Bundespatentgericht:
Beschluss vom 19. März 2009
Aktenzeichen: 23 W (pat) 331/05

(BPatG: Beschluss v. 19.03.2009, Az.: 23 W (pat) 331/05)

Tenor

Das Patent wird widerrufen.

Gründe

I.

Das Patent 196 10 012 (Streitpatent) wurde am 14. März 1996 mit der Bezeichnung "Anordnung zum Beschichten eines Substrats mittels einer Sputtervorrichtung" beim Deutschen Patentund Markenamt angemeldet. Die Prüfungsstelle für Klasse H01J des deutschen Patentund Markenamts hat das Patent mit Beschluss vom 2. August 2004 mit der Bezeichnung "Verfahren zur Stabilisierung eines Arbeitspunkts beim reaktiven Zerstäuben in einer Sauerstoff enthaltenden Atmosphäre" erteilt. Die Patenterteilung wurde am 10. Februar 2005 veröffentlicht.

Gegen das Patent hat die Einsprechende mit Schriftsatz vom 2. Mai 2005, eingegangen am 4. Mai 2005, Einspruch erhoben und beantragt, das Patent zu widerrufen, da es gemäß §§ 1 und 5 PatG nicht patentfähig sei.

In ihrer Einspruchsbegründung hat die Einsprechende u. a. auf die Druckschriften D1 US5492606und D3 DE4202211A1 hingewiesen und dargelegt, der Gegenstand des Streitpatents sei gegenüber dem Stand der Technik weder neu noch beruhe er auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Die Einsprechende hat den Einspruch mit Schriftsatz vom 4. September 2006 zurückgenommen.

In der mündlichen Verhandlung vom 19. März 2009 stellt die Patentinhaberin den Antrag, das Patent wie erteilt aufrechtzuerhalten, hilfsweise in der Fassung des Hilfsantrags 1, überreicht in der mündlichen Verhandlung, weiter hilfsweise in der Fassung der Patentansprüche 1 bis 16 gemäß Hilfsantrag 2, eingegangen mit Schriftsatz vom 24. Februar 2009, mit jeweils gegebenenfalls noch anzupassenden Unterlagen. Der erteilte und mit dem Hauptantrag verteidigte Anspruch 1 lautet:

"Verfahren zur Stabilisierung eines Arbeitspunkts beim reaktiven Zerstäuben in einer Sauerstoff enthaltenden Atmosphäre, bei dem - wenigstens eine mit einer elektrischen Energiequelle verbundene Elektrode (20, 21) und ein zu beschichtendes Substrat (13) vorgesehen sind, und die wenigstens eine Elektrode (20, 21) mit einem zu zerstäubenden Metall (22, 23) versehen ist, dadurch gekennzeichnet, dass - der Sauerstoffzufluss konstant gehalten wird,

- die der Entladung über die wenigstens eine Elektrode (20, 21)

zugeführte elektrische Leistung zwischen einem ersten Leistungswert (Pmax) und einem kleineren zweiten Leistungswert (Pmin) periodisch umgeschaltet wird, sodass der durch die mittlere Leistung gekennzeichnete effektive Arbeitspunkt zwischen den beiden Leistungswerten liegt, und wobei der erste Leistungswert (Pmax) einem Arbeitspunkt entspricht, der einem metallischen Mode entspräche, wenn nicht umgeschaltet würde, und wobei der zweite kleinere Leistungswert (Pmin) einem Arbeitspunkt entspricht, der einem oxidischen Mode entspräche, wenn nicht umgeschaltet würde."

Der Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 präzisiert diese Lehre bei ansonsten identischem Anspruchswortlaut dahingehend, dass die elektrische Leistung der Entladung über zwei Elektroden zugeführt wird. Dementsprechend lautet das zweite kennzeichnende Teilmerkmal:

"...

-die der Entladung über zwei Elektroden (20, 21) zugeführte elektrische Leistung zwischen einem ersten Leistungswert (Pmax) und einem kleineren zweiten Leistungswert (Pmin) periodisch umgeschaltet wird, sodass der durch die mittlere Leistung gekennzeichnete effektive Arbeitspunkt zwischen den beiden Leistungswerten liegt, und wobei der erste Leistungswert (Pmax) einem Arbeitspunkt entspricht, der einem metallischen Mode entspräche, wenn nicht umgeschaltet würde, und wobei der zweite kleinere Leistungswert (Pmin) einem Arbeitspunkt entspricht, der einem oxidischen Mode entspräche, wenn nicht umgeschaltet würde."

Der Hilfsantrag 2 umfasst nebengeordnet einen Vorrichtungsund einen Verfahrensanspruch, wobei der Anspruch 1 nach Hilfsantrag 2 auf eine Zerstäubungsvorrichtung gerichtet ist und lautet:

"Zerstäubungsvorrichtung zum Ätzen oder Beschichten eines Substrats mit Metallverbindungen, die durch Zerstäuben eines metallischen Targets und Verbindung der so entstandenen Targetpartikel mit einem Reaktivgas gewonnen werden, mit 1.1 einem Prozessraum (2);

1.2 einer Reaktivgaszuführung (15, 16) in den Prozessraum (2);

1.3 wenigstens einer Elektrode (20, 21), die mit einer elektrischen Energieversorgung verbindbar ist, wobei die Entladespannung der Elektrode (20, 21) von der pro Zeiteinheit zugeführten Menge des Reaktivgases abhängt;

1.4 einer Einrichtung, die dazu eingerichtet ist, die der Elektrode (20, 21) zugeführte elektrische Leistung zwischen einem ersten und einem zweiten Wert periodisch umzuschalten;

dadurch gekennzeichnet, dass der erste und der zweite Leistungswert (P1, P2) so ausgewählt sind, dass sich bei gleichem Reaktivgaszufluss das Target (22, 23) beim ersten Leistungswert (P1) im metallischen Mode (A) befindet, während es sich beim zweiten Leistungswert (P2) im oxidischen Mode (B') befindet."

Der nebengeordnete Verfahrensanspruch 14 nach Hilfsantrag 2 lautet:

"Verfahren zum Einstellen eines Arbeitspunkts einer Zerstäubungsvorrichtung nach Anspruch 1, gekennzeichnet durch folgende Schritte: a) es wird eine erste Entladespannungs-Reaktivgaszuführungs-

Kennlinie (I) bei einer ersten elektrischen Leistung (P1) ermittelt;

b) es wird eine zweite Entladespannungs-Reaktivgaszuführungs-Kennlinie (II) bei einer zweiten elektrischen Leistung (P2) ermittelt;

c) es wird auf der ersten Entladespannungs-Reaktivgaszuführungs-Kennlinie (I) ein Arbeitspunkt (IV) ermittelt, bei dem die Zerstäubungsvorrichtung im metallischen Mode arbeitet;

d) es wird auf der zweiten Entladespannungs-Reaktivgaszuführungs-Kennlinie (II) ein Arbeitspunkt (B') ermittelt, bei dem die Zerstäubungsvorrichtung im oxidischen Mode arbeitet;

e) es wird bei konstantem Reaktivgasfluss von der elektrischen Leistung (P1), welche die erste Kennlinie (I) bestimmt, auf die elektrische Leistung (P2), welche die zweite Kennlinie (II) bestimmt, periodisch umgeschaltet."

Hinsichtlich der jeweiligen Unteransprüche nach dem Hauptantrag und den Hilfsanträgen wird ebenso wie hinsichtlich weiterer Einzelheiten auf die Patentschrift und den Akteninhalt verwiesen.

II.

1. Die Zuständigkeit des Bundespatentgerichts für die Entscheidung über den Einspruch ergibt sich aus § 147 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 PatG in der bis einschließlich 30. Juni 2006 maßgeblichen Fassung. Danach ist nicht das Patentamt, sondern das Patentgericht zuständig, wenn -wie im vorliegenden Fall -die Einspruchsfrist nach dem 1. Januar 2002 zu laufen begonnen hat und der Einspruch vor dem 1. Juli 2006 eingelegt worden ist. Diese befristete Regelung ist zwar zum 1.

Juli 2006 ohne weitere Verlängerung ausgelaufen, so dass ab 1. Juli 2006 die Zuständigkeit für die Entscheidung in den Einspruchsverfahren wieder an das Patentamt zurückverlagert wurde. Dennoch bleibt das Bundespatentgericht für die durch § 147 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 PatG zugewiesenen Einspruchsverfahren auch nach dem 30. Juni 2006 zuständig, weil der Gesetzgeber eine anderweitige Zuständigkeit für diese Verfahren nicht ausdrücklich festgelegt hat und deshalb der in allen gerichtlichen Verfahren geltende Rechtsgrundsatz der "perpetuatio fori" (analog § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO und analog § 17 Abs. 1 Satz 1 GVG) zum Tragen kommt, wonach eine einmal begründete Zuständigkeit bestehen bleibt.

Diese Rechtsauffassung zur fortdauernden Zuständigkeit des Bundespatentgerichts wurde durch den Bundesgerichtshof bestätigt, vgl. BGH GRUR 2009, 184, Leitsatz -"Ventilsteuerung" m. w. N.

2.

Das Einspruchsverfahren ist nach Rücknahme des Einspruchs gemäß § 61 Abs. 1 Satz 2 PatG ohne die Einsprechende von Amts wegen fortzusetzen. Die Formulierung "von Amts wegen" schließt dabei auch das Bundespatentgericht ein, vgl. Schulte PatG 8. Auflage, § 61 Rdn. 32, sowie § 87 Abs. 1 Satz 1 und Rdn. 4, wonach der im Einspruchsverfahren geltende Untersuchungsgrundsatz auch für das Bundespatentgericht gilt ("Das Patentgericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen.")

3.

Der Einspruch ist zulässig.

Aus dem Einspruchsschriftsatz vom 2. Mai 2005 ist ohne weiteres erkennbar, dass die Einsprechende ihren Einspruch auf den Widerrufsgrund der mangelnden Patentfähigkeit gemäß §§ 1 bis 5 PatG stützen wollte, denn sie legt im Einzelnen ausführlich dar, dass und warum ihrer Auffassung nach die Patentierungsvoraussetzungen der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit nicht erfüllt seien. Damit geht insbesondere aus der Würdigung des Standes der Technik und den Schlussfolgerungen der Einsprechenden hinsichtlich Neuheit und erfinderischer Tätigkeit hervor, dass es sich bei der Formulierung ihres Antrags im Einspruchsschriftsatz, wonach das Patent zu widerrufen sei, "da es gemäß §§ 1 und 5 PatG nicht patentfähig ist", um einen Schreibfehler handelt und es stattdessen richtig "da es gemäß §§1 bis 5 nicht patentfähig ist" hätte heißen müssen.

Damit ist dem Einspruchsschriftssatz im Wege der Auslegung eindeutig zu entnehmen, welche der im § 21 PatG genannten Widerrufsgründe die Einsprechende geltend machen will, was für die Zulässigkeit des Einspruchs ausreicht, vgl. Schulte, PatG, 8. Auflage, § 59 Rdn. 91.

Dabei erfüllt sie auch die an einen Einspruchsschriftsatz zu stellenden Anforderungen hinsichtlich der Substantiierung des Einspruchs, denn sie hat im Einspruchsschriftsatz die Tatsachen, die den Widerruf des Patents aus den geltend gemachten Gründen rechtfertigen sollen, im Einzelnen angegeben (§ 59 Abs. 1 Satz 4 PatG). In der zugehörigen Begründung hat sie nämlich einen konkreten Bezug zwischen der Lehre des erteilten Patentanspruchs 1 und den von ihr genannten Druckschriften hergestellt, um die behaupteten Widerrufsgründe zu belegen, wobei sie hinsichtlich der im angegriffenen Patentanspruch angegebenen Merkmale jeweils auf entsprechende Figuren und Zitatstellen in den Entgegenhaltungen verwiesen hat. Die Einsprechende hat ihren Vortrag damit so substantiiert, dass die Patentinhaberin und der Senat in die Lage versetzt werden, die behaupteten Widerrufsgründe zu überprüfen, vgl. Schulte, PatG, 8. Aufl., § 59 Rdn. 93 bis 95.

4. Gegenstand des Streitpatents ist ein Verfahren zur Stabilisierung eines Arbeitspunkts beim reaktiven Zerstäuben in einer Sauerstoff enthaltenden Atmosphäre.

Zum Beschichten von Substraten mit metallischen Schichten werden vielfach Sputteranlagen eingesetzt. Zwischen einer Elektrode mit einem Target und einer weiteren Elektrode wird im Vakuum mittels einer Gleichspannung oder einer Hochfrequenzspannung ein Plasma eines nichtreaktiven Edelgases gezündet, dessen elektrisch geladene Teilchen auf das Target auftreffen und dieses zerstäuben. Das zerstäubte Targetmaterial schlägt sich auf dem zu beschichtenden Substrat nieder.

Wird dem nichtreaktiven Edelgas ein reaktives Gas, bspw. Sauerstoff beigemischt, so reagieren dessen Ionen mit dem Targetmaterial und bilden mit diesem eine Verbindung, so dass ein solches Sputterverfahren als reaktives Sputtern bezeichnet wird.

Bei niedrigem Reaktivgas-Fluss, d. h. bspw. niedrigem Sauerstoff-Angebot dominiert der Zerstäubungsvorgang den Prozess, so dass die Zerstäubungsrate des metallischen Targets höher als die Oxidationsrate der zerstäubten Teilchen mit dem Sauerstoff ist. Das Sputterverfahren arbeitet damit im sogenannten "metallic mode", bei dem die abgeschiedene Schicht metallischen Charakter aufweist. Bei hohem Reaktivgas-Fluss, also hohem Sauerstoff-Angebot dominiert dagegen der Oxidationsvorgang den Prozess, da mehr Sauerstoff zur Verfügung steht als bei der Reaktion mit den zerstäubten Teilchen des Targetmaterials verbraucht wird. Das Sputterverfahren arbeitet in diesem Fall im sogenannten "reactive mode", in dem Metalloxid auf dem Substrat abgeschieden wird.

Der Übergang vom "metallic mode" in den "reactive mode" erfolgt bei Zunahme des Reaktivgas-Flusses relativ abrupt und selbstverstärkend. Bei zunehmendem Sauerstoff-Angebot bildet sich an der Oberfläche des Targets ein Dielektrikum in Form des entsprechenden Metalloxids aus, so dass die Sputterrate für das Targetmaterial stark absinkt. Damit nimmt der Reaktivgasverbrauch ab, d.h. das Sauerstoff-Angebot steigt noch weiter an und beschleunigt das Umkippen des Prozesses in den "reactive mode".

Verringert man in diesem Zustand den Fluss des Reaktionsgases wieder, um den Sputterprozess wieder in den "metallic mode" zurückzuführen, so muss zunächst der im Überschuss vorhandene Sauerstoff in der Reaktionskammer verbraucht werden, d. h. es tritt eine Hysterese auf.

Um eine hohe Sputterrate zu gewährleisten, muss der Arbeitspunkt des Sputterprozesses allerdings am Übergang zwischen "metallic mode" und "reactive mode" geführt werden, in dem der Prozess aufgrund oben geschilderten Effekte sehr schnell vom "metallic mode" in den "reactive mode" umkippt und damit instabil ist. Die zur Arbeitspunktstabilisierung bisher praktizierte Regelung des Gasflusses ist -wie sich aus den erläuterten Reaktionsmechanismen ergibt -nur langsam und träge.






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Beschluss v. 19.03.2009
Az: 23 W (pat) 331/05


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