Oberlandesgericht Celle:
Urteil vom 10. November 2010
Aktenzeichen: 9 U 65/10

(OLG Celle: Urteil v. 10.11.2010, Az.: 9 U 65/10)

Ein Recht zu einer sogenannten außerordentlichen Auflösungskündigung steht dem Gesellschafter einer oHG - sofern sich aus dem Gesellschaftsvertrag nicht etwas anderes ergibt - nach der Handelsrechtsreform von 1998 nicht mehr zu, da die Kündigung eines Gesellschafters nach § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 HGB nicht mehr zur Auflösung der Gesellschaft (im Gegensatz zu § 131 Nr. 6 a. F. HGB), sondern zum Ausscheiden des kündigenden Gesellschafters führt. Daran ändert nichts, dass der Gesellschaftsvertrag unter Geltung der alten Rechtslage geschlossen worden ist, sofern nicht ein Gesellschafter bis zum 31. Dezember 2001 die Anwendung des alten Rechts gegenüber der Gesellschaft schriftlich verlangt hat, vgl. Art. 41 EGHGB.

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 10. Zivilkammer des Landgerichts Verden (2. Kammer für Handelssachen) vom 7. Juni 2010 teilweise abgeändert. Der Anspruch des Klägers gegen den Beklagten auf Zahlung einer Abfindung wegen seines Ausscheidens aus der Spedition B. W. oHG, eingetragen beim Amtsgericht W. zu der HRA-Nummer € , zum 31. Dezember 2009, 24:00 Uhr, ist dem Grunde nach gerechtfertigt; die Widerklage wird abgewiesen.

2. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Streitwert für das Berufungsverfahren: bis 1.150.000,00 €.

Gründe

A.

Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird zunächst auf das Urteil des Landgerichts verwiesen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger den mit der Klage geltend gemachten Abfindungsanspruch sowie das Begehren einer Abweisung der Widerklage weiter. Er ist der Ansicht, das Landgericht habe den im nachgelassenen Schriftsatz vom 17. Mai 2010 angetretenen Zeugenbeweis nicht als verspätet zurückweisen dürfen. Es habe deshalb verfahrensrechtlich fehlerhaft ein Recht des Klägers zur außerordentlichen Kündigung verneint. Weiterhin habe es unter Missachtung der gesetzlichen Regelung in §§ 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, 133 HGB zu Unrecht ein Recht des Beklagten zur außerordentlichen Auflösungskündigung bejaht.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Abänderung des am 7. Juni 2010 verkündeten Urteils des Landgerichts Verden zu verurteilen, an den Kläger 1.082.876,23 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 4. November 2009 zu zahlen, und die Widerklage abzuweisen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er rügt den Beweisantritt des Klägers im Schriftsatz vom 17. Mai 2010 als verspätet. Zudem ist der Beklagte der Auffassung, er sei am 8. Dezember 2009 zur außerordentlichen Auflösungskündigung berechtigt gewesen; dieses folge aus §§ 314, 723 BGB. Für ein solches Recht spreche auch eine Entscheidung des BGH zur Kündigung einer Vor-Aktiengesellschaft (BGHZ 169, 270). Die Möglichkeit einer Gestaltungsklage nach § 133 HGB stehe dem nicht entgegen; eine solche Klage sei ihm unzumutbar gewesen, weil sie wegen der vom Kläger erklärten ordentlichen Kündigung mit Ablauf des 31. Dezember 2009 unzulässig geworden wäre.

Wegen des Sach- und Streitstands im übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

B.

Die Berufung ist zulässig und teilweise begründet. Der Klageanspruch ist dem Grunde nach gegeben (I.), die Widerklage ist unbegründet (II.).

I.

Hinsichtlich der Klage ist die Berufung insoweit begründet, als der Klaganspruch dem Grunde nach besteht. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Abfindung gemäß § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB i. V. m. § 105 Abs. 3 HGB gegen den Beklagten zu, da der Kläger aufgrund seiner ordentlichen Kündigung mit Wirkung vom 31. Dezember 2009, 24:00 Uhr, aus der zu diesem Zeitpunkt noch bestehenden B. W. oHG ausgeschieden und dadurch das Gesellschaftsvermögen auf den Beklagten als einzigen verbleibenden Gesellschafter übergegangen ist. Der Kläger ist nämlich nicht schon zum 27. Oktober 2009 aus der Gesellschaft ausgeschieden - 1. -, vielmehr durch seine zuvor erklärte fristgemäße Kündigung, weil die Auflösungskündigung des Beklagten vom 8. Dezember 2009 unwirksam war - 2. -. Da mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass auch der Höhe nach ein Anspruch besteht, ist der Erlass eines Grundurteils gerechtfertigt - 3. -.

1. Der Kläger ist nicht bereits auf Grund seiner außerordentlichen Kündigung vom 27. Oktober 2009 an diesem Tag aus der Gesellschaft ausgeschieden.

12a) Eine Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung ist allerdings nicht schon deshalb anzunehmen, weil diese Rechtsgestaltung dem Kläger nicht zu Gebote stünde. Zwar sieht der Gesellschaftsvertrag der oHG lediglich die ordentliche Kündigung zum Ende des Geschäftsjahres vor, nicht aber ein Recht zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund. Dieses ergibt sich jedoch aus dem allgemeinen Rechtsgrundsatz des § 314 BGB. Insofern kommt es auch nicht darauf an, dass nach der bis 1998 geltenden Rechtslage ein Recht zur außerordentlichen Kündigung weitgehend abgelehnt wurde. Denn Rechtsfolge der Kündigung eines Gesellschafters ist nunmehr nach § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 HGB nicht mehr die Auflösung der Gesellschaft, sondern das Ausscheiden des Gesellschafters. § 133 HGB steht danach einer außerordentlichen Kündigung nicht entgegen, denn diese Vorschrift betrifft nur die Auflösung der Gesellschaft aus wichtigem Grund, nicht hingegen das Ausscheiden eines Gesellschafters (Baumbach/Hopt, 34. Aufl. 2010, § 133 Rdnr. 1; K. Schmidt in: Münchner Kommentar zum HGB, 2. Aufl. 2006, § 132 Rdnrn. 37 ff.; Piehler/Schulte in: Gummert/Weipert, Münchner Handbuch des Gesellschaftsrechts Bd. I, 3. Aufl. 2009, § 74 Rdnr. 25; Sauter in: Müller/Hoffmann, Beck€sches Handbuch der Personengesellschaften, 3. Aufl. 2009, § 7 Rdnr. 16; zur abweichenden Auffassung vgl. Staub/Schäfer, HGB, 4. Aufl., § 133 Rdnr. 4).

b) Die außerordentliche Kündigung des Klägers ist jedoch unwirksam, da ein zur Kündigung berechtigender wichtiger Grund nicht vorlag. Ein wichtiger Grund liegt nicht in der Person des Beklagten - aa) -; auf die Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses zwischen ihm und dem Beklagten kann sich der Kläger nicht berufen - bb) -.

aa) Als in der Person des Beklagten liegende Gründe zur Kündigung kommen weder das vom Kläger behauptete Verhalten des Beklagten hinsichtlich der Falschverwiegungen in Betracht - (1) - noch das Vorgehen des Beklagten, der eine Strafanzeige gegen den Kläger erstattet, ihm Hausverbot erteilt und die einstweilige Verfügung vom 14. Oktober 2009 gegen ihn erwirkt hat, mit dem ihm die Geschäftsführungsbefugnis für die oHG entzogen worden ist (Anlage K 11) - 2) -.

(1) Auf die Beteiligung an den Wiegefälschungen kann sich der Kläger als Grund für eine außerordentliche Kündigung nicht berufen. Insofern ist ein Kündigungsgrund schon nicht schlüssig vorgetragen. Ein wichtiger Grund liegt nach der Legaldefinition des § 314 Abs. 1 Satz 2 BGB vor, wenn dem kündigenden Gesellschafter unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und der beiderseitigen Interessen ein Verbleiben in der Gesellschaft bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Abwarten der Kündigungsfrist ist unzumutbar, wenn das auf dem wichtigen Grund beruhende Individualinteresse am sofortigen Ausscheiden höher zu bewerten ist als das Interesse der Mitgesellschafter an der unveränderten Fortsetzung der Gesellschaft (BGHZ 84, 379, 383). Ein solcher Grund liegt hinsichtlich der Beteiligung des Beklagten an den Wiegefälschungen nicht vor. Der Kläger hat nämlich geltend gemacht, dass zwar er selbst die Fälschungen ausgeführt habe, die Idee dazu aber vom Beklagten stamme, er - der Kläger - habe die Taten lediglich ausgeführt (S. 3 des Schriftsatzes vom 15. März 2010, Bl. 124 d. A.). Selbst wenn man deshalb eine Beteiligung des Beklagten annehmen wollte, ist die unmittelbare Ausführung dem Kläger zuzurechnen; allenfalls sind die Tatvorwürfe - was in § 26 StGB zum Ausdruck kommt - als gleich schwer zu qualifizieren. Damit handelt der Kläger rechtsmissbräuchlich, wenn er das behauptete Verhalten des Beklagten zum Anlass einer Kündigung aus wichtigem Grund nimmt, so dass es insofern nicht darauf ankommt, ob der Beklagte - was dieser bestreitet - von den Fehlererwägungen wusste, oder sogar - was der Beklagte erst recht in Abrede nimmt - die Idee zu den Betrugshandlungen hatte.

(2) Auch die Strafanzeige des Beklagten, das dem Kläger erteilte Hausverbot und die vom Beklagten gegen den Kläger erwirkte einstweilige Verfügung sind nicht als Grund für eine außerordentliche Kündigung zu qualifizieren. Denn Anlass für diese Maßnahmen waren die durch den Kläger begangenen Wiegefälschungen, die zwischen den Parteien unstreitig sind. Insbesondere die Darstellungen in der vom Kläger am 15. Februar 2010 im Strafverfahren abgegebenen geständigen Einlassung (Anlage X, Bl. 158 - 161, namentlich S. 3, Bl. 160 d. A.) ist von ihm inhaltlich nicht mehr in Frage gestellt worden; aufgrund dieser Taten ist der Kläger vom Amtsgericht Achim am 25. Februar 2010 im Strafbefehlsverfahren zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten verurteilt worden (Anlage XII, Bl. 163 - 166 d. A.). Es ist auch nicht als rechtsmissbräuchliches Verhalten des Beklagten zu qualifizieren, diese Maßnahmen umgesetzt zu haben. Dies ergibt sich insbesondere nicht aus der Behauptung des Klägers, der Beklagte habe von Unregelmäßigkeiten bei Verwiegungen bereits 2003 gewusst. Denn die mögliche Kenntnis von Unregelmäßigkeiten, die bereits sechs Jahre zurücklagen, führt nicht zur Unverhältnismäßigkeit der Maßnahmen, die der Beklagte im Jahre 2009 gegen den Kläger ergriffen und auf Betrugstaten aus den Jahren 2006 bis 2009 gestützt hat.

Der Kläger kann auch nicht geltend machen, das Verhalten des Beklagten sei nicht gerechtfertigt gewesen, da dieser den Vorwurf eines strafbaren Verhaltens erhoben und daraus zivilrechtliche Konsequenzen gezogen habe, obwohl er selbst geistiger Urheber dieser Taten gewesen sei, von diesen also gewusst, sie sogar gewollt habe, und namentlich die in den Jahren 2006 bis 2009 vorgenommenen Wiegenotenfälschungen auf Initiative des Beklagten vorgenommen worden seien. Ob diese Behauptung des Klägers einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung letztlich sicher zu begründen vermag, bedarf keiner abschließenden Klärung. Denn der Beklagte hat diesen Vortrag des Klägers bestritten; der Kläger hat seinen Vortrag nicht in prozessordnungsgemäßer Weise unter Beweis gestellt, so dass das Landgericht zu Recht weder dem Beweisantritt im Schriftsatz vom 15. März 2010 - (a) - noch den verspäteten Beweisantritten nachgegangen ist - (b) -.

(a) Das Landgericht hat nicht - wie der Kläger geltend macht (S. 6 der Berufungsbegründung, Bl. 257 d. A.) - die Beweisantritte des Klägers im Schriftsatz vom 15. März 2010 in verfahrensrechtlich zu beanstandender Weise als verspätet zurückgewiesen. Denn in diesem Schriftsatz hatte sich der Kläger erstmals auf eine Tatbeteiligung des Beklagten berufen und als Beweismittel die Vernehmung seiner eigenen Person als Partei benannt - S. 3 der Replik vom 15. März 2010 unter b), Bl. 124 d. A. -. Diesen Beweisantritt hat das Landgericht nicht als verspätet zurückgewiesen, den Beweis aber zu Recht nicht erhoben, weil die Voraussetzungen für eine Parteivernehmung nach § 447 ZPO wegen des Widerspruchs des Beklagten (S. 4 unten des Schriftsatzes vom 16. April 2010, Bl. 144 d. A.) nicht erfüllt waren, worauf das Landgericht in seinen Urteilsgründen abgestellt hat (S. 7 des Urteils, 2. Absatz, Bl. 240 d. A.), und für eine Parteivernehmung von Amts wegen nach § 448 ZPO die erforderliche Anfangswahrscheinlichkeit nicht vorlag. Aus dem weiteren Vortrag (S. 3 f. der Replik vom 15. März 2010, Bl. 124 f. d. A.) ergibt sich nichts anderes: Aus €Unregelmäßigkeiten€ lässt sich nichts über eine schuldhaft begangene Pflichtverletzung entnehmen; der Urheber einer solchen Pflichtverletzung bleibt offen, die €Arbeitsanweisung€ (Anlage K 25) ist nicht aussagekräftig.

(b) Zu Recht hat das Landgericht die mit Schriftsatz des Klägers vom 17. Mai 2010 angebotenen Beweismittel zurückgewiesen; insofern war der Kläger präkludiert - (aa) -; dieser Bewertung steht der dem Kläger gewährte Schriftsatznachlass nicht entgegen - (bb) -. Die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung war nicht geboten - (cc) -.

(aa) Das Vorbringen des Klägers im Schriftsatz vom 17. Mai 2010 war nach § 296 Abs. 1 ZPO verspätet. Denn angesichts des substantiierten Vortrags des Beklagten in der Klageerwiderung vom 19. Januar 2010, aus dem sich unzweifelhaft eine Alleintäterschaft des Klägers ergab, musste der Kläger bereits mit der Replik detailliert erwidern. Hierfür war ihm vom Gericht mit Verfügung vom 21. Januar 2010 eine Frist von 4 Wochen gesetzt worden (Bl. 88 R d. A.), die - den Prozessbevollmächtigten des Klägers ist diese Verfügung am 25. Januar 2010 zugestellt worden (Bl. 117 d. A.) - am 22. Februar 2010 ablief; diese Frist ist nach dem vom Kläger gestellten Antrag vom 15. Februar 2010 (Bl. 118 d. A.) antragsgemäß bis zum 15. März 2010 verlängert worden (Bl. 118 d. A.). Zutreffend hat das Landgericht angenommen (S. 7 des Urteils), dass der Kläger mit seiner Klage den Eindruck erweckt hatte, die Vorwürfe des Beklagten hinsichtlich seines - des Klägers - Verhalten seien gänzlich unbegründet, die grundlose Vorgehensweise gegen ihn habe daher das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien erschüttert. Angesichts des eigenen Vortrags des Beklagten in der Klagerwiderung war es nunmehr dringend geboten, diesem Eindruck entgegenzuwirken und die Umstände - und zwar unter Beweisantritt - im Einzelnen offen zu legen. Dies gilt umso mehr, als der Beklagte bereits mit der Klageerwiderung einerseits unmissverständlich vorgetragen hatte, die Pflichtverletzungen seien €ohne Kenntnis des Beklagten€ vorgenommen worden (S. 7 des Schriftsatzes, Bl. 95 d. A.), andererseits das Schreiben vom 8. Dezember 2009 (Anlage I, Bl. 100 - 103 d. A.) vorgelegt hatte, aus dem sich ergibt (S. 2, Bl. 101 d. A.), dass der Kläger "einziger Verursacher" der Straftaten gewesen sein soll. Dies gilt aber auch, weil zum Zeitpunkt der Einreichung der Replik der Kläger nicht nur bereits das Geständnis vom 15. Februar 2010 abgelegt hatte (das nur mit einem kurzen Satz erwähnt wird), sondern wegen der entscheidenden Vorwürfe bereits zu einer Freiheitsstrafe verurteilt war. Warum der Kläger daher meint, er habe nach der eindeutigen Klageerwiderung seinerseits mit vollständigem Vortrag bis zur Duplik des Beklagten warten dürfen, mit der dieser nähere Informationen zum Strafverfahren eingeführt hat, ist nicht nachzuvollziehen.

Der Kläger war also gehalten, innerhalb der Frist bis zum 15. März 2010 Beweis für seine Behauptung anzutreten, die Fälschungen seien mit Wissen und Wollen des Beklagten vorgenommen worden. Diese Behauptung war im Hinblick auf den substantiierten Beklagtenvortrag in der Klageerwiderung, der Kläger habe die Betrugstaten ohne Kenntnis des Beklagten begangen, bereits beweisbedürftig. Deshalb hatte der Kläger nach § 277 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 ZPO innerhalb der richterlichen Frist sämtliche Beweismittel für sein dem Beklagtenvortrag widersprechendes Vorbringen zu benennen. Hierbei kommt es nicht darauf an, welche Erfolgsaussichten der Kläger seinem Antrag auf Parteivernehmung beimessen konnte. Denn unabhängig von den Erfolgsaussichten, die mit den einzelnen Beweismitteln verbunden sind, verpflichtete § 277 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 ZPO den Kläger dazu, alle Beweismittel sogleich zu benennen. Sodann liegt es im Ermessen des Gerichts, sich zunächst mit der Erhebung einzelner Beweise zu begnügen. Eine Prozesstaktik, die darauf gerichtet ist, zunächst den Erfolg einzelner Beweise abzuwarten und sodann weitere Beweismittel zu benennen, verstößt gegen die gesetzlich verankerte Pflicht zu einer sorgfältigen und auf Förderung des Verfahrens bedachten Prozessführung.

Die Berücksichtigung des verspätet angetretenen Zeugenbeweises hätte den Rechtsstreit verzögert, weil dadurch ein neuer Termin zur mündlichen Verhandlung erforderlich geworden wäre. Der Kläger hat die Verspätung nicht genügend entschuldigt, denn er hat nicht geltend gemacht, dass er die Zeugen nicht schon in seinem Schriftsatz vom 15. März 2010 hätte benennen können.

(bb) Daran ändert auch nichts, dass dem Kläger Schriftsatznachlass gewährt worden ist. Der dem Kläger gewährte Schriftsatznachlass begründete kein Recht, nach Ablauf der richterlichen Stellungnahmefrist weitere Beweismittel zu benennen. Der nach § 283 S. 1 ZPO gewährte Schriftsatznachlass bezieht sich nur auf nicht rechzeitig vor dem Termin gehaltenen Vortrag des Gegners; neuer Sachvortrag darf nicht berücksichtigt werden (Zöller/Greger, ZPO, § 283 Rn. 5); eine Schriftsatzfrist berechtigt also nur zur Reaktion auf Vorbringen, zu dem eine Partei bis zur mündlichen Verhandlung nicht rechtzeitig Stellung nehmen konnte. Die Behauptung, die Fälschungen seien mit Wissen und Wollen des Beklagten vorgenommen worden, gehörte dazu aber nicht; sie ist nämlich schon vor dem Beklagtenschriftsatz vom 16. April 2010 beweisbedürftig gewesen. Der Umstand, dass der Beklagte dazu noch präziseren Vortrag gehalten hatte, der ihm zum Zeitpunkt der Klageerwiderung vom 19. Januar 2010 noch nicht bekannt sein konnte, ändert nichts daran, dass der Kläger zum Kern, nämlich der von ihm behaupteten Anstiftung seitens des Beklagten, bereits mit bis zum 15. März 2010 einzureichenden Schriftsatz Stellung nehmen musste.

(cc) Angesichts des grob nachlässig verspätet gehaltenen Vortrag kam auch die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht gem. § 156 ZPO nicht in Betracht. Abwegig ist die Auffassung des Klägers, das Gericht hätte darauf hinweisen müssen, dass es insbesondere den Beweisantritt des Klägers auf seine eigene Parteivernehmung als nicht ausreichend erachte und beabsichtige, die Vortragsweise als Verstoß gegen die Prozessförderungspflicht nach § 282 Abs. 1 ZPO zu werten. Dass die Vernehmung der eigenen Partei nur mit Zustimmung des Gegners zulässig ist, ergibt sich aus dem Gesetz (§ 447 ZPO), so dass die Konsequenzen offenkundig sind.

bb) Angesichts der obigen Ausführungen kann sich der Kläger auch nicht auf die Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses zum Beklagten als einen Grund zur fristlosen Kündigung berufen. Zwar bedarf es dafür nicht einmal eines schuldhaften Verhaltens des Mitgesellschafters; wer allerdings - wie hier der Kläger - objektiv vertragswidrig den Streit veranlasst hat, kann nicht aus wichtigem Grund kündigen (Palandt/Sprau, BGB, § 723 Rn. 4).

2. Der Kläger ist mit Wirkung vom 31. Dezember 2009 um 24 Uhr auf Grund seiner ordentlichen Kündigung vom 30. Juni 2009 aus der B. W. oHG ausgeschieden mit der Folge, dass das Vermögen der Gesellschaft im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf den Beklagten übergegangen ist und der Kläger gegen diesen einen Abfindungsanspruch nach § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB i. V. m. § 105 Abs. 3 HGB hat. Denn dem Kläger stand das Recht zur ordentlichen Kündigung zu - a) -. Zudem bestand die Gesellschaft am 31. Dezember 2009 um 24:00 Uhr noch; weder ist sie zuvor aufgelöst noch auf andere Art beendet worden - b) -.

a) Das Recht des Klägers zur ordentlichen Kündigung ergibt sich aus § 9 des Gesellschaftsvertrages (Anlage K 1, Bl. 15 d. A.). Danach konnte jeder Gesellschafter mit einer Frist von sechs Monaten zum Ende des Kalenderjahres ordentlich kündigen. Die Kündigung ist auch gegenüber dem Beklagtem als richtigen Empfänger erfolgt, da die Kündigung der Gesellschaft als eines zwischen den Gesellschaftern bestehenden Dauerschuldverhältnisses nicht gegenüber der Gesellschaft, sondern gegenüber den übrigen Gesellschaftern zu erklären ist. Da die Kündigung dem Beklagten am 30. Juni 2009 (Anlage K 6 [Zustellungsurkunde der Gerichtsvollzieherin], Bl. 23 d. A.) zugegangen ist, ist sie unter Wahrung der Sechsmonatsfrist im Hinblick auf eine Beendigung zum Jahresende 2009 rechtzeitig zugegangen.

b) Die ordentliche Kündigung führte zum Ausscheiden des Klägers aus der Gesellschaft am 31. Dezember 2009 um 24:00 Uhr. Zu diesem Zeitpunkt bestand die Gesellschaft noch; sie war zuvor weder durch die vom Beklagten erklärte Auflösungskündigung - aa) - noch auf andere Weise aufgelöst oder beendet worden - bb) -.

aa) Die Gesellschaft ist nicht auf Grund der Kündigung des Beklagten vom 8. Dezember 2009 (Anlage I, Bl. 100 - 103 d. A.) aufgelöst worden - (1) -; die Erklärung hat auch nicht zum Ausscheiden des Beklagten aus der Gesellschaft geführt - (2) -.

30(1) Dem Beklagten stand kein Recht zur außerordentlichen Auflösungskündigung zu. Die Kündigung eines Gesellschafters führt seit der Neufassung des § 131 HGB durch die Handelsrechtsreform von 1998 nach § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 HGB nicht mehr zur Auflösung der Gesellschaft (im Gegensatz zu § 131 Nr. 6 a. F. HGB), sondern zum Ausscheiden des kündigenden Gesellschafters. Abweichende vertragliche Vereinbarungen sind vorliegend nicht getroffen worden. Eine Kündigung mit der Rechtsfolge der Auflösung der Gesellschaft kann auch nicht mit der Erwägung begründet werden, dass der Gesellschaftsvertrag am 30. Juni 1994 und damit noch unter Geltung der alten Rechtslage geschlossen worden ist. Denn nach der Übergangsvorschrift des Art. 41 EGHGB sind die §§ 131 - 142 HGB in ihrer alten Fassung mangels anderweitiger vertraglicher Vereinbarung nur dann weiter anzuwenden, wenn ein Gesellschafter bis zum 31. Dezember 2001 die Anwendung des alten Rechts gegenüber der Gesellschaft schriftlich verlangt hat, bevor innerhalb dieser Frist ein zur Auflösung der Gesellschaft oder zum Ausscheiden eines Gesellschafters führender Grund eintritt (vgl. dazu K. Schmidt in: Münchner Kommentar zum HGB, § 131 Rn. 58). Nur im Fall der durch Art. 41 EGHGB gegebenen zeitlich begrenzten Option für das alte Recht führt die Kündigung also in den Fällen des § 131 Abs. 3 HGB nach § 131 Nr. 6 HGB a. F. zur Auflösung der Gesellschaft und verhindert das Ausscheiden (K. Schmidt in: Münchner Kommentar zum HGB, § 131 Rn. 58). Eine solche Option ist jedoch von keiner der Parteien ausgeübt worden.

Solange abweichende Vereinbarungen im Gesellschaftsvertrag - wie hier - fehlen, steht einer außerordentlichen Auflösungskündigung aus wichtigem Grund die Regelung des § 133 HGB entgegen. Zwar ist es ein allgemeiner, nunmehr in § 314 BGB verankerter Rechtsgrundsatz, dass Dauerschuldverhältnisse aus wichtigem Grund außerordentlich aufgelöst werden können. Er besagt aber lediglich, dass eine außerordentliche Beendigung möglich sein muss, verhält sich indes nicht dazu, welche Rechtsfolgen an sie geknüpft sind. Nach § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 HGB führt die Kündigung einer oHG nur zum Ausscheiden des Gesellschafters. Daneben kann ein Gesellschafter nach § 133 HGB bei Vorliegen eines wichtigen Grundes im Wege einer Gestaltungsklage die Auflösung der Gesellschaft verlangen. Diese Vorschrift dient der Rechtssicherheit und -klarheit. Sie beruht auf der Erwägung, dass in Personenhandelsgesellschaften im Gegensatz zur Gesellschaft bürgerlichen Rechts typischerweise erhebliche Vermögenswerte gebunden sind und deswegen ein erhöhtes Bedürfnis nach Rechtssicherheit besteht (Staub/Schäfer, HGB, 5. Auflage 2009, § 133 Rdnr. 2). Ob diese Differenzierung zwingend geboten ist, kann dahinstehen; der Gesetzgeber hat sie jedenfalls bewusst und ausdrücklich getroffen. Diese eindeutige Entscheidung des Gesetzgebers kann unabhängig von der Frage, ob die Auflösungsklage dem prozessualen Interesse des Gesellschafters im Einzelfall entspricht, nicht durch die Anerkennung einer außerordentlichen Auflösungskündigung umgangen werden. Einem entsprechenden Interesse der Gesellschafter kann nur durch - hier nicht vorliegende - gesellschaftsvertragliche Regelungen Rechnung getragen werden.

Aus der vom Beklagten in Bezug genommenen Entscheidung des BGH zur Vor-Aktiengesellschaft (BGHZ 169, 270) ergibt sich nichts anderes. Der BGH bejaht in dieser Entscheidung ein Recht zur außerordentlichen Auflösungskündigung nur und gerade wegen des vorläufigen Charakters der Vorgesellschaft als noch nicht auf dauerhaften Bestand gerichtete Vereinigung und weist im übrigen darauf hin, dass bei Personenhandelsgesellschaften die Kündigung im Interesse der Unternehmenserhaltung gemäß § 131 Abs. 3 HGB nur zum Ausscheiden des Gesellschafters, nicht aber zur Auflösung der Gesellschaft führe (BGHZ 169, 270, 275 f.).

(2) Die Kündigung des Beklagten vom 8. Dezember 2009 hat auch nicht dessen Ausscheiden aus der Gesellschaft bewirkt. Dies ergibt sich insbesondere nicht aus dem nach §§ 133, 157 BGB im Wege der Auslegung zu ermittelnden Inhalt der Erklärung. Der Beklagte hat eine Kündigung mit dieser Rechtsfolge zunächst nicht ausdrücklich erklärt. Das von dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten an den Kläger gerichtete Kündigungsschreiben vom 8. Dezember 2009 war seinem Wortlaut nach vielmehr allein auf die Erklärung einer €Auflösungskündigung€, nicht einer Austrittskündigung gerichtet. Dabei handelt es sich um einen rechtlichen Begriff, der eine Kündigung beschreibt, die nicht auf Ausscheiden eines Gesellschafters, sondern auf Auflösung und Liquidation der Gesellschaft gerichtet ist. Wird ein solcher Terminus von einem Rechtsanwalt gebraucht, ist in der Regel anzunehmen, dass dieser Wortlaut für den Inhalt der Erklärung maßgebend sein soll, da ein Rechtsanwalt als Fachkundiger um die exakte Bedeutung fachsprachlicher Termini weiß. Auch der Wortlaut des Kündigungsschreibens im Übrigen spricht dafür, dass eine Auflösungskündigung gewollt war. Insbesondere wird auf S. 3 ausdrücklich die Liquidation als Ziel der Kündigung angesprochen. Auf S. 4 werden die Liquidation, die Bestellung eines Liquidators sowie die Erhebung einer Klage auf Feststellung der Auflösung der oHG zum Gegenstand der bevorstehenden Gesellschafterversammlung erklärt.

Die Kündigung des Beklagten kann auch weder im Wege ergänzender Auslegung als Austrittskündigung ausgelegt noch nach § 140 BGB in eine solche umgedeutet werden, da dies dem hypothetischen Willen des Beklagten nicht entspricht. Sinn und Zweck der Kündigungserklärung sowie die Interessenlage der Parteien führen zu keinem anderen Auslegungsergebnis. Der Beklagte war an einer Fortführung der oHG nicht interessiert; er wollte sich vielmehr von der Gesellschaft lösen und diese mit ihrem Unternehmen beenden, wie er im Schreiben vom 8. Dezember 2009 zum Ausdruck gebracht hat (S. 3 des Schreibens. Bl. 102 d. A.). Hierzu war die mit der Auflösung verbundene Liquidation dasjenige Mittel, das seinen Interessen entsprach; eine darauf gerichtete Auflösungsklage wollte er lediglich aus prozessualen Gründen nicht anstrengen (S. 3 des Schreibens, letzter Spiegelstrich). Zwar hätte er auch im Wege einer Austrittskündigung aus der oHG ausscheiden können. Er wäre dann aber auf eine Abfindungsforderung gegen den Kläger angewiesen gewesen; den geschäftlichen Kontakt zu diesem wollte er jedoch auf Grund dessen strafbarer Handlungen, die er auch als Grund für die Kündigung bezeichnete, gerade beenden. Mit einer Abfindungsforderung wäre der Beklagte dem Risiko der Zahlungsunfähigkeit des Klägers ausgesetzt gewesen, das er offensichtlich nicht zu tragen bereit war.

Der Beklagte kann dem Kläger auch nicht entgegenhalten, dass es als treuwidrig zu qualifizieren ist, dass sich dieser nunmehr - ohne dies nach Erhalt dieser Kündigung vom 8. Dezember 2009 geltend zu machen - erst im Prozess auf den Umstand beruft, dass eine Auflösungskündigung unwirksam ist. Durch eine solche Annahme würde nämlich letztlich die gesetzlich fixierte Übergangsregelung unterlaufen.

bb) Die Gesellschaft ist auch nicht durch Beschluss der außerordentlichen Gesellschafterversammlung vom 23. Dezember 2009 (dazu TOP 4 des Protokolls, Anlage III, Bl. 109 - 111 d. A.) mit Wirkung vom 31. Dezember 2009, 23:00 Uhr, gemäß § 131 Abs. 1 Nr. 2 HGB aufgelöst und ins Liquidationsstadium überführt worden. Dieser Beschluss ist nämlich unwirksam, da er ohne die erforderliche Einstimmigkeit ergangen ist. Er ist mithin fehlerhaft, was zur Nichtigkeit des Beschlusses führt (vgl. dazu Baumbach/Hopt/Hopt, HGB, 34. Auflage 2010, § 119 Rdnr. 31).

(1) Es mangelt schon am erforderlichen Quorum für einen solchen nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 HGB erforderlichen Beschluss, die Gesellschaft aufzulösen: Für ihn ist nämlich, sofern der Gesellschaftsvertrag - wie im vorliegenden Fall - nichts anderes regelt, gemäß § 119 Abs. 1 HGB Einstimmigkeit erforderlich, wobei diese nicht die Einstimmigkeit der auf der Gesellschafterversammlung anwesenden Gesellschafter bedeutet, sondern Einstimmigkeit aller Gesellschafter. Ein einstimmiger Beschluss aller Gesellschafter (also beider Parteien) ist in der Gesellschafterversammlung vom 23. Dezember 2009 aber nicht zustande gekommen, da der Kläger an dieser nicht teilgenommen hat. Dass der Kläger, wie das Protokoll der Versammlung feststellt, zu dieser ordnungsgemäß geladen worden ist (der Kläger hat auch nicht geltend gemacht, dass eine Einberufung nicht erfolgen durfte oder die Einladungsfrist zu kurz bemessen war), ist deshalb unbeachtlich. Im Übrigen handelt es sich bei dem Beschluss um ein Grundlagengeschäft, bei dem ohnehin die Zustimmung aller Gesellschafter erforderlich ist.

(2) Nichts anderes ergibt sich daraus, dass bei einem einstimmigen Beschluss die Zustimmung eines einzelnen Gesellschafters entbehrlich ist, wenn dieser von der Abstimmung ausgeschlossen ist. Die Voraussetzungen für einen Stimmrechtsausschluss sind hier nämlich nicht erfüllt. Die Entziehung der Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis des Klägers durch die einstweilige Verfügung des Landgerichts Verden vom 14. Oktober 2009 berührte das Stimmrecht des Klägers in Ansehung von Gesellschafterbeschlüssen nicht, da dieses ein Recht ist, das jedem Gesellschafter zusteht. Ein Gesellschafter ist nur dann von der Abstimmung ausgeschlossen, wenn der Gegenstand der Abstimmung bei ihm zu einem Interessenkonflikt führt (Baumbach/Hopt/Hopt, HGB, 34. Auflage 2010, § 119 Rdnr. 8). Zu einem Interessenkonflikt des Klägers konnte die Abstimmung über die Auflösung der Gesellschaft indes nicht führen. Insbesondere hing diese Abstimmung mit den vom Kläger begangenen Wiegenotenverfälschungen nicht unmittelbar zusammen.

(3) Schließlich war der Kläger auch nicht auf Grund seiner Treuepflicht wegen einer besonderen Dringlichkeit des Beschlusses zur Zustimmung verpflichtet (vgl. zur Zustimmungspflicht: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Goette, 2. Auflage 2008, § 119 Rdnr. 26). Gründe, die für eine besondere Dringlichkeit des Auflösungsbeschlusses sprechen könnten, sind nicht ersichtlich, zumal da feststand, dass infolge der ordentlichen Kündigung des Klägers bereits am 31. Dezember 2009, 24:00 Uhr, die Beendigung der Gesellschaft eintreten würde. Gegen die Annahme einer Zustimmungspflicht ergeben sich auch insofern Bedenken, als der Beschluss ein Grundlagengeschäft, sogar die Gesellschaft in ihrer Existenz betrifft, die nach der gesetzlichen Regelung - bei Meinungsverschiedenheiten - nur durch gerichtliches Urteil ausgesprochen werden darf. Dieser Weg würde durch eine Zustimmungspflicht des Gesellschafters unterlaufen. Auf die Frage, ob sich der Beklagte auf eine etwaige Zustimmungspflicht des Klägers im vorliegenden Prozess überhaupt berufen könnte, es also nicht vielmehr zunächst der Geltendmachung im Wege der Leistungsklage bedurft hätte (vgl. dazu Baumbach/Hopt, HGB, § 119 Rn. 31), kommt es daher nicht (mehr) an.

(4) Der Annahme der Unwirksamkeit des Beschlusses steht schließlich nicht entgegen, dass er - soweit ersichtlich - vom Kläger nicht angegriffen worden ist, dieser insbesondere keine auf Feststellung der Unwirksamkeit oder Nichtigkeit des Beschlusses gerichtete Klage erhoben hat. Aus diesem Umstand kann nicht gefolgert werden, dass es auf die eben erörterten Wirksamkeitsmängel des Beschlusses nicht ankommt. Beschlüsse der offenen Handelsgesellschaft sind nämlich bei Gesetzesverstößen nach § 134 BGB unwirksam, nicht lediglich - wie nach §§ 243 ff. AktG - anfechtbar (Baumbach/Hopt, HGB, § 119 Rn. 31). Der Gesellschaftsvertrag enthält hierzu auch keine abweichenden Regelungen, er sieht nicht einmal eine Klagefrist vor (dazu Baumbach/Hopt, HGB, § 119 Rn. 32). Zwar ist auch ohne vertragliche Regelung der Mangel in angemessener Zeit nach Kenntnis geltend zu machen; anderenfalls droht Verwirkung (Baumbach/Hopt, HGB, § 119 Rn. 32). Davon kann indes angesichts der bereits im November 2009 anhängig gemachten Klage nicht die Rede sein, mit der sich der Kläger gegen eine Auflösung gewandt hat, damit inhaltlich aber auch gegen den ohne seine Mitwirkung später gefassten Beschluss der Gesellschafterversammlung vom 23. Dezember 2009.

3. Es steht bereits jetzt fest, dass der Klaganspruch dem Grunde nach gerechtfertigt ist, so dass der Senat nach § 304 Abs. 1 ZPO über den Grund des Anspruchs vorab entscheidet. Denn selbst der Beklagte geht einerseits von einem €Substanzwert€ von €maximal 50.000 €€ aus (S. 2 des Schriftsatzes vom 19. Januar 2010, Bl. 90 d. A.) und nennt andererseits in Anlehnung an die gutachterliche Stellungnahme des Steuerberaters V. einen Abfindungsanspruch in Höhe von immerhin 21.351,60 € (S. 15 des Schriftsatzes vom 16. April 2010, Bl. 155 d. A), so dass die erforderliche hohe Wahrscheinlichkeit besteht (vgl. dazu Zöller/Heßler, ZPO, § 538 Rn. 45), dass im Betragsverfahren etwas zuerkannt werden wird, da der Beklagte selbst aufgrund seiner obigen Einschätzung nicht davon ausgeht, die Gesellschaft sei nichts mehr wert. Zur Höhe des Anspruchs bedarf es weiterer Feststellungen durch Einholung eines Sachverständigengutachtens, zu dem sich der Beweisbeschluss des Senats vom heutigen Tag verhält.

II.

Über die Widerklage konnte gemäß § 301 Abs. 1 Satz 1 ZPO ein Teilurteil ergehen, da der Rechtsstreit insofern entscheidungsreif ist. Der mit der Widerklage erhobene Feststellungsantrag ist unbegründet. Die Gesellschaft ist weder auf Grund der Kündigung des Beklagten vom 8. Dezember 2009 noch auf Grund eines Beschlusses der Gesellschafterversammlung vom 23. Dezember 2009 mit Wirkung zum 31. Dezember 2009, 23:00 Uhr, aufgelöst und ins Liquidationsstadium überführt worden, wie sich aus den obigen Ausführungen ergibt.

III.

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat seine Grundlage in § 704 Nr. 10 ZPO. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO sind nicht erfüllt. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Insbesondere ergibt sich entgegen der Auffassung des Beklagten aus der Entscheidung des BGH zur Kündigung einer Vor-Aktiengesellschaft (BGHZ 169, 270) unzweideutig, dass ein Recht zur außerordentlichen Auflösungskündigung bei einer solchen Vorgesellschaft nur wegen deren vorläufigen Charakters bestehen soll, während eine solche Kündigung bei den Personenhandelsgesellschaften durch die eindeutige gesetzliche Regelung der §§ 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, 133 HGB ausgeschlossen ist.






OLG Celle:
Urteil v. 10.11.2010
Az: 9 U 65/10


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/7f0a23e63e2d/OLG-Celle_Urteil_vom_10-November-2010_Az_9-U-65-10




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