Verwaltungsgericht Gießen:
Beschluss vom 8. Juli 2002
Aktenzeichen: 1 G 2239/02

(VG Gießen: Beschluss v. 08.07.2002, Az.: 1 G 2239/02)

Tatbestand

I. Die Antragstellerin ist Eigentümerin des Wohngrundstücks Flur ..., Flurstück ... (K...garten ...) in der Gemarkung (W...-) H.. Es liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 12 der Antragsgegnerin, der dieses Grundstück und die Grundstücke Fr...straße, F...straße und K...garten als allgemeines Wohngebiet ausweist.

Der Beigeladene zu 2. ist Eigentümer des von dem Grundstück der Antragstellerin etwa 100 m entfernten Grundstücks Flur ..., Flurstück ... (W...straße 11) in der Gemarkung (W.-) H. (Baugrundstück). Auf diesem Grundstück betreibt die Firma Wäscherei R. GmbH einen Wäschereibetrieb. Die nähere Umgebung dieses Grundstücks, das nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans liegt, qualifiziert die Antragstellerin als Gewerbegebiet. Der Beigeladene zu 2. räumte der Beigeladenen zu 1. durch Nutzungsvertrag das Recht zur Errichtung einer Mobilfunkstation für das Mobilfunknetz D2 ein.

Auf den Bauantrag der Beigeladenen zu 1., der die Standortbescheinigung der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post - Außenstelle F. - vom 05.04.2002 beigefügt war, erteilte die Antragsgegnerin dieser unter dem 23.05.2002 die Baugenehmigung zu Errichtung und Betrieb einer Mobilfunksendeanlage auf dem vorgenannten Grundstück des Beigeladenen zu 2. Dabei sollen auf dem Werksgebäude des Wäschereibetriebs in 6,34m Höhe ein Antennenmast mit drei Sendern mit einer Leistung von jeweils 15 Watt und einer Senderantennenunterkante von 14,84 m sowie neben dem Werksgebäude eine Basisstation errichtet werden. Auf die Baugenehmigung und die Standortbescheinigung wird Bezug genommen. Die Beigeladene hat mit der Verwirklichung des Vorhabens begonnen.

Dagegen legte die Antragstellerin mit Schreiben vom 17.06.2002 Widerspruch ein, über den - soweit ersichtlich - noch nicht entschieden worden ist.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 04.07.2002, auf das Bezug genommen wird, hat die Antragstellerin um Eilrechtsschutz nachgesucht. Sie befürchtet unzulässige Immissionen und sieht das Gebot der Rücksichtnahme verletzt.

Die Antragstellerin beantragt,

1. die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 17.06.2002 gegen die Baugenehmigung vom 23.05.2002 anzuordnen

und

2. der Antragsgegnerin zur vorläufigen Sicherung des Anspruches aufzugeben, gegenüber der Beigeladenen zu 1. eine für sofort vollziehbar erklärte Ordnungsverfügung zu erlassen, welche ihr die Fortführung der Errichtung der Mobilfunkanlage vorläufig untersagt.

Gründe

II.

Der Antrag zu 1. auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 17.06.2002 gegen die Baugenehmigung vom 23.05.2002 muss ohne Erfolg bleiben.

Der vorläufige Rechtsschutz des Nachbarn, der gegen eine dem Bauherrn erteilte Baugenehmigung einen Rechtsbehelf - hier Widerspruch - eingelegt hat, richtet sich nach § 80a Abs. 3 i.V.m. § 80 Abs. 5 bis 8 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -. Dieses Antragsverfahren ist kein Rechtsmittelverfahren gegen eine behördliche Entscheidung; vielmehr trifft das Gericht eine eigene selbständige Entscheidung.

Nach § 212a Abs. 1 Baugesetzbuch - BauGB - hat der Widerspruch der Antragsteller gegen die bauaufsichtliche Genehmigung (Baugenehmigung) keine aufschiebende Wirkung; diese Vorschrift i.S.v. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO verdrängt § 80 Abs. 1 VwGO.

In diesen Fällen kann die (Bauaufsichts-)Behörde nach § 80a Abs. 1 Nr. 2 VwGO auf Antrag des Dritten nach § 80 Abs. 4 VwGO die Vollziehung aussetzen und einstweilige Maßnahmen zur Sicherung der Rechte des Dritten, z.B. die Stilllegung der Bauarbeiten, treffen. Das Gericht kann nach § 80a Abs. 3 Satz 1 VwGO auf Antrag des Dritten u.a. Maßnahmen der Behörde nach § 80a Abs. 1 VwGO ändern oder aufheben oder selbst solche Maßnahmen treffen.

Der Antrag des Dritten auf gerichtlichen Rechtsschutz setzt nicht generell voraus, dass zuvor erfolglos ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung bei der Behörde gestellt worden ist (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 16.12.1991 - 4 TH 1814/91 -, ESVGH 42, 172 = DVBl. 1992, 780 m.w.N.).

Voraussetzung für den Erfolg eines Antrages auf gerichtlichen Rechtsschutz nach § 80a Abs. 3 VwGO ist zunächst, dass die erstrebte Maßnahme (noch) notwendig ist, um mögliche Rechte des Dritten zu sichern (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 16.12.1991 - 4 TH 1814/91 -, ESVGH 42, 172 = DVBl. 1992, 780). Dies ist hier noch möglich.

Einem solchen Antrag eines Dritten auf vorläufigen Rechtsschutz nach § 80a Abs. 3 VwGO ist stattzugeben, wenn die Baugenehmigung offensichtlich dessen Rechte verletzt. Denn in diesem Fall kann ein überwiegendes Interesse des Bauherrn oder der Öffentlichkeit an einer sofortigen Ausnutzung der Baugenehmigung nicht bestehen. Umgekehrt ist dieser Antrag des Dritten abzulehnen, wenn die Baugenehmigung ihn offensichtlich nicht in eigenen Rechten verletzt. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens über den Rechtsbehelf des Dritten offen, hat das Gericht eine Abwägung der beteiligten privaten und öffentlichen Interessen vorzunehmen, die für oder gegen eine sofortige Ausnutzung der Baugenehmigung sprechen. Bei dieser Abwägung hat das Gericht zum einen das Gewicht der beteiligten Interessen und das konkrete Ausmaß ihrer Betroffenheit zu berücksichtigen. Zum anderen hat es zu würdigen, ob der Rechtsbehelf des Dritten - auch unter Berücksichtigung des von ihm eventuell glaubhaft gemachten Tatsachenvorbringens - wahrscheinlich Erfolg haben wird (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 16.12.1991 - 4 TH 1814/91 -, ESVGH 42, 172 = DVBl. 1992, 780).

Ein Abwehrrecht des Dritten gegen eine dem Bauherrn erteilte Baugenehmigung besteht nur, wenn ein genehmigtes Vorhaben gegen Vorschriften des öffentlichen Rechts verstößt und die Voraussetzungen für eine Ausnahme oder Befreiung nicht vorliegen und die verletzten Vorschriften auch zum Schutz des Nachbarn zu dienen bestimmt, also nachbarschützend sind und durch das rechtswidrige Vorhaben eine tatsächliche Beeinträchtigung des Nachbarn hinsichtlich der durch die Vorschriften geschützten nachbarlichen Belange eintritt (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 16.12.1991 - 4 TH 1814/91 -, ESVGH 42, 172 = DVBl. 1992, 780; Beschluss vom 01.08.1991 - 4 TG 1244/91 -, HSGZ 1993, 22 m.w.N.).

Ein derartiges Abwehrrecht steht der Antragstellerin nicht zur Seite.

Nicht einzugehen ist auf die Frage, ob die streitbefangene Mobilfunksendeanlage überhaupt baugenehmigungspflichtig war oder nicht (zum Meinungsstreit vgl. Hess. VGH erstmals in seinem Beschluss vom 19.12.2000 - 4 TG 3629/00 - und VG Gießen, Beschluss vom 18.06.2002 - 1 G 1689/02 -), denn der Beigeladenen zu 1. wurde dafür eine Baugenehmigung erteilt.

Die Mobilfunksendeanlage entspricht den einschlägigen immissionsschutzrechtlichen Bestimmungen.

Beim Sendebetrieb mittels dieser Mobilfunksendeanlage (im D2-Netz) des Mobilfunks entstehen Immissionen und Emissionen im Sinne von § 3 Abs. 2 und 3 Bundes-Immissionsschutzgesetz - BImSchG - (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 11.03.1993 - 3 TH 768/92 -, NVwZ 1993, 1119) . § 2 Abs. 2 Satz 1 BImSchG ist nicht einschlägig. Bei der Mobilfunksendeanlage handelt es sich um eine nicht nach den §§ 4 ff. BImSchG genehmigungspflichtige Anlage. Die Pflichten der Betreiber nicht genehmigungsbedürftiger Anlagen sind in § 22 BImSchG geregelt. Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG sind nicht genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten und zu betreiben, dass schädliche Umwelteinwirkungen verhindert werden, die nach dem Stand der Technik vermeidbar sind. Nach § 3 Abs. 1 BImSchG sind schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile - darunter sind vor allem Vermögenseinbußen, die auf physischen Einwirkungen beruhen, zu verstehen (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 30.12.1994 - 4 TH 2064/94 -) - oder erhebliche Belästigungen - dies sind unzumutbare Beeinträchtigungen des körperlichen und seelischen Wohlbefindens unterhalb der Schwelle der Gesundheitsbeeinträchtigung (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21.03.1993 - 10 S 1735/91 -, VBlBW 1994, 239; Hess. VGH, Beschluss vom 30.12.1994 - 4 TH 2064/94 -) - für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen. Derartige Einwirkungen sind den davon Betroffenen grundsätzlich unzumutbar (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.02.1977 - IV C 22.75 -, BVerwGE 52, 122; Hess. VGH, Beschluss vom 30.12.1994 - 4 TH 2064/94 -). Die §§ 3 Abs. 1, 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG sind aufgrund der Einbeziehung der Nachbarschaft nachbarschützend (vgl. BVerwG, Urteil vom 04.07.1986 - 4 C 31.84 -, BVerwGE 74, 315; Urteil vom 03.04.1987 - 4 C 41.84 -, NVwZ 1987, 884; Hess. VGH, Urteil vom 04.07.1985 - 3 OE 22/82 -, UPR 1986, 354; Beschluss vom 11.03.1993 - 3 TH 768/92 -, NVwZ 1993, 1119; Beschluss vom 30.12.1994 - 4 TH 2064/94 -).

Die Mobilfunksendeanlage hielt und hält nach § 2 Nr. 1 26. BImSchV (Verordnung über elektromagnetische Felder vom 16.12.1996, BGBl. I S. 1966) sowohl die zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen im Anhang 1 der 26. BImSchV bestimmten Grenzwerte als auch nach § 2 Nr. 2 26. BImSchV zusätzlich den im hier vorliegenden Fall der Verursachung von gepulsten elektromagnetischen Feldern maßgeblichen Spitzenwert ein. Dies ergibt sich aus der vorgenannten Standortbescheinigung vom 05.04.2002, auf die Bezug genommen wird.

Die 26. BImSchV konkretisiert das vom Normgeber für erforderlich gehaltene Maß dessen, was an Umwelteinwirkungen i.S.d. §§ 3 Abs. 1, 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BImSchG für die Nachbarschaft zumutbar ist. Nach der seit dem Inkrafttreten dieser Verordnung ergangenen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung können bei Einhaltung dieser Verordnung keine schädlichen Umwelteinwirkungen durch Sendeanlagen für den Mobilfunk oder vergleichbare Anlagen festgestellt werden; eine Unterschreitung der sich nach der 26. BImSchV ergebenden Sicherheitsabstände wurde in keinem Fall verlangt (vgl. Bay. VGH, Beschluss vom 08.07.1997 - 14 B 93.3102 -, NVwZ 1998, 419; VG Schleswig, Urteil vom 22.08.1997 - 12 A 77/93 -, NVwZ 1998, 434; Sächs. OVG, Beschluss vom 17.12.1997 - 1 S 746/96 -, DÖV 1998, 431; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15.04.1997 - 10 S 4/96 -, NVwZ 1998, 416 <Hochspannungsfreileitung>; Hess. VGH, Beschluss vom 29.07.1999 - 4 TG 2118/99 -; VG Gießen, Beschluss vom 29.08.2000 - 1 G 2224/00 -; Beschluss vom 18.06.2002 - 1 G 1689/02 -). Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12.02.1997 - 1 BvR 1658/96 - (NJW 1997, 2509 = NuR 1997, 394) ist die 26. BImSchV eine geeignete Maßnahme zur Abwehr von Gesundheitsgefahren aus elektromagnetischen Feldern. Als normative Festlegung dieser Zumutbarkeitsschwelle schließt die 26. BImSchV grundsätzlich die tatrichterliche Beurteilung aus, dass Immissionen der Funkübertragungsanlage , die die Immissionsrichtwerte nach der 26. BImSchV unterschreiten, im Einzelfall gleichwohl als erheblich i.S.d. vorgenannten Vorschriften eingestuft werden können (vgl. BVerwG, Beschluss vom 08.11.1994 - 7 B 73.94 -, NVwZ 1995, 993, zur vergleichbaren Problematik nach der 18. BImSchV <Sportanlagenlärmschutzverordnung>). Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 28.02.2002 - 1 BvR 1676/01 - ist durch die 26. BImSchV den sich aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz - GG - ergebenden Anforderungen an den staatlichen Schutz der menschlichen Gesundheit genügt und kann eine kompetente eigenständige Risikobewertung durch die Gerichte erst dann erfolgen, wenn die Forschung so weit fortgeschritten ist, dass sich die Beurteilungsproblematik auf bestimmte Fragestellungen verengen lässt, welche anhand gesicherter Befunde von anerkannter wissenschaftlicher Seite geklärt werden kann.

Auch aus § 50 BImSchG ergibt sich nichts anderes. Danach sind bei raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen die für eine bestimmte Nutzung vorgesehenen Flächen einander so zuzuordnen, dass schädliche Umwelteinwirkungen auf die ausschließlich oder überwiegend dem Wohnen dienenden Gebiete soweit wie möglich vermieden werden (sog. immissionsschutzrechtliche Optimierungsgebot). § 50 BImSchG findet im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens keine Anwendung. Der immissionsrechtliche Schutz des Nachbarn richtet sich nach § 22 BImSchG. § 50 BImschG wendet sich nicht an die Bauaufsichtsbehörde, sondern richtet sich an alle, die im Bereich des öffentlichen Rechts mit raumbezogenen Planungen und Maßnahmen befasst sind. Es handelt sich - dies zeigt auch die Überschrift "Planung" - um eine raumbezogene Planungsvorschrift mit einer in das Planungsstadium vorverlagerten Umweltverträglichkeitsprüfung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.09.1981 - 4 B 114.81 -, NJW 1982, 348; Urteil vom 04.05.1988 - 4 C 2.85 -, NVwZ 1989, 151; VG Gießen, Beschluss vom 18.06.2002 - 1 G 1689/02 -; Feldhaus, Bundesimmissionsschutzrecht, Stand April 1999, Band I § 50 Anm. 2 u. 3; Jarass, Bundes-Immissionsschutzgesetz, 4. Aufl. 1999, § 50 Rn. 1 u. 2). Wie die Formulierung "so weit wie möglich" in § 50 BImSchG zeigt, ist bei der Abwägung diesem Belang hinreichend Rechnung getragen, wenn der das Maß der zulässigen Umwelteinwirkung regelnden Norm - hier der 26. BImSchV - genüge getan wird. Dies ist hier - wie gezeigt - der Fall.

Bauplanungsrechtlich ist die Mobilfunksendeanlage nach § 34 BauGB zulässig.

Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist ein Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Nach § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB müssen die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse gewahrt bleiben; das Ortsbild darf nicht beeinträchtigt werden. Nach § 34 Abs. 2 BauGB beurteilt sich die Zulässigkeit, wenn die nähere Umgebung einem der in der Baunutzungsverordnung bezeichneten Baugebiete entspricht, nach seiner Art allein danach, ob es nach der Baunutzungsverordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig ist.

§ 34 BauGB ist insgesamt jedoch nicht nachbarschützend. Nur das in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltene Gebot der Rücksichtnahme (entsprechend § 15 Abs. 1 Satz 2 Baunutzungsverordnung - BauNVO -) ist nachbarschützend. Es ist verletzt, wenn durch das Vorhaben unzumutbare Auswirkungen, besonders Geräusch- und Geruchsimmissionen oder ähnliche Belästigungen, zu befürchten sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. 03. 1981 - 4 C 1.78 -, DVBl. 1981, 928 = DÖV 1991, 672; Urteil vom 13. 02. 1981 - 4 B 14.81 -, BRS 38 Nr. 82 = NJW 1981, 1973; Beschluss vom 20. 09. 1984 - 4 B 181.84 -, NVwZ 1985, 37; Urteil vom 28. 10. 1993, UPR 1994, 148 = NVwZ 1994, 686 = BauR 1994, 354). Zu berücksichtigen ist, dass der Nachbarschutz im nichtgeplanten Innenbereich nicht weiter gehen kann als im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes. Im Hinblick auf die nachstehenden Ausführungen ist das Gebot der Rücksichtnahme nicht verletzt.

Da keine funktionale Zu- und Unterordnung der Mobilfunksendeanlage zu dem Nutzungszweck einzelner Grundstücke in der näheren Umgebung gegeben ist, ist sie keine Nebenanlage i.S.v. § 14 Abs. 1 BauNVO. Auch § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO betrifft die Mobilfunksendeanlage nicht. Sie ist somit keine Nebenanlage, sondern eine gewerbliche Hauptanlage (vgl. BVerwG, Beschluss vom 01.11.1999 - 4 B 3.99 -, UPR 2000, 225; Hess. VGH, Beschluss vom 29.07.1999 - 4 TG 2118/99 -, NVwZ 2000, 694).

Legt man die vorhandene Bebauung in der näheren Umgebung des Baugrundstücks zugrunde, so ist diese nach dem Vortrag der Antragstellerin, an dem zu zweifeln kein Anlass besteht, als Gewerbegebiet zu qualifizieren. Nach § 8 Abs. 1 BauNVO dienen Gewerbegebiete (GE) überwiegend der Unterbringung von nicht erheblich belästigenden Gewerbebetrieben und nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO sind Gewerbebetriebe aller Art zulässig. Die Mobilfunksendeanlage ist somit dort bauplanungsrechtlich zulässig. Selbst wenn man zugunsten der Antragstellerin von einem Mischgebiet ausgehen wollte, ergibt sich nichts anderes. Nach § 6 Abs. 1 BauNVO dienen Mischgebiete (MI) dem Wohnen und der Unterbringung von Gewerbebetrieben, die das Wohnen nicht wesentlich stören. Nach § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO sind dort sonstige Gewerbebetriebe zulässig, d.h. auch die Mobilfunksendeanlage. Selbst in dem Allgemeinen Wohngebiet, in dem sich das Wohnhausgrundstück der Antragstellerin befindet, ist eine derartige Mobilfunksendeanlage zulässig. Nach § 4 Abs. 1 BauNVO dienen Allgemeine Wohngebiete (WA) vorwiegend dem Wohnen, jedoch können dort nach § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO sonstige nicht störende Gewerbebetriebe ausnahmsweise zugelassen werden. Selbst wenn man die nähere Umgebung des Baugrundstücks als Allgemeines Wohngebiet qualifizierte, wäre die Mobilfunksendeanlage nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO sowie i.V.m. § 31 Abs. 1 BauGB als nicht störender Gewerbebetrieb ausnahmsweise zulässig. Nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO nicht störende Gewerbebetriebe sind solche, die nach Art und Umfang gebietstypisch sind und die allgemeine Zweckbestimmung des Gebiets nach § 4 Abs. 1 BauNVO, vorwiegend dem Wohnen zu dienen, nicht gefährden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 02.07.1991 - 4 B 1.91 -, NVwZ 1991, 982). Dies ist bei der Mobilfunksendeanlage aufgrund ihrer Größe und des Fehlens von Zu- und Abgangsverkehr der Fall. Zu berücksichtigen ist weiter, dass die Beigeladene zu 1. mit der Errichtung und dem Betrieb der Mobilfunksendeanlage ihrem gesetzlichen Versorgungsauftrag nach den §§ 17, 18 Telekommunikationsgesetz - TKG - nachkommt und zur flächendeckenden Versorgung weitgehend standortgebunden ein Netz von Mobilfunksendeanlagen unterhalten muss.

Selbst wenn man die nähere Umgebung als nicht einem Baugebiet im Sinne der Baunutzungsverordnung zurechenbar ansieht und deshalb auf § 34 Abs. 1 BauGB abstellte, wären dessen Voraussetzungen des Sich-Einfügens aus den vorgenannten Gründen erfüllt.

Nach dem Vorstehenden sind die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse nach § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB gewahrt, da ausweislich der vorgenannten Standortbescheinigung vom 05.04.2002 die gesundheitliche Unbedenklichkeit festgestellt ist (s.o.). Dieser öffentliche Belang (vgl. § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BauGB) ist durch die streitbefangene Mobilfunksendeanlage nicht in einer Weise berührt, die geeignet ist, das Bedürfnis nach einer insoweit ihre Zulässigkeit regelnden verbindlichen Bauleitplanung hervorzurufen. Mit dieser Planungsleitlinie soll erreicht werden, dass bei der Bauleitplanung keine städtebaulich bedenklichen Spannungen zwischen Wohnen und Gewerbe auftreten bzw. vorhandene Konflikte entschärft werden (vgl. Battis/Krautzberger/Löhr, a.a.O., § 1 Rn. 61; Hoppenberg/Stüer, a.a.O., Kapitel B Rn. 635; BVerwG, Beschluss vom 23.06.1989 - 4 B 100.89 -, NVwZ 1990, 263).

Zusammenfassend ergibt sich, dass jedenfalls das in § 34 BauGB enthaltene Gebot der Rücksichtnahme nicht verletzt ist.

Soweit die Antragstellerin zukünftig eine Veränderung der streitbefangenen Mobilfunksendeanlage befürchtet, ist dies für das vorliegende Verfahren, das die genehmigte Mobilfunksendeanlage zum Streitgegenstand hat, unbeachtlich.

Die von der Antragstellerin angeführten und von ihr auf eine Hochspannungsleitung zurückgeführten Erkrankungen können nicht von der noch nicht in Betrieb genommenen streitbefangenen Mobilfunksendeanlage herrühren. Die Rechtmäßigkeit der zudem inzwischen nicht mehr vorhandenen Hochspannungsleitung ist nicht Gegenstand dieses Verfahrens.

Der unter Punkt 2. gestellte Antrag nach § 80 a Abs. 3 Satz 1, Abs. 1 Nr. 2 VwGO auf Sicherungsmaßnahmen muss jedenfalls aufgrund des Vorstehenden ohne Erfolg bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs.1 VwGO sowie auf den § § 162 Abs. 3, 154 Abs. 3 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 13 Abs. 1, 20 Abs. 3 Gerichtskostengesetz - GKG -.






VG Gießen:
Beschluss v. 08.07.2002
Az: 1 G 2239/02


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