Bundespatentgericht:
Beschluss vom 8. Dezember 2009
Aktenzeichen: 35 W (pat) 475/08

(BPatG: Beschluss v. 08.12.2009, Az.: 35 W (pat) 475/08)

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Deutschen Patentund Markenamts -Gebrauchsmusterabteilung I -vom 28. Juli 2008 in Ziffer 2 dahingehend geändert, dass die Kosten des Löschungsverfahrens der Antragstellerin in vollem Umfang auferlegt werden.

Die Beschwerde der Antragstellerin wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden der Antragstellerin auferlegt.

Gründe

I Die Antragsgegnerin ist Inhaberin des am 15. August 2006 angemeldeten und am 9. November 2006 in das Register eingetragenen Gebrauchsmusters 20 2006 012 600 mit der Bezeichnung "Schneidund/oder Ritzwerkzeug" (Streitgebrauchsmuster). Die Geltungsdauer des Streitgebrauchsmusters ist auf 6 Jahre verlängert.

Der eingetragene Schutzanspruch 1 lautet:

Schneidund/oder Ritzwerkzeug (1), insbesondere zur Verwendung zum Stanzschnitt in der Papierund Kartonagenindustrie, bestehend aus einer Klinge (2) aus Stahl mit einer Schneidkante (4) und mindestens einer an einer Klingen-Längsseite ausgehend von der Schneidkante (4) gebildeten und bis zu einer Seitenfläche (8) der Klinge (2) verlaufenden Fase (6), die im Querschnitt gesehen derart mit einem Krümmungsradius (R1) gekrümmt ausgebildet ist, dass jede an die Fase (6) angelegte Tangente mit einer parallel zu der Seitenfläche (8) und durch die Schneidkante (4) verlaufenden Klingenachse (10) einen Winkel einschließt, der kleiner als 90¡ ist, dadurch gekennzeichnet, dass die Fase (6) in Richtung der Seitenfläche (8) einen Übergangsabschnitt (12) aufweist, der derart mit einem von dem Krümmungsradius (R1) der Fase (6) abweichenden zweiten Krümmungsradius (R2) konvex gekrümmt ausgebildet ist, dass die Fase (6) über den Übergangsabschnitt (12) stetig, stufenund kantenfrei in die Seitenfläche (8) übergeht.

Für den Wortlaut der auf den Schutzanspruch 1 rückbezogenen eingetragenen Schutzansprüche 2 bis 6 wird auf die Akte verwiesen.

Die Antragstellerin hat am 13. Juni 2007 die Löschung des Gebrauchsmusters wegen fehlender Schutzfähigkeit seines Gegenstandes beantragt. Ihr Vorbringen hat sie auf folgende Druckschriften aus dem Stand der Technik gestützt (die Entgegenhaltung (5) in einem späteren Schriftsatz):

(D1) DE 296 16 585 U1, (D2) US 2,049,157, (D3) US 2,276,376, (D4) Europäische Stanzformunion, Zeitschrift, Ausg. 2, Juni 2001, S. 11, (D5) DE 299 22 281 U1.

Auf den Löschungsantrag hat die Antragsgegnerin mit dem beim Deutschen Patentund Markenamt am 10. August 2007 eingegangenen Schriftsatz vom 8. August 2007 neue Ansprüche 1 bis 5 überreicht und dem Löschungsantrag nur im Umfang dieser Ansprüche widersprochen. Sie hat auf den ursprünglichen (den eingetragenen) Anspruch 1 verzichtet und erklärt, dass aus dem ursprünglichen Anspruch 1 keine Rechte für die Vergangenheit und die Zukunft geltend gemacht werden.

Die von der Antragsgegnerin eingereichten Schutzansprüche 1 bis 5 lauten:

1.

Schneidund/oder Ritzwerkzeug (1), insbesondere zur Verwendung zum Stanzschnitt in der Papierund Kartonagenindustrie, bestehend aus einer Klinge (2) aus Stahl mit einer Schneidkante (4) und mindestens einer an einer Klingen-Längsseite ausgehend von der Schneidkante (4) gebildeten und bis zu einer Seitenfläche (8) der Klinge (2) verlaufenden Fase (6), die im Querschnitt gesehen derart mit einem Krümmungsradius (R1) gekrümmt ausgebildet ist, dass jede an die Fase (6) angelegte Tangente mit einer parallel zu der Seitenfläche (8) und durch die Schneidkante (4) verlaufenden Klingenachse (10) einen Winkel einschließt, der kleiner als 90¡ ist, dadurch gekennzeichnet, dass die Fase (6) in Richtung der Seitenfläche (8) einen Übergangsabschnitt (12) aufweist, der derart mit einem von dem Krümmungsradius (R1) der Fase (6) abweichenden zweiten Krümmungsradius (R2) konvex gekrümmt ausgebildet ist, dass die Fase (6) über den Übergangsabschnitt (12) stetig, stufenund kantenfrei in die Seitenfläche (8) übergeht, wobei der zweite Krümmungsradius (R2) des Übergangsabschnittes (12) kleiner als der erste Krümmungsradius (R1) der Fase (6) ist und insbesondere das 0,05-bis 0,5-fache des ersten Krümmungsradius (R1) beträgt.

2.

Schneidund/oder Ritzwerkzeug nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass die Fase (6) -bezogen auf eine im Querschnitt zwischen der Schneidkante (4) und einem Übergangspunkt (14) zwischen dem Übergangsabschnitt (12) und der angrenzenden Seitenfläche (8) verlaufenden Sekante (S) eine Fasenlänge (L) aufweist, wobei der erste Krümmungsradius (R1) der Fase (6) dem einbis fünffachen Wert der Fasenlänge (L) entspricht.

3.

Schneidund/oder Ritzwerkzeug nach Anspruch 2, dadurch gekennzeichnet, dass der erste Krümmungsradius (R1) der Fase (6) dem einbis zweifachen, insbesondere dem 1,5-bis 1,6-fachen, Wert der Fasenlänge (L) entspricht.

4.

Schneidund/oder Ritzwerkzeug nach einem der Ansprüche 1 bis 3, gekennzeichnet durch eine -bezogen auf die Klingenachse (10) -symmetrische Ausgestaltung mit zwei gleichartigen Fasen (6).

5. Schneidund/oder Ritzwerkzeug nach einem der Ansprüche 1 bis 3, gekennzeichnet durch eine -bezogen auf die Klingenachse (10) -asymmetrische Ausgestaltung mit nur einer Fase (6) oder mit zwei unterschiedlich ausgebildeten Fasen (6).

Auf die in dieser Fassung beschränkte Verteidigung des Streitgebrauchsmusters in der mündlichen Verhandlung vor der Gebrauchsmusterabteilung I des Deutschen Patentund Markenamts hat diese das Streitgebrauchsmuster durch Beschluss vom 28. Juli 2008 teilgelöscht, soweit es über die vorstehend wiedergegebene Fassung der Schutzansprüche hinausgeht und den Löschungsantrag im Übrigen zurückgewiesen. Die Kosten des Verfahrens sind der Antragstellerin zu 2/3 und der Antragsgegnerin zu 1/3 auferlegt worden.

Gegen diesen Beschluss haben Antragstellerin und Antragsgegnerin Beschwerde eingelegt.

Die Antragstellerin vertritt die Auffassung, dass der Gegenstand des verteidigten Schutzanspruchs 1 nicht auf einem erfinderischen Schritt beruhe. Ergänzend hat sie im Beschwerdeverfahren noch auf die Dokumente

(D6) Europäische Stanzformunion, Zeitschrift, Ausg. 1, März 2004, S. 25 bis 27,

(D7) Produktinformation der Antragstellerin ohne Datumsangabe, S. 9,

(D8) Schreiben der Antragsgegnerin vom 21. Dezember 2005 mit Bezugnahme auf Dokument D7 hingewiesen.

Die Antragstellerin beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben; das Gebrauchsmuster 20 2006 012 600 vollumfänglich zu löschen; die Kosten des Verfahrens der Antragsgegnerin aufzuerlegen; die Beschwerde der Antragsgegnerin zurückzuweisen.

Die Antragsgegnerin beantragt, den angefochtenen Beschluss insoweit aufzuheben, dass die Kosten des Verfahrens der Antragstellerin in vollem Umfang auferlegt werden; die Beschwerde der Antragstellerin zurückzuweisen; die Kosten des Verfahrens der Antragstellerin aufzuerlegen.

Sie trägt sinngemäß vor, mit dem Löschungsantrag überfallen worden zu sein und dass mit ihrer sofortigen (Teil-)Anerkenntnis des Löschungsanspruchs die Voraussetzungen des § 93 ZPO für eine Kostenentscheidung vorlägen. Sie ist auch der Meinung, dass die geltend gemachten Löschungsgründe für die geltenden Schutzansprüche nicht gegeben seien.

Für weitere Einzelheiten wird auf den Akteninhalt verwiesen.

II 1. Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin ist begründet. Die Kosten des Löschungsverfahrens sind der Antragstellerin in vollem Umfang aufzuerlegen, da die Voraussetzungen des § 93 ZPO gegeben sind.

Nach h. M. (vgl. § 17 GbmG, Bühring, 7. Auflage, Rn. 60 ff.; Benkard, 10. Auflage, Rn. 20 ff. ist § 93 ZPO auch im Gebrauchsmuster-Löschungsverfahren anzuwenden, wenn das Verhalten des Antragsgegners keine Veranlassung zur Stellung des Löschungsantrags gegeben hat und dieser den Löschungsantrag sofort anerkennt. Dies gilt auch für Teilanerkenntnis (vgl. a. a. O., Rn. 89 bzw. Rn. 24a).

Auf den Löschungsantrag der Antragstellerin ist eine sofortige Teil-Anerkenntnis des Löschungsanspruchs mit Verzicht auf den eingetragenen ursprünglichen Anspruch 1 sowie daraus herzuleitende Rechte durch die Antragsgegnerin erfolgt (vgl. Schriftsatz vom 8. August 2007). Die Antragsgegnerin hat -von der Antragstellerin unbestritten -vorgetragen, der Löschungsantrag sei ohne vorhergehende ordnungsgemäße Löschungs-Aufforderung eingereicht worden. Auch sonst habe sie nichts veranlasst, dass den Löschungsantrag rechtfertige.

Soweit die Antragsgegnerin dem Löschungsantrag widersprochen hat, ist sie erfolgreich (vgl. nachstehende Ausführungen unter 2.).

Die Kosten des Löschungsverfahrens sind daher vollumfänglich der Antragstellerin aufzuerlegen.

2. Die zulässige Beschwerde der Antragstellerin ist unbegründet. Soweit das Gebrauchsmuster nicht mehr verteidigt wird, bleibt es bei der vom Deutschen Patentund Markenamt -Gebrauchsmusterabteilung I -ausgesprochenen Löschung.

2.1 Die verteidigten Schutzansprüche sind zulässig. Der Schutzanspruch 1 stellt eine Zusammenfassung der eingetragenen Schutzansprüche 1 und 2 dar. Die geltenden Schutzansprüche 2 bis 5 entsprechen den eingetragenen Schutzansprüchen 3 bis 6 hinsichtlich ihrer kennzeichnenden Merkmale. Die eingetragenen Schutzansprüche 3 bis 6 sind sämtlich zumindest mittelbar auf den eingetragenen Schutzanspruch 1 und auf den eingetragenen Schutzanspruch 2 rückbezogen. Die Zulässigkeit des Schutzbegehrens ist im Übrigen unstreitig.

2.2 Das mit Schutzanspruch 1 verteidigte, zweifellos gewerblich anwendbare Schneidund/oder Ritzwerkzeug ist unbestritten neu. Es beruht auch auf einem erfinderischen Schritt.

2.2a Das Streitgebrauchsmuster betrifft ein Schneidund/oder Ritzwerkzeug, das vorwiegend in der Papierund Kartonagenindustrie zur Anwendung kommt. Bekannte Werkzeuge dieser Art sollen mit der vorgeschlagenen Ausgestaltung hinsichtlich ihrer Gebrauchseigenschaften verbessert werden. Wie in Abs. 0005 angegeben, zielt die Verbesserung auf das Reduzieren des mechanischen Widerstands beim Schneidvorgang, das Verringern oder Vermeiden von Staubbildung sowie das Reduzieren der Einreißgefahr des Stanzguts und der Bruchgefahr der Klinge ab.

Mit dem beanspruchten Gegenstand sollen diese Vorteile erreicht werden.

Nach dem geltenden Schutzanspruch 1 wird ein Schneidund/oder Ritzwerkzeug mit folgenden Merkmalen vorgeschlagen:

1 Schneidund/oder Ritzwerkzeug, insbesondere zur Verwendung zum Stanzschnitt in der Papierund Kartonagenindustrie.

2 Das Schneid und/oder Ritzwerkzeug besteht aus einer Klinge aus Stahl.

3 Die Klinge besitzt eine Schneidkante.

4 Die Klinge besitzt mindestens eine Fase.

4a Die Fase ist an einer Klingen-Längsseite ausgehend von der Schneidkante gebildet und verläuft bis zu einer Seitenflächeder Klinge.

4b Die Fase ist im Querschnitt gesehen derart mit einem Krümmungsradius (R1) gekrümmt ausgebildet, dass jede an die Fase angelegte Tangente mit einer parallel zu der Seitenflä

che und durch die Schneidkante verlaufenden Klingenachseeinen Winkel einschließt, der kleiner als 90¡ ist.

5 Die Fase weist in Richtung der Seitenfläche einenÜbergangsabschnitt auf.

5a Der Übergangsabschnitt ist derart mit einem von dem Krümmungsradius (R1) der Fase abweichenden zweiten Krümmungsradius (R2) konvex gekrümmt ausgebildet, dass die Fase über den Übergangsabschnitt stetig, stufenund kantenfrei in die Seitenfläche übergeht.

5b Der zweite Krümmungsradius (R2) des Übergangsabschnittes ist kleiner als der erste Krümmungsradius (R1) der Faseund insbesondere beträgt er das 0,05-bis 0,5-fache desersten Krümmungsradius (R1).

Als den mit der Lösung des Problems betrauten Fachmann ist ein Maschinenbau-Ingenieur mit Fachhochschulabschluss zugrunde zu legen, der über mehrere Jahre Berufserfahrung in der Entwicklung, Konstruktion und Herstellung von Schneid-/Stanzwerkzeugen vorwiegend für die Kartonagenund Papierindustrie verfügt.

Nach Verständnis dieses Fachmanns ist Schutzanspruch 1 dahingehend auszulegen, dass das Werkzeug auf einer oder auf beiden Seiten mit einer Fase in der vorgegebenen Gestaltung versehen ist (Merkmal 4). Die Fase umfasst zwei konvexe Krümmungsbereiche und besteht ausschließlich aus diesen, versehen mit unterschiedlichen, jeweils konstanten Radien (aus Merkmalen 4b und 5a) und besteht folglich aus zwei ineinander übergehenden Kreisbogenabschnitten. Der Krümmungsradius des zweiten Bereichs ist kleiner als der des ersten Bereichs (aus Merkmalen 5a und 5b). Ein stetiger, stufenund kantenfreier Übergang der Fase in die Seitenfläche der Klinge (aus Merkmal 5a) bedeutet, dass der Übergangsabschnitt und die Fase an ihrer gemeinsamen Bereichsgrenze eine gemeinsame Tangente und der Übergangsabschnitt und die Seitenfläche an ihrer gemeinsamen Bereichsgrenze ebenfalls eine gemeinsame Tangente haben.

2.2b Die Neuheit des beanspruchten Gegenstandes ist dadurch gegeben, dass keinem der eingangs genannten Dokumente zum Stand der Technik ein Schneidund/oder Ritzwerkzeug zu entnehmen ist, dessen Fase aus einem gekrümmten Bereich mit größerem Radius und einem sich daran anschließenden konvex gekrümmten, in die Seitenfläche der Klinge übergehenden Bereich mit kleinerem Radius gebildet ist (Teile der Merkmale 5a, 5b; Näheres s. folgenden Abschnitt).

2.2c Keines der genannten Dokumente vermag für sich allein oder in Zusammenschau mit einem der anderen Dokumente dem Fachmann einen Hinweis zu geben, die Fase eines Schneidund/oder Ritzwerkzeugs mit den weiter vorstehenden Eigenschaften auszugestalten. Es beruht daher auf einem erfinderischen Schritt.

2.2ca Der DE 296 16 585 U1 (D1) ist unstreitig ein Schneidund/oder Ritzwerkzeug mit den Merkmalen des Oberbegriffs (Merkmale 1 bis 4b) des Schutzanspruchs 1 bekannt (vgl. Ansprüche 1 und 7 i. V. m. Fig. 1 bis 4).

Die Beschreibung der in den Figuren dieser Druckschrift dargestellten Werkzeuge liefert keine Aussage zum Übergang von den Fasen 4 zu den Klingenlängsseiten 3, oder dass es auf die Krümmung eines Übergangs ankommen könnte. Bei den in den in den Figuren 1 und 3 dargestellten Werkzeugen ist der Übergang zur Klingenlängsseite zweifelsohne mit einer Kante versehen. Ob vor diesem Hintergrund den Figuren 2 und 4 jeweils ein gekrümmter Übergang von der Fase 4 zur Klingenlängsseite 3 zu entnehmen ist (Merkmal 5), bleibt daher zweifelhaft, zumal es sich bei den Figuren um nicht maßstäbliche Skizzen handelt. Hinzu kommt, dass eine zufällige Krümmung nicht einem Kreisbogen entsprechen muss. Daher wird der Fachmann auch in Kenntnis der Anforderungen an Schneidwerkzeuge (vgl. D1, S. 6 und 7) nicht ohne weiteres die konkret geforderte "Kreisbogen-Gestaltung" als Alternative zu einer Kante am Übergang von der Fase zur Klingenlängsseite in Erwägung ziehen, falls die Kante als Nachteil empfunden werden sollte. Den Figuren 2 und 4 kann ein kreisbogenförmiger Übergangsabschnitt (Teile Merkmal 5a) jedenfalls nicht entnommen werden. Da kein kreisbogenförmiger Übergangsabschnitt vorhanden ist, kann auch seine Dimensionierung mit kleinerem Radius gegenüber dem gekrümmten Bereich mit größerem Radius (Merkmal 5b) nicht zwangsläufig gegeben sein.

2.2cb Aus der DE 299 22 281 U1 (D5) ist ein Schneidund/oder Ritzwerkzeug bekannt, insbesondere zur Verwendung zum Stanzschnitt in der Papierund Kartonagenindustrie, bestehend aus einer Klinge 1 aus Stahl mit einer Schneidkante 4 und mindestens einer an einer Klingen-Längsseite ausgehend von der Schneidkante 4 gebildeten und bis zu einer Seitenfläche 5 der Klinge 1 verlaufenden Fase 6 (vgl. Ansprüche 1, 20, Fig. 1, 2; Merkmale 1 bis 4a). Jede an die Fase 6 angelegte Tangente schließt mit einer parallel zu der Längsseite 5 und durch die Schneidkante 4 verlaufenden Klingenachse X-X einen Winkel ein, der kleiner als 90¡ ist (vgl. Anspruch 12, S. 21, 1. Vollabsatz; Merkmal 4b). Die Fase 6 weist mindestens zwei stetig ineinander übergehende Bereiche 6a, 6b auf. Der erste Bereich weist eine konvexe, der zweite Bereich eine konkave Krümmung auf (Anspruch 1, Fig. 2). In der Nähe eines Basisabschnitts 2 in Richtung der Seitenfläche 5 kann ein zusätzlicher, konvex gekrümmter Bereich 6d vorgesehen sein (vgl. Übergangsabsatz von S. 15 nach S. 16, Anspruch 19), so dass die Fase 6 stetig in die Seitenfläche 5 übergeht (Merkmal 5, Teile des Merkmals 5a). Die ersten Bereiche 6a, 6b können durch Kreisbogenabschnitte begrenzt sein (vgl. Anspruch 11, S. 20, letzter Absatz). Möglicherweise ist auch der Krümmungsverlauf des Bereichs 6d kreisbogenförmig gestaltet (vgl. S. 27, 1. Absatz; Teile des Merkmals 5a).

Demnach weist dieses Werkzeug im Gegensatz zum beanspruchten eine Fase mit mindestens drei Bereichen auf (Teile des Merkmals 5a). Nichts ist bezüglich des Verhältnisses des Krümmungsradius des Bereichs 6d gegenüber den anderen Krümmungsradien ausgesagt (Merkmal 5b).

Nach Meinung der Antragstellerin gehen die in D5 vorgeschlagenen Lösungen wie das Streit-Gebrauchsmuster von der D1 aus und es gelte, das bekannte Werkzeug zu verbessern. Wenn sich für den Fachmann bei dem aus D1 bekannten Werkzeug der mit einer Kante versehene Übergang von der Fase zur Klingenlängsseite als nachteilig herausstelle, werde er den Bereich 6d mit konvexer kreisbogenförmiger Krümmung der Fase anstatt der Kante vorsehen. Den Bereich 6d auf das Werkzeug nach D1 nach Art eines Baukastenelements zu übertragen, sei naheliegend und führe unmittelbar zum Streitgegenstand.

Nach Überzeugung des Senats lehrt die D5 das anhand zahlreicher Ausführungsbeispiele gezeigte Prinzip, die unterschiedlichen Bereiche der Fase einer Klinge stetig ineinander übergehend anzuordnen. Die Fase 6 muss in der Nähe des Basisabschnitts 2 mit einem konkaven Bereich 6b und in der Nähe der Schneidkante 4 mit einem konvexen Bereich 6a versehen sein (vgl. Anspruch 1, alle Figuren 1 bis 18). Die Fase 6 kann noch weitere Bereiche wie den erwähnten konvex gekrümmten Bereich 6d am Übergang zur Klingenlängsseite 5 und ebene Bereiche 6c, 6f, 6g sowie 6h zwischen, nach und vor den Bereichen 6a und 6b umfassen. Sie lehrt demnach immer einen stetigen Übergang von einem ebenen in einen gekrümmten Bereich (mit konstantem Radius) oder umgekehrt sowie den Übergang aus einem Abschnitt mit einer Krümmung gegebenen Vorzeichens in einen Abschnitt mit einer Krümmung umgekehrten Vorzeichens (Übergang konvexkonkav oder umgekehrt). Ein stetiger Übergang von einer konvex gekrümmten Fläche der Fase auf eine ebene Fläche wird durch die gekrümmte Fläche selbst erzielt (vgl. z. B. Fig. 1, Übergang vom Bereich 6a nach 6c oder 6c nach 6b). Dies entspricht auch der durch die Druckschriften US 2,049,157 (D2, vgl. Fig. 3), US 2,276,376 (D3, vgl. Fig. 14) oder Europäische Stanzformunion (D4, S. 11, Figur) vermittelten Lehre, eine konvex gekrümmte Fläche ohne einen zweiten, mit einem anderen Radius versehenen, konvex gekrümmten Bereich in die Fläche der Klingenlängsseite stetig übergehen zu lassen. Die isolierte Entnahme des konvex gekrümmten Bereichs 6d der Fase 6 aus D5 und die Anordnung unmittelbar an einen anderen konvex gekrümmten Bereich mit anderem Krümmungsradius kann daher nur rückschauend in Kenntnis der vorgeschlagenen Lösung erfolgen.

2.2cc In den Dokumenten D6 und D7 ist jeweils ein als Schneidlinie bezeichnetes poliertes Schneidwerkzeug dargestellt und beschrieben. Die Fase des Schneidwerkzeugs wird jeweils durch eine Facette gebildet (vgl. Figuren). Offensichtlich liegen bei diesen Schneidwerkzeugen die Merkmale 1 bis 4a des Streitgegenstandes vor. Beim Polieren der durch Schaben hergestellten Schneide wird der scharfkantige Übergang zwischen Schneidefacette und Klingenseitenfläche zu einem fließenden Übergang mit Radius R oder einer Abrundung (vgl. D6, S. 25, 26, D7, untere Figur; Merkmal 5, Teile des Merkmals 5a).

Abweichend davon wird beim Streitgegenstand die Fase durch einen ersten und einen zweiten konvex gekrümmten Bereich mit jeweils bestimmtem Radius gebildet (Merkmale 4b, 5b, Teile des Merkmals 5a).

Nach Auffassung der Antragstellerin entnimmt der Fachmann sowohl dem Dokument D6 als auch dem Dokument D7 die Anregung, einen kantenfreien Übergang von der Fase zur Klingenseitenfläche bei dem Werkzeug nach der D1 vorzusehen, zumal damit die ihm bekannten Vorteile genutzt werden können. Ein Polieren des aus D1 bekannten Werkzeugs führe unmittelbar zum Lösen der im Streitgebrauchsmuster genannten Probleme und zu dessen Gegenstand.

Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Im Dokument D6 ist ausgeführt, dass sich durch den fließenden Übergang Vorteile beim Ablängen der Schneiden und beim Bilden von Verbindungen ergeben, da diese dann besser aufliegen. Der Polierprozess hinterlässt eine speziell gestaltete Oberfläche. Dabei wird kein Material entfernt, sondern dieses plastisch verformt. Die beim Schaben erzielten engen Toleranzen bleiben erhalten. Nur die Längsrillen an den Schneidefacetten werden verflacht. Daraus lässt sich nicht ableiten, dass durch Polieren eine geometrisch definierte Form erzeugt wird. Die nach Streitgebrauchsmuster geforderten kreisbogenförmigen Bereiche können demnach nicht erzeugt werden, insbesondere ist das Polieren nicht geeignet, bei balligen Schneiden deren Verlauf anzupassen. Vielmehr werden beim Polieren vorhandene Konturen weitgehend beibehalten, da kein gezielter Materialabtrag stattfindet. In D1 ist ausgeführt, dass die gekrümmte Oberfläche der Fase durch spanabhebende Bearbeitung, z. B. Schleifen, hergestellt wird (vgl. S. 14, 15). In einem Polieren dieser Oberfläche wird der Fachmann keine Möglichkeit zur Erzeugung eines exakten Konturenverlaufs sehen. Für Dokument D7 gilt Entsprechendes.

Soweit geltend gemacht wird, dass die Schneidlinien nach den Dokumenten D6 oder D7 den Fachmann dazu anregen, beim aus der D1 bekannten Schneidwerkzeug einen kantenfreien Übergang bestimmter Ausgestaltung vorzusehen, wird auf die Ausführungen im letzten Absatz unter 2.2cb verwiesen.

2.2cd Die Druckschriften US 2,049,157 (D2, vgl. Fig. 3), US 2,276,376 (D3, vgl. Fig. 14) und Europäische Stanzformunion (D4, S. 11, Figur) wurden in der mündlichen Verhandlung nicht mehr aufgegriffen. Bei den dort beschriebenen Werkzeugen besteht die Fase jeweils aus einem einzigen gekrümmten Bereich mit konstantem oder sich kontinuierlich veränderndem Krümmungsradius. Der Bereich geht ohne Übergangsabschnitt jeweils stetig in die Seitenfläche des Werkzeugs über. Die Anordnung eines konvex kreisbogenförmig gekrümmten Bereichs unmittelbar an einen anderen konvex kreisbogenförmig gekrümmten Bereich mit anderem Krümmungsradius wird durch diese Druckschriften nicht gelehrt und kann dies daher auch nicht nahelegen.

3. Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 18 Abs. 2 Satz 2 GebrMG i. V. m. § 84 Abs. 2 PatG und § 91 ff. ZPO. Die Billigkeit erfordert keine abweichende Entscheidung, § 84 Abs. 2 Satz 2 PatG.

Müllner Reinhardt Dr. Höchst Pr






BPatG:
Beschluss v. 08.12.2009
Az: 35 W (pat) 475/08


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