Bundespatentgericht:
Urteil vom 24. Juli 2001
Aktenzeichen: 3 Ni 3/00

(BPatG: Urteil v. 24.07.2001, Az.: 3 Ni 3/00)

Tenor

Das europäische Patent 0 612 251 wird mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von DM 260.000 vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagte ist Inhaberin des am 27. Oktober 1992 unter Inanspruchnahme der Priorität der britischen Patentanmeldung GB 9122820 vom 28. Oktober 1991 angemeldeten, mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 0 612 251 (Streitpatent), das vom Deutschen Patent- und Markenamt unter der Nummer 692 23 641 geführt wird. Das Streitpatent betrifft "Stabilised Antibodies" (Stabilisierte Antikörper) und umfaßt 15 Patentansprüche. Die Patentansprüche 1, 14 und 15 des in der Verfahrenssprache Englisch erteilten europäischen Patents 0 612 251 haben in der deutschen Übersetzung folgenden Wortlaut:

"1. Stabilisierte pharmazeutische Formulierung, enthaltend ein IgG1-Immunglobulin und eine Menge eines Komplexbildners für Kupferionen, die zur Verhinderung des Abbaus des Immunglobulins ausreicht.

14. Verwendung eines Komplexbildners für Kupferionen zur Bindung von Kupferionen, die in einer stabilisierten pharmazeutischen Formulierung enthaltend eine Immunglobulinzusammensetzung von IgG1 vorliegen, wodurch das Immunglobulin vor Abbau durch Kupferionen geschützt wird.

15. Verfahren zur Herstellung einer stabilisierten pharmazeutischen Formulierung eines IgG1 - Immunglobulins, umfassend den Schritt der Zugabe einer Menge eines Komplexbildners für Kupferionen, die zur Bindung von Kupferionen, die in einer Immunglobulinzusammensetzung vorliegen, ausreicht, wodurch das Immunglobulin vor Abbau durch die Kupferionen geschützt wird und so die IgG1 - Zusammensetzung stabilisiert."

Wegen des Wortlauts der mittelbar oder unmittelbar auf Patentanspruch 1 zurückbezogenen Patentansprüche 2 bis 13 wird auf die Streitpatentschrift verwiesen.

Die Klägerin macht geltend, der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig, weil er hinsichtlich der Patentansprüche 1 bis 7 und 10 bis 12 gegenüber dem Stand der Technik nicht neu sei und im Umfang der Patentansprüche 1 bis 15 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Für den Fall, daß Neuheit und erfinderische Tätigkeit bejaht werden würden, wendet die Klägerin den weiteren Nichtigkeitsgrund der fehlenden Offenbarung unter dem Gesichtspunkt der mangelnden Nacharbeitbarkeit ein. Zur Begründung beruft sie sich im wesentlichen auf folgende Veröffentlichungen und Schriftstücke.

NK1: JP 60-146832 A mit englischer Übersetzung;

NK2: Wang, J. of Parenteral Science & Technology 42 (1988), S4-S23;

NK3: WO 89/09610 A1;

NK4: WO 89/11297 A1;

NK5: Townsend, Pharm. Res. 7 (1990), 1086-1091;

NK6: WO 91/15509 A1;

NK7: Wang, J. of the Parental Drug Association 34 (1980), 452-462;

NK8: US 4,597,966;

NK9: Versuchsprotokoll;

NK10: Eingabe der Beklagten vom 19. Mai 2000 zum LG Düsseldorf im parallelen Verletzungsstreit;

NK11: Urteil des LG Düsseldorf vom 24. Oktober 2000;

NK12: US 5,654,403 A;

NK13: US 5,792,838 A;

NK14: Urteil des District Court of Delaware vom 8. Mai 2001;

NK15: "Markman Decision" des District Court of Delaware;

NK16: Schriftsatz der Nichtigkeitsklägerin im erstinstanzlichen Verletzungsverfahren vor dem LG Düsseldorf vom 11. September 2000;

NK17: Genentech-Memorandum vor dem District Court of Delaware vom 20. Februar 2001;

NK18: Application Note der Amersham Pharmacia Biotech, 1998;

NK19: Sadler, Inorg. Chem. 35 (1996), 4490-4496;

NK20: Physicians Desk Reference, E.R.Barnhardt, 1987;

NK21: Beipackzettel zu Gammagard¨ von Baxter, 1988;

NK22: Versuchsprotokoll des Bio-Science Research Institute zur Cu2+ -

Bestimmung in Gammagard¨ vom 16. November 2000;

NK23: Versuchsprotokoll des Bio-Science Research Institute zum IgGAbbau in Gammagard¨ vom 12. November 2000;

NK24: Gerber, Arthritis and Rheumatism, 17 (1974), 85-91;

NK25: Herrera, J. Allergy Clin. Immunol, 84 (1989), 556-561;

NK26: Roit, "Immunology" (1985), Gower Medical Publishing London, Seiten 5.2 und 5.3.;

NK27: Declaration of Johan Vandersande;

NK28: Jury Trial- Volume D, Wittness Dr. Smith, Glaxo Wellcome v. Genentech, CA No. 99-335 (RRM), Friday, April 20, 2001.

Die Klägerin beantragt, das europäische Patent 0 612 251 mit Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland für nichtig zu erklären.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen Hilfsweise verteidigt sie das Streitpatent in der Fassung der Hilfsanträge 1, 2 und 3, jeweils vom 25. Juni 2001.

Gemäß Hilfsantrag 1 hat Patentanspruch 1 folgende Fassung:

"1. Kupferionen enthaltende, stabilisierte pharmazeutische Formulierung, enthaltend ein IgG1-Immunglobulin und eine Menge eines Komplexbildners für Kupferionen, die zur Verhinderung des Abbaus des Immunglobulins ausreicht."

Die Patentansprüche 2 bis 15 werden in der erteilten Fassung verteidigt.

Gemäß Hilfsantrag 2 hat Patentanspruch 1 folgende Fassung:

"1. Kupferionen enthaltende, stabilisierte pharmazeutische Formulierung, enthaltend ein rekombinantes IgG1-Immunglobulin und eine Menge eines Komplexbildners für Kupferionen, die zur Verhinderung des Abbaus des Immunglobulins ausreicht."

Die Patentansprüche 2 bis 15 werden in der erteilten Fassung verteidigt.

Gemäß Hilfsantrag 2 hat Patentanspruch 1 folgende Fassung:

"1. Kupferionen enthaltende, stabilisierte pharmazeutische Formulierung, enthaltend ein rekombinantes IgG1-Immunglobulin und eine Menge eines Komplexbildners für Kupferionen, die zur Verhinderung des Abbaus des Immunglobulins ausreicht."

Die mit Hilfsantrag 2 weiter verteidigten Patentansprüche 2 bis 14 entsprechen den Patentansprüchen 3 bis 15 in der erteilten Fassung.

Mit Hilfsantrag 3 verteidigt die Beklagte das Streitpatent mit den Patentansprüchen 1 und 2, die den Patentansprüchen 14 und 15 in der erteilten Fassung entsprechen.

Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen und hält das Streitpatent unter Berufung auf folgende Unterlagen für patentfähig:

NB1: Smith et al., Int- J Peptide Protein Res. 48 (1996) 48-55;

NB2: Al-Mashikhi et al., J. Dairy Sci. 71 (1988) 1747-1755;

NB3: Lehninger, Biochemie, 2.Aufl. (1977) Verlag Chemie Weinheim, S.49;

NB4: Schriftsatz der Hoffmann LaRoche AG an das LG Düsseldorf vom 23.12.1999;

NB5: Berufungsbegründung der Hoffmann LaRoche AG an das OLG Düsseldorf;

NB6: BGH BlPMZ 1973, 170 "Legierungen";

NB7: Data for Biochemical Research, 3. Aufl., Oxford Science Publications, S. 411;

NB8: Auszug aus den Zulassungsunterlagen für Rituxan;

NB9: Tamura et al., JACS 109 (1987) 6870-6871;

NB10: The Merck Manual of Diagnosis and Therapy. Stichwort Kupfer (Copper);

NB11: Ausdruck der website http://immunedisease.meds.com/product/

gammagard/monograph_us.cfm;

NB12: Auszüge aus Fluka-Katalog 1993/1994 zu "Triton X-100" und "Tween 80";

NB13: Gutachten Prof. Dr. M. Schuster mit NB13a: Tabelle zur natürlichen Häufigkeit der Elemente in der Erdkruste und NB13b: Lebenslauf;

NB14: Poster Abstract von R. Parti et al. (Baxter), ÇStability Evaluation of Human Immune Globulin Intravenous (IGIV), 5% SolutionÈ 1999;

NB15: Gerber, Arthritis and Rheumatism 19 (1976) 593-601;

NB16: Roitt, Essential Immunology, 2.Aufl. (1971) Blackwell Scientific Publications Oxford, S.21-23.

Gründe

Die zulässige Klage erweist sich als begründet.

Der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der fehlenden Patentfähigkeit führt zur Nichtigerklärung des Streitpatents (Art II § 6 Abs 1 Nr 1 IntPatÜG iVm Art 138 Abs 1 lit a, Art 52, 54, 56 EPÜ).

I.

1. Das Streitpatent betrifft nach seinem Patentanspruch 1 die Stabilisierung von IgG1-Immunglobulinen gegen Abbau, insbesondere bei Lagerung und Verarbeitung vor der Verwendung.

Nach den Ausführungen der Streitpatentschrift in der deutschen Übersetzung (s Seite 4, 2. Absatz) ist es bei der Herstellung gereinigter Antikörper wichtig, gleich ob für die therapeutische oder diagnostische Anwendung, daß der Antikörper ausreichend lagerungsstabil ist. Verschiedene chemische Stoffe könnten einen negativen Effekt auf die Stabilität des Antikörpers haben. Daher sei etwa in der amerikanischen Patentschrift 2,149,304 und der europäischen Offenlegungsschrift 591 539 die Zugabe von Stabilisatoren, einschließlich Zitronensäure, zu Serum und Ig-Präparationen vorgesehen, um einen Anstieg des pH-Wertes der lyophilisierten Präparation nach Zugabe von Wasser zu verhindern. Es sei eine überraschende Entdeckung, daß Spurenmengen von Kupfer einen destabilisierenden Effekt auf IgG1-Moleküle haben.

2. Aufgabe des Streitpatents ist daher, die Erhöhung der Langzeitstabilität (Lagerzeit) von pharmazeutischen IgG1-Immunglobulinen und die Verhinderung des IgG1-Abbaus zu erreichen.

3. Zur Lösung dieses Problems beschreibt das Streitpatent in Patentanspruch 1

(a) eine stabilisierte pharmazeutische Formulierung,

(b) enthaltend ein IgG1-Immunglobulin,

(c) und eine Menge des Komplexbildners für Kupferionen,

(d) die zur Verhinderung des Abbaus des Immunglobulins ausreicht.

4. Der für die Lösung dieses Problems zuständige Fachmann ist ein in der pharmazeutischen Industrie tätiger Apotheker oder Diplomchemiker, der mit der Herstellung lagerfähiger proteinhaltiger Arzneimittel betraut ist.

II.

1. Die Gegenstände des Patentanspruchs 1 sowie der nebengeordneten Patentansprüche 14 und 15 in der B1-Fassung der Streitpatentschrift bzw die Patentansprüche 1 und 2 nach Hilfsantrag 3 erweisen sich im Hinblick auf die Entgegenhaltung NK1 oder die Entgegenhaltung NK8 mangels Neuheit als nicht bestandsfähig.

Beim Patentanspruch 1 in der B1-Fassung der Streitpatentschrift handelt es sich um einen Stoffanspruch betreffend eine pharmazeutische Formulierung mit den explizit genannten Bestandteilen 1.) IgG1-Immunglobulin und 2.) einer definierten Menge eines Komplexbildners für Kupferionen.

Der Patentanspruch 14 in der B1-Fassung der Streitpatentschrift bzw der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 3 betrifft die "Verwendung eines Komplexbildners für Kupferionen, die in einer stabilisierten pharmazeutischen Formulierung enthaltend eine Immunglobulinzusammensetzung von IgG1 vorliegen, wodurch das Immunglobulin vor Abbau durch Kupferionen geschützt wird".

Patentanspruch 15 in der B1-Fassung der Streitpatentschrift bzw Patentanspruch 2 nach Hilfsantrag 3 schützt ein "Verfahren zur Herstellung einer stabilisierten pharmazeutischen Formulierung eines IgG1-Immunglobulins, umfassend den Schritt der Zugabe einer Menge eines Komplexbildners für Kupferionen, die zur Bindung von Kupferionen, die in einer Immunglobulinzusammensetzung vorliegen, ausreicht, wodurch das Immunglobulin vor Abbau durch die Kupferionen geschützt wird und so die IgG1-Zusammensetzung stabilisiert".

a. Die Entgegenhaltung JP 60-146832 A (NK1) beschreibt eine stabile, intravenös injizierbare pharmazeutische Formulierung von humanem IgG, in der durch geeignete Zusatzstoffe die Denaturierung (englische Übersetzung der JP 60-146832 A (NK1) S 4 Z 25 bis 27) und Agglomerierung (Dimerisierung und Polymerisierung; englische Übersetzung der JP 60-146832 A (NK1) Patentanspruch 1 iVm S 3 Z 27 bis 29) dieser menschlichen Proteine verhindert wird (vgl Merkmal (a) der Merkmalsanalyse des Patentanspruchs 1). Weiterhin wird in der Druckschrift JP 60-146832 A (NK1) dargelegt, daß diese Erfindung stabiles, intravenös injizierbares humanes IgG zur Verfügung stellt (englische Übersetzung der NK1 S 3 vorl Abs). Auf Seite 5, zweiter Absatz der englischen Übersetzung heißt es sinngemäß, daß das stabilisierende Agens, vorzugsweise wie es ist, für die Lagerstabilität des IgG selbst nach der Herstellung des erfindungsgemäßen IgG in dem Präparat verbleibt (vgl mit Merkmal (a) der Merkmalsanalyse des Patentanspruchs 1). Daß die Immunglobuline gemäß Druckschrift NK1 vor ihrer pharmazeutischen Formulierung noch säurebehandelt werden, ist in diesem Zusammenhang unwesentlich, da auch die patentgemäß eingesetzten Immunglobuline nicht näher bezeichneten Reinigungsschritten unterzogen werden (siehe zB S 5 Abs 3 der deutschen Übersetzung der Streitpatentschrift). Da humane IgG-Präparate bekanntlich etwa 70% IgG1 (siehe zB Druckschrift NK25 S 558 li Sp Abs 1) enthalten, ist auch das Merkmal (b) der Merkmalsanalyse des Patentanspruchs 1 in Entgegenhaltung NK1 verwirklicht. Der von der Beklagten behauptete Unterschied zum Stand der Technik, patentgemäß seien keine IgG-Mischungen betroffen, kann für die verteidigten Stoffansprüche nicht zum Tragen kommen, da diese nicht auf Formulierungen beschränkt sind, die nur ein IgG1-Immunglobulin als einzige IgG-Komponente enthalten. In diesem Zusammenhang ist noch darauf hinzuweisen, daß der patentgemäße Effekt der Stabilisierung der Immunglobuline durch die Zugabe eines Komplexbildners für Kupferionen nicht auf IgG1-Immunglobuline beschränkt ist. Der Tabelle 9 auf Seite 13 der Streitpatentschrift kann eindeutig entnommen werden, daß IgG2-Antikörper, die in humanen IgG-Präparaten zu etwa 20% enthalten sind, ebenfalls durch die Komplexbildner vor einem Abbau durch Kupferionen geschützt werden. Es werden in Entgegenhaltung NK1 geeignete Zusatzstoffe aufgelistet, ua das Protein Albumin oder Oxalate und Citrate (vor allem Alkalimetallsalze, wie Natrium- und Kaliumsalze dieser organischen Säuren; siehe englische Übersetzung der JP 60-146832 A (NK1) Patentanspruch 3 iVm S 4 Z 25 bis S 5 Z 2), denen die stabilisierende Wirkung zugeschrieben wird. Diese Stoffe sind Komplexbildner für Kupferionen (Merkmal (c)). Das Ausführungsbeispiel 2 auf Seite 6 der englischen Übersetzung von Druckschrift NK1 enthält zB IgG und den Komplexbildner Natriumcitrat. Die beizufügende Menge des Stabilisators reicht von 0,5 bis 20w/v% (englische Übersetzung der JP 60-146832 A (NK1) Patentanspruch 2). Diese Konzentrationen des Komplexbildners reichen aus, um den Abbau des Immunglobulins im Sinne des Streitpatents zu verhindern (Merkmal (d)). Aus der Entgegenhaltung NK1 sind somit alle explizit im Patentanspruch 1 des Streitpatents genannten stofflichen Merkmale bekannt. Patentanspruch 1 ist daher mangels Neuheit nicht beständig.

Bei der aus Entgegenhaltung NK1 bekannten Vorgehensweise wird ein Komplexbildner für Kupferionen (zB Albumin, Oxalat oder Citrat) in einer stabilisierten pharmazeutischen Formulierung, enthaltend eine Immunglobulinzusammensetzung von IgG1, eingesetzt, um das Immunglobulin in dieser Präparation zu stabilisieren. Da eine neu entdeckte technische Wirkung einem Patentanspruch, der auf die Verwendung eines bekannten Stoffes für einen bekannten Zweck - hier die Stabilisierung von Immunglobulinen vom Typ IgG1- gerichtet ist, keine Neuheit verleiht, wenn die neu entdeckte technische Wirkung der bekannten Verwendung des bekannten Stoffes bereits zu Grunde lag (siehe Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer 3.3.2 vom 19. Januar 1999, T892/94 "desodorierende Gemische/ROBERTET S. A." Abl. EPA 2000, 1), sind die Maßnahmen nach Patentanspruch 14 in der B1-Fassung der Streitpatentschrift bzw der Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 3 im Hinblick auf die Druckschrift JP 60-146832 A (NK1) nicht mehr neu und deshalb mangels Neuheit nicht beständig.

Dem Dokument NK1 kann sinngemäß ein Verfahren zur Herstellung einer stabilisierten pharmazeutischen Formulierung, die ein IgG1-Immunglobulin enthält, entnommen werden, umfassend den Schritt der Zugabe einer Menge eines Komplexbildners für Kupferionen (zB Albumin, Oxalat oder Citrat), die zur Bindung von Kupferionen, die in einer Immunglobulinzusammensetzung vorliegen, ausreicht, wodurch das Immunglobulin geschützt wird und so die IgG1-Zusammensetzung stabilisiert. Damit sind auch die Maßnahmen nach Patentanspruch 15 in der B1-Fassung der Streitpatentschrift bzw der Patentanspruch 2 nach Hilfsantrag 3 im Hinblick auf JP 60-146832 A (NK1) nicht mehr neu und deshalb mangels Neuheit nicht beständig.

b. Die Patentschrift US 4,597,966 (NK8), veröffentlicht am 1. Juli 1986, beschreibt histidinstabilisierte Immunglobulinpräparationen zur Verabreichung an (menschliche) Patienten (NK8 Sp 1 Z 6 bis 9). Die Aminosäure Histidin ist unbestritten ein Komplexbildner für Kupferionen (siehe Entgegenhaltung NK11, Seite 22, "Herceptin", Punkt 2).

Die Patentschrift US 4,597,966 (NK8) offenbart stabilisierte pharmazeutische Formulierungen (siehe ua Sp 1 Z 6 bis 9 und Sp 4 Z 11 bis 14 und vgl mit Merkmal (a) des Patentanspruchs 1). Die stabilisierten pharmazeutischen Formulierungen enthalten IgG-Immunglobuline, wobei insbesondere in der Spalte 1, Zeilen 24 bis 26 darauf hingewiesen wird, daß das IgG-Immunglobulin in die Subklassen IgG1, IgG2, IgG3 und IgG4 unterteilt werden kann. Da humane IgG-Präparate etwa 70% IgG1 (siehe zB Druckschrift NK25 S 558 li Sp Abs 1) enthalten, ist das Merkmal (b) der Merkmalsanalyse des Patentanspruchs 1 in Entgegenhaltung NK8 schon aus diesem Grunde verwirklicht. In Patentanspruch 8 der Entgegenhaltung NK8 wird darüber hinaus das in der stabilisierten Immunglobulinpräparation vorhandene Immunglobulin als ein monoklonaler Antikörper definiert (siehe Sp 12 Z 54 bis 55).

Da monoklonale Antikörper ihrer Definition gemäß aus einem einzigen Antikörper produzierten Zellklon hergestellt werden, umfaßt die hier beschriebene stabilisierte pharmazeutische Formulierung auch Präparationen, die lediglich einen IgG-Subtyp, wie zB ein IgG1 beinhalten. Damit ist das Merkmal (b) aus Patentschrift NK8 auch aus diesem Grund bekannt. Wie unter anderem in der Spalte 4, Zeilen 11 bis 14 und Zeilen 63 bis 64 der Patentschrift US 4,597,966 (NK8) dargelegt, beinhaltet die hier beschriebene pharmazeutische Formulierung neben dem zu stabilisierenden Immunglobulin eine stabilisierende Menge der Aminosäure Histidin. Histidin ist eine Aminosäure, die Kupfer komplexieren kann. Somit ist auch Merkmal (c) des gültigen Patentanspruchs 1 durch Entgegenhaltung NK8 vorbeschrieben. Die Patentschrift US 4,597,966 (NK8) betont, daß Histidin in einer Menge von 0,025M bis ungefähr 0,2M eingesetzt werden soll (siehe Sp 5 Z 24 bis 26). Insbesondere soll gemäß Spalte 4, Zeilen 30 bis 37 das Histidin in einer Konzentration verwendet werden, die ausreicht, die Aggregation des Immunglobulins zu verhindern. In Spalte 2, Zeilen 18 bis 31 wird sogar darauf hingewiesen, daß metallisches Kupfer, das im Hinblick auf den Gesamtzusammenhang der Entgegenhaltung NK8 und die hier zitierte Fundstelle NK24 nur als Kupfer in ionischer Form verstanden werden kann, die Bildung von Aggregaten des Immunglobulins verursacht. Eventuell vorhandene Kupferionen werden durch die gemäß der technischen Lehre nach Entgegenhaltung NK8 verwendete Menge an Histidin komplexiert. Durch diese Menge des Komplexbildners für Kupferionen wird die Aggregation des Immunglobulins sowie gleichzeitig und technisch davon untrennbar auch der Abbau des Immunglobulins im Sinne des Streitpatents verhindert (Merkmal (d)). Somit offenbart die Patentschrift US 4,597,966 (NK8) eine stabilisierte pharmazeutische Formulierung, wie sie im ersten Patentanspruch des Streitpatents beansprucht wird. Damit fehlt diesem Patentanspruch auch im Hinblick auf die Patentschrift US 4,597,966 (NK8) die Neuheit.

Bezüglich der nebengeordneten Patentansprüche 14 und 15 in der B1-Fassung der Streitpatentschrift bzw die Patentansprüche 1 und 2 nach Hilfsantrag 3 gilt in bezug auf Druckschrift NK8 sinngemäß die gleiche Argumentation wie bei Entgegenhaltung NK1 zu diesen Patentansprüchen. Die nebengeordneten Patentansprüche 14 und 15 in der B1-Fassung der Streitpatentschrift bzw die Patentansprüche 1 und 2 nach Hilfsantrag 3 sind daher auch im Hinblick auf Entgegenhaltung US 4,597,966 (NK8) mangels Neuheit nicht beständig.

Die Beklagte macht in diesem Zusammenhang geltend, daß der Hinge-Bereich eines IgG1 spezifisch an einer kupferempfindlichen Peptidbindung spaltbar sei und diese Spaltung durch Anwesenheit eines Kupferchelators inhibiert werden kann. Das Entdecken einer weiteren technischen Wirkung eines bekannten Stoffes für einen bekannten Zweck kann aber die Neuheit von Sachansprüchen nicht herstellen. Stabilisierte pharmazeutische Formulierungen, die Immunglobuline vom Typ IgG1 und einen Kupferkomplexbildner umfassen, sind aus NK1 oder NK8 bekannt. Beim Vergleich der technischen Lehre einer Entgegenhaltung mit dem Patentgegenstand kommt es wesentlich darauf an, ob sich die Lösungsmittel in ihrer Funktion und Wirkung decken (siehe BGH BlPMZ 1982, 197 "Zahnpasta"). Es ist ohne Bedeutung, daß für die sich gegenüberstehenden Rechte voneinander abweichende Angaben über den Wirkungsmechanismus gemacht werden, da dieser bei Zugabe eines Komplexbildners zwangsläufig auftritt.

2. Die Patentansprüche 1 gemäß den Hilfsanträgen 1 oder 2 erweisen sich im Hinblick auf die Entgegenhaltung NK1 oder die Entgegenhaltung NK8 mangels Neuheit als nicht bestandsfähig.

Mit Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 wird eine "Kupferionen enthaltende, stabilisierte pharmazeutische Formulierung, enthaltend ein IgG1-Immunglobulin und eine Menge eines Komplexbildners für Kupferionen, die zur Verhinderung des Abbaus des Immunglobulins ausreicht" geschützt. Die Beklagte ist der Auffassung, daß keiner der im Verfahren befindlichen Druckschriften entnommen werden könne, die dort beschriebenen stabilisierten pharmazeutischen Zusammensetzungen enthielten Kupferionen.

Zur Auslegung der neu in den Patentanspruch 1 eingefügten unbestimmten Angabe "Kupferionen enthaltende, stabilisierte pharmazeutische Formulierung" muß die Patentbeschreibung herangezogen werden (§ 14 Satz 2 PatG bzw Art 69 I EPÜ). Auf Seite 4, Zeilen 17 bis 26 der deutschen Übersetzung der Streitpatentschrift findet sich ein Hinweis, was die Patentinhaberin unter diesem Begriff im Sinnzusammenhang der Erfindung versteht. Die stabilisierende Wirkung des Komplexbildners auf das IgG1-Molekül setzt patentgemäß bereits dann ein, wenn das Immunglobulin keine mit konventionellen Techniken, wie Atom-Absorptions-Spektroskopie, nachweisbaren Mengen an Kupfer enthält. Damit werden aber vom Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 auch die aus Entgegenhaltung NK1 oder NK8 bekannten stabilisierten pharmazeutischen Formulierungen, enthaltend ein IgG1-Immunglobulin und eine Menge eines Komplexbildners für Kupferionen, die zur Stabilisierung des Immunglobulins ausreicht, umfaßt, in denen mit konventionellen Methoden keine Kupferionen nachweisbar sind und für die deshalb druckschriftlich auch keine Konzentrationsangaben für Kupferionen nachgewiesen werden können.

Nach den Angaben in der Druckschrift NK2 Seite S18 rechte Spalte, letzter Absatz bis Seite S20 Zeile 1 sind Spurenmengen von Kupfer allgegenwärtig. Auch das von der Beklagten vorgelegte Gutachten von Professor Dr. M. Schuster (NB13) belegt, daß im Laufe des Herstellungsprozesses von Immunglobulinen durch die eingesetzten handelsüblichen Chemikalien durchaus destabilisierende Kupfergehalte im Endprodukt auftreten können. Nach Professor Dr. M. Schuster kann zwar nicht davon ausgegangen werden, daß in jeder beliebigen Probe Kupfer meßbar vorliegt, geschweige denn Kupfer in Mengen, die zu irgendwelchen nachweisbaren biologischen oder chemischen Effekten führen. Daß der Sachverständige nicht den naturwissenschaftlich exakten Beweis erbringen kann, daß Kupferionen in jeder beliebigen Probe in wirksamen Mengen vorliegen, steht der Feststellung des Senats unter Hinweis auf die Druckschrift NK2 jedoch nicht entgegen, daß Kupferionen auch in den Immunglobulinpräparaten des Standes der Technik sogar in biologisch aktiven Mengen enthalten waren und sind. Wie anders könnte sonst die Wirksamkeit der Komplexbildner für Kupferionen im Stand der Technik gemäß Druckschrift NK1 oder NK8 bezüglich der Stabilität der pharmazeutischen Zusammensetzungen erklärt werden, da weder patentgemäß noch im Stand der Technik gezielt Kupferionen in die pharmazeutische Zusammensetzung eingebracht werden. In diesem Zusammenhang ist es nicht entscheidend, wie der Wirkungsmechanismus des Komplexbildners erklärt wird, da bei Anwesenheit von Kupferionen bei der bekannten Vorgehensweise zwangsläufig der Abbau der Immunglobuline verhindert wird. Der von der Beklagten geforderte naturwissenschaftlich vollständig gesicherte Nachweis einer sogar mit üblichen analytischen Methoden nicht meßbaren Konzentration an Kupferionen stellt jedoch ein Beweismaß dar, das dem deutschen Recht fremd ist. Für die Beurteilung der Schutzfähigkeit europäischer Patente gelten insoweit keine besonderen Regeln (BGH Mitt. 2001, 254, 256 "Trigonellin"). Nach alledem ist Patentanspruch 1 nach Hilfsantrag 1 im Hinblick auf die technische Lehre der Entgegenhaltungen NK1 oder NK8 nicht mehr neu und somit nicht bestandsfähig. Diese Argumentation gilt umso mehr für den Patentanspruch 1 nach Hauptantrag, falls dieser so verstanden werden muß, daß die Anwesenheit von Kupferionen ein zwar im Patentanspruch nicht genanntes, aber dennoch notwendiges weiteres Merkmal des Patentgegenstandes ist.

Auch die Beschränkung der Kupferionen enthaltenden, stabilisierten pharmazeutischen Formulierung, auf ein rekombinantes IgG1-Immunglobulin und eine Menge eines Komplexbildners für Kupferionen, die zur Verhinderung des Abbaus des Immunglobulins ausreicht, kann die Neuheit des Patentanspruchs 1 gegenüber den Druckschriften NK1 oder NK8 nicht herstellen. Rekombinante IgG1-Immunglobuline sind dem Fachmann durchaus geläufige Spezifikationen von pharmazeutisch zu formulierenden Immunglobulinen vom Typ IgG1. Auch dieses Merkmal kann zur Neuheit des Gegenstands nach Patentanspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 nicht beitragen. Somit ist dieser Patentanspruch ebenfalls mangels Neuheit nicht bestandsfähig.

3. Bezüglich der Merkmale der Unteransprüche 2 bis 13 ist für den Senat nicht ersichtlich, daß und wie sie die Neuheit begründen könnten.

Die Merkmale der von Patentanspruch 1 abhängigen Patentansprüche 2 bis 7 umfassen weitere, dem Fachmann durchaus geläufige Spezifikationen von pharmazeutisch zu formulierenden Immunglobulinen vom Typ IgG1. Nach Patentanspruch 8 der Druckschrift NK8 werden monoklonale Antikörper eingesetzt. Weder die hier erwähnten Herstellungsweisen noch die Spezifitäten dieser Immunglobuline können zur Neuheit der Gegenstände dieser Patentansprüche etwas beitragen.

Die Entgegenhaltung NK8 bezieht sich in Spalte 2 Zeilen 18 bis 36 auf die Druckschrift Gerber, Arthritis and Rheumatism, 17 (1974), 85-91 (NK24), wobei der Fachmann den Druckfehler in der Jahreszahl dieser Literaturangabe (1971 statt 1974) mit Hilfe der richtig zitierten Bandnummer 17 ohne weiteres berichtigen kann. Diesem Dokument kann zB auf Seite 88, linke Spalte, letzter Absatz entnommen werden, daß Ethylendiamintetraessigsäure (EDTA) zweifelsfrei die durch Kupfer vermittelte Aggregation von humanen Immunglobulinen durch die Bindung des Kupfers verhindern kann, wobei der Fachmann in diesem Zusammenhang unter "Bindung" ohne weiteres eine "Komplexbindung" versteht (siehe hierzu auch NK24 S 88 li Sp Z 14 bis 12 v u). Die Entgegenhaltung NK8 offenbart daher über die Bezugnahme auf die Druckschrift NK24 EDTA als geeigneten Komplexbildner für die Stabilisierung von humanem IgG (BGH GRUR 80, 283 "Terephtalsäure"). Somit kann auch der Einsatz des Komplexbildners Ethylendiamintetraessigsäure sowie die Angabe der Konzentration dieses Stabilisators nicht zur Neuheit der Gegenstände der Patentansprüche 8 und 9 führen.

In Patentanspruch 10 wird gefordert, daß der pH-Wert der pharmazeutischen Formulierung in einem Bereich von 6 bis 7,2 liegt. Dieser Bereich ist ein durchaus gängiger pH-Bereich für intravenös injizierbare pharmazeutische Formulierungen. Der in der JP 60-146832A (NK1) beschriebene pH-Wert von 6,5 (siehe Seite 7 der englischen Übersetzung, "Inventive Example 1", Zeile 4) liegt in diesem Bereich. Die stabilisierte Immunglobulinpräparation nach Druckschrift NK8 besitzt einen pH-Wert zwischen 6,0 und 7,0 (siehe zB NK8 Patentanspruch 1). Daher ist auch Patentanspruch 10 durch die Entgegenhaltung JP 60-146832A (NK1) oder die Patentschrift US 4,597,966 (NK8) neuheitsschädlich getroffen und daher mangels Neuheit nicht beständig.

Die Patentansprüche 11 und 12 spezifizieren die pharmazeutische Formulierung als entweder eine für die parenterale Verabreichung geeignete Flüssigpräparation oder fordern, daß diese in lyophilisierter Form vorliegt. Auch diese Merkmale sind in der Entgegenhaltung JP 60-146832A (NK1) offenbart und daher neuheitsschädlich vorweggenommen (siehe insbesondere "Inventive Example 1", S 7 der englischen Übersetzung und zweiter vollständiger Absatz auf S 5 der englischen Übersetzung sowie Patentansprüche). Das Merkmal des Patentanspruchs 13, nämlich daß die stabilisierte pharmazeutische Formulierung bei der Therapie am Menschen eingesetzt werden soll, ist gegenüber der Entgegenhaltung NK1 ebenfalls nicht neu, weil humane intravenös anwendbare IgG Präparate bestimmungsgemäß für die Therapie am Menschen bereitgestellt werden. Die Anwendung am Menschen wird in der Entgegenhaltung NK8 in Spalte 1 Zeilen 7 bis 9 erwähnt, so daß der Gegenstand des Patentanspruchs 13 auch im Hinblick auf diese Entgegenhaltung nicht mehr neu ist.

Die Unteransprüche 2 bis 13, deren selbständiger erfinderischer Gehalt von der Klägerin unter Angabe von Gründen in Abrede gestellt wurde, fallen daher ebenfalls der Nichtigkeit anheim.

4. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung weitere, bereits schriftsätzlich geltend gemachte Angriffe (zB fehlende Nacharbeitbarkeit) auf das Streitpatent nicht mehr vorgetragen. Der Senat verzichtet auf ein detailliertes Eingehen hierauf, weil dem Bestreben der Klägerin bereits durch die erfolgte Vernichtung des Patents Rechnung getragen wurde.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 Abs 2 PatG iVm § 91 Abs 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 99 Abs 1 PatG iVm § 709 Satz 1 ZPO.

Sredl Dr. Wagner Dr. Jordan Brandt Dr. Feuerlein Ju






BPatG:
Urteil v. 24.07.2001
Az: 3 Ni 3/00


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