Sozialgericht Braunschweig:
Urteil vom 9. März 2004
Aktenzeichen: S 6 KR 164/00

(SG Braunschweig: Urteil v. 09.03.2004, Az.: S 6 KR 164/00)

Zur Versicherungspflicht eines als freier Mitarbeiter angestellten Rechtsanwalts in einer Rechtsanwaltskanzlei.Bestätigt durch Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 14.11.2007 Az: L 4 KR 118/04.

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um den versicherungsrechtlichen Status des Beigeladenen.

Die Kläger sind Rechtsanwälte mit Kanzlei in Braunschweig.

Mitte 1999 beantragte der Beigeladene bei der Beklagten die Feststellung seiner Pflichtmitgliedschaft ab 2. Januar 1998. Er sei vom 2. Januar 1998 bis 30. Juni 1999 bei den Klägern als abhängig beschäftigter, sozialversicherungspflichtiger Rechtsanwalt tätig gewesen. Er legte eine €Vereinbarung über Mitarbeiterschaft€ zwischen den Klägern und ihm vom 25. Juni 1998 vor und füllte am 18. August 1999 einen Fragebogen der Beklagten zur Beurteilung des Sozialversicherungspflicht aus. Wegen der Angaben im Fragebogen und des Inhalts des Vertrages wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

Mit Bescheid vom 4. Oktober 1999 an den Beigeladenen stellte die Beklagte fest, dass die Tätigkeit in der Zeit vom 2. Januar 1998 bis 30. Juni 1999 eine in der Krankenversicherung, Arbeitslosenversicherung, Rentenversicherung und Pflegeversicherung sozialversicherungspflichtige abhängige Beschäftigung gewesen sei. Mit Begleitschreiben vom 5. Oktober 1999 gab die Beklagte diesen Bescheid den Klägern zur Kenntnis. In der Begründung heißt es, der äußere Rahmen der Tätigkeit des Beigeladenen sei durch den abgeschlossenen Dienstvertrag begrenzt gewesen. Er sei an Weisungen seines Arbeitgebers hinsichtlich der Ausführung (Art und Weise) gebunden gewesen und habe seine Arbeitsweise nicht von Vornherein völlig selbst bestimmen dürfen. Es habe eine Bindung an Zeit und Dauer der Arbeitsleistung bestanden, da der Beigeladene eine regelmäßige Arbeits- und Anwesenheitszeit einzuhalten gehabt hätte. Dazu komme der Sachverhalt, dass der Beigeladene seinem Arbeitgeber regelmäßig Bericht über die Tätigkeit abzugeben hatte, die Arbeitsmittel kostenlos zur Verfügung gestellt bekommen habe und auch im Falle der Arbeitsunfähigkeit Anspruch auf Entgeltfortzahlung von sechs Wochen gehabt habe. Des weiteren habe ihm ein bezahlter jährlicher Erholungsurlaub zugestanden.

Dagegen legten die Kläger Widerspruch ein. Entscheidend für die Abgrenzung sei der Grad der persönlichen Abhängigkeit. Der Beigeladene habe im Wesentlichen seine Tätigkeit frei gestalten, seine Arbeitszeit selbst bestimmen und dabei seine persönliche Selbständigkeit wahren können. Er habe verschiedene Mandate nicht übernommen bzw. entgegen ihrem Wunsch Bemühungen zur Aquisition verschiedener Mandate nicht unternommen. Der Beigeladene habe darüber hinaus verschiedene Mandate auch nach Beendigung des Mitarbeiterverhältnisses selbständig weitergeführt. Er sei in seiner Arbeitsgestaltung ebenso frei gewesen wie die Gesellschafter der Kanzlei. Beispielsweise habe er den Umfang seines Erholungsurlaubes vollkommen frei bestimmen können. Der Beigeladene habe eigene Werbung betrieben und sei auf den Briefköpfen der Kanzlei verzeichnet gewesen. Über das am Haus angebrachte Kanzleischild sei auch Außenwerbung betrieben worden. Berichte über seine Tätigkeit habe er nicht abliefern müssen. Er habe Mandate eigenständig angenommen und bearbeitet. Darüber hinaus seien beide Vertragsparteien rechtskundig und mit der Problematik vertraut.

Auf Nachfrage der Beklagten erwiderte der Beigeladene hierzu, es sei nur bei eigenen Mandaten sein Name auf den Briefkopf gestempelt worden. Aus der Tätigkeit für die Kläger habe er nur zwei Mandate übernommen, das eines Freundes und das seiner Schwiegermutter. Auf dem Kanzleischild im Hausflur sei sein Name nur mit einem Aufkleber angebracht worden. Er habe vierzig Stunden in der Woche für die Kläger arbeiten müssen, also gar keine weitere Zeit für eigene anwaltliche Tätigkeit gehabt. Die Berichtspflicht ergebe sich aus § 3 Nr. 3 des Vertrages. Auch habe er keine freie Zeiteinteilung gehabt. Es sei seine Anwesenheit ganztägig im Büro erwartet worden. Er habe lediglich einen Urlaubsanspruch von 25 Tagen gehabt. Der Beigeladene legte dazu noch ein Zeugnis vom 15. Juni 1999 vor, welches ihm die Kläger ausgestellt hatten. Ebenso reichte er ein Kündigungsschreiben der Kläger vom 17. Mai 1999 ein. Dort heißt es : €Aufgrund der neuen gesetzlichen Regelungen zur Mitarbeit sehen wir uns gezwungen, die Vereinbarung über Mitarbeiterschaft zum 30. Juni 1999 zu kündigen€.

Mit Widerspruchsbescheid vom 13. September 2000 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Dagegen haben die Kläger am 16. Oktober 2000 Klage erhoben. Es habe ein Verhältnis freier Mitarbeiterschaft vorgelegen. Der Beigeladene habe im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen können. Er habe die gleiche Tätigkeit verrichtet wie ein freier Anwalt. Zum Beleg dafür reichten sie den Kanzleikalender des Beigeladenen für 1998 zu den Akten. Eine Pflicht zur Berichterstattung habe nicht bestanden. Lediglich ein Meinungsaustausch sei in der Kanzlei üblich gewesen. Der Beigeladene habe sein Dienstverhältnis bei der Rechtsanwaltskammer Braunschweig angezeigt, von dort seien keine Bedenken erhoben worden. Vorher sei der Beigeladene auch als Rechtsanwalt tätig gewesen. Er habe eine Zulassung als Rechtsanwalt und eine eigene Haftpflichtversicherung gehabt.

Die Kläger beantragen,

den Bescheid der Beklagten vom 4. Oktober 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. September 2000 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beigeladene stellt keinen Antrag.

Die Beklagte bezieht sich auf ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren und sieht sich durch die weiteren Erkenntnisse aus dem gerichtlichen Verfahren in ihrer Rechtsauffassung bestätigt.

Das Gericht hat in einem Verhandlungstermin am 2. Dezember 2003 die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten ausgiebig erörtert und in einem weiteren Verhandlungstermin am 9. März 2004 als Zeugin Frau H. geb. I. gehört. Frau J. war in der Zeit von 1996 bis Anfang 2000 ebenfalls freie Mitarbeiterin der Kläger. Wegen des Inhalts ihrer Zeugenaussage wird auf das Terminsprotokoll in der Gerichtsakte verwiesen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie der näheren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie auf die Gerichtsakten nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, verwiesen.

Gründe

Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig aber unbegründet.

18Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist nicht rechtswidrig. Der Beigeladene war in der Zeit vom 2. Januar 1998 bis 30. Juni 1999 in der Kanzlei der Kläger als Rechtsanwalt in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis tätig.

Die Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung hängt davon ab, dass eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt vorliegt (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung - (SGB V), § 20 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Elftes Buch - Gesetzliche Pflegeversicherung - (SGB XI), § 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI), § 25 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - (SGB III)). Das der Versicherungspflicht zu Grunde liegende gemeinsame Merkmal des abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ist in § 7 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Viertes Buch - gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - (SGB IV) geregelt. Danach ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis.

Entscheidendes Merkmal für die Beschäftigung im Sinne der Sozialversicherung ist die Nichtselbständigkeit der verrichteten Arbeit. Die Nichtselbständigkeit, d.h. die persönliche und wirtschaftliche Abhängigkeit vom Arbeitgeber, wird durch weitere Kriterien konkretisiert, die in eine Gesamtbewertung eingehen. Hierbei sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, wobei es auch auf die Verkehrsanschauung ankommt. Zu den bestimmten Merkmalen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses gehören unter anderem das Direktionsrecht des Arbeitgebers hinsichtlich Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung der Arbeit, kein bestimmender Einfluss des Arbeitenden auf die Willensbildung im Betrieb, keine im Wesentlichen frei gestaltete Arbeitstätigkeit, das Fehlen eines Unternehmerrisikos, die Vereinbarung einer festen Entlohnung und von Urlaub, die Fremdbestimmtheit der Tätigkeit sowie die Eingliederung in den Betrieb. Bei diesem zuletzt genannten Merkmal ist von Bedeutung, dass die tätig werdende Person in den betriebsorganisatorischen Zusammenhang eines fremden Betriebes eingegliedert, somit die Fremdbestimmtheit der Tätigkeit ein wesentliches Merkmal der Arbeitsleistung ist.

Bei Diensten höherer Art, wie im vorliegenden Fall bei der Tätigkeit eines Rechtsanwalts, wird das Weisungs- oder Direktionsrecht des Arbeitgebers durch das Kriterium der funktionsgerechten, dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess ersetzt, wenn, wie hier, eine besondere Sach- und Fachkunde des Dienstleistenden vorausgesetzt wird (Bundessozialgericht (BSG) vom 29.03.1962, BSGE 16, 289 f; BSG vom 31.07.1963, BSGE 19, 265 f; BSG vom 28.04.1964, BSGE 21, 57 f; BSG vom 31.07.1974, BSGE 38, 53 f).

Diese rechtlichen Kriterien gelten auch für die Prüfung, ob ein Rechtsanwalt in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis tätig ist. Zwar gehört der Beruf des Rechtsanwalts zu den freien Berufen, dies schließt aber nicht aus, dass ein Rechtsanwalt sich als Angestellter in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis befinden kann. § 2 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO), der besagt, dass der Rechtsanwalt einen freien Beruf ausübt und seine Tätigkeit kein Gewerbe ist, steht dem nicht entgegen. Mit dieser Regelung des Gesetzgebers, der entsprechende Vorschriften z.B. auch für die Berufe des Arztes (§ 1 Abs. 1 BÄO), des Wirtschaftsprüfers (§ 1 Abs. 2 WPO), des Patentanwaltes (§ 2 Abs. 1 PatAnwO) und des Seelotsen (§ 21 Abs. 1 Gesetz über das Seelotsenwesen) vorgesehen hat, wird nur eine Abgrenzung zu den gewerblichen Berufen vorgenommen. Für diese freien Berufe gilt das Gewerberecht nicht (§ 6 GewO). Kennzeichnend für die freien Berufe ist im Gegensatz zu den gewerblichen Berufen der persönliche Einsatz bei der Berufsausübung und damit zum Beispiel beim Rechtsanwalt ein enges Vertrauensverhältnis zum Mandanten, das in dieser Besonderheit zwischen einem Gewerbetreibenden und dessen Kunden nicht gegeben ist.

Der BRAO lässt sich entnehmen, dass der Beruf eines Rechtsanwalts nicht nur als Einzelanwalt, sondern auch als selbständiger Anwalt innerhalb einer Rechtsanwaltssozietät oder auch als angestellter Rechtsanwalt ausgeübt werden kann. Dies ergibt sich aus § 46 BRAO (Rechtsanwälte in ständigen Dienstverhältnissen) und § 47 BRAO (Rechtsanwälte im öffentlichen Dienst), die davon ausgehen, dass ein Rechtsanwalt auch in einem Beschäftigungsverhältnis stehen kann. § 59 c BRAO, der die Zulassung einer Rechtsanwaltsgesellschaft in Form einer GmbH ermöglicht, unterscheidet in den Folgeregelungen (§ 59e, § 59f BRAO) zwischen Rechtsanwälten als Gesellschafter und Rechtsanwälten, die auch Geschäftsführer sein können. Auch folgt daraus, dass das Berufsrecht die Ausübungsform des angestellten Rechtsanwalts kennt.

Die Rechsprechung des BSG hat in mehreren Entscheidungen zu den besonderen Differenzierungsmerkmalen zwischen der Tätigkeit eines Rechtanwalts in freier Mitarbeit und in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis Stellung genommen.

Nach dem Urteil des BSG vom 17.10.1969 (3 RK 67/66, BB 1969, 148 f) steht ein für einen anderen Rechtsanwalt in dessen Büro tätiger Rechtsanwalt, der über Ort und Zeit der Arbeit nicht frei bestimmen kann und für seine Tätigkeit eine feste Vergütung erhält, in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis. Das BSG hat hier wie bei anderen Diensten höherer Art nicht allein auf das Direktionsrecht des Arbeitgebers abgestellt, sondern auf das Merkmal der Eingliederung in einen übergeordneten Organismus. Es hat aufgrund einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles und unter besonderer Berücksichtigung der Zuteilung der Akten durch den Inhaber der Kanzlei, der Einhaltung der Dienststunden, der Regelung des Ortes der Tätigkeit und der festen Vergütung den Schluss auf das Bestehen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses gezogen.

In der weiteren Entscheidung vom 14.05.1981 (12 RK 11/80 = BB 1981, 1581 f) hat das BSG festgestellt, dass ein zugelassener Rechtsanwalt in der Kanzlei eines anderen Rechtsanwalts sowohl als abhängig Beschäftigter als auch als freier Mitarbeiter tätig sein kann. Der sich aus dem Anwaltsrecht ergebende berufliche Status, der mit der Zulassung zum Rechtsanwalt verliehen wird, lasse beide Arten der Erwerbstätigkeit zu. Die Eigenart der Anwaltstätigkeit als eine Dienstleistung höherer Art mit einer aus dem Status eines Organs der Rechtspflege fließenden und von der Form der Ausübung nicht berührten sachlichen Weisungsfreiheit einerseits und einem weitgehend durch Sachzwänge (Gerichtstermine, Beratungstermine, Umfang der Praxis) bestimmten zeitlichen und örtlichen Arbeitsablauf andererseits bringe es mit sich, dass sich das Abgrenzungsmerkmal der äußeren Weisungsgebundenheit hinsichtlich Zeit, Ort und Dauer des Arbeitseinsatzes so reduzieren kann, dass es eine sichere Unterscheidung zwischen abhängiger und selbständiger Ausübung nicht mehr erlaubt. Was die Eingliederung in die Kanzlei als die betriebliche Organisation anbetrifft, gilt auch hier, dass diese wegen der Eigenart der Berufsausübung eines Rechtsanwalts sowohl bei abhängiger Beschäftigung als auch bei freier Mitarbeit in erster Linie durch die Sachgegebenheiten bedingt wird. Auch der freie Mitarbeiter muss sich der sachlichen und personellen Ausstattung der Kanzlei bedienen. Dagegen können aus der Art der Vergütung deutlichere Rückschlüsse auf die rechtliche Natur des Arbeitseinsatzes gezogen werden, je nach dem, ob sie mit einem - ggf. pauschalierten - Verlustrisiko belastet ist, deshalb einer Gewinnbeteiligung gleich kommen oder ob sie lediglich als Gegenleistung für geschuldete Arbeitsleistung (bzw. Arbeitsbereitschaft) anzusehen ist. Nur für den Fall, dass die tatsächliche Ausgestaltung der Beziehungen der Anwälte etwa gleichermaßen die Deutung als abhängiges Beschäftigungsverhältnis wie auch als selbständiges freies Mitarbeiterverhältnis zulässt, ist darauf abzustellen, was die Vertragsschließenden gewollt haben.

Unter Beachtung dieser besonderen Abgrenzungsmerkmale geht die Kammer nach dem Gesamtbild der Tätigkeit des Beigeladenen in der Kanzlei der Kläger davon aus, dass er in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis als angestellter Rechtsanwalt im streitigen Zeitraum tätig gewesen ist. Die dafür sprechenden Merkmale überwiegen.

Für das Vorliegen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses spricht der Inhalt der am 25. Juni 1998 abgeschlossenen Vereinbarung über Mitarbeiterschaft. Als Rechtskundige müssen sich die Parteien dieses Vertrags auch an dem geschlossenen Inhalt festhalten lassen.

Aus diesem Vertrag ist zunächst das von der Rechsprechung besonders betonte Merkmal der Vereinbarung eines festen Gehaltes anzuführen. Die Zahlung von Umsatzsteuer hierauf ist lediglich ein unbedeutendes Indiz für die Selbständigkeit. Mit der Regelung in § 5 des Vertrags hatte der Beigeladene Anspruch auf ein gleichbleibendes Monatsgehalt ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche Entwicklung der Kanzlei der Kläger. Er war somit weder am Gewinn noch am Verlust beteiligt und hatte daher auch kein eigenes Unternehmerrisiko, das für einen Selbständigen typisch ist. Er hat zwar eigene Räumlichkeiten in der Kanzlei der Kläger gehabt (§ 3 des Vertrags), musste dazu aber keinen eigenen finanziellen Anteil tragen. Sein einziges Risiko bestand in der nach § 16 des Vertrages möglichen Kündigung, dem Risiko eines jeden Arbeitnehmers. Ferner war im Vertrag eine wöchentliche Mindestarbeitszeit vereinbart worden (§ 4 Absatz 1) mit der Pflicht zur Aufzeichnung der geleisteten Arbeitsstunden (§ 4 Absatz 2), also eine für ein Arbeitsverhältnis charakteristische Arbeitsbedingung. Weitere typische Regelungen eines Arbeitsverhältnisses waren die Gewährung von bezahltem Urlaub (§ 9) und die Vergütungsfortzahlung im Krankheitsfall (§ 8). Ein weiteres Indiz für ein Beschäftigungsverhältnis ist auch die Übernahme der Kosten der Berufshaftpflichtversicherung und der Kammerbeiträge durch die Kanzlei der Kläger (§§ 15, 15 a).

Der Beigeladene war nach § 3 Absatz 1 und 2 des Vertrages in den Betrieb der Kläger eingebunden. Er hat die sachlichen und personellen Mittel der Kanzlei in Anspruch genommen und war auch berechtigt, dem Kanzleipersonal Weisungen zu erteilen. Andererseits war er selbst Weisungsempfänger der Kläger. Aus § 2 des Vertrages ergibt sich, dass der Beigeladene die dort aufgezählten Arbeiten nach Anforderung durch die Kläger übernehmen musste. Er war sodann verpflichtet, die Kläger fortlaufend über die Erledigung der übernommenen Arbeiten zu unterrichten (§ 3 Absatz 3).

Nach dem Ergebnis der Befragung der Beteiligten und der Zeugin J. kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass dieser Vertrag in der tatsächlichen Arbeit des Beigeladenen keine Bedeutung mehr hatte. Die weitaus meisten Vertragsbedingungen hatten, unbestritten von den Beteiligten, uneingeschränkt Gültigkeit. Lediglich im Hinblick auf die Weisungsgebundenheit und die Berichtspflicht gehen die Behauptungen zwischen den Klägern und dem Beigeladenen auseinander. Ob solche Weisungen tatsächlich erteilt wurden und ob von den Klägern vom Beigeladenen tatsächlich Berichte abgefordert wurden, lässt sich nicht abschließend klären. Auch die ausführliche Zeugenbefragung hat hierzu keine Klärung gebracht. Die Zeugin J. hat zwar überzeugend geschildert, wie sich ihre Tätigkeit in der Kanzlei dargestellt hat. Sie selbst hatte nie das Gefühl, Weisungen erhalten zu haben oder Berichte abliefern zu müssen. Gleichwohl konnte sie keine Auskunft darüber geben, ob dies beim Beigeladenen der Fall war. Es kann auch nicht ohne weiteres aus den Schilderungen ihrer Tätigkeit auf die Verhältnisse beim Beigeladenen geschlossen werden. Sie hat selbst vorgetragen und die Kläger haben das auch bestätigt, dass das Verhältnis zwischen ihr und den Klägern einerseits und dem Beigeladenen und den Klägern andererseits ein anderes gewesen sei. Nach ihren Worten war die Chemie einfach anders. Letztlich kommt es aber nicht darauf an, ob der Beigeladene Weisungen tatsächlich erhalten hat und Berichte tatsächlich abliefern musste. Entscheidend ist, dass er vertraglich verpflichtet war Weisungen anzunehmen und Berichte abzugeben. Wenn die Kläger diese Rechte aus dem Arbeitsvertrag nicht wahrgenommen haben, kann das vielerlei Gründe gehabt haben. Insbesondere dann, wenn es wie hier um Dienste höherer Art geht, finden sich auch in eindeutigen Arbeitsverhältnissen die unterschiedlichsten Führungsstile der Arbeitgeber. Ein lockerer Führungsstil macht eine abhängige Beschäftigung noch nicht per se zur selbständigen Tätigkeit.

Da die Gründe für die Annahme eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses eindeutig überwiegen, kommt es nicht darauf an, was die Kläger bei Abschluss des Vertrages mit dem Beigeladenen gewollt haben. Darauf käme es nur bei einer unentschiedenen Situation an (vgl. BSG, Urteil vom 14. Mai 1981, a.a.O.). Die Kläger hatten es in der Hand, durch entsprechende und ausdrückliche Regelungen die Rechtsbeziehungen zum Beigeladenen so zu gestalten und zu praktizieren, dass diese ohne Verstoß gegen zwingende sozialversicherungsrechtliche Vorschriften ein selbständiges freies Mitarbeiterverhältnis begründet hätten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz,.






SG Braunschweig:
Urteil v. 09.03.2004
Az: S 6 KR 164/00


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