Landgericht Düsseldorf:
Urteil vom 22. April 2003
Aktenzeichen: 4 O 59/01
(LG Düsseldorf: Urteil v. 22.04.2003, Az.: 4 O 59/01)
Tenor
I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.
III.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung von 15.000 € vorläufig vollstreckbar. Die Sicherheit kann auch durch die unwiderrufliche, selbstschuldnerische Bürgschaft eines als Zoll- und Steuerbürgen anerkannten inländischen Kredit- instituts erbracht werden.
IV.
Der Streitwert wird auf 500.000 DM (255.645,94 €) festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin ist eingetragene Inhaberin des in Kraft stehenden deutschen Gebrauchsmusters DE 295 22 239.5 (Klagegebrauchsmuster, Anlage W 1), das einen Linearantrieb betrifft.
Das Klagegebrauchsmuster wurde aus der Europäischen Patentschrift EP 0 662 573 B1 abgezweigt. Dieses Europäische Patent nimmt eine dänische Priorität vom 10.01.1994 in Anspruch und beruht auf einer Anmeldung vom 10.01.1995. Die Eintragung des Klagegebrauchsmusters wurde am 10.08.2000 beantragt und erfolgte am 14.12.2000. Der im vorliegenden Rechtsstreit allein interessierende Schutzanspruch 1 hat folgenden Wortlaut:
"Ein Linearantrieb, umfassend ein Antriebsgehäuse und eine nicht selbstge- hemmte Schraubenspindel (6), die in beiden Richtungen drehbar ist, eine Antriebsmutter (8), die auf der Schraubenspindel axial verlagerbar und mit ei ner Antriebswelle (10) verbunden ist, und einen reversierbaren Elektromotor (2), der die Schraubenspindel über ein Getriebe antreibt und die Antriebswelle, abhängig von der Drehrichtung der Spindel nach vorn schiebt bzw. zurückbe- wegt, d a d u r c h g e k e n n z e i c h n e t, dass der Antrieb weiterhin eine Schraubenfeder (20) umfaßt, die mit einem Ende in dem Antriebsgehäuse be- festigt ist und bei der eine Anzahl Windungen um ein Ende der Spindel oder ein zylindrisches Element einer diesem zugeordneten Kraftübertragungskupp- lung angeordnet sind, und die so angeordnet ist, dass sie während der Vor- wärts-/Ausfahrbewegung freie Drehung der Spindel zuläßt, aber bei der Rückwärts/Rückzugsbewegung eine Bremskraft auf die Spindel ausübt, die so ausgewogen ist, daß die Spindel selbstgehemmt zu sein scheint."
Die nachfolgenden Abbildungen (Figuren 1 und 2 der Klagegebrauchsmusterschrift) veranschaulichen den Erfindungsgegenstand.
- hier folgen zwei Abbildungen -
Die Beklagte stellt Linearantriebe in Deutschland her und verwendet diese vornehmlich als Antrieb für elektrisch betriebene Möbel. Die nachstehend eingefügten verkleinerten Ablichtungen der Anlagen AL 15 und 19 zeigen einen von der Beklagten hergestellten Linearantrieb Deltadrive DZ (obere Darstellung) sowie die in dem auf der oberen Darstellung abgebildeten Gehäuse unter anderem befindlichen Bauteile Schraubenspindel und Schraubenfeder.
- hier folgen zwei Ablichtungen -
Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte verletze mit der Herstellung der Linearantriebe "OKIMAT 300" sowie des Binär-Linearantriebs "Deltadrive DZ" die ihr aus dem Klagegebrauchsmuster zustehenden Schutzrechte wortsinngemäß und nimmt die Beklagte auf Unterlassung, Rechnungslegung, Vernichtung und Schadenersatz in Anspruch.
Sie beantragt,
die Beklagte zu verurteilen,
1.
es bei Meidung von (näher bezeichneten) Ordnungsmitteln zu unterlassen,
Linearantriebe, umfassend ein Antriebsgehäuse und eine nicht selbstge- hemmte Schraubenspindel, die in beiden Richtungen drehbar ist, eine An- triebsmutter, die auf der Schraubenspindel axial verlagerbar und mit einer Antriebswelle verbunden ist, und einen reversierbaren Elektromotor, der die Schraubenspindel über ein Getriebe antreibt und die Antriebswelle, abhängig von der Drehrichtung der Spindel nach vorn schiebt bzw. zurückbewegt,
herzustellen, anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu gebrauchen, oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen,
bei denen der Antrieb weiterhin eine Schraubenfeder umfasst, die mit einem Ende in dem Antriebsgehäuse befestigt ist und bei der eine Anzahl Windun- gen um ein Ende der Spindel oder ein zylindrisches Element einer dieser zugeordneten Kraftübertragungskupplung angeordnet sind, und die so ange- ordnet ist, dass sie während der Vorwärts-/Ausfahrbewegung eine freie Dre- hung der Spindel zuläßt, aber bei der Rückwärts-/Rückzugsbewegung eine Bremskraft auf die Spindel ausübt, die so ausgewogen ist, dass die Spindel selbstgehemmt zu sein scheint;
2.
der Klägerin Rechnung zu legen, in welchem Umfang die Beklagte die zu der Ziffer 1. bezeichneten Handlungen seit dem 15.01.2001 begangen hat, und zwar unter Angabe
a)
der Menge der erhaltenen oder bestellten Erzeugnisse, sowie die Namen und Anschriften der Hersteller, Lieferanten und anderer Vorbesitzer,
b)
der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Typenbezeichnungen, Lie- fermengen, Lieferzeiten und Lieferpreisen sowie den Namen und Anschriften der Abnehmer,
c)
der einzelnen Angebote, aufgeschlüsselt nach Angebotsmengen, Angebots- zeiten und Angebotspreisen unter Einschluss von Typenbezeichnungen, so- wie den Namen und Anschriften der Angebotsempfänger,
d)
der betriebenen Werbung, aufgeschlüsselt nach Werbeträgern, deren Aufla- genhöhe, Verbreitungszeitraum und Verbreitungsgebiet,
e)
der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Kosten und des erzielten Gewinns,
wobei
der Beklagten vorbehalten bleibt, die Namen und Anschriften der nichtgewerb- lichen Abnehmer und Angebotsempfänger statt der Klägerin einem von der Klägerin zu bezeichnenden, ihr gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichte- ten vereidigten Wirtschaftsprüfer mitzuteilen, sofern die Beklagte dessen Kos- ten trägt und ihn ermächtigt und verpflichtet, der Klägerin auf konkrete Anfrage mitzuteilen, ob ein bestimmter Abnehmer oder Angebotsempfänger in der Aufstellung enthalten ist.
3.
die im unmittelbaren oder mittelbaren Besitz oder Eigentum der Beklagten be- findlichen zu I.1 beschriebenen Erzeugnisse zu vernichten;
II.
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen Schaden zu ersetzen, der dieser durch die zu der Ziffer I.1. bezeichneten, seit dem 15.01.2001 begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie macht hierzu geltend: Die Abzweigung des Klagegebrauchsmusters sei bereits unwirksam, da dieses einige Merkmale umfasse, die in der Patentschrift nicht offenbart seien. Die Lehre des Klagegebrauchsmusters sei zudem bereits im vorbekannten Stand der Technik offenbart gewesen. Insbesondere sei dies in der Offenlegungsschrift DE-OS 38 09 555 vom 22.03.1988 der Fall. Die von ihr, der Beklagten, hergestellten Linearantriebe machten von der Lehre des Klagegebrauchsmusters auch keinen Gebrauch, da zum einen Schraubenspindeln des selbstgehemmten Typs verwendet würden und die angeordnete Feder lediglich die Aufgabe habe, Resonanzgeräusche zu dämpfen. Schließlich sei die Lehre des Klagegebrauchsmusters von der Beklagten anläßlich der Messe Interzum 1993 in Köln vom 14. - 18.05.1993 offenkundig vorbenutzt worden, da dort ein geöffnetes Muster des seinerzeit vertriebenen Modells OKIMAT I ausgestellt gewesen sei, das über eine nicht selbstgehemmte Schraubenspindel verfügt habe und bei dem eine Federbremse angeordnet gewesen sei.
Die Klägerin tritt dem Vorbringen der Beklagten entgegen und bestreitet insbesondere die von der Beklagten behauptete offenkundige Vorbenutzung. Auch sei die technische Lehre des Klagegebrauchsmusters nicht in der Offenlegungsschrift DE-OS 38 09 555 offenbart, da dort eine Federbremse beschrieben werde, die eine dynamische Bewegung abbremsen solle und bei der weiterhin für die Entfaltung der Bremskraft zuvor eine Auslösung der Bremse erforderlich sei. Eine solche Auslösung werde nach der Lehre des Klagegebrauchsmusters nicht benötigt, da sich die Bremswirkung hier automatisch durch das Zurückdrehen der Schraubenspindel entfalte.
Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss der Kammer vom 17.04.2002 (Bl. 129 - 131 GA) durch Vernehmung von Zeugen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 15.10.2002 (Bl. 163 - 203 GA) verwiesen.
Wegen des Sach- und Streitstandes im übrigen wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie der zu den Akten gereichten Unterlagen verwiesen.
Gründe
I.
Das Klagegebrauchsmuster betrifft einen Linearantrieb, umfassend ein Antriebsgehäuse und eine nicht selbstgehemmte Schraubenspindel, die in beiden Richtungen drehbar ist. Die Schraubenspindel wird über einen reversierbaren Elektromotor angetrieben und über eine Antriebsmutter mit einer Antriebswelle verbunden. Die Antriebswelle wird, je nach Drehrichtung der Schraubenspindel, nach vorne geschoben oder zurückbewegt.
Solche Linearantriebe sind im Stand der Technik vorbekannt gewesen, beispielsweise aus dem europäischen Patent EP-A 0 577 541. Für bestimmte Zwecke und Anordnungen ist es bei solchen Linearantrieben erforderlich gewesen, Antriebe mit selbsthemmenden Spindeln zu versehen, die eine sehr feine Ganghöhe aufweisen, was eine beträchtlich höhere Leistung des Antriebsmotors erforderte. Zudem ermöglichen diese selbsthemmenden Spindeln infolge der feinen Ganghöhe nur eine relativ langsame Vor- bzw. Rückbewegung des Linearantriebs, da für die Zurücklegung eines Hubweges entsprechend der höheren Windungsanzahl mehr Umdrehungen der Schraubenspindel erforderlich sind.
Vor diesem Hintergrund macht es sich das Klagegebrauchsmuster zur Aufgabe, für solche Linearantriebe, die entsprechend ihres Einsatzzweckes die Verwendung selbsthemmender Spindeln erforderte, Spindeln des nichtselbsthemmenden Typs zu verwenden und die damit verbundenen Vorteile geringerer Reibung und dadurch verringerten Energieverbrauchs zu erreichen. Zur Lösung dieser Aufgabe sieht der hier allein maßgebliche Schutzanspruch 1 die Kombination folgender Merkmale vor:
Linearantrieb, umfassend
ein Antriebsgehäuse (14) und
eine nicht selbstgehemmte Schraubenspindel (6),
die in beiden Richtungen drehbar ist,
eine Antriebsmutter (8),
die auf der Schraubenspindel axial verlagerbar ist und
die mit einer Antriebswelle (10) verbunden ist;
einen reversierbaren Elektromotor (2),
4.1 der die Schraubenspindel (6) über ein Getriebe antreibt und
die Antriebswelle (10), abhängig von der Drehrichtung der Spindel (6),
nach vorn schiebt bzw. zurückbewegt;
der Antrieb umfaßt weiter eine Schraubenfeder (20),
6.1 die Schraubenfeder (20) ist mit einem Ende in dem Antriebsgehäuse
(14) befestigt;
6.2 bei der Schraubenfeder sind eine Anzahl Windungen
6.2.1 um ein Ende der Spindel (6) oder
6.2.2 um ein zylindrisches Element (18) einer dieser zugeordneten Kraftüber-
tragungskupplung angeordnet;
6.3 die Schraubenfeder (20) ist so angeordnet,
6.3.1 dass sie während der Vorwärts-/Ausfahrbewegung eine freie Drehung
der Spindel (6) zuläßt,
6.3.2 aber bei der Rückwärts-/Rückzugsbewegung eine Bremskraft auf die
Spindel ausübt;
die Bremskraft ist so ausgewogen, dass die Spindel (6) selbstgehemmt
zu sein scheint.
Die erfindungsgemäße Anordnung bewirkt, dass die Schraubenspindel bei der Rückwärtsbewegung eine Bremskraft erfährt, da sich die Windungen der Schraubenfeder "zusammendrehen", so dass sie in Berührung mit dem zylindrischen Element gelangen, wodurch eine zusätzliche Reibung entsteht, die bewirkt, dass die Spindel gegen Drehung blockiert wird. Diese Bremskraft ist ein Kompromiß derart, dass diese Blockade nur dann eintritt, wenn der Antriebsmotor nicht in Betrieb ist, sie aber ausreichend klein ist, dass sie von dem Motor überwunden werden kann.
II.
Das Klagegebrauchsmuster ist wirksam aus der Europäische Patentanmeldung EP 0 577 541 abgezweigt, § 5 Abs. 1 GebrMG. Maßgeblich für eine wirksame Abzweigung ist, dass mit der Gebrauchsmusteranmeldung dieselbe Erfindung beschrieben wird, die bereits Gegenstand eines früher für die Bundesrepublik Deutschland angemeldeten Patentes war. Hierbei kommen auch solche internationalen Patente in Betracht, die Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland entfalten. Für die Bewertung, ob es sich um dieselbe Erfindung handelt, ist die Gesamtheit der Anmeldungsunterlagen heranzuziehen, auf Grund derer zu prüfen ist, ob der Gegenstand für den Fachmann ohne weiteres erkennbar offenbart ist. Auch ein nur in der Beschreibung enthaltener Erfindungsbestandteil ist einzubeziehen (vgl. Busse, PatG, 5. Aufl., § 5 GebrMG RZ 11). Vorliegend ist die geforderte Offenbarung gegeben, da - was letztlich von der Beklagten auch nicht bestritten wird - die Beschreibung aus der europäischen Patentanmeldung identisch übernommen wurde und dort die im Anspruch 1 des Klagegebrauchsmusters enthaltene technische Lehre offenbart ist.
III.
Die Klägerin kann die von ihr begehrten Rechtsfolgen (Unterlassung, Rechnungslegung, Vernichtung und Feststellung einer Schadenersatzpflicht) nicht verlangen, da das Klagegebrauchsmuster nicht schutzfähig ist.
1.
Der Gegenstand des Klagegebrauchsmusters gehörte zum Zeitpunkt der in Anspruch genommenen Priorität vom 10.01.1994 zum Stand der Technik gem. § 3 GebrMG. Der Stand der Technik umfaßt alle Kenntnisse, die vor dem für den Zeitrang der Anmeldung maßgeblichen Tag durch schriftliche Beschreibung oder durch eine im Geltungsbereich dieses Gesetzes erfolgte Benutzung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden sind.
Die Beklagte hat durch die Zurschaustellung eines Linearantriebes mit Schlingfederbremse anläßlich der Messe Interzum 1993 in dem Zeitraum vom 14. - 18.05.1993 den Gegenstand des Klagegebrauchsmusters der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Dies steht nach Durchführung der Beweisaufnahme zur Überzeugung der Kammer fest. Die Zeugen Brua und Joswig haben übereinstimmend und nachvollziehbar ausgesagt, dass sie anläßlich der Messe Interzum 1993 den Messestand der Beklagten aufgesucht hätten und ihnen dort jeweils die streitgegenständlichen Linearantriebe mit den Schlingfederbremsen gezeigt worden seien. Der Zeuge Schneider konnte die von den Zeugen bestätigte Ausstellung der Linearantriebe mit den Schlingfederbremsen demgegenüber nicht widerlegen. Für die Glaubhaftigkeit der Aussagen der Zeugen Brua und Joswig spricht zunächst, dass sie unabhängig voneinander die Beweisfrage 1 bestätigt haben und die Schilderung der Umstände auf der Messe Interzum 1993 identisch waren. Sie konnten beide einen konkreten Anlass dafür benennen, wieso sie auch nach dem zwischenzeitlich langen Zeitablauf noch in der Lage waren, sich an die von ihnen beschriebene Feder zu erinnern. Das Aussageverhalten der Zeugen war in sich schlüssig und widerspruchsfrei. Beide Zeugen haben auch jeweils eingeräumt, wenn sie etwaige Umstände, nach denen sie befragt wurden, nicht mehr in Erinnerung hatten. Weiterhin waren beide Zeugen in der Lage, ihre unterschiedlichen Erinnerungsfähigkeiten deutlich herauszustellen, wobei es subjektiv durchaus nachvollziehbar ist, dass man sich noch an die Wahrnehmung einer "neuen" Feder in einem Linearantrieb erinnert, die zudem - in Bezug auf den Zeugen Joswig - als Problemlösung vorgestellt wurde. Dass demgegenüber bezüglich einzelner Details die konkrete Ausgestaltung betreffend die Erinnerung verblasst, ist natürlich. Es spricht für die Glaubhaftigkeit der Zeugen, dass sie in diesen Bereichen offen zugaben, dass ihre Erinnerung hieran nicht mehr so gut sei, und sie nicht versuchten, gegenüber dem Gericht den Eindruck zu vermitteln, sich an jedes einzelne Detail noch genau zu erinnern. Dass insbesondere der Zeuge Brua freimütig von dem Telefonanruf des Mitarbeiters der Beklagten Bellingroth berichtete, spricht für die Glaubhaftigkeit seiner Aussage, da er nicht ansatzweise versuchte, etwas zu verbergen.
Demgegenüber war die Aussage des gegenbeweislich benannten Zeugen Schneider nicht geeignet, Zweifel an den Aussagen der Zeugen Brua und Joswig aufkommen zu lassen. Der Zeuge Schneider befand sich zu der fraglichen Zeit als verantwortlicher Mitarbeiter eines Konkurrenzunternehmens der Beklagten in einem, wie alle Zeugen bestätigten, heftig geführten Konkurrenzkampf, der dadurch forciert wurde, dass der Geschäftsführer der Beklagten zuvor ein Mitarbeiter des Konkurrenzunternehmens gewesen war. Es ist vor diesem Hintergrund nachvollziehbar, dass die Beklagte darauf achtete, dass das Konkurrenzunternehmen keine Kenntnisse von technischen Neuerungen erhielt. Der Zeuge Schneider hat demgemäß auch nicht ausschließen wollen, dass ihm ein geöffneter Linearantrieb in den rückwärtigen Besprechungsräumen verborgen blieb. Die weiteren Bekundungen des Zeugen waren demgegenüber Mutmaßungen, dass andere Kunden ihm von einer Federbremse berichtet hätten, wenn sie diese dort bei der Beklagten gesehen hätten. Dies ist schon nicht nachvollziehbar, da nach der eigenen Aussage des Zeugen das Messepublikum sich für solche Fragen gar nicht interessierte, weswegen es seiner Ansicht nach auch keinen Sinn mache, geöffnete Modelle auszustellen. Dass Letzeres jedoch auf Messen geschehe, wollte der Zeuge demgegenüber nicht ausschließen.
Durch die Bestätigung der Beweisfrage insoweit, als die Zeugen aussagten, dass eine Schlingfederbremse an dem Linearantrieb Okimat I vorhanden gewesen sei, was beide Zeugen positiv bestätigten, ist auch bereits der gesamte Inhalt der technischen Lehre des Klagegebrauchsmusters bewiesen. Es kommt nicht darauf an, ob auch ein weiterer Antrieb als Singularantrieb (Beweisfrage 2) geöffnet ausgestellt wurde, da das Klagegebrauchsmuster sich zu der Anzahl der Antriebe, ob Singular- oder Binärantrieb, nicht verhält. Maßgeblich ist, dass ein Antrieb mit einer Schraubenspindel ausgestellt wurde, der sich in einem Gehäuse befand und an dem eine erfindungsgemäße Schlingfederbremse angeordnet war. Ob es sich bei der ausgestellten Spindel tatsächlich um eine nicht - selbstgehemmte Spindel handelte, ist für die Neuheitsschädlichkeit ohne Belang, da den Zeugen jedenfalls gesagt wurde, dass die Feder zum Zwecke der Rücklaufhemmung dort angebracht sei. Es ergibt sich daraus, dass die Zeugen davon ausgehen konnten - und dies auch taten -, dass es sich bei der ihnen gezeigten Spindel um eine solche handelte, die sich unter Last ohne eine zusätzliche Abbremsung zurückdrehen würde, also nicht selbstgehemmt war.
Ob nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme die von der Beklagten behauptete offenkundige Vorbenutzung tatsächlich vorlag, kann letztlich sogar dahingestellt bleiben, da auch die für die Schutzfähigkeit eines Gebrauchsmusters erforderliche Erfindungshöhe - wie nachstehend unter 2. ausgeführt - nicht gegeben ist.
2.
Der Gegenstand der Erfindung ist dem Fachmann durch die von der Beklagten zu der Akte gereichte Offenlegungsschrift DE 38 09 555 vom 27.07.1989 (Anlage B 15) in Verbindung mit der europäischen Patentschrift EP 0 577 541 nahegelegt.
Diese Offenlegungsschrift betrifft eine mechanische Rücklauffederbremse für langsam drehende Getriebe, Antriebseinheiten, Motoren sowie Bewegungskonstruktionen. Aus der Beschreibung (Anlage B 15, Sp. 1 Z. 54 - 59) folgt, dass die erfindungsgemäße Federbremse ihre Einsatzmöglichkeiten z.B. bei stufenlosen Verstelleinheiten, wie bei Polstermöbeln (…) findet. Hieraus folgt, dass diese Offenlegungsschrift so gattungsnah ist, dass ein Fachmann, der mit der Konstruktion von Linearantrieben für die stufenlose Verstellung von Bettgestellen befasst ist, Anlass hat, bei seine Recherche diese Schrift heranzuziehen.
Aus der Bezeichnung und Funktion der Schlingfeder als Rücklaufbremse oder Rücklaufsperre erschließt sich dem Fachmann ohne weiteres, dass die Schraubenfeder einer Vorwärtsbewegung der Spindel nicht entgegen steht, dass sie jedoch - und nur - bei der Rückwärtsbewegung eine Bremskraft auf die Spindel ausübt. Eine zusätzliche Erläuterung findet der Fachmann zudem in Anlage B 15, Sp. 2 Zeile 12 - 16, wo es im Zusammenhang mit dem Ausführungsbeispiel nach Figur 1 ausdrücklich heißt:
"Bei einer Drehbewegung der Achse (2) in Windungsrichtung wirken bei meh- reren Windungen die Schlingen zunehmend blockierend. Entgegengesetztes Drehen der Achse (2) bewirkt selbsttätiges Lösen (Entspannen der Schlingfe- der)."
Aus dem genannten Text folgert der Fachmann nicht, dass die Schlingfeder nur durch entgegengesetztes Drehen und nicht durch eine Drehung überwunden werden kann, die mit der zum Zusammenziehen der Feder führenden Richtung übereinstimmt. Wie bereits dargetan, verbietet sich eine solche Betrachtung schon angesichts der genannten Verwendungszwecke (Verstellbarkeit für Möbel, Autositze, Autolehnen, Autoscheiben), die allesamt verlangen, dass das verstellte Teil vom Antrieb wieder in seine Ausgangsposition zurückbewegt werden kann, und zwar trotz der als Rücklaufsperre eingesetzten Schlingfeder. Der Fachmann versteht deshalb, dass die Schlingfeder nur den ungewollten Rücklauf blockieren soll und damit nur eine Selbsthemmung der Achse (=Spindel) bewirkt.
Ein Linearantrieb mit den Merkmalen (1) - (5) war dem Fachmann unstreitig aus der Patentschrift EP-A- 0 577 541 bekannt. Aufgrund seiner ihm eigenen Ausbildung (Fachhochschulingenieur der Fachrichtung Maschinenbau) und beruflichen Erfahrung in der Konstruktion von Stellantrieben war dem Fachmann geläufig, dass die Verwendung von nicht selbstgehemmten Schraubenspindeln zwar den Vorteil einer schnellen Auf- und Abbewegung mit sich bringt, dass jedoch in nachteiliger Weise die Gefahr besteht, dass sich die Spindel, nachdem sie ausgefahren ist, von alleine wieder zurückdreht, weil die von den Windungen ausgehende Reibungskraft im Vergleich zu selbstgehemmten Schraubenspindeln mit geringer Steigung klein ist. Der Fachmann ist sich angesichts dessen, wenn er die an sich vorteilhaften nicht selbstgehemmten Spindeln verwenden will, darüber im klaren, dass er Maßnahmen vorsehen muss, die ein ungewolltes Zurückdrehen der ausgefahrenen Spindel verhindern.
Bei der Suche nach einer Lösungsmöglichkeit wird der Fachmann auch die zum vorbekannten Stand der Technik gehörende DE-OS 38 09 555 in Betracht ziehen. Sie betrifft eine mechanische Rücklauffederbremse für langsam drehende Getriebe, Antriebseinheiten, Motoren sowie (allgemein) Bewegungskonstruktionen. Bereits zu diesem weit gefaßten Einsatzgebiet gehören Linearantriebe der fraglichen Art. Ergänzend erhält der Fachmann in Spalte 1 Zeilen 54 - 56 überdies den Hinweis, dass die vorgeschlagene Rücklauffederbremse ihre Einsatzmöglichkeiten unter anderem bei stufenlosen Verstelleinheiten findet, wie sie zum Beispiel bei Polstermöbeln verwendet werden. Es mag dahinstehen, ob als Verstelleinheiten im Möbelbereich vorwiegend Linearantriebe gebräuchlich sind. Unbestreitbar und entscheidend ist allein, dass jedenfalls auch Linearantriebe zum Einsatz kommen können und dass es bei Polstermöbeln, deren Teile mechanisch stufenlos verstellt werden können, darum geht, zum Beispiel das Fußteil oder die Rückenlehne in jeweils beiden Richtungen verfahren zu können, weil das nach oben oder nach hinten verfahrene Teil selbstverständlich wieder in seine Ausgangslage zurückbewegt werden können muss. Bei der vorgeschlagenen Rücklaufbremse besteht der Zweck dementsprechend nicht darin, eine gewollte Rückwärtsbewegung der Welle oder Achse abzubremsen, sondern eine - wie der Begriff schon sagt - Bremse vorzusehen, die den (ungewollten) Rücklauf der Welle oder Achse verhindert. Mit dem besagten Offenbarungsgehalt findet der Fachmann in der DE-OS 38 09 555 deshalb eine Lösung auch und gerade für dasjenige Problem, welches sich bei der Verwendung von nicht selbstgehemmten Schraubenspindeln in Linearantrieben für Möbel stellt.
Diese Lösung enthält sämtliche Merkmale (6) - (7) des Klagegebrauchsmusters. Die beschriebene Rücklaufbremse besteht aus einer vorgespannten Schlingfeder, die auf die bewegte Achse aufgebracht ist und sich mit (zumindest) einem Federarm an einem Fixpunkt abstützt. Übertragen auf den aus der EP-A 0 577 541 bekannten Linearantrieb bedeutet dies, dass die Schraubenfeder mit ihren Windungen die Spindel (als das vom Antrieb bewegte und gegen Zurücklaufen zu sichernde Bauteil) umgibt, wobei dem Fachmann als einfachste Möglichkeit zur Befestigung eines Federarms der Schlingfeder an einem Fixierpunkt die Anbringung eines Federendes am Antriebsgehäuse naheliegt.
Zutreffend ist, dass die Ansprüche der DE-OS 38 09 555 vorsehen, dass die Rücklaufsperre irgendwie ausgelöst wird, zum Beispiel mechanisch, elektrisch, magnetisch etc. Im Ausführungsbeispiel nach Figur 1 ist eine mechanische Auslösung gezeigt und beschrieben, die schlicht darin besteht, dass sich die Achse, auf die die Schlingfeder aufgesteckt ist, zurückbewegt (und hierdurch die Federwindungen zusammenzieht). Genau dasselbe geschieht auch bei dem Gegenstand des Klagegebrauchsmusters, wie zum Beispiel auf Seite 2, Zeile 22 - 29 beschrieben. Dass die Rücklaufbremse auf irgendeine Art "ausgelöst" wird, ist deshalb kein spezielles Merkmal der DE-OS 38 09 555, sondern eine Selbstverständlichkeit, die auch das Klagegebrauchsmuster voraussetzt und - inzident - in den Merkmalen (6.3) zum Ausdruck gebracht hat.
Danach sind alle Merkmale des Klagegebrauchsmusters durch die Offenlegungsschrift neuheitsschädlich vorweggenommen. Das Klagegebrauchsmuster ist nicht schutzfähig.
Der weitere Vortrag der Klägerin in den nicht nachgelassenen Schriftsätzen vom 25.04.2003 (Bl. 321, 322 GA) sowie vom 02.05.2003 (Bl. 323 - 326 GA) rechtfertigt keine andere Entscheidung und bot keinen Anlass zur Wiedereröffnung der Hauptverhandlung, § 156 ZPO.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Anordnung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709, 108 ZPO.
LG Düsseldorf:
Urteil v. 22.04.2003
Az: 4 O 59/01
Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/7f6a22271154/LG-Duesseldorf_Urteil_vom_22-April-2003_Az_4-O-59-01