier der 0-Punkt - so ist demzufolge zur Bestimmung der Geraden die Ermittlung nur noch eines weiteren Punktes ausreichend. Auch diese Zusammenhänge sind dem Fachmann aufgrund seines Fachwissens bekannt. Dieser noch erforderliche weitere Kalibrierpunkt wird praktischerweise beim Maximalwert der Brennerleistung gewählt. Zum einen kann dadurch das gemessene Ionisationssignal einer bestimmten Brennerleistung zugeordnet werden und zum anderen liegt dieser Punkt am weitesten vom 0-Punkt entfernt, wodurch Messungenauigkeiten den geringsten Einfluss auf die Lage der abgebildeten Geraden haben.

Ausgehend von der EP 1 011 037 A2 gelangt der Fachmann allein durch diese einfachen Überlegungen, die sich im gewohnten Rahmen seiner Tätigkeit bewegen, zum Gegenstand des angegriffenen Patentanspruchs 1. Dieser Gegenstand hat daher am Anmeldetag des Patents für ihn nahegelegen und beruht somit nicht auf der erforderlichen erfinderischen Tätigkeit.

Der Patentanspruch 1 ist nicht bestandsfähig.

4. Mit dem nicht bestandsfähigen Patentanspruch 1 fällt auch der darauf rückbezogene Patentanspruch 2, da dieser zusammen mit dem Patentanspruch 1 Gegenstand desselben Antrags auf Aufrechterhaltung des Patents ist und über einen Antrag auf Aufrechterhaltung des Patents wegen der Antragsbindung im Einspruchs- und Einspruchsbeschwerdeverfahren nur als Ganzes entschieden werden kann (BGH in GRUR 1980, 716 - Schlackenbad iVm Bl f PMZ 1989, 32 - Verschlussvorrichtung für Gießpfannen).

Dr. Ipfelkofer Hövelmann Dr. Barton Pontzen Bb






BPatG:
Beschluss v. 17.02.2005
Az: 34 W (pat) 306/02


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