Bundespatentgericht:
Beschluss vom 13. Oktober 2000
Aktenzeichen: 14 W (pat) 24/00

(BPatG: Beschluss v. 13.10.2000, Az.: 14 W (pat) 24/00)

Tenor

Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und das Patent erteilt.

Bezeichnung: Hartstoffverstärkte Al2O3-Sinterkeramiken und Verfahren zu deren Herstellung Anmeldetag: 9. November 1996 Der Erteilung liegen folgende Unterlagen zugrunde:

Patentansprüche 1 bis 6, überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 13. Oktober 2000 Beschreibung Seiten 1 bis 21 sowie 1 Blatt Ergänzungen zur Beschreibung, überreicht in der mündlichen Verhandlung vom 13. Oktober 2000

Gründe

I Mit Beschluß vom 23. April 1998 hat die Prüfungsstelle für Klasse C 04 B die Patentanmeldung mit der Bezeichnung

"Hartstoffverstärkte Al2O3-Sinterkeramiken und Verfahren zu deren Herstellung"

zurückgewiesen.

Dem Beschluß liegen die ursprünglichen Ansprüche 1 bis 9 zugrunde, von denen Anspruch 1 wie folgt lautet:

"Hartstoffverstärkte Al2O3-Sinterkeramiken mit einer relativen Dichte von > 98,5 % und homogenen, überwiegend intergranular strukturierten Dispersionsgefügen, dadurch gekennzeichnet, daß die Gefüge enthalten - eine Korundmatrix mit 0 - 15 Vol.-% ZrO2 und - 5 - 50 Vol.-% einer Hartstoffphase auf Titanbasis TiCxNyOza) mit einem Sauerstoffanteil von z > 0,10 oderb) mit einem Sauerstoffanteil von z > 0,05 und einer deutlichen Unterstöchiometrie von (x+y+z) < 0,95 der Hartstoffphase, wobei die mittlere Korngröße jeder einzelnen Phase in den Gefügen kleiner als 1 µm ist."

Die Zurückweisung ist im wesentlichen damit begründet, wegen fehlender Angaben zum Wertebereich von x und y für die im Anspruch 1, Variante a genannte Hartstoffphase TiCxNyOz offenbare sich für den Fachmann keine Lehre, welchen Hartstoff er letztendlich einsetzen solle. Es bleibe für ihn offen, ob neben Titanoxykarbonitrid auch Titanoxykarbid, Titanoxynitrid und/oder Titanoxid eine Hartstoffphase im Sinne des Anspruchs 1, Variante a sei. Die Patentierungsvoraussetzung nach § 35 (2) PatG sei damit nicht erfüllt. Selbst bei Annahme einer klaren Lehre im Sinne der Ausführungen der Anmelderin wäre die beanspruchte Sinterkeramik zumindest nicht erfinderisch gegenüber dem durch die Entgegenhaltung

(1) EP 0 443 624 A1 belegten Stand der Technik.

Gegen diesen Beschluß richtet sich die Beschwerde der Anmelderin, mit der sie ihr Patentbegehren mit den in der mündlichen Verhandlung überreichten Patentansprüchen 1 bis 6 und einer hieran angepaßten Beschreibung weiterverfolgt. Die geltenden Patentansprüche lauten:

"1. Hartstoffverstärkte Al2O3-Sinterkeramiken mit einer relativen Dichte von > 98,5 % und homogenen, überwiegend intergranular strukturierten Dispersionsgefügen dadurch gekennzeichnet, daß ein Al2O3-Ausgangspulver mit Verunreinigungen < 1 Ma.-% eingesetzt ist und pulverförmige Ausgangsstoffe eingesetzt sind, deren als Metalloxid ausgedrückter Anteil bezogen auf den Gesamtversatz < 1 Ma.-% ist, und dass die Gefüge enthalten - eine Korundmatrix mit 0 - 15 Vol.-% ZrO2 und - 5 - 50 Vol.-% einer Hartstoffphase auf Titanbasis TiCxNyOz mit einem Sauerstoffanteil z kleiner oder höchstens gleich 0,50 a) mit einem Sauerstoffanteil von z > 0,10 oderb) mit einem Sauerstoffanteil von z > 0,05 und einer deutlichen Unterstöchiometrie von (x+y+z) < 0,95 der Hartstoffphase, wobei die mittlere Korngröße jeder einzelnen Phase in den Gefügen kleiner als 1 µm ist und die Gefüge eine hohe Vickers-Härte HV10>2100 aufweisen.

2. Hartstoffverstärkte Al2O3-Sinterkeramiken nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß der Anteil der Hartstoffphase 30 - 50 Vol.-% beträgt.

3. Hartstoffverstärkte Al2O3-Sinterkeramiken nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß der Anteil der Hartstoffphase 5 - 30 Vol.-% beträgt.

4. Verfahren zur Herstellung von hartstoffverstärkten Al2O3-Sinterkeramiken nach Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, daß bei der Herstellung des Versatzes die pulverförmigen Ausgangsstoffe Al2O3, TiCxNyOz, sowie gegebenenfalls ZrO2 in den in Anspruch 1 festgelegten Mengenverhältnissen in einem flüssigen Medium gemeinsam mischgemahlen werden, wobei ein Hartstoffpulver mit einer mittleren Korngröße von > 2 µm und einer spezifischen Oberfläche von < 3 m2/g eingesetzt wird und wobei ein Al2O3-Ausgangspulver mit Verunreinigungen < 1 Ma.-% eingesetzt wird und pulverförmige Ausgangsstoffe eingesetzt werden, deren als Metalloxid ausgedrückter Anteil bezogen auf den Gesamtversatz < 1 Ma.-% ist.

5. Verfahren nach Anspruch 4, dadurch gekennzeichnet, daß pulverförmige Ausgangsstoffe eingesetzt werden, die eine Komponente von 2 - 10 Ma.-% TiH2 enthalten.

6. Verfahren nach Anspruch 4, dadurch gekennzeichnet, daß als pulverförmiger Ausgangsstoff ein Hartstoffpulver mit einem Gehalt an freiem Kohlenstoff von < 0,15 Ma.-% eingesetzt wird."

Die Anmelderin trägt vor, die Fachwelt hätte TiO ohnehin nicht als Hartstoff aufgefaßt; mit der Aufnahme der Obergrenze für z in den Anspruch 1 seien aber diesbezügliche Bedenken in jedem Fall gegegenstandslos. In den neuen Anspruchsfassungen kämen auch die sowohl die Neuheit als auch eine erfinderische Tätigkeit begründenden Unterschiede der beanspruchten Sinterkeramiken gegenüber der Lehre von (1) deutlich zum Ausdruck.

Die Anmelderin beantragt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und das Patent mit folgenden Unterlagen zu erteilen:

Patentansprüche 1 bis 6 und Beschreibung 21 Seiten sowie 1 Blatt Beschreibungsergänzungen, überreicht in der mündlichen Verhandlung am 13. Oktober 2000.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II Die Beschwerde ist zulässig und auch begründet.

1. Gegen die Zulässigkeit der geltenden Ansprüche 1 bis 6 bestehen keine Bedenken.

Patentanspruch 1 geht inhaltlich auf die ursprünglichen Ansprüche 2 und 3 iVm Seite 17 Abs 3/4 der ursprünglichen Beschreibung zurück.

Das Verfahren nach dem geltenden Anspruch 4 ist im ursprünglichen Anspruch 7 in Verbindung mit Seite 16 Abs 1 der ursprünglichen Beschreibung offenbart.

Die Ansprüche 2, 3, 5 und 6 entsprechen den ursprünglichen Ansprüchen 4, 5, 8 und 9.

2. Die beanspruchten Al2O3-Sinterkeramiken und das Verfahren zu deren Herstellung sind in den Anmeldungsunterlagen so deutlich und vollständig offenbart, daß ein Fachmann sie ausführen kann.

Die Erzielung einer relativen Dichte von > 98,5 % und einer hohen Vickers-Härte HV > 2100 ist bei den im Anspruch 1 definierten Mengenverhältnissen von Al2O3 und Hartstoffphase und bei mittlerer Korngröße jeder Phase in den Gefügen unter 1 µm nach den Darlegungen der Anmelderin nach Variante a) des Anspruchs 1 bei einem Sauerstoffanteil der Hartstoffphase TiCxNyOz von z > 0,10 bis < 0,5 gewährleistet. Der Senat sieht keine Veranlassung, diese Ausführungen der Anmelderin in Zweifel zu ziehen.

Das Phasendiagramm des pseudoternären Systems TiC - TiN - TiO ist im Stand der Technik bekannt (vgl zB die in der ursprünglichen bzw geltenden Beschreibung S 8 Z 2 bis 6 genannte Literaturstelle Mh. Chemie 103 [4], 1972, 1130 bis 1137 sowie Ullmanns Encyklopädie der technischen Chemie, 4. Aufl, Bd 9, 1975, Seite 128 liSp vorle Abs). Damit sind auch die stöchiometrischen Hartstoffphasen mit z > 0,10 bis < 0,5 bekannt und Sinterkeramiken mit derartigen Hartstoffphasen für den Fachmann ausführbar.

TiO, das einerseits nach der Anmelderin keine geeignete Hartstoffphase im Sinne des Anspruchs 1, Variante a), darstellt aber andererseits in der Literatur schon als "Hartstoff" bezeichnet wurde (Ullmann aaO), ist durch die Obergrenze von 0,5 für z als möglicher Bestandteil der Sinterkeramik ausgeschlossen.

Die Ausführbarkeit ist aber auch für den Fall der Unterstöchiometrie mit x+y+z < 0,95 (Hartstoffphase nach Variante b) des Anspruchs 1) sichergestellt. In der dem Senat vorliegenden einschlägigen Literatur ist eine Phase der Stöchiometrie TiO0,5 nicht erwähnt, geschweige denn als Hartstoff beschrieben. Der Patentfähigkeit unter dem Gesichtspunkt der Ausführbarkeit und ausreichenden Offenbarung stünde es aber nicht entgegen, daß Anspruch 1 - rein theoretisch - eine Phase TiO0,5 einbezieht, die der Fachwelt am Anmeldetag gar nicht zur Verfügung stand (vgl BGH GRUR 1991, 518 (III. 2) "Polyesterfäden"). Der Fachmann wird vielmehr die Definition der Hartstoffphase gemäß Variante b) so verstehen, daß stets ein Carbid- und/oder Nitridanteil vorliegen oder mit anderen Worten x+y > O sein muß, so daß auch hierfür die Ausführbarkeit anzuerkennen ist, wie im übrigen schon das Ausführungsbeispiel belegt.

Für die Bestimmtheit der gemäß Anspruch 4 als Ausgangsstoff einzusetzenden Hartstoffphase TiCxNyOz gilt wegen der Rückbeziehung auf Anspruch 1 Vorstehendes sinngemäß, so daß auch dem Verfahren nach Anspruch 4 die Ausführbarkeit nicht abgesprochen werden kann.

3. Die Ansprüche 1 und 4 erfüllen auch das Gebot der Rechtssicherheit, welches im Interesse der Allgemeinheit ein präzise definiertes Schutzbegehren verlangt (vgl Schulte 5. Aufl PatG § 35 Rdn 46, 54 c).

Wie sich aus den zur Ausführbarkeit dargelegten Gründen ergibt, besteht für den Fachmann bei der nunmehr geltenden Fassung des Anspruchs 1 kein Zweifel, daß einerseits ein Sauerstoffanteil in der Hartstoffphase obligatorisch ist und andererseits binäre TiO-Zusammensetzungen keine Hartstoffphasen im Sinne des Anspruchs 1 sind.

Sofern also mit der Beanstandung des angefochtenen Beschlusses, es bleibe aufgrund der in der Anmeldung gewählten Formulierung für den Fachmann offen, ob außer Titanoxykarbonitrid auch Titanoxykarbid, Titanoxynitrid und/oder Titanoxid anspruchsgemäße Hartstoffphasen seien, (auch) die Klarheit des Patentanspruchs als gemäß § 35 PatG zu fordernde Patentierungsvoraussetzung in Zweifel gezogen werden soll, könnte dieser Vorwurf ebenfalls nicht durchgreifen.

Auch der Verfahrensanspruch 4 wird dieser Anforderung hinreichend gerecht, obwohl nicht sämtliche zur Herstellung einer Sinterkeramik erforderlichen Maßnahmen im einzelnen aufgeführt sind. Für den Fachmann ist ohne weiteres ersichtlich, daß die Besonderheit des beanspruchten Herstellungsverfahrens in der Herstellung des Versatzes unter gemeinsamer Naßmahlung der Ausgangspulver liegen soll und daß die im Anspruch nicht näher spezifizierten Herstellungsschritte die für die Herstellung von Sinterkeramik allgemein üblichen, dem Fachmann geläufigen sind.

4. Die hartstoffverstärkten Al2O3-Sinterkeramiken nach dem geltenden Anspruch 1 sind neu.

Sie unterscheiden sich von den aus (1) Ansprüche 1 und 2 bekannten Sinterkeramiken schon durch die Stöchiometrie der Hartstoffphase TiCxNyOz. Während der Sauerstoffanteil z nach (1) Anspruch 2 höchstens 0,1 betragen darf, liegt er bei der anspruchsgemäßen Variante a) über 0,1 und bei der Variante b), gemäß der z auch Werte unter 0,1 annehmen kann, beträgt die Unterstöchiometrie für (x+y+z) weniger als 0,95, wogegen nach (1) Anspruch 2 nur ein Minimum von 0,95 erlaubt ist.

Nun umfaßt die Offenbarung von (1) mit Beispiel 21 der Tabellen 3-1a und 4 auch eine Sinterkeramik mit einer Hartstoffphase, die nicht die in Anspruch 2 definierten Bedingungen erfüllt, nämlich TiC0,8 O0,2. Diese weist aber einen Gehalt von 3 % CeO2 auf, der nach dem geltenden Anspruch 1 vorliegender Anmeldung ausgeschlossen ist, weil der Anteil von anderen Metalloxiden bezogen auf die eingesetzten Ausgangspulver jeweils unter 1 Ma.-% ist, so daß die gesamte Sinterkeramik ebenfalls keinen höheren Anteil aufweisen kann.

Da die weiteren dem Senat vorliegenden Druckschriften, von denen keine im Prüfungsverfahren entgegengehalten worden ist, einen entfernter liegenden Stand der Technik betreffen, können sie die Neuheit der beanspruchten Keramik nicht in Frage stellen.

5. Die beanspruchten Al2O3-Sinterkeramiken beruhen auch auf einer erfinderischen Tätigkeit.

Mit dem Einsatz einer Hartstoffphase mit einem hohen Sauerstoffanteil z über 0,1 gemäß Variante a), mit einer deutlichen Unterstöchiometrie von (x+y+z) unter 0,95 gemäß Variante b) sowie einem Gehalt an von Al2O3 und ZrO2 verschiedenen Metalloxiden unter 1 Ma.-%, also einer allenfalls unter diesem Wert liegenden Dotierung der Sinterkeramik wird außerhalb der nach der Lehre von (1) vorteilhaften Bereiche gearbeitet.

Nach den Darlegungen der Anmelderin werden mit diesen Merkmalen in Verbindung mit den übrigen Merkmalen des Anspruchs 1 Sinterkeramiken mit hoher Dichte und mittleren Korngrößen jeder einzelnen Phase in den Gefügen kleiner als 1 µm Sinterkeramiken definiert, die den aus (1) bekannten hinsichtlich ihrer mechanischen Eigenschaften, insbesondere hinsichtlich der Vickershärte, deutlich überlegen sind. Dem Senat sind keine Gesichtspunkte bekannt, die zu Zweifel an diesem Vorbringen der Anmelderin führen könnten.

Da weder aus (1) noch aus den anderen dem Senat vorliegenden Druckschriften Hinweise abzuleiten sind, die dem Fachmann eine derartige Abänderung des Standes der Technik nach (1) nahelegen könnten, um damit zu mechanisch überlegenen Sinterkeramiken zu gelangen, kann den beanspruchten Sinterkeramiken das Beruhen auf einer erfinderischen Tätigkeit nicht abgesprochen werden.

6. Die Patentfähigkeit des Verfahrens nach Anspruch 4 wird sinngemäß schon von den für das damit bereitgestellte Erzeugnis ausgeführten Gründen getragen. Daher erübrigen sich Erwägungen darüber, ob die Maßnahme des Mischmahlens der Ausgangspulver in einem flüssigen Medium einen eigenständigen Beitrag zur Patentfähigkeit des beanspruchten Verfahrens liefern könnte.

7. Nach alledem sind die Ansprüche 1 und 4 gewährbar.

Die Ansprüche 2 und 3 bzw 5 und 6 betreffen Ausführungsformen der Sinterkeramiken nach Anspruch 1 bzw des Herstellungsverfahrens nach Anspruch 4, welche nicht platt selbstverständlich sind. Diese Unteransprüche sind daher mit den Ansprüchen 1 und 4 gewährbar.

Bei dieser Sachlage war der angefochtene Beschluß aufzuheben und das Patent 196 46 334 antragsgemäß zu erteilen.

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BPatG:
Beschluss v. 13.10.2000
Az: 14 W (pat) 24/00


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