Landgericht Köln:
Urteil vom 21. September 2011
Aktenzeichen: 28 O 596/11

(LG Köln: Urteil v. 21.09.2011, Az.: 28 O 596/11)

Tenor

Die einstweilige Verfügung des Landgerichts Köln vom 29.07.2011, Aktenzeichen 28 O 596/11, wird in Ziffer 1 a) des Entscheidungsausspruchs bestätigt.

Im Übrigen die einstweilige Verfügung vom 29.07.2011 einschließlich ihrer Kostenentscheidung aufgehoben und der Antrag auf ihren Erlass vom 25.07.2011 zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Verfügungsklägerin ist auf dem Gebiet des Immobilieninvestmentgeschäfts tätig. Sie wurde im Jahr 2003 gegründet und beschäftigt etwa 100 Mitarbeiter. Ihr Kerngeschäft besteht unter anderem im Immobilien-Asset-Management. Der Verfügungsbeklagte ist Rechtsanwalt und unter anderem auf den Gebieten des Bank- und Börsenrechts sowie des Kapitalmarkt- und Wertpapierrechts tätig. Er vertritt Kapitalanleger.

Zum Erwerb von Wohn- und Geschäftsimmobilien emittiert die Verfügungsklägerin Hypothekenanleihen, von denen bisher eine Anleihe zur Rückzahlung fällig wurde. Das Geschäftsmodell der Verfügungsklägerin besteht darin, Immobilien zu einem Preis von höchstens 90 % des Verkehrswerts zu erwerben, um sie anschließend gewinnbringend zu verkaufen. 85 % der Emissionserlöse stellen nach den Anleihebedingungen so genannte „gebundene Mittel“ dar, die dem Erwerb von Immobilien dienen und zu deren Gunsten erstrangige dingliche Pfandrechte zu bestellen sind. Die restlichen 15 % der Emissionserlöse aus einer Anleihe stehen der Gesellschaft dagegen zur freien Verfügung. Aus ihnen werden Instandsetzungskosten, Emissionskosten und weitere Kosten des Geschäftsbetriebs beglichen; sie dürfen aber auch zu anderen Zwecken eingesetzt werden.

Die Anleiheobjekte müssen bei Erwerb den Investitionskriterien entsprechen wie sie in den Anleihebedingungen niedergelegt sind. In § 10 Abs. 1 d) der Anleihebedingungen für die Hypothekenanleihe WGFH 08 heißt es außerdem (Anlage AG 11, Bl. 118):

„Ein diesen Anleihebedingungen unterliegender Hypothekenerwerb für die Hypothekenanleihe 2011/2017 kann erfolgen durch:

d. Die Abtretung (unterschiedlicher Treuhänder) oder Umwidmung (gleicher Treuhänder) von Dinglichen Sicherungsrechten von einer anderen Hypothekenanleihe der X AG in die Hypothekenanleihe der X AG in die Hypothekenanleihe 2011/2017.

Mit Bezug auf diese Regelung sieht § 12 Abs. 6 d) vor:

„Bei der Abtretung (unterschiedlicher Treuhänder) oder Umwidmung (gleicher Treuhänder) von Dinglichen Sicherungsrechten von einer anderen Hypothekenanleihe der X AG in die Hypothekenanleihe 2011/2017 im Sinne des Absatzes 1 lit. d) gelten die in diesem Absatz aufgestellten Investitionskriterien für die mit den abgetretenen oder umgewidmeten Dinglichen Sicherungsrechten belasteten Immobilien entsprechend.“

Die Sicherungshypothek oder Grundschuld muss nach den Anleihebedingungen der Hypotheken außerdem auf einen Betrag in Höhe von mindestens 90 % des für die jeweilige Immobilie ermittelten Verkehrswertes oder mindestens 125 % des Erwerbsnebenpreises ohne Erwerbsnebenkosten lauten. Die Verwendung der gebundenen Mittel unterliegt der Kontrolle durch den Mittelverwendungskontrolleur.

Am 13.07.2011 gab der Verfügungsbeklagte mit Bezug auf die Verfügungsklägerin mitgeteilten Bonitätsratings unter der Überschrift „X-Anleihen-Ratings gelten nicht mehr! Auch sonst Ungereimtheiten bei X€“ eine Pressemitteilung heraus, die er auf seiner Internetseite „www.anonym1.de“ veröffentlichte. Am Ende der Pressemitteilung heißt es (Anlage ASt 3, Bl. 14 d. A.):

„15 % der Einnahmen aus Anleihe-Emissionen darf die X AG ausweislich des Emissionsprospekts grundsätzlich frei verwenden. Die grundbuchrechtliche Absicherung der Anleihen erfolgt für die verbleibenden 85 % der jeweiligen Nennwerte. ‚Faktisch geht es bei dem Handel mit den X-Anleihen also - zumindest diese 15 % betreffend - um eine im Wertpapierprospekt offen gelegte Auszahlung von Altgläubigern mit dem Geld von Neuanlegern‘, urteilt Anwalt A und fragt, was man davon halten soll: ‚Was ist mit der Mehrzahl der Anleihengläubiger, die den umfangreichen Wertpapierprospekt nie zu Gesicht bekommen haben“

Am 14.077.2011 berichtete sodann der Internetdienst „www.anonym2.de“ unter der Überschrift „Schneeballsysteme mit Anleihen“ unter anderem wie folgt (Anlage ASt 4, Bl. 16 f. d. A.):

„Die Problematik der sinkenden Sicherheiten (Bonitäten) auf den internationalen Anleihenmärkten ist deshalb so gravierend, weil nicht nur jeweils die neuen, zusätzlichen Staatsschulden finanziert werden. In weit größerem Umfang müssen alte Schulden mit neuen Schulden zurückgezahlt werden, wenn früher ausgegebene Anleihen fällig werden. Im Grunde ist das, was auch die Bundesregierung mit den Staatsschulden macht, nichts Anderes als ein Schneeballsystem.

Manche Anleihemodelle haben sich als betrügerische Schneeballsysteme erwiesen; zuletzt der Z-Fonds aus New York. In ihm haben Tausende - auch deutsche - Anleger Milliarden-Summe verloren. Andere Schneeballsysteme sind in den Prospekten, beispielsweise der X-Hypothekenanleihen, als Ausnahmeregelungen beschrieben und damit grundsätzlich erlaubt. Die staatlichen Schneeballsystem funktionieren so lange …“

Gegen Ende des Beitrags heißt es unter der Unterüberschrift „Zweifel an X-Hypothekenanleihen“:

„Eine Wiederholung der „BBB“-Ratings ist nach Vorlage des Geschäftsberichts für 2010 schwerlich zu erwarten: ‚Wir warten auf die Beantwortung von Fragen‘, heißt es in Neuss. ‚Die Erwähnung des Begriffs „Mündelsicherheit“ im Zusammenhang mit diesen Anleihen, ist vor dem Hintergrund sehr fraglich‘, urteilt Kapitalanlegeranwalt A von der Kanzlei ANONYM.de aus Düsseldorf. Die Immobilien, die als Sicherheit für die Hypothekenanleihen dienen, sind laut Geschäftsbericht mit mehr als 1.400 € pro Quadratmeter enorm hoch beliehen; und zwar nicht durch Banken sondern durch die X-Experten unter Chef T. Die Zinsen für die Anleihen sowie die Personalkosten für die Verwaltung der Immobilien beliefen sich 2010 auf umgerechnet knapp 10 € pro m2 und Monat. So viel Miete ist für Objekte, wie sie die X AG hält, nicht zu erzielen. Das zeigen Vergleiche mit Mieten anderen Immobiliengesellschaften. Wie viel Miete die X 2010 tatsächlich eingenommen hat, gibt sie bislang nicht an. Wie viel Gewinn sie mit dem Verkauf von Objekten an konzernfremde Käufer gemacht hat, gibt sie ebenfalls nicht an. Sofern nicht erhebliche Verkaufsgewinne erzielt werden, sind die laufenden Kosten der X nicht gedeckt. Mitte November 2011 muss eine Anleihe über 30 Mio. € zurückgezahlt werden. Vorsichtshalber sehen die Bedingungen der X-Anleihen vor, dass ihre Rückzahlungen auch mit Geld aus neu auszugebenden Anleihen vorgenommen werden kann. „Das ist ein Schneeballsystem“, schimpft Anwalt A.“

Am 19.07.2011 veröffentlichte der Verfügungsbeklagte eine weitere Pressemitteilung unter der Überschrift „X-Anleihen-Ratings gelten nicht mehr. Legitimes Schneeballsystem.“, in der er erneut zum Rating der X-Anleihen und dem praktizierten Geschäftsmodell der Verfügungsklägerin Stellung nahm (Anlage ASt 5, Bl. 22 d. A.).

Mit Schreiben vom 20.07.2011 mahnte die Verfügungsklägerin den Verfügungsbeklagten wegen seiner Äußerungen ab und forderte ihn zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf (Anlage ASt 6, Bl. 24 d. A.). Eine solche Erklärung gab der Verfügungsbeklagte nicht ab.

Auf Antrag der Verfügungsklägerin vom 25.07.2011 hat das Landgericht Köln dem Verfügungsbeklagten mit Beschluss vom 29.07.2011 im Wege der einstweiligen Verfügung (Az: 28 O 596/11) unter Androhung der im Gesetz vorgesehenen Ordnungsmittel verboten,

in Bezug auf X-Anleihen zu behaupten und/oder behaupten zu lassen bzw. zum Abruf bereit zu halten und/oder zum Abruf bereit halten zu lassen,

a) wie geschehen unter www.anonym1.de vom 13.07.2011 sowie in der Pressemitteilung vom 19.07.2011

„15 % der Einnahmen aus Anleihe-Emissionen darf die X AG ausweislich des Emissionsprospekts grundsätzlich frei verwenden. Die grundbuchrechtliche Absicherung der Anleihen erfolgt für die verbleibenden 85 % der jeweiligen Nennwerte. ‚Faktisch geht es bei dem Handel mit den X-Anleihen also - zumindest diese 15 % betreffend - um eine im Wertpapierprospekt offen gelegte Auszahlung von Altgläubigern mit dem Geld von Neuanlegern‘, urteilt Anwalt A und fragt, was man davon halten soll: ‚Was ist mit der Mehrzahl der Anleihengläubiger, die den umfangreichen Wertpapierprospekt nie zu Gesicht bekommen haben“

b) wie geschehen gegenüber www.anonym2.de vom 14.07.2011

„Das ist ein Schneeballsystem“, schimpft Anwalt A …

c) wie geschehen in der Pressemitteilung vom 19.07.2011

„Legitimes Schneeballsystem“

Gegen die einstweilige Verfügung des Landgerichts Köln vom 29.07.2011 hat der Verfügungsbeklagte mit Schriftsatz vom 11.08.2011 Widerspruch eingelegt und diesen unter Bezugnahme auf seine Schutzschrift vor dem Landgericht Düsseldorf begründet.

Die Verfügungsklägerin behauptet, die Äußerung des Verfügungsbeklagten, es würden lediglich 85 % der Emissionserlöse grundbuchrechtlich abgesichert, sei unzutreffend. In der Praxis würden zur Absicherung der Anleihegläubiger immer Grundpfandrechte in Höhe von 125 % des jeweiligen Erwerbspreises ohne Erwerbsnebenkosten sowie jährliche Zinsen von 15 % im Grundbuch eingetragen. Damit sei der gesamte Emissionserlös abgesichert, was die Verfügungsklägerin durch eine Beispielrechnung (Bl. 55 d. A.) verdeutlicht.

Die Behauptung des Verfügungsbeklagten, die Mehrzahl der Anleihegläubiger bekäme den umfangreichen Wertpapierprospekt nie zu Gesicht, sei ebenso falsch. Die Verfügungsklägerin stelle über Banken- und Finanzdienstleistungsinstitute sicher, dass die Anleihegläubiger den Wertpapierprospekt erhielten. Soweit Anleihegläubiger die Anleihe online zeichnen wollten, werde durch technische Vorkehrungen sichergestellt, dass die Zeichnung der Anleihe online nur erfolgen könne, wenn sich der Anleihegläubiger den Wertpapierprospekt heruntergeladen habe.

Die Bezeichnung des Geschäftsmodells der Verfügungskläger als „Schneeballsystem“ sei unzulässig. Die Klägerin betreibe kein Geschäftsmodell, wonach immer neue Anleger benötigt würden, um Gewinne für andere Teilnehmer zu erwirtschaften. Die erworbenen Immobilien seien ihren Preis wert, was umfassender und intensiver Kontrolle durch einen externen Treuhänder unterliege. Ein Schneeballsystem sei dadurch gekennzeichnet, dass Vermögenswerte, die vermeintlich von den Einzahlungen der Investoren erworben würden, entweder gar nicht erworben würden oder gar frei erfunden seien. Schneeballsysteme würden in Deutschland gemäß § 16 UWG per se als strafbare Handlungen angesehen werden. Jedenfalls sei in den Äußerungen des Verfügungsbeklagten eine unzulässige Schmähung zu sehen, in der der bisher unbescholtenen Verfügungsklägerin ein geschäftlicher Makel angeheftet werde, was sich durch die erhebliche Reaktionen auf dem Anleihemarkt gezeigt habe. Das Geschäftsmodell der Verfügungsklägerin sei jedoch nicht einmal im Ansatz mit einem Schneeballsystem zu vergleichen. Dem von der Verfügungsklägerin platzierten Anleihevolumen stünde ausreichendes bilanzielles Vermögen gegenüber. Es seien in der Vergangenheit bei der Rückzahlung der ersten Hypothekenanleihe auch keine „freien Mittel“ der Verfügungsklägerin verwandt worden.

Die Verfügungsklägerin beantragt nunmehr,

die einstweilige Verfügung des Landgerichts Köln vom 29.07.2011, Aktenzeichen 28 O 596/11, zu bestätigen.

Der Verfügungsbeklagte beantragt,

die einstweilige Verfügung des Landgerichts Köln vom 29.07.2011, Aktenzeichen 28 O 596/11, aufzuheben.

Der Verfügungsbeklagte behauptet, es treffe zu, dass die Verfügungsklägerin 10 bis 18 % der Emissionserlöse aus der Begebung von Hypothekenanleihen nicht zum Erwerb von Anlageobjekten verwenden könne, sondern auch der Rückzahlung einer bereits emittierten Anleihe. Dies sei in Vergangenheit von der Verfügungsklägerin auch so praktiziert worden. Der frei verfügbare Teil der Emissionserlöse aus dem Jahr 2009 sei zur Rückzahlung der bisher einzigen fälligen Hypothekenanleihe verwandt worden; andere Mittel hätten der Verfügungsklägerin ausweislich ihrer Kapitalflussrechnung für das Jahr 2009 (Anlage AG 6, Bl. 87 d. A.) nicht zur Verfügung gestanden.

Auf dieser Tatsachenlage stelle auch die Äußerung des Verfügungsbeklagten, es handele sich um ein „Schneeballsystem“, eine zulässige Meinungsäußerung dar. Der Begriff „Schneeballsystem“ habe keinen feststehenden Bedeutungsinhalt. Insbesondere sei er nicht zwangsläufig als strafrechtlich relevantes Verhalten zu verstehen. Es werde kritisiert, dass die Verfügungsklägerin Geld aus der Begebung einer Anleihe zur Rückzahlung einer alten Anleihe nutze. Dieses (unzulässige) Umlagesystem werde in den Risikohinweisen des Wertpapierprospekts nicht hinreichend deutlich.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Gründe

Die einstweilige Verfügung der Kammer vom 29.07.2011 ist nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung in Ziffer 1 a) des Entscheidungsausspruchs zu bestätigen. Dagegen war sie hinsichtlich der in den Ziffern 1 b) und 1 c) einstweilen untersagten Äußerungen auf den Widerspruch des Verfügungsbeklagten aufzuheben.

I.

Auch unter Berücksichtigung des Widerspruchs des Verfügungsgeklagten gegen den Entscheidungsausspruch zu Ziffer 1 a) der einstweiligen Verfügung besteht bezüglich des unterstrichenen, von der Verfügungsklägerin beanstandeten Äußerungsteils ein Verfügungsanspruch und ein Verfügungsgrund.

1.

Die im Beschlusstenor zu Ziffer 1 a) unterstrichenen Äußerungen verletzten die Verfügungsklägerin rechtswidrig in ihrem Unternehmenspersönlichkeitsrecht; §§ 1004 Abs. 1 S. 2, 823 Abs. 1 BGB.

Der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts erfasst auch Kapitalgesellschaften wie die Verfügungsklägerin, wenn sie in ihrem sozialen Geltungsanspruch als Arbeitgeber oder als Wirtschaftsunternehmen betroffen sind (BGH NJW 1986, 2951). Die streitgegenständliche Behauptung des Verfügungsbeklagten hat einen unmittelbaren Bezug zur wirtschaftlichen Betätigung der Verfügungsklägerin und greift daher in die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit der Verfügungsklägerin und ihr Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ein.

Der Eingriff in die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit der Verfügungsklägerin ist hinsichtlich der Äußerungen zu Ziffer 1 a) des Entscheidungsausspruchs auch rechtswidrig.

Bei der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts handelt es sich um einen offenen Tatbestand, das heißt, die Rechtswidrigkeit ist nicht durch die Tatbestandsmäßigkeit indiziert, sondern ist im Rahmen einer Gesamtabwägung der widerstreitenden Interessen unter sorgfältiger Würdigung aller Umstände des konkreten Einzelfalles und Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit positiv festzustellen (Palandt/Sprau, 70. Auflage 2011, § 823 BGB Rn 95). Stehen sich als widerstreitende Interessen die Meinungsfreiheit und das allgemeine Persönlichkeitsrecht gegenüber, kommt es für die Zulässigkeit einer Äußerung maßgeblich darauf an, ob es sich um Tatsachenbehauptungen oder Meinungsäußerungen handelt. Gleiches gilt für die Beurteilung der Rechtswidrigkeit eines Eingriffs in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbetrieb (Palandt/Sprau, a. a. O, Rn 131).

Die vom Verfügungsbeklagten zu verantwortenden Äußerungen in seiner Pressemitteilung vom 13.07.2011 stellen sich als Tatsachenbehauptungen dar. Denn die Frage, in welchem Umfang eine grundbuchrechtliche Absicherung der Emissionserlöse erfolgt, ist dem Beweis zugänglich. Gleiches gilt für die Behauptung des Verfügungsbeklagten, die Mehrzahl der Anleihegläubiger hätte den umfangreichen Wertpapierprospekt nicht zu Gesicht bekommen. Beide Äußerungen des Verfügungsbeklagten stellen sich auf der Grundlage des Sach- und Streitstands aus der mündlichen Verhandlung als unwahre Tatsachenbehauptungen dar, die einen Unterlassungsanspruch der Verfügungsklägerin begründen.

Die Verfügungsklägerin hat durch Vorlage der eidesstattlichen Versicherungen ihrer Vorstände, des Herrn Y vom 26.07.2011 (Bl. 57/58 d. A.) und des Herrn T vom 26.07.2011 (Bl. 60/61 d. A.), glaubhaft gemacht, dass die von der Verfügungsklägerin erworbenen Grundstücke auch zur Besicherung der freien Mittel und damit grundsätzlich zur Sicherung sämtlicher Emissionserlöse genutzt werden. Die Äußerung des Verfügungsbeklagten, die grundbuchrechtliche Absicherung erfolge nur für 85 % der Emissionserlöse ist daher in ihrer Generalität unzutreffend. Zwar ist es nach den Anleihebedingungen möglich, dass die Hypotheken und Grundschulden nicht 100% der Gelder der Kapitalanleger werthaltig absichern. Denn ob eine Immobilie, die zu 90 % des Verkehrswerts erworben wird, ausreichend ist, eine Rückzahlung der Schuldverschreibung zu 100 % zu decken, hängt vom ermittelten Verkehrswert der Immobilie und dem möglichen Wiederverkaufswert im Einzelfall ab. Außerdem sehen die Anleihebedingungen der Verfügungsklägerin keine Verpflichtung vor, die freien Mittel ebenfalls grundbuchrechtlich abzusichern. Aus der Sicht eines verständigen Lesers lässt sich der Äußerung des Verfügungsklägers jedoch die Behauptung entnehmen, dass eine solche Absicherung auch bisher tatsächlich nicht erfolgt ist, was durch die eidesstattlichen Versicherungen der Vorstände widerlegt wird.

Die Verfügungsklägerin hat durch die eidesstattlichen Versicherungen ihrer Vorstände vom 26.07.2011 (Bl. 57 ff. d. A.) außerdem glaubhaft gemacht, dass die Anleihegläubiger aufgrund der Vertriebsformen der Anleihen den Wertpapierprospekt vor Zeichnung der jeweiligen Anleihe erhalten. Dies gilt sowohl für den Vertriebsweg der Anleihe über Geschäftspartner wie Vermögensverwalter und Banken als auch für den Verkauf von Anleihen über das Onlineportal der Klägerin, auf dem die Verfügungsklägerin die jeweiligen Wertpapierprospekte während der Dauer des öffentlichen Angebots auf der Internetseite veröffentlicht und zum kostenlosen Download bereitgehalten hat. Aus den eidesstattlichen Versicherungen folgt, dass die Verfügungsklägerin dieses Verfahren durch technische Vorkehrungen vor Kauf der Anleihe sicherstellt.

Die Wiederholungsgefahr für beide Äußerungen wird durch die rechtswidrige Erstbegehung indiziert.

2.

Ein Verfügungsgrund besteht ebenfalls. Die erforderliche Dringlichkeit liegt vor, da der Verfügungsbeklagte in einer in das Unternehmenspersönlichkeitsrecht der Verfügungsklägerin beeinträchtigenden Weise die streitgegenständliche Äußerungen am 13.07.2011 veröffentlicht und die Verfügungsklägerin den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung bereits am 25.07.2011 bei Gericht anhängig gemacht hat. Durch das weitere Verbreiten der streitgegenständlichen Äußerungen droht der Verfügungsklägerin auch ein erheblicher Schaden.

II.

Dagegen war die einstweilige Verfügung der Kammer vom 29.07.2011 wegen der unter den Ziffern 1 b) und 1 c) des Beschlusstenors genannten Äußerungen aufzuheben.

Bei der Äußerung des Verfügungsbeklagten, es liege ein „legitimes“ Schneeballsystem vor, handelt es sich unter Berücksichtigung der unter Ziffer I genannten Grundsätze um eine Meinungsäußerung. Denn der Verfügungsbeklagte trifft auf der Grundlage der von ihm im Zusammenhang mit seiner Äußerung offen gelegten Tatsachengrundlage eine eigene Wertung des Anlagemodells der Verfügungsklägerin. Diese Meinungsäußerung stellt entgegen der Auffassung der Verfügungsklägerin keine Schmähkritik dar und ist auch im Rahmen einer Abwägung zwischen dem Unternehmenspersönlichkeitsrecht der Klägerin und der Meinungsfreiheit des Verfügungsbeklagten nicht zu beanstanden.

Die Beurteilung der Äußerung als Schmähkritik scheidet aus, da die Äußerung in allen Veröffentlichungen, in denen der Verfügungsbeklagte den Begriff „Schneeballsystem“ verwandt hat, auf die Anleihebedingungen der Verfügungsklägerin und ihre Geschäftstätigkeit bezogen ist und damit sachliche Kritik an dem Geschäftsmodell der Verfügungsklägerin äußert. Die Einstufung einer Äußerung als Schmähkritik mit der Folge des die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts kommt nur in Betracht, wenn sich die Äußerung auch unter Berücksichtigung ihres Kontextes nicht mehr als eine Auseinandersetzung in der Sache, sondern - jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik - als reine Diffamierung des Betroffenen darstellt (BVerfG NJW 2009, 749, 750 - Dummschwätzer). Die Äußerungen des Verfügungsbeklagten sind jedoch jeweils auf das Geschäftsmodell der Verfügungsklägerin und die daraus für den Kapitalanleger resultierenden Risiken bezogen, was einen ausreichenden Sachbezug darstellt.

Die Meinungsäußerung des Verfügungsbeklagten stellt auch im Rahmen der gebotenen Abwägung keine unzulässige Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts der Verfügungsklägerin dar. Zwar mag die Äußerung des Verfügungsbeklagten grundsätzlich geeignet sein, nachteilige wirtschaftliche Auswirkungen zu Lasten der Verfügungsklägerin hervorzurufen, etwa durch den Rückgang der Nachfrage nach X-Anleihen. Die Verfügungsklägerin hat sich im Rahmen ihrer Sozialsphäre als ein auf dem Markt tätiges Unternehmen jedoch grundsätzlich diesen kritischen und sachlichen Äußerungen anderer Marktakteure zu stellen. Entgegen der Auffassung der Verfügungsklägerin ist es auch nicht zu erkennen, dass die Äußerungen des Verfügungsbeklagten auf einer unzulässigen Tatsachengrundlage beruhen, die im Rahmen der Abwägung zu seinen Lasten zu berücksichtigen wäre.

Die Anleihebedingungen sehen die von vornherein die Möglichkeit vor, dass der Gesellschaft 15 % der Emissionserlöse zur freien Verfügung und damit grundsätzlich auch zur Bedienung von älteren, zur Rückzahlung fälligen Hypothekenanleihen dienen können. Außerdem dürfen Neuanleihen mit Pfandrechten von Altanleihen besichert werden, wenn sie die Investitionskriterien der Anleihebedingungen erfüllen. Damit aber ist es dem Grunde nach möglich, dass Geld aus neuen Anleihen dazu verwandt wird, Altgläubiger der Verfügungsklägerin zu befriedigen. Je nachdem, in welchem Umfang „neues Geld“ zur Bedienung von Altschulden verwandt wird oder verwandt werden kann, besteht damit die Gefahr einer Liquiditätskrise, in der Altschulden nicht mehr im Umfang der bestehenden Rückzahlungsverpflichtung beglichen werden können. Diese Gefahr, die sich im Krisenfall zu Lasten der Anleger auswirkt, wird sowohl in der Veröffentlichung auf anonym2.de vom 14.07.2011 als auch in den Pressemitteilungen des Verfügungsbeklagten vom 13.07.2011 und 19.07.2011 dargestellt. Es wird die Frage gestellt, wie die Bonität der Anleihen der Verfügungsklägerin einzustufen ist und unter Bezugnahme auf den Geschäftsbericht der Verfügungsklägerin ausgeführt, dass die Immobilien, die als Sicherheit für die Immobilienanleihen dienen, mit EUR 1.400,00 pro Quadratmeter „enorm hoch beliehen“ seien. Auf der anderen Seite seien die Mieteinkünfte aus den Immobilien nicht hoch genug, um die laufenden Personal- und Zinskosten zu decken. Der Bericht weist sodann daraufhin, dass die Deckung der laufenden Kosten erhebliche Verkaufsgewinne der Immobilien voraussetze, was unklar sei. Vorsichtshalber sähen die Bedingungen der X-Anleihen deshalb vor, dass ihre Rückzahlungen mit Geld aus neu auszugebenen Anleihen vorgenommen werden können. Diese zwischen den Parteien unstreitigen Tatsachengrundlage und die daraus resultierende, potentielle Liquiditätsgefahr wird vom Verfügungsbeklagten noch im Rahmen des rechtlich Zulässigen als „Schneeballsystem“ kommentiert.

Entgegen der Auffassung der Verfügungsklägerin hat der Begriff “Schneeballsystem” in den angegriffenen Beiträgen auch keinen weiteren tatsächlichen Aussagegehalt, der unzutreffend wäre. Zwar trifft es zu, dass der Begriff “Schneeballsystem” auch im Zusammenhang mit rechtswidrigem oder gar strafrechtlich relevantem Verhalten verwandt werden kann, wie die Bezugnahme auf die Auszüge aus dem Online-Lexikon Wikipedia verdeutlichen. Es kommt jedoch nicht darauf an, eine allgemein gültige Definition des Begriffs „Schneeballsystem“ zu entwickeln. Maßgeblich ist das Verständnis im konkreten Fall (BGH GRUR 1971, 591, 592 - „Sabotage“). Gerade aus der Bezugnahme auf den Artikel der deutschen Fassung des Online-Lexikons Wikipedia wird deutlich, dass der Begriff “Schneeballsystem” in diversen Zusammenhängen verwandt werden kann. Um den Begriff einer bestimmten Bedeutung zuordnen zu können, bedarf es auch für den Leser der Ermittlung des jeweils maßgeblichen Sachzusammenhangs. Da der Verfügungsbeklagte in beiden Veröffentlichungen diejenigen Tatsachen mitteilt, die er seiner Einschätzung zugrunde legt, wird für den Empfänger im vorliegenden Fall deutlich, dass mit dem Begriff “Schneeballsystem” die Möglichkeit zu verstehen ist, „vorsichtshalber“ mit dem Geld von Neuemissionen alte Hypothekenanleihen auszulösen. Aufgrund des hinreichend klaren Sachbezugs der jeweiligen Äußerung ist auch nicht von einer Mehrdeutigkeit der Aussage auszugehen, so dass unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu einem bestehenden Unterlassungsanspruch in Bezug auf mehrdeutige Äußerungen (NJW 2006, 207, 209 - IM Sekretär „Stolpe“; NJW 2006, 3769, 3772 f. - Babycaust) keine abweichende Beurteilung gerechtfertigt erscheint. Die fehlende Mehrdeutigkeit in Bezug auf die in der Pressemitteilung des Verfügungsbeklagten vom 19.07.2011 genannte Äußerung folgt bereits daraus, dass der Verfügungsbeklagte sich durch die Aussage „legitimes Schneeballsystem“ gerade von rechtlich unzulässigen, strafrechtlich relevanten Arten eines Schneeballsystems abgrenzt. Aber auch im Übrigen Kontext fehlt es an einem mehrdeutigen Äußerungsgehalt, da der Begriff „Schneeballsystem“ jeweils anhand umfangreicher Ausführungen erläutert und in den weiteren Zusammenhang eingeordnet wird. Durch die eingehende Schilderung der tatsächlichen Verhältnisse in den Veröffentlichungen vom 13.07.2011, 14.07.2011 und 19.07.2011 wird für den Leser unmissverständlich deutlich, was Grundlage der vom Verfügungsbeklagten geäußerten Auffassung ist.

III.

Der Schriftsatz der Verfügungsklägerin vom 09.09.2011 war der Entscheidung nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung nicht mehr zugrunde zu legen. Er gibt im Übrigen keinen Anlass zu einer abweichenden Beurteilung.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Das die einstweilige Verfügung bestätigende Urteil wirkt wie die ursprüngliche einstweilige Verfügung und ist daher ohne besonderen Ausspruch mit der Verkündung sofort vollstreckbar (Zöller/Vollkommer, 28. Aufl. 2010, § 925 ZPO Rn. 9). Soweit das Urteil die einstweilige Verfügung des Gerichts vom 29.07.2011 aufhebt, folgt die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 708 Nr. 6 ZPO.

Streitwert: EUR 30.000,00.






LG Köln:
Urteil v. 21.09.2011
Az: 28 O 596/11


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/7bce929d397b/LG-Koeln_Urteil_vom_21-September-2011_Az_28-O-596-11




Diese Seite teilen (soziale Medien):

LinkedIn+ Social Share Twitter Social Share Facebook Social Share