Oberlandesgericht Düsseldorf:
Urteil vom 14. November 2006
Aktenzeichen: I-24 U 190/05

(OLG Düsseldorf: Urteil v. 14.11.2006, Az.: I-24 U 190/05)

Tenor

Die Beklagte wird unter Abweisung ihrer Widerklage verurteilt, an die Klägerin 803,56 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 06. Dezember 2002 zu zahlen.

Die Kosten beider Rechtszüge werden der Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I. Das zulässige Rechtsmittel hat in der Sache Erfolg. Rechtsfehlerhaft hat das Landgericht die Resthonorarklage der klagenden Rechtsanwaltsgesellschaft (GbR) abgewiesen (803,56 EUR nebst Zinsen) und sie zu Schadensersatz (1.861,44 EUR nebst Zinsen) sowie Freistellung (4.942,85 EUR) wegen angeblicher Schlechterfüllung des Anwaltsdienstvertrags verurteilt. Der Senat teilt nicht die Beurteilung des Landgerichts, die Beklagte habe wegen schuldhafter Vertragsverletzung des sachbearbeitenden Rechtsanwalts Dr. C. (nachfolgend Kläger genannt) den Anwaltsvertrag aus wichtigem Grund kündigen dürfen, mit der Folge, dass der Rechtsanwalt seinen Honoraranspruch verloren hätte.

1. Wird - was gemäß § 627 BGB beiderseits jederzeit möglich ist - der Anwaltsvertrag gekündigt, behält der Rechtsanwalt gemäß § 628 Abs. 1 Satz 1 BGB grundsätzlich den Vergütungsanspruch, und zwar in dem Umfang, in dem er Leistungen erbracht hat, § 13 Abs. 4 BRAGO. Im Streitfall hatte der Kläger im Zeitpunkt der Kündigung (14. November 2002) das in der Kostennote vom 14. März 2003 abgerechnete Honorar nach Grund und Höhe durch das Betreiben des Geschäfts und die Wahnehmung des Senatstermins verdient. Das leugnet auch die Beklagte nicht mehr.

2. Gemäß § 628 Abs. 1 Satz 2 BGB verliert der Rechtsanwalt seinen Honoraranspruch aber, wenn er selbst ohne wichtigen Grund kündigt oder wenn er durch sein schuldhaft vertragswidriges Verhalten die Kündigung des Mandanten veranlasst hat (so genanntes Auflösungsverschulden) und wenn seine bisherigen Leistungen für den Mandanten ohne Interesse sind (BGH NJW 1995, 1954 = MDR 1995, 854). Da dies die Ausnahme von der Regel ist, trägt der Mandant die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen, die zur Kürzung oder zum Wegfall des Honoraranspruch führen sollen (BGH NJW 1982, 437, 438 und 1997, 188).

3. Unter Anlegung dieses Maßstabs trifft den Kläger kein Auflösungsverschulden. Weder die einzelnen Vorwürfe noch ihre Gesamtwürdigung rechtfertigen eine Kündigung aus wichtigem Grund, so dass der Vergütungsanspruch des Klägers erhalten bleibt.

a) Die Ansicht der Beklagten, der Kläger habe gegen Vertragspflichten verstoßen, als er ihr erst auf Anforderung eine Kopie der von der Berichterstatterin im Vorprozess erlassenen Verfügung vom 25. April 2002 (Beiakte I-8 U 128/05 OLG Düsseldorf, künftig: Verfügung) überließ, ist unrichtig. Nach der Verfügung sollte sie persönlich erklären, dass sie "der Beiziehung weiterer Behandlungsunterlagen zustimmt und die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbindet" (künftig: Entbindungserklärung genannt). Ein Verstoß gegen § 11 Abs. 1 BORA stellte das deshalb nicht dar, weil der Kläger der Beklagten in Umsetzung der Verfügung sogleich eine vorformulierte Entbindungserklärung (künftig: Formular) zukommen ließ, die zwar im Wortlaut, nicht aber in der Sache von der Verfügung abwich. Die Ansicht der Beklagten, das Formular sei viel weitergehender als die Verfügung, trifft nicht zu. Der Begriff "Behandlungsunterlagen" erfasst ersichtlich auch solche Dokumente, die sich nicht (mehr) in der Hand von Ärzten, sondern in der Hand von Behörden (z. B. Rentenversicherungsträger, Versorgungsamt usw) befinden; außerdem erfassen sie solche nichtärztlicher Therapeuten, also etwa Physiotherapeuten, Psychologen usw. Das Formular (Abs. 1) nannte diese in Betracht kommenden Personen und Stellen im Unterschied zur Verfügung ausdrücklich, ohne etwas Anderes zu regeln. Auch der Absatz 2 des Formulars geht in der Sache nicht weiter als mit der Verfügung bezweckt gewesen ist. Unter den "als Beteiligte in Betracht kommenden" Stellen, denen die Angehörigen/Bediensteten der Heilberufe/Krankenanstalten/Behörden Auskunft geben können sollten, waren ersichtlich nur diejenigen gemeint, die als Gerichte, Rechtsanwälte, Versicherungsgesellschaften, Behörden usw mit dem Vorprozess zu tun hatten, die also schon nach den einschlägigen Regeln der Prozessordnung Anspruch auf Einsichtnahme in die Behandlungsunterlagen und Kenntnis von ärztlichen Auskünften nehmen dürfen. Deshalb war die Auskunft des Klägers, das Formular sei nicht einschränkbar, entgegen der Ansicht des Landgericht in der Sache richtig.

b) Dass der Kläger erst am 16. September 2002 Einsicht in die vom Gericht angeforderten und inzwischen eingetroffenen Behandlungsunterlagen beantragt hatte, war ebenfalls objektiv kein Vertragsverstoß. Die Behandlungsunterlagen sollten die mit der Begutachtung beauftragten Sachverständigen vollständig informieren und bei der Gutachtenerstattung unterstützen. Sie brauchten daher vor der am 07. Oktober 2002 angesetzten Beweisaufnahme nicht schriftsätzlich verarbeitet zu werden. Es war also völlig ausreichend, dass der Kläger erst am 23. September 2002 Akteneinsicht nahm.

c) Zu Unrecht macht die Beklagte weiter geltend, der Kläger habe sich durch die im Schrifsatz vom 16. September 2002 vorbehaltene Mandatsniederlegung für den Fall, dass die Beklagte darauf bestehe, dass auch Rechtsanwalt K. vor Gericht auftrete, vertragswidrig verhalten. Die Beklagte übersieht, dass diese zugegebenermaßen heftige Reaktion von ihr selbst provoziert worden ist, wobei sie sich das Verhalten von Rechtsanwalt K. zurechnen lassen muss (§ 278 BGB).

aa) Mit Schriftsatz vom 05. September 2002 hatte sich Rechtsanwalt K., der die Beklagte im Vorprozess in I. Instanz vertreten hatte, unter Vorlage einer von der Beklagten gezeichneten Prozessvollmacht vom 04. September 2002 zum Terminsbevollmächtigten bestellt und um Akteneinsicht gebeten, ohne dass diese Verfahrensweise mit dem Kläger abgesprochen worden war. Mit Schriftsatz vom 16. September 2002 meldete sich sodann Rechtsanwalt K. bei dem Kläger mit der Ankündigung der bevorstehenden Terminsteilnahme. Gleichzeitig kritisierte er (wie festgestellt zu Unrecht), dass der Kläger nach der Beiziehung der Behandlungsunterlagen noch keine Akteneinsicht genommen habe. Der vom Kläger gewonnene Eindruck, Rechtsanwalt K. solle ihn in erster Linie kontrollieren, statt ihn zu unterstützen, ist richtig. Das der Beklagten zuzurechnende überfallartige Vorgehen des Rechtsanwalts K. ist unter kooperierenden Rechtsanwälten nach Kenntnis des Senats, der sich seit vielen Jahren mit Anwaltssachen befasst, unüblich.

bb) Dass der Eindruck richtig ist, zeigen die weiteren Ereignisse. In der Folgezeit führte die Beklagte ohne Beteiligung des Klägers eine persönliche Besprechung mit Rechtsanwalt K., aus welcher ihre an den Kläger gerichteten "Weisungen" vom 04. November 2002 (dazu sogleich noch sub lit. d) hervorgegangen sind. Im nachgelassenen Schriftsatz vom 31. Oktober 2006 räumt die Beklagte das ein, was sie im Senatstermin und im vorgenannten Schriftsatz (in anderem Zusammenhang) bestritten hat: Sie hat den Rechtsanwalt K. beauftragt, "nachdem der Kläger ihre anwaltliche Betreuung schleifen ließ, um es einmal ganz vorsichtig auszudrücken …". Im Zeitpunkt der Beauftragung des Rechtsanwalts K. am 04. September 2002 (und auch danach) kann aber nicht festgestellt werden, dass der Kläger das Mandat nachlässig bearbeitet hat. Das Verhalten der Beklagten war ein Ausdruck tiefen, aber unbegründeten Misstrauens gegenüber dem Kläger, was diesen und nicht die Beklagte mit Blick auf deren anderweitige nicht kooperative anwaltliche Beratung zur außerordentlichen Kündigung des Anwaltsvertrags aus wichtigem Grund gemäß § 626 Abs. 1 BGB berechtigt hätte (vgl. Senat OLGR Düsseldorf 2001, 233).

d) Vor diesem Hintergrund sind die an den Kläger gerichteten, zuvor ohne seine Beteiligung und mit Hilfe des Rechtsanwalts K. abgesprochenen "Weisungen" der Beklagten vom 04. November 2002 zu würdigen. Vergleicht man sie mit dem Berichterstatter ("BE")-Vermerk und dem Schriftsatz vom 18. November 2002, den Rechtsanwalt K. nach der Kündigung des hier umstrittenen Mandats verfasst hat, wird deutlich, dass es in der Sache eher um Marginalien gegangen ist. Die von Rechtsanwalt K. aufgegriffenen "Unrichtigkeiten" im BE-Vermerk, nämlich die nicht protokollierten Bemerkungen des Sachverständigen N. dazu, dass die Klägerin zu einem Zeitpunkt verletzt worden sei, der für ihre Karriereplanung besonders ungünstig gewesen sei und dass es zweifelhaft sei, ob die Klägerin einen Arbeitgeber finde, der sie trotz ihrer Behinderung beschäftigen werde, betreffen nicht neurologische Fragestellungen, so dass sie auch bei ausdrücklichem Antrag mangels rechtlicher Relevanz nicht zu protokollieren gewesen wären, § 160 Abs. 4 Satz 2 ZPO. Die anderweitig anwaltlich beratene Klägerin hat übersehen und übersieht, dass der BE-Vermerk ungeachtet des mitlaufenden Magnetbandes kein Wortprotokoll darstellt, auf welches sie zugreifen kann, sondern eine von der höchstrichterlichen Rechtsprechung gerade in Arzthaftungssachen gebilligte gerichtsinterne Hilfe bei der Zusammenfassung des durch mündliche Befragung des Sachverständigen gewonnenen Beweisergebnisses darstellt (vgl. BGH NJW 2003, 2311 m.w.N.). Vor diesem Hintergrund war es mit Blick auf die von dem Kläger zu verantwortende umfassende Würdigung des gewonnenen Beweisergebnisses im Schriftsatz vom 25. Oktober 2002 sowie seine Erläuterungen zu dem BE-Vermerk im Schriftsatz vom 07. November 2002 unter den besonderen Bedingungen des Streitfalls kein Vertragsverstoß, als sich der Kläger weigerte, den provokativ gemeinten "Weisungen" der Beklagten vom 04. November 2002 nachzukommen. Auf diese Weigerung konnte die Beklagte ihre Kündigung nicht stützen. Dass sie kein Vertrauen (mehr) zu dem Kläger hatte, berechtigte sie gewiss zu einer Kündigung gemäß § 627 BGB, indes nicht zur Verweigerung der Honorarzahlung.

e) Der vorliegende Fall ist im Übrigen nicht mit dem Streit zu vergleichen, den der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf am 14. September 2006 (AZ. I-8 U 128/05) zu entscheiden hatte. Dort ging es darum, dass der Rechtsanwalt einen vom Gericht unterbreiteten Vergleichsvorschlag ohne Rücksprache mit der Beklagten abgelehnt hatte.

II. Aus den Erwägungen zu Nr. I der Gründe ergibt sich zwanglos, dass die auf Schadensersatz gerichtete Widerklage keinen Erfolg haben kann.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Es besteht kein Anlass, die Revision zuzulassen; die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts, § 543 Abs. 2 ZPO.

Z. T. S.

Vors. Richter am OLG Richter am OLG Richter am OLG






OLG Düsseldorf:
Urteil v. 14.11.2006
Az: I-24 U 190/05


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