Oberlandesgericht Köln:
Urteil vom 28. Juli 2011
Aktenzeichen: 18 U 213/10

(OLG Köln: Urteil v. 28.07.2011, Az.: 18 U 213/10)

Zu der Frage, ob es treuwidrig ist, eine Beschlussanfechtungsklage auf einen Verstoß gegen § 131 AktG zu stützen, wenn der Aufsichtsratsvorsitzende in der Hauptversammlung dazu aufgefordert hatte, unbeantwortet gebliebene Fragen dem beurkundenden Notar mitzuteilen, dies aber nicht geschehen ist.

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 26.11.2010 teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die in der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 20. Mai 2010 gefassten Beschlüsse zu Punkt 3 der Tagesordnung, wonach dem Aufsichtsratsmitglied E. C. für das Geschäftsjahr 2009 Entlastung erteilt wird, und zu Punkt 4a) der Tagesordnung, wonach E. C. bis zur Beendigung der Hauptversammlung, die über die Entlastung der Aufsichtsratsmitglieder für das Geschäftsjahr 2014 beschließt, in den Aufsichtsrat gewählt wird, werden für nichtig zu erklärt. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Parteien wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch die jeweils andere Partei gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 Prozent des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die die Zwangsvollstreckung betreibende Partei zuvor Sicherheitsleistung in Höhe von 120 Prozent des jeweils zu vollstrecken-den Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einiger Beschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten vom 20.05.2010, deren Aktionärin die Klägerin ist. Hintergrund dieses Streits ist die Auffassung der Klägerin, dass der stufenweise Erwerb der Mehrheitsbeteiligung der Beklagten an der P.-Immobilien-Kapitalanlagegesellschaft mbH (künftig: P.IK) von der Sal. P. jr. Cie. S. C. A. in den Jahren 2004, 2006 und 2007 auf einer Pflichtverletzung von Herrn E. C., des Aufsichtsratsvorsitzenden der Beklagten, und Matthias Graf von P., Aufsichtsratsmitglied der Beklagten bis zur Niederlegung am 30.04.2010, beruhe. Beide waren zum Zeitpunkt des Anteilserwerbes an der P.IK durch die Beklagte Komplementäre der Sal. P. jr. Cie. S. C. A. Hierzu hatte die Klägererin in der Hauptversammlung der Beklagten Anträge auf Bestellung eines Sonderprüfers und eines besonderen Vertreters gestellt (TOP 13 und 14), die jedoch keine Mehrheit fanden und die nicht Gegenstand dieses Rechtsstreits sind.

Die Hauptversammlung der Beklagten am 20.05.2010 hatte u. a. folgende Tagesordnungspunkte:

TOP 2: Beschlussfassung über die Entlastung der Mitglieder des Vorstands

TOP 3: Beschlussfassung über die Entlastung der Mitglieder des Aufsichtsrats

TOP 4: Wahlen zum Aufsichtsrat

Sie begann um 10.01 Uhr. Nach Berichten von Vorstand und Aufsichtsrat erfolgte seit 12.30 Uhr die Generaldebatte. Darin wurden von verschiedenen Aktionären insgesamt über 200 Fragen gestellt. Um 19.20 Uhr teilte der Aufsichtsratsvorsitzende mit:

"Ich habe den Eindruck, es sind noch einige, noch etwa 40 oder 30 Fragen offen." (S. 177 des von der Beklagten als Anlage B 2 zum Schriftsatz vom 17.08.2010 zur Akte gereichten stenografischen Wortprotokolls; Bl. 313 AnlH)

Nach einem weiteren Redebeitrag eines Aktionärs stellte der Aufsichtsratsvorsitzende dann um 19.21 Uhr fest:

"Ich höre gerade von der Hinterbühne, dass keine offenen Fragen mehr da sind. Meine Damen und Herren, wir haben aus unserer Sicht sämtliche Fragen beantwortet. Sollten Sie der Ansicht sein, dass einzelne Ihrer Fragen nicht beantwortet worden sind, haben Sie jetzt die Gelegenheit, diese dem Notar zu Protokoll zu geben. … Ich gebe Ihnen etwa 10 bis 15 Minuten Zeit." (Anlage B 2, S. 178; Bl. 313R AnlH)

Eine Reihe von Aktionären machte von der Möglichkeit, die aus ihrer Sicht unbeantworteten Fragen zu Protokoll zu geben, bis 19.40 Uhr Gebrauch, darunter auch Herr L., der beantragte, sämtliche gestellte Fragen als nicht beantwortet zu protokollieren (S. 23 des als Anlage B 1 zum Schriftsatz der Beklagten vom 17.08.2010 zur Akte gereichten notariellen Protokoll; Bl. 34 ff. AnlH). Um 19.44 Uhr setzte der Aufsichtsratsvorsitzende die Hauptversammlung wie folgt fort:

"Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich stelle fest, dass im Moment keine weiteren Fragen mehr zu Protokoll gegeben werden sollen. Bei Bedarf steht der Notar dafür selbstverständlich gern zur Verfügung. Ich schließe hiermit die Generaldebatte zu den Punkten 1 bis 14 der Tagesordnung." (Anlage B 2, S. 179; Bl. 314 AnlH)

In der Generaldebatte waren u. a. folgende fünf Fragen gestellt worden, deren mangelhafte Beantwortung im Rahmen dieses Rechtsstreits gerügt wird:

Frage des Aktionärs L.

"Im Handelsblatt war zu lesen, dass Sie - Herr S. (d. i. ein Vorstandsmitglied der Beklagten) jetzt persönlich angesprochen, Differenzen mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden C. haben, insbesondere was die Behandlung von Kundenbeschwerden im Bereich der Fonds angeht. Was ist davon zu halten€ Nehmen Sie bitte zu diesem Artikel Stellung, der Ihnen sicherlich bekannt ist.

Wie kann es eigentlich sein, dass sich der Aufsichtsratsvorsitzende offenbar so direkt in operative Geschäfte einmischt€ Besteht ein Zusammenhang damit, dass diese Geschäfte und diese Kunden ehemals aus dem Hause P. über die P.IK zu uns gekommen sind, oder was ist der Hintergrund für einen direkten Kontakt in dieser Frage zwischen dem Vorstand S. und dem Aufsichtsratsvorsitzenden€ (Anlage B 2, S. 84; Bl. 266R AnlH)

Frage des Aktionärs M.

In wievielen Vorstandssitzungen haben Sie (d. i. der Aufsichtsratsvorsitzende C.) sich zu Wort gemeldet€ (Anlage B 2, S. 112; Bl. 280R AnlH)

Frage des Aktionärs M.

Können Sie (d. i. der Aufsichtsratsvorsitzende C.) ausschließen, sich in Vorstands- bzw. Aufsichtsratssitzungen zum Thema P.IK zu Wort gemeldet zu haben€ (Anlage B 2, S. 112; Bl. AH 280R AnlH)

Frage der Aktionärin T.

"An wievielen Vorstandssitzungen hat der Aufsichtsratsvorsitzende C. teilgenommen€ Wann war das und aus welchen Gründen hat er daran teilgenommen€ Bitte nennen Sie uns hierzu auch eine Prozentzahl in Bezug auf die Gesamtheit der erfolgten Sitzungen." (Anlage B 2, S. 114; Bl. 281R AnlH)

Frage des Aktionärs M.

"Hat es innerhalb des Aufsichtsrates eine Diskussion darüber gegeben, ob eine interne Prüfung der P.IK- und B.-Regressansprüche erfolgen soll." (Anlage B 2, S. 111; Bl. 280 AnlH)

Folgende Antworten wurden auf diese Fragen erteilt:

Zu Frage 1):

Das Vorstandsmitglied Dr. S. erklärte:

"Sie fragten auch, Herr L., nach der Äußerung im Handelsblatt, es gebe Differenzen zwischen Herrn C. und mir hinsichtlich der Behandlung von Kundenbeschwerden. Ich antworte allgemein darauf, dass Entscheidungen im operativen Geschäft vom Vorstand bzw. von der Geschäftsführung des institutionellen Fondsbereichs getroffen werden." (Anlage B 2, S. 136; Bl. 292R AnlH)

Nachdem der Fragesteller L. im weiteren Verlauf seine Frage noch einmal wie folgt aufgegriffen hatte

"Dann zu dem Handelsblatt Artikel. Da haben Sie sich auch gedrückt zu antworten. Bitte sagen Sie mir: Stimmt es, dass es diese Diskussionen und Differenzen gegeben hat€ Ich weiß, dass die Zuständigkeit für das operative Geschäft beim Vorstand liegt. Das war auch nicht gefragt. Selbst wenn Sie mit der Aussage sagen wollen, Sie haben sich nicht beeinflussen lassen, möchte ich trotzdem wissen, ob es diesen Versuch der Beeinflussung bzw. entsprechende Diskussion gegeben hat." (Anlage B 2, S. 159; Bl. 304 AnlH),

erklärte das Vorstandsmitglied Dr. S.

"Dann fragten Sie, Herr L., noch einmal zu den im Handelsblatt-Artikel angestellten Vermutungen über Unstimmigkeiten zwischen mir und Herrn C.. - Wie ich bereits gesagt habe, möchte ich hierzu keine Stellung nehmen. Das sind wirklich reine Spekulationen". (Anlage B 2, S. 169; Bl. 309 AnlH)

Sodann ist im stenografischen Protokoll vermerkt:

"(L.: Stimmt es nun oder stimmt es nicht€ Mein Gott!)"

Zu Frage 2) bis 4):

Der Aufsichtsratsvorsitzende beantworte die Frage wie folgt:

"Herr M., Sie haben gefragt, ob ich zu keinem Zeitpunkt Einfluss auf die Erstellung der Aufsichtsrats- oder Vorstandsprotokolle genommen habe und in wie vielen Vorstandssitzungen ich mich zu Wort gemeldet habe und ob ich ausschließen kann, dass ich mich in Vorstands- und Aufsichtsratssitzungen zum Thema P.IK gemeldet habe.

Da ich die Aufsichtsratsprotokolle unterschreibe, sehe ich, was geschrieben ist. Ich habe hierzu niemals Anmerkungen zu Protokoll machen müssen. Es ist immer so verabschiedet worden, wie es mir vorgelegt wurde. Das gleiche gilt für meine Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied bei der P.IK. Ich habe mich, wie erwähnt, in der AR-Sitzung bei der Entscheidung über den Erwerb der Beteiligung der Stimme enthalten." (Anlage B 2, S. 122; Bl. 285R AnlH)

Ergänzend teilte der Vorstandsvorsitzende Dr. O. später auf die Frage anderer Aktionäre mit:

"Wie bereits erläutert hat Herr C. vereinzelt an Vorstandssitzungen teilgenommen. Er hat zu keinem Zeitpunkt Druck auf Vorstandsmitglieder ausgeübt. …

In 2009 hat Herr C. vereinzelt an Vorstandssitzungen teilgenommen, insbesondere zu Tagesordnungspunkten bezüglich Geschäften, bei denen C.s Erfahrungen und Kenntnisse sowie seine Kontakte im Interesse der Gesellschaft lagen. In den meisten Fällen hat Herr C. nicht an der gesamten Sitzung teilgenommen. Daher ist eine Prozentangabe nicht aussagekräftig." (Anlage B 2, S. 167f, Bl. 308, 308R AnlH)

Zu Frage 5):

Hierzu erklärte der Vorstandsvorsitzende Dr. O. auf die Frage einer anderen Aktionärin:

"Weder im Zusammenhang mit dem Erwerb der damaligen P.IK, das heiß der heutigen J., noch in Zusammenhang mit dem B. wurden Regressansprüche geprüft. Der Wert der Beteiligung an der J. ist bis heute unverändert, so dass schon aus diesem Grund kein Schaden vorliegt.

Der den Kostensteigerungen und Terminverzügen beim B. zugrunde liegende Sachverhalt lässt nach unserer internen Prüfung keine entsprechenden Pflichtverletzungen - weder der Geschäftsführung noch von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern - erkennen.

Im Rahmen der laufenden Projektentwicklung B. prüfen wir fortwährend und in jedem Einzelfall, ob Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden können. Wir haben allerdings keine Anhaltspunkte für schuldhafte Pflichtverletzungen seitens J.." (Anlage B 2, S. 144f; Bl. 296R, 297 AnlH)

Die Klägerin meint, dass die vorstehend dargestellten fünf Fragen nur unzureichend beantwortet worden seien, ihre vollständige Beantwortung aber für die Entscheidung der Aktionäre über die TOP 2 bis 4 von Bedeutung gewesen wäre. Außerdem sieht sie in dem Umstand, dass der Vorstand es unterlassen habe, Schadensersatzansprüche gegen die Aufsichtsratsmitglieder im Zusammenhang mit dem Erwerb der P.IK-Anteile zu prüfen, eine Pflichtverletzung. Die Mitglieder des Aufsichtsrates hätten wiederum ihre Pflichten verletzt, weil sie keine Schadensersatzansprüche wegen dieser Unterlassung gegen den Vorstand geprüft hätten. Deshalb sei die von der Hauptversammlung beschlossene Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat rechtswidrig.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Eine Pflichtverletzung der Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder, die ihrer wirksamen Entlastung entgegengestanden hätte, läge nicht vor. Die in der Hauptversammlung gestellten Fragen seien entweder beantwortet oder diese seien für die anschließende Beschlussfassung nicht bedeutsam gewesen. Im Übrigen sei es treuwidrig, nunmehr die Nichtbeantwortung von Fragen zu rügen, nachdem dies trotz einer entsprechenden Aufforderung durch den Aufsichtsratsvorsitzenden in der Hauptversammlung nicht geschehen sei. Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vortrags der Parteien, der gestellten Anträge und der Entscheidungsgründe wird auf das Urteil des Landgerichts Bezug genommen.

Hiergegen richtet sich form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Klägerin, mit der diese ihr ursprüngliches Begehren unter Wiederholung und Vertiefung ihres bisherigen Vortrags weiter verfolgt.

Sie beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils

den in der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 20. Mai 2010 gefasste Beschluss zu Punkt 3 der Tagesordnung, wonach dem Aufsichtsratsmitglied E. C. für das Geschäftsjahr 2009 Entlastung erteilt wird, für nichtig zu erklären, hilfsweise dessen Nichtigkeit festzustellen,

den in der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 20. Mai 2010 gefasste Beschluss zu Punkt 3 der Tagesordnung, wonach dem Aufsichtsratsmitglied N. Graf von P. für das Geschäftsjahr 2009 Entlastung erteilt wird, für nichtig zu erklären, hilfsweise dessen Nichtigkeit festzustellen,

den in der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 20. Mai 2010 gefasste Beschluss zu Punkt 4a) der Tagesordnung, wonach E. C. bis zur Beendigung der Hauptversammlung, die über die Entlastung der Aufsichtsratsmitglieder für das Geschäftsjahr 2014 beschließt, in den Aufsichtsrat gewählt wird, für nichtig zu erklären, hilfsweise dessen Nichtigkeit festzustellen,

die in der ordentlichen Hauptversammlung der Beklagten vom 20. Mai 2010 gefassten Beschlüsse

zu TOP 2, wonach den im Geschäftsjahr 2009 amtierenden Mitgliedern des Vorstands für dieses Geschäftsjahr Entlastung erteilt wurde, sowie

zu TOP 3, wonach auch den weiteren neben den Herren C. und von P. im Geschäftsjahr 2009 amtierenden Mitgliedern des Aufsichtsrats für dieses Geschäftsjahr Entlastung erteilt wurde, für nichtig zu erklären, hilfsweise deren Nichtigkeit festzustellen.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

II.

Die Berufung ist zulässig und teilweise auch begründet.

Gegen die Zulässigkeit der Klage bestehen keine Bedenken. Insbesondere wurde diese innerhalb der Frist des § 246 Abs. 1 AktG bei Gericht eingereicht.

1. Entlastung des Aufsichtsratsvorsitzenden C. (Antrag zu 1)

a) Der Klageantrag zu 1) ist begründet, denn die Entlastung des Aufsichtsratsvorsitzenden C. beruht auf einer Verletzung des Fragerechts der Aktionäre (§ 131 Abs. 1 AktG), die zur Anfechtbarkeit des darauf beruhenden Hauptversammlungsbeschlusses führt (vgl. Hüffer, AktG, 9. Aufl., § 131 Rn 44). Ein insoweit relevanter Verstoß liegt allerdings nur in Bezug auf Frage 1) vor.

aa)(1) Die Frage 1 wurde nicht beantwortet. Sie zielte ersichtlich darauf ab, ob sich der Aufsichtsratsvorsitzende C. in einem konkreten Fall in die laufenden Geschäfte des Vorstands eingemischt und dadurch die ihm nach dem Aktienrecht zustehenden Kontrollbefugnisse überschritten hatte. Dieses Verständnis ergibt sich bereits aus der ursprünglich gestellten Frage, jedenfalls aber aus dem weiteren Beitrag des Fragestellers L.. Die Auffassung der Beklagten, es sei gar nicht innerhalb der Frist des § 246 AktG gerügt worden, dass die im erste Absatz des im Tatbestand zitierten Wortbeitrags des Herrn L. enthaltene Frage nicht beantwortet worden sei, teilt der Senat nicht. Es trifft zwar zu, dass auf Seite 12 der Klageschrift nur der zweite Absatz wörtlich zitiert wird. Dieser ist jedoch untrennbar mit dem vorhergehenden Absatz verbunden, es handelt sich um eine einheitliche Frage. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Frage

"Wie kann es überhaupt sein, dass sich der Aufsichtsratsvorsitzende offenbar so direkt in operative Geschäfte einmischt€"

ohne den Bezug auf den in dem vorhergehenden Absatz zitierten Artikel im "Handelsblatt" gar keinen Sinn macht. Auch der Vorstand der Beklagten hat dies so verstanden, denn das Vorstandsmitglied Dr. S. hat in seinen drei Wortbeiträgen zu diesem Punkt jeweils ausdrücklich auch den Artikel im "Handelsblatt" angesprochen.

Diese Frage ist nicht beantwortet worden. Der erste Beitrag des Vorstandsmitglieds Dr. S. hierzu war - so ausdrücklich Herr Dr. S. - "allgemein" gehalten und ging an der Fragestellung, ob es Differenzen gegeben hatte, komplett vorbei. Aus der Antwort, "dass Entscheidungen im operativen Geschäft vom Vorstand bzw. von der Geschäftsführung des institutionellen Fondsbereichs getroffen werden", lässt sich nämlich nicht entnehmen, ob es im Vorfeld solcher Entscheidungen Einflussversuche des Aufsichtsratsvorsitzenden und hierauf beruhende Differenzen gegeben hatte. Nachdem der Fragesteller L. noch einmal dargelegt hatte, warum er seine Frage nicht für beantwortet hielt, hat Herr Dr. S. die Beantwortung ausdrücklich abgelehnt, weil der Ausgangspunkt der Fragestellung, der Artikel im "Handelsblatt", eine reine Spekulation sei. Auch daraus ergibt sich nicht, ob es die in dem fraglichen Artikel angeführten Einflussversuche des Aufsichtsratsvorsitzenden und darauf beruhende Differenzen gegeben hat. Auch Artikel, die auf Spekulation beruhen, können zutreffen.

Der von der Beklagten verteidigten Auffassung des Landgerichts, dass die Frage beantwortet sei, kann der Senat dementsprechend nicht folgen. Das Landgericht interpretiert die Antwort

"dass Entscheidungen im operativen Geschäft vom Vorstand bzw. von der Geschäftsführung des institutionellen Fondsbereichs getroffen werden."

dahin, "dass es entgegen der Vermutung des Fragestellers keine unzulässige Einmischung des Aufsichtsratsvorsitzenden C. in die operativen Geschäftsführungsentscheidungen des Vorstands im Bereich institutionelle Fonds gegeben hat" und fügt dann an:

"Der Vorstand der Beklagten hätte diese Frage auch einfacher beantworten können durch die Mitteilung, dass es keine direkte Einmischung des Aufsichtsratsvorsitzenden in das operative Geschäft gegeben hat." (S. 46 des Urteils, Bl. 263R d. A.)

Letzteres wäre in der Tat eine Beantwortung der Frage gewesen. Aus der tatsächlich gegebenen Antwort, dass die Entscheidungen vom Vorstand getroffen wurden, lässt sich aber nicht ableiten, dass es im Vorfeld dieser Entscheidungen nicht - wenn auch möglicherweise erfolglose - Versuche der Einflussnahme gegeben hat. Den weiteren Überlegungen des Landgerichts, dass ein weitergehender Informationsbedarf "in der Fragestellung jedenfalls nicht ansatzweise zum Ausdruck" gekommen sei, kann auch nicht gefolgt werden. Bereits aus der Fragestellung ergibt sich hinreichend klar, dass es um etwaige Einflussversuche des Aufsichtsratsvorsitzenden gegangen ist. Jedenfalls nach dem erneuten Beitrag des Fragestellers konnte das niemand mehr übersehen: Er hat genau das an der ersten Antwort als unzureichend beanstandet, was vorstehend angeführt worden ist.

(2) Die Beantwortung der Frage, war auch zur sachgemäßen Beurteilung dieses Tagesordnungspunktes erforderlich. Vom Standpunkt eines objektiv denkenden Aktionärs ist es eine erhebliche Information, ob der Aufsichtsratsvorsitzende in der Berichtsperiode seine Kompetenzen überschritten und sich in das operativ Geschäft des Vorstands eingemischt hat. Dies würde eine Überschreitung der durch das Aktiengesetz vorgegebenen Zuständigkeiten bedeuten, wonach der Vorstand die Geschäfte in eigener Verantwortung leitet (§ 76 AktG) und der Aufsichtsrat die Geschäftsführung überwacht (§ 111 Abs. 1 AktG). Eine zumindest mögliche Konsequenz einer solchen Kompetenzüberschreitung wäre es, dem Aufsichtsrat die Entlastung zu verweigern, denn diese bedeutet ja die Billigung der Verwaltung (§ 120 Abs. 2 AktG), und/oder ihn nicht wieder zu wählen. Ein rechtswidriges Verhalten muss von der Hauptversammlung nicht gebilligt werden; Verhaltensweisen, die eindeutig einen schwerwiegenden Gesetzes- oder Satzungsverstoß darstellen, stehen einer wirksamen Entlastung sogar entgegen, jedenfalls wenn dieses für die Hauptversammlung erkennbar war (BGH NJW 2003, 1032, 1033; OLG Köln, AG 2010, 219f.).

bb) Auch Frage 2) ist nicht beantwortet. Lediglich aus der Antwort des Vorstandsvorsitzenden ergibt sich etwas darüber, dass der Aufsichtsratsvorsitzende "vereinzelt", also nicht regelmäßig an Vorstandssitzungen teilgenommen hat. Das gibt keinen Aufschluss über die Zahl der Wortmeldungen. Ein Verstoß gegen § 131 Abs. 1 S. 1 AktG ist gleichwohl zu verneinen, weil ein objektiv denkender Aktionär kein weitergehendes Informationsbedürfnis gehabt hätte. Die Zahl der Wortmeldungen bei einer geringen Zahl von Teilnahmen ist so unspezifisch, dass diese eine Beurteilung der Tätigkeit des Aufsichtsratsvorsitzenden nicht zulässt.

cc) Frage 3) wurde ebenfalls nicht beantwortet. Hierauf kam es für einen objektiv denkenden Aktionär aber auch nicht an. Aus der Antwort des Aufsichtsratsvorsitzenden ergab sich, dass er an Aufsichtsratssitzungen zum Thema "P.IK" teilgenommen hatte. Aus der Beantwortung der konkret gestellten Frage, konnten sich für einen objektiv denkenden Aktionär keine Aufschlüsse über die Bewertung der Tätigkeit des Aufsichtsratsvorsitzenden ergeben. Selbst wenn sich der Aufsichtsratsvorsitzende zu diesem Thema zu Wort gemeldet hätte, wäre dies - jedenfalls für sich genommen - nicht zu beanstanden gewesen. Dasselbe gilt für Frage 4).

dd) Die Frage 5) ist durch die Ausführungen des Vorstandsvorsitzenden Dr. O. hinreichend beantwortet worden. Wenn Schäden bzw. Pflichtverletzungen nicht erkennbar waren, bestand keine Veranlassung zur Diskussion, ob Regressansprüche geprüft werden sollten. Selbst wenn diese gleichwohl stattgefunden hätten, wäre diese Information für einen objektiv denkenden Aktionär ohne erkennbare Relevanz gewesen.

b) Auch die von der Beklagten und dem Landgericht vertretene Auffassung, dass das Verhalten der Klägerin in Bezug auf die Rüge des Verstoßes gegen § 131 AktG rechtsmissbräuchlich sei, weil sie die Nichtbeantwortung der Frage 1) trotz entsprechender Aufforderung durch den Aufsichtsratsvorsitzenden nicht bereits in der noch laufenden Generaldebatte beanstandet habe (S. 26 ff. des Urteils; Bl. 253R ff. d. A.), teilt der Senat nicht.

aa) Das Landgericht war der Auffassung, dass ein Verstoß gegen § 131 Abs. 1 AktG gar nicht vorgelegen habe, weil die Fragen entweder beantwortet worden oder für die Abstimmung ohne Bedeutung gewesen seien. Von daher kam es auf die von ihm vertretene Auffassung zur Treuwidrigkeit des Verhaltens der Klägerin gar nicht entscheidend an. Die vom Landgericht vertretene Auffassung (diesem Sinne auch LG München, AG 2007, 255, 257; LG Krefeld, AG 2008, 754, 757; Kubis, in: MünchKomm-AktG, 2. Aufl., 2004, § 131 Rn 71; Decher, in: Aktiengesetz Großkommentar, 4. Aufl., 2001, § 131 Rn 395; Kersting, in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, 3. Aufl., 2010, § 131 Rn 394), stellt sich zusammengefasst wie folgt dar:

Erfolgt auf eine Nachfrage des Vorstandes in der Hauptversammlung, ob und ggf. welche Fragen noch nicht beantwortet worden seien, die in der erkennbaren Absicht erfolgt, etwa noch unbeantwortet gebliebene Fragen zu beantworten, keine Reaktion, handelt ein Aktionär treuwidrig, der später die unzureichende Beantwortung gestellter Fragen rügt. Dies gilt selbst dann, wenn nicht festgestellt werden kann, ob der Aktionär die unzureichende Beantwortung der Frage bereits in der Hauptversammlung erkannt hat.

Dies begegnet jedoch Bedenken. Hierdurch erhält der Vorstand die Möglichkeit, durch eine formale Befragung der Hauptversammlung die ihm grundsätzlich obliegende Verantwortung für die Beantwortung der gestellten Fragen auf die Aktionäre zu überwälzen. Ein sachlicher Grund hierfür ist nicht erkennbar. Er ergibt sich insbesondere nicht daraus, dass der fragende Aktionär eher als der Vorstand beurteilen kann, ob eine gestellte Frage beantwortet ist. Wie auch in diesem Verfahren erkennbar, wird in der Hauptversammlung vom sog. Back-Office penibel über die gestellten Fragen und die hierauf gegebenen Antworten Buch geführt. Von daher sollte für den Vorstand jederzeit erkennbar sein, ob eine Frage bereits beantwortet ist oder nicht. Für den fragenden Aktionär besteht dagegen die Schwierigkeit, dass die Antwort auf seine Frage nicht direkt erfolgen muss, sondern sich auch aus der Beantwortung der Fragen anderer Aktionäre ergeben kann. Der Hauptversammlungsteilnehmer hat aber nicht dieselben Möglichkeiten, der "Buchführung" über Fragen und Antworten wie der Vorstand. Im Übrigen kommt es auch nicht darauf an, ob der Fragesteller subjektiv meint, dass seine Frage beantwortet sei, sondern ob sie es objektiv ist. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass es nicht nur auf den Fragesteller ankommt, denn die Folge des rechtsmissbräuchlichen Verhaltens soll auch alle anderen Aktionäre treffen. Für diese ist es aber noch schwieriger, den Überblick über Fragen und Antworten zu erhalten.

Auch die Argumentation des Landgerichts, dass das Abstellen auf ein subjektives Erfordernis für die Frage des Missbrauchs bzw. der Treuwidrigkeit zur Folge hätte, dass kaum jemals der Nachweis des Rechtsmissbrauchs zu führen wäre, überzeugt nicht. Zum einen ist es kein Wert für sich, dass die rein objektive Betrachtung des Rechtsmissbrauchs zu einer häufigeren Anwendung dieses Instituts führt. Eine solche Auffassung wäre nur vertretbar, wenn man auf Verletzungen des Fragerechts gestützte Anfechtungsklagen per se als suspekt ansehen und es deshalb für legitim halten würde, diese möglichst zurückzudrängen. Das ist aber ersichtlich nicht die Konzeption des Aktiengesetzes. Darüber hinaus gilt das Beweisargument aber genauso für das vom Landgericht aufgestellte Erfordernis, dass der Vorstand seine Frage nach der vollständigen Beantwortung von Fragen in der Überzeugung gestellt haben muss, dass dies so war. Dies ist kaum leichter festzustellen, als die Böswilligkeit eines anfechtenden Aktionärs. Gewährt man dem Vorstand/Hauptversammlungsleiter aber einen Vertrauensvorschuss, indem man grundsätzlich davon ausgeht, dass die Frage in guter Absicht gestellt wurde, während man dem Aktionär die Beweislast dafür aufbürdet, dass er ausnahmsweise die Nichtbeantwortung einer Frage nicht erkennen konnte, führt dies im Ergebnis zu einer Entwertung des Fragerechts. Der Vorstand kann dann seiner - oftmals sicher lästigen - Pflicht zur Beantwortung von Fragen gefahrlos nachlässig nachkommen, weil er durch die "salvatorische Frage" nach der Beantwortung aller Fragen das Risiko der Nichtbeantwortung auf die Aktionäre überbürdet. Wird dann doch noch die Nichtbeantwortung beanstandet, kann er die Antwort ggf. nachholen.

Schließlich ist die weite Auffassung des Rechtsmissbrauchs letztlich auch kaum geeignet, den damit verfolgten Zweck zu erreichen. Gerade erfahrene Hauptversammlungsteilnehmer werden auf die entsprechende pauschale Frage ganz pauschal mit dem Hinweis reagieren, dass man alle Fragen für unbeantwortet halte (vgl. GK-AktG/Decher, a. a. O., § 131 Rn 395). Gerade dies hat der Fragesteller L. im konkreten Fall auch getan. Mit dieser Information wird der Vorstand wenig anfangen können, eine weitere Konkretisierung wird man dem Aktionär bei der Vielzahl von Fragen und Antworten aber schlechterdings nicht abverlangen können. Es spricht deshalb vieles dafür, eine Verwirkung des Rügerechts nur dann anzunehmen, wenn eine Nachfrage in der Hauptversammlung bewusst unterlassen wurde (in diesem Sinne auch LG Stuttgart, Urteil vom 28.05.2010 - 31 O 56/09 -, Rn 232; Spindler, in: Schmidt/Lutter, AktG, 2. Aufl., 2010, § 131 Rn 94).

bb) Letztlich kommt es auf die Entscheidung dieser Frage aber auch für die Entscheidung des Senats nicht an, weil sich das Verhaltend der Klägerin selbst auf der Grundlage der vom Landgericht vertretenen Rechtsauffassung nicht als rechtsmissbräuchlich darstellt. Auch das Landgericht geht von der Auffassung aus, dass nur eine bona fides gestellte Nachfrage nach etwa unbeantworteten Fragen überhaupt zum Rechtsmissbrauch des hierauf nicht reagierenden Aktionärs führen kann. Schon daran fehlt es aber.

Das Vorstandsmitglied Dr. S. hatte auf die Nachfrage des Herrn L. ausdrücklich erklärt, die Frage nicht beantworten zu wollen. Die im stenographischen Protokoll festgehaltene Reaktion des Aktionärs ließ keinen Zweifel daran, dass er die Frage nicht als beantwortet ansah. Wie der Vorstand bei dieser Sachlage angenommen haben will, die Frage beantwortet zu haben, ist unerfindlich.

Es spricht außerdem vieles dagegen, dass die Aufforderung des Aufsichtsratsvorsitzenden, noch offene Fragen vom Notar protokollieren zu lassen, mit der Absicht verbunden war, diese ggf. noch zu beantworten. Tatsächlich hat der Aufsichtsratsvorsitze unmittelbar nach Abschluss der Protokollierung die Generaldebatte geschlossen. Es ist schon aufgrund der zeitlichen Abläufe nicht erkennbar, dass eine irgendwie geartete Prüfung, ob tatsächlich Fragen unbeantwortet geblieben sind, noch erfolgt ist. Dies gilt umso mehr, als der Aufsichtsratsvorsitzende bereits um 17.10 Uhr dieselbe Verfahrensweise wie um 19.21 Uhr angekündigt hatte:

"Im Anschluss an Herrn Buhlmann wird der Vorstand alle noch offenen Fragen beantworten. Danach gebe ich den Aktionären Gelegenheit, nach ihrer Ansicht etwa nicht beantwortete Fragen zu Protokoll zu geben. Danach werde ich die Debatte schließen." (Anlage B2, S. 147, Bl. 298 AnlH)

Auch danach sollte der Schluss der Debatte unmittelbar der Protokollierung noch offener Fragen folgen - genauso wie es dann geschehen ist. Für die Aktionäre war von daher nicht erkennbar, dass die Protokollierung den Zweck haben sollte, etwa noch offene Frage erkennen zu können, um diese dann zu beantworten. Das Verfahren deutete mehr auf eine Protokollierung gemäß § 131 Abs. 5 AktG hin, die aber lediglich der Beweiserleichterung für die Aktionäre dient und keine Voraussetzung für die Geltendmachung des Rügerechts ist. Dafür spricht auch die weitere Äußerung des Aufsichtsratsvorsitzenden unmittelbar vor Schließung der Generaldebatte:

"Bei Bedarf steht der Notar dafür (d. i. die Protokollierung unbeantworteter Fragen) selbstverständlich gern zur Verfügung." (Anlage B 2, S. 179; bl. 314 AnlH)

Die Protokollierung noch offener Fragen nach Abschluss der Generaldebatte konnte nur im Hinblick auf § 131 Abs. 5 AktG Sinn machen, weil eine Beantwortung in der Hauptversammlung nicht mehr in Betracht kam - jedenfalls hätte dafür die Generaldebatte wieder eröffnet werden müssen.

c) Unerheblich ist auch, dass die Klägerin die Frage 1) weder selbst gestellt noch später deren Nichtbeantwortung zu Protokoll des beurkunden Notars gerügt hat. Das Recht, die Verletzung des Fragerechts gemäß § 131 Abs. 1 AktG zu rügen, steht nicht nur dem jeweiligen Fragesteller, sondern allen anwesenden Aktionären zu, weil das Auskunftsrecht zu den Mitgliedschaftsrechten gehört, die jedem Aktionär gleichermaßen zustehen (BGH NJW 1992, 2760, 2764). Von daher kommt es gar nicht darauf an, dass sich der Vertreter der Klägerin in seinem Redebeitrag alle gestellten Fragen ausdrücklich zu Eigen gemacht hat (Anlage B 2, S. 99; Bl. 274 AnlH). Der Umstand, dass insbesondere hinsichtlich Frage 1 keine Protokollierung gemäß § 131 Abs. 5 AktG erfolgt ist, ist ebenfalls unerheblich. Dies ist nicht Voraussetzung dafür, dass eine Anfechtungsklage auf die Nichtbeantwortung dieser Frage gestützt werden kann (Kubis, in: MünchKomm-AktG, a. a. O., § 131 Rn 146).

c) Schließlich folgt der Senat auch nicht der Ansicht der Beklagten, dass es unverhältnismäßig wäre, die Nichtbeantwortung der Frage 1) mit der Folge der Anfechtbarkeit von Beschlüssen der Hauptversammlung zu belegen. Schon daraus, dass nur die Nichtbeantwortung solcher Fragen, die für die anschließende Beschlussfassung aus Sicht eines objektiv urteilenden Aktionärs von Bedeutung sind, die Folge der Anfechtbarkeit des Beschlusses nach sich zieht, ergibt sich eine dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragende Beschränkung des Anfechtungsrechts. Eine weitere Beschränkung des Anfechtungsrechts aus Gründen der Verhältnismäßigkeit unter dem Gesichtspunkt des Übermaßverbots, erscheint dem Senat nicht angezeigt. Es liegt in der Hand der Organe der Gesellschaft, durch die umfassende Beantwortung der gestellten Fragen die Anfechtbarkeit der Beschlüsse zu vermeiden. Kommen diese ihren Verpflichtungen nicht ordnungsgemäß nach, gibt es keinen Anlass, dies aus Gründen der Verhältnismäßigkeit folgenlos zu lassen. Dies würde vielmehr zu einer Entwertung des Fragerechts als einem Instrument des Minderheitenschutzes führen. Von daher ist es erst recht nicht angebracht, das Ergebnis der Klage davon abhängig zu machen, ob die vollständige Beantwortung gestellter Fragen, tatsächlich oder auch nur naheliegenderweise konkret zu einem anderen Abstimmungsergebnis geführt haben würde.

d) Die Anfechtung des Entlastungsbeschlusses hinsichtlich des Aufsichtsratsvorsitzenden C. kann dagegen nicht darauf gestützt werden, dass dieser im Berichtszeitraum pflichtwidrig gehandelt habe. Eine konkrete Pflichtverletzung des Aufsichtsratsvorsitzenden C., die über das hinausgeht, was allen Aufsichtsratsmitgliedern angelastet wird (vgl. dazu unten 5.), ist nicht erkennbar. Der Vorwurf, er habe an der Beratung und Beschlussfassung zum Thema "Erwerb der P.IK-Beteiligung" wegen Interessenkollision nicht teilnehmen dürfen, betrifft nicht das Geschäftsjahr 2009, sondern vorangegangene Geschäftsjahre.

2. Entlastung des Aufsichtsratsmitglieds Graf von P. (Antrag zu 2)

Die Entlastung des (früheren) Aufsichtsratsmitglieds Graf von P. durch die Hauptversammlung ist nicht zu beanstanden. Die Frage 1), deren Nichtbeantwortung allein relevant ist, hat für die Beschlussfassung über die Entlastung des früheren Aufsichtsratsmitglieds Graf von P. keine erkennbare Bedeutung. Es kann deshalb ausgeschlossen werden, dass der Beschluss auf dem Verstoß gegen § 131 Abs. 1 AktG beruht. Auch in Bezug auf dieses Aufsichtsratsmitglied ist - wie vorstehend für den Aufsichtsratsvorsitzenden C. ausgeführt - keine Pflichtverletzung im Berichtszeitraum, die seiner Entlastung entgegenstehen würde, erkennbar.

3. Wahl des Aufsichtsratsvorsitzenden C. (Antrag zu 3)

Die Anfechtung des Beschlusses über die Wahl von Herrn C. in den Aufsichtsrat der Beklagten ist ebenfalls begründet. Jedenfalls die Verletzung des Fragerechts war für die Wahl des Aufsichtsratsvorsitzenden C. ebenso von Bedeutung wie für dessen Entlastung. Dementsprechend hat die Anfechtungsklage auch insoweit Erfolg.

4. Entlastung des Vorstands (Antrag zu 4a))

Die gegen den Beschluss über die Entlastung des Vorstands gerichtete Klage, ist unbegründet. Die Entlastung des Vorstands durch die Hauptversammlung ist nur anfechtbar, wenn dieser in dem Zeitraum, auf den sich der Entlastungsbeschluss bezieht, eine eindeutige und schwerwiegende Pflichtverletzung begangen hat, die der Hauptversammlung bekannt war oder hätte bekannt sein können (BGH NJW 2003, 1032, 1033; OLG Köln, AG 2010, 219f.; OLG Stuttgart, AG 2011, 93, 94). Aufgrund der Periodenbezogenheit der Entlastungsbeschlüsse kann die Anfechtung nicht auf ein Fehlverhalten in der Vergangenheit gestützt werden, insbesondere nicht, wenn hierfür bereits Entlastung erteilt worden ist (vgl. OLG Stuttgart, a. a. O.)

Der Erwerb der Beteiligung an der P.IK erfolgte in den Jahren 2004, 2006 und 2007. In diese Jahre fiel dementsprechend auch die Befassung des Aufsichtsrates mit diesem Erwerbsvorgang. Etwaige Pflichtverletzungen des Vorstands wegen der unterbliebenen Prüfung von Schadensersatzansprüchen gegen Aufsichtsratsmitglieder wären also spätestens 2007 begangen worden. Der angefochtene Entlastungsbeschluss bezieht sich aber auf das Geschäftsjahr 2009.

Der Vorwurf der Pflichtverletzung kann auch nicht darauf gestützt werden, dass im abgelaufenen Geschäftsjahr neue Informationen aufgetreten wäre, die erneut Anlass zur Prüfung von Schadensersatzansprüchen gegeben hätten. Die Klägerin führt insoweit lediglich an:

"Denn erstens wurde im Entlastungszeitraum bekannt, dass BaFin und Staatsanwaltschaft Köln wegen erheblicher Unregelmäßigkeiten bei Sal. P. ermitteln. Unter anderem soll das Bankhaus auf Druck der Geschäftsführung über eine Strohfirma Kredite in Höhe von 350 Millionen Euro ohne ausreichende Sicherheiten vergeben haben. Zudem soll sich ein Teil der persönlich haftenden Gesellschafter ungesicherte Kredite in Höhe von fast 700 Millionen Euro zu unüblich niedrigen Zinssätzen genehmigt haben. … Zudem kommt das Gutachten nach Angaben des Handelsblatts zu der Schlussfolgerung, dass der Jahresabschluss von Sal. P. für das Jahr 2008 unrichtig sei., weil der Wert einer von Sal. P. gehaltenen Beteiligung um 300 Millionen Euro zu hoch angesetzt sei.

Die Vorgänge, die Gegenstand der Ermittlungen bei Sal. P. sind, fallen sämtlich in denjenigen Zeitraum, während dessen die Herren von P. und C. persönlich haftende Gesellschafter und Mitglieder der Geschäftsführung bei Sa. P. waren. Sie überschneiden sich zumindest zeitweise auch zeitlich mit der P.IK-Transaktion." (Berufungsbegründung, S. 6; Bl. 493 d. A.)

Die rein zeitliche Überschneidung möglicher Pflichtverletzungen der beiden Aufsichtsratsmitglieder C. und Graf von P. als Komplementäre des Bankhauses Sal. P. mit dem Erwerb der Anteile an der P.IK durch die Beklagte, gibt jedoch keine Veranlassung zu der Annahme, dass die Aufsichtsratsmitglieder auch diesbezüglich pflichtwidrig gehandelt haben könnte. Es hätten vielmehr konkrete Verdachtsmomente i. S. zumindest eines "Anfangsverdachtes" (vgl. dazu OLG Köln, AG 2010, 414, €€€, für die Bestellung eines Sonderprüfers) vorliegen müssen, damit eine Überprüfung durch den Vorstand geboten gewesen wäre Diese fehlen aber und deshalb ist eine Pflichtverletzung der Vorstandsmitglieder, die ihrer Entlastung entgegenstehen könnte, nicht erkennbar.

5. Entlastung der weiteren Aufsichtsratsmitglieder (Antrag zu 4b))

Im Hinblick darauf, dass dem Vorstand eine Pflichtverletzung aus den vorstehend dargestellten nicht anzulasten ist, kommt auch eine der Entlastung entgegenstehende Pflichtverletzung der Aufsichtsratsmitglieder nicht in Betracht.

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

IV.

Die Voraussetzungen, unter denen die Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen ist, liegen nicht vor. Die Frage, ob die Rechtsmissbräuchlichkeit des Anfechtungsrechts im Hinblick auf einen Verstoß gegen § 131 Abs. 1 AktG auf Seiten des Aktionärs auch von subjektiven Voraussetzungen abhängig oder - wie das Landgericht meint - allein objektiv zu beurteilen ist, hat zwar grundsätzliche Bedeutung. Eine Zulassung der Revision im Hinblick hierauf kommt aber gleichwohl nicht in Betracht, weil die Beantwortung dieser Frage nicht entscheidungserheblich ist. Sowohl das Landgericht als auch der Senat haben ihre Entscheidung jeweils auf spezifische Umstände des Einzelfalles gestützt.

V.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 25.000 € festgesetzt.






OLG Köln:
Urteil v. 28.07.2011
Az: 18 U 213/10


Link zum Urteil:
https://www.admody.com/urteilsdatenbank/767c037f0b0d/OLG-Koeln_Urteil_vom_28-Juli-2011_Az_18-U-213-10




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