Bundespatentgericht:
Beschluss vom 17. Juni 2011
Aktenzeichen: 7 W (pat) 305/09

(BPatG: Beschluss v. 17.06.2011, Az.: 7 W (pat) 305/09)

Tenor

Das Patent 199 50 033 wird widerrufen.

Gründe

I.

Das Patent 199 50 033 mit der Bezeichnung Kameravorrichtung für Fahrzeugewurde durch Beschluss der Prüfungsstelle für Klasse B60R des Deutschen Patentund Markenamts vom 5. Oktober 2004 erteilt. Anmeldetag der zugehörigen Patentanmeldung ist der 16. Oktober 1999.

Gegen die am 3. März 2005 veröffentlichte Erteilung hat die Einsprechende am 2. Juni 2005 fristgerecht Einspruch erhoben und beantragt, das Patent wegen fehlender Patentfähigkeit seines Gegenstands in vollem Umfang zu widerrufen. Zur Begründung nennt sie als Stand der Technik u. a. die Druckschrift D2 JP 10-262239 A mit beigefügter automatischer Übersetzung des japanischen Patentamts und führtu. a. aus, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 durch diese technische Lehre neuheitsschädlich vorweggenommen sei. Auch die Merkmale der abhängigen Ansprüche seien aus den von ihr insgesamt genannten 6 Druckschriften bekannt, so dass auch diese Ansprüche zu widerrufen seien.

Die Patentinhaberin tritt dem vollumfänglich entgegen und verteidigt das Patentmit geänderten Patentansprüchen 1 bis 7 (vgl. Schreiben vom 6. Juni 2011). Beide Verfahrensbeteiligte kündigten schriftsätzlich ihr Nichterscheinen zur mündlichen Verhandlung an. In der mündlichen Verhandlung liegen von beiden ordnungsgemäß geladenen Beteiligten folgende Anträge aus dem schriftlichen Verfahren vor:

Die Einsprechende stellt den Antrag, das Patent 199 50 033 zu widerrufen. Die Patentinhaberin stellt den Antrag, das Patent 199 50 033 mit den folgenden Unterlagen beschränkt aufrecht zu erhalten: -Patentansprüche 1 bis 7, eingegangen mit Schreiben vom 6. Juni 2011 -Beschreibungsseiten 1a, 2, eingegangen mit Schreiben vom 6. Juni 2011 -restliche Beschreibung und Zeichnungen laut Patentschrift. Der geltende Patentanspruch 1 lautet hierbei (Merkmalsgliederung hinzugefügt): "M1 Kameravorrichtung für Fahrzeuge mit einer variabel ausrichtbaren Kamera zur Erfassung eines vor einem Fahrzeug liegenden Straßenverlaufs, M2 bei der die Ausrichtung der Kamera (12) durch ein Steuergerät (50, 60) gesteuert ist, M3 welches fahrdynamische Parameter (40) des Fahrzeugs

(10) und M4 eine satellitengestützte Information (20) über den aktuellen Standort des Fahrzeugs M5 sowie über den Verlauf der Straße und M6 die örtliche Lage der Straße (30) erhält, und M7 die Kamera von dem Steuergerät kurvenverlaufsabhängigseitenverschwenkt ist." Wegen den jeweiligen abhängigen direkt oder indirekt vom Anspruch 1 abhängigen Ansprüche 2 bis 7 sowie wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II. A. Der Senat ist für die Entscheidung im vorliegenden Einspruchsverfahren auch nach der -mit Wirkung vom 1. Juli 2006 erfolgten -Aufhebung der Übergangsvorschriften des § 147 Abs. 3 PatG auf Grund des Grundsatzes der "perpetuatio fori" gemäß § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO analog i. V. m. § 99 Abs. 1 PatG zuständig (vgl. BGH GRUR 2009, 184, 185 -Ventilsteuerung; GRUR 2007, 862 f. -Informationsübermittlungsverfahren II).

B. Der zulässige Einspruch hat in der Sache Erfolg. Das Patent 199 50 033 ist zu widerrufen, weil der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 nicht patentfähig ist. Der zuständige Fachmann ist dabei als ein auf dem Gebiet der Fahrzeugentwicklung tätiger, berufserfahrener Diplomingenieur (FH) der Fachrichtung Elektrotechnik zu definieren.

1.

Die Zulässigkeit des Einspruchs ist von der Patentinhaberin zwar nicht in Frage gestellt worden. Jedoch haben Patentamt und Gericht auch ohne Antrag der Patentinhaberin die Zulässigkeit des Einspruchs in jedem Verfahrensstadium von Amts wegen zu überprüfen (vgl. Schulte, PatG, 8. Auflage, § 59, Rdn. 160), da ein unzulässiger -einziger -Einspruch zur Beendigung des Einspruchsverfahrens ohne weitere Sachprüfung über die Rechtsbeständigkeit des Streitpatents führt (vgl. hierzu Schulte, PatG, 8. Auflage, § 61, Rdn. 23; BGH GRUR 1987, 513, II.1. -"Streichgarn"). Im vorliegenden Fall bestehen gegen die Zulässigkeit des Einspruchs insofern keine Bedenken, als die Einsprechende innerhalb der Einspruchsfrist den Widerrufsgrund der mangelnden Patentfähigkeit geltend gemacht hat und dazu die Tatsachen -beispielsweise durch Gegenüberstellen aller Merkmale des erteilten Anspruchs 1 mit der Lehre der Druckschrift D2 -im einzelnen angegeben hat, aus denen sich ergeben soll, dass das Patent zu widerrufen ist (vgl. hierzu BGH BlPMZ 1988, 250, Leitsatz, 251, liSp, Abs. 1-"Epoxidation"; Schulte, PatG, 8. Auflage, § 59 Rdn. 106 bis 110).

2.

Das Streitpatent betrifft eine variabel ausrichtbare Kameravorrichtung für Fahrzeuge. Solche Vorrichtungen sind prinzipiell aus dem Stand der Technik bekannt, jedoch ist es gemäß Streitpatent nicht bekannt, die Kamera bereits vor Beginn einer Kurvenfahrt in die richtige Richtung zu verschwenken (vgl. Streitpatent, Abs. [0001] und [0002]).

Ausgehend von diesem Stand der Technik liegt dem vorliegenden Streitpatent die Aufgabe zugrunde, eine Kameravorrichtung der eingangs genannten Art derart weiterzubilden, dass eine fortwährende Erfassung des vorausliegenden Straßenverlaufes bei guter Auflösung möglich ist (vgl. Streitpatent, Abs. [0007]).

Nach den Ausführungen der Patentinhaberin soll diese Aufgabe durch die Vorrichtung des geltenden Anspruchs 1 gelöst werden. Gemäß diesem ist es wesentlich, dass die Kameraausrichtung durch ein Steuergerät kurvenverlaufsabhängig seitenverschwenkt bzw. gesteuert wird. Das Steuergerät erhält hierzu fahrdynamische Parameter des Fahrzeugs sowie eine satellitengestützte Information über den aktuellen Standort des Fahrzeugs. Ferner soll das Steuergerät Informationen über den Verlauf der Straße und die örtliche Lage der Straße erhalten. Diese werden dem Steuergerät gemäß Beschreibung zusammen mit der satellitengestützten Information über den Standort des Fahrzeugs von einem Navigationsgerät mit digitaler Straßenkarte zur Verfügung gestellt (vgl. Streitpatent, bspw. Abs. [0024] und Bezugszeichen 30 im geltenden Anspruchswortlaut). Die mit geltendem Anspruch 1 verteidigte Vorrichtung fordert im letzten Merkmal M7 lediglich eine Seitenverschwenkung der Kameraausrichtung durch das Steuergerät und ist daher ersichtlich weiter gefasst als es zur Lösung der Aufgabe, nämlich der fortwährenden Erfassung des vorausliegenden Straßenverlaufes, notwendig wäre. Einzig der im Merkmal M1 angeführte Verwendungszweck "zur Erfassung eines vor einem Fahrzeug liegenden Straßenverlaufs" offenbart die Lehre, den entsprechend weit gefassten Gegenstand des Anspruchs 1 zur Straßenverlaufserfassung und somit zur Lösung der dem Streitpatent zugrundeliegenden Aufgabe einzusetzen.

3. Die Frage der Zulässigkeit des geltenden Anspruchs 1 kann dahinstehen (vgl. BGH, GRUR 1991, 120, 121 li. Sp. Abs. 3 -"Elastische Bandage"), denn sein Gegenstand erweist sich nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung als nicht neu gegenüber der Druckschrift D2.

Denn Druckschrift D2 (vgl. Fig. 1, 4 und 5 mit zugehöriger Beschreibung) offenbart eine Kameravorrichtung für Fahrzeuge mit einer variabel ausrichtbaren Kamera (Merkmal M1teilweise), bei der die Ausrichtung der Kamera (camera 14) durch ein Steuergerät (control section 20) gesteuert ist (D2, bspw. Abs. [0012], "In this photography mode, control which always turns the mounted camera 14 to the direction of photography..." / Merkmal M2). Die Ausrichtung der Kamera erfolgt bei der D2 im "photography mode" in Übereinstimmung mit der Streitpatentlehre fortwährend (always), wobei die Kamera gemäß der Bezeichnung der Druckschrift D2 ("Vehicle use Video Recording Device") zumindest zur Herstellung von Videoaufnahmen, d.h. zu einer kontinuierlichen Bildaufzeichnung, ausgebildet ist.

Das Steuergerät erhält bei der Lehre der D2 (vgl. hierzu insbesondere Fig. 1) fahrdynamische Parameter des Fahrzeugs, hier die Signale von Gierwinkelsensoren (D2, Seite 2, erster Abs., "A direction finding system 12 which is constituted by yaw rate sensors..." / Merkmal M3) und eine satellitengestützte Information über den aktuellen Standort des Fahrzeugs (D2, bspw. Seite 1, le Abs. "location detection equipement 10" insbes. GPS / Merkmal M4), sowie auf den satellitenbestimmten Fahrzeugstandort gestützt auch Information über den Verlauf und die örtliche Lage der Straße (D2, Seite 2, erster Abs., Hinweis auf Navigationsgerät mit "map database 18" / Merkmal M6). Dies entspricht einer Auslegung des verteidigten Gegenstands nach dem geltenden Abs. [0024] des Streitpatents.

Dabei ist, beispielsweise nach Fig. 4 der Druckschrift D2 (vgl. die dort eingezeichneten Winkel theta), die Kamera auch bei einer Kurvenfahrt immer auf den Aufnahmepunkt 200 gerichtet, was dem Merkmal M7 des Anspruchs 1 entspricht, wonach die Kamera von dem Steuergerät kurvenverlaufsabhängig seitenverschwenkt ist.

Zwar ist der Patentinhaberin zuzustimmen, dass die Lehre der Druckschrift D2 in den entsprechenden Figuren 3 und 4 eine Ausrichtung der Kamera auf ein festes Objekt 200 am Straßenrand offenbart (vgl. Eingabe vom 6. April 2011, Seite 3, erster Abs). Jedoch umfasst Anspruch 1 der Druckschrift D2 eine Kameravorrichtung, die ohne entsprechende Einschränkung der jeweiligen Lage des aufzunehmenden Objekts dieses beliebig ausgewählte Objekt ausgerichtet ist (...and the control means which controls the posture of said mounted photography means according to the current position of the car, and the physical relationship for photograpy that said candidate for photography should be photoed..."). Folglich offenbart Druckschrift D2 eine Kameravorrichtung, die bei einer entsprechenden Auswahl des aufzunehmenden Objekts einen vor einem Fahrzeug liegenden Straßenverlaufs im Sinne der Verwendungsangabe des verteidigten Anspruchs 1 erfasst (Merkmal M1Rest). Eine einschränkende Auslegung der allgemeinen Vorrichtung des geltenden Anspruchs 1 beispielsweise im Sinne der Streitpatentbeschreibung Abs. [0009] ist dabei nicht zulässig (vgl. BGH GRUR 2004, 1023, 1. Leitsatz -"Bodenseitige Vereinzelungseinrichtung").

Somit sind sämtliche vorrichtungsseitigen Merkmale sowie die entsprechende Verwendung der nach Anspruch 1 verteidigten Kameravorrichtung der Druckschrift D2 zu entnehmen. Die Kameravorrichtung nach geltendem Anspruch 1 ist daher nicht neu; der Gegenstand des geltenden Anspruchs 1 ist somit nicht patentfähig.

4. Mit Anspruch 1 fallen auch die abhängigen Ansprüche 2 bis 7, da auf diese kein eigenständiges Patentbegehren gerichtet ist (vgl. BGH GRUR 2007, 862 Leitsatz -"Informationsübermittlungsverfahren II m .w. N.").

5. Bei vorliegender Sachlage war das Patent zu widerrufen.

Höppler Dr. Hartung Friehe Maile Hu






BPatG:
Beschluss v. 17.06.2011
Az: 7 W (pat) 305/09


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